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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_166/2010
Urteil vom 14. Juni 2010
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin Ana Dettwiler,
gegen
Statthalteramt Laufen, Rennimattstrasse 77, Postfach,
4242 Laufen.
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss vom 6. Mai 2010
des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Präsidentin.
Sachverhalt:
A.
Das Statthalteramt Laufen führt eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen qualifizierten Drogendelikten. Der Angeschuldigte wurde am 10. April 2010 am Grenzübergang Basel-Weil durch das Grenzwachtkorps Basel Nord verhaftet und am 13. April 2010 durch das Statthalteramt in Untersuchungshaft versetzt. Am 28. April 2010 beantragte dieses die Verlängerung der Untersuchungshaft um sechs Monate. Mit Beschluss vom 6. Mai 2010 hiess die Präsidentin des Verfahrensgerichts in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft das Gesuch gut.
B.
Gegen den Haftverlängerungsentscheid vom 6. Mai 2010 gelangte X.________ mit Beschwerde vom 19. Mai 2010 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die sofortige Haftentlassung.
Das Verfahrensgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Statthalteramt liess sich innert der angesetzten Frist nicht vernehmen. Der Beschwerdeführer replizierte am 9. Juni 2010.
Erwägungen:
1.
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
2.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines (von Art. 31 Abs. 3 BV gewährleisteten) Anspruchs auf unverzügliche Vorführung vor die haftanordnende Justizperson.
2.1 Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, der Beschwerdeführer sei am 10. April 2010 durch das Grenzwachtkorps verhaftet und gleichentags der Kantonspolizei Basel-Stadt in Polizeihaft übergeben worden. Am 11. April 2010 habe eine Detektivin der Kantonspolizei Basel-Stadt den Verhafteten befragt. Am 12. April 2010 habe das Statthalteramt Laufen (BL) um dessen Zuführung in das Untersuchungsgefängnis Liestal ersucht. Die Überführung sei gleichentags erfolgt, weshalb die Verfahrensvorschriften des Kantons Basel-Landschaft erst ab 12. April 2010 anwendbar geworden seien. Die Anhörung des Beschwerdeführers am 13. April 2010 durch den haftanordnenden Untersuchungsbeamten des Statthalteramtes sei demnach fristgerecht erfolgt (angefochtener Entscheid, E. 2 S. 3).
2.2 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes und des EGMR beschränken Art. 31 Abs. 3 BV und Art. 5 Ziff. 3 EMRK die Dauer der Polizeihaft bis zum Entscheid der haftanordnenden Behörde. Als Teilgehalt des grundrechtlichen Beschleunigunsgebotes in Haftsachen bestimmt Art. 31 Abs. 3 BV, dass jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, "unverzüglich" dem Haftrichter vorgeführt wird. Das basel-landschaftliche Strafprozessrecht konkretisiert dieses Grundrecht in der Weise, dass die vorläufig festgenommene Person "spätestens innert 24 Stunden seit der Festnahme" von der Statthalterin oder vom Statthalter anzuhören ist (§ 76 Abs. 3 StPO/BL). Erachtet die Statthalterin bzw. der Statthalter eine weitere Inhaftierung als notwendig, erlässt sie oder er nach der Anhörung einen Haftbefehl (§ 76 Abs. 4 StPO/BL). Mit dem Haftbefehl gilt die Untersuchungshaft als angeordnet (§ 81 Abs. 1 StPO/ BL). Dagegen ist die Haftbeschwerde zulässig (§ 81 Abs. 3 StPO/BL).
Falls das massgebliche Prozessrecht keine spezifische Anhörungsfrist im Sinne von Art. 31 Abs. 3 BV vorsieht, liegt die zulässige Höchstfrist nach der Praxis des Bundesgerichtes in der Regel (in Berücksichtigung der konkreten Umstände und nach Massgabe der anwendbaren Verfahrensordnung) bei ca. 48 Stunden (BGE 131 I 36 E. 2.3 S. 40 f., E. 2.6 S. 44, 66 E. 4.3 S. 68 f.; 119 Ia 221 E. 7a S. 232, E. 7c S. 235; Urteile 1B_326/2009 vom 11. Mai 2010 E. 2.2-2.3; 1P.109/2005 vom 4. Mai 2005 E. 2.2.2; je mit Hinweisen; vgl. auch Andreas Donatsch, in: Donatsch/Schmid [Hrsg.], Kommentar zur StPO Zürich, Zürich 1996 ff., § 57 N. 11-17; Marc Forster, Die Rechte der Inhaftierten, in: F. Riklin [Hrsg.], Von der Verhaftung bis zum Vollzug - Grenzen der staatlichen Gewalt, Luzern 2004, S. 53 ff., 61 f.; Hans Vest, in: Kommentar BV, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2008, Art. 31 N. 30). Für die Berechnung der nach Art. 31 Abs. 3 BV massgeblichen Anhörungsfrist hat sich die haftanordnende Justizbehörde das Verhalten der festnehmenden Polizeiorgane zeitlich anrechnen zu lassen. Dies muss grundsätzlich auch im Rahmen der interkantonalen polizeilichen Zusammenarbeit und im Verkehr mit dem Grenzwachtkorps gelten (vgl. Marc Forster, in: Kocher/Clavadetscher [Hrsg.], Handkommentar zum Zollgesetz, Bern 2009, Art. 105 N. 21-24). Andernfalls könnten die Grundrechte gemäss Art. 31 Abs. 3 BV unterlaufen werden.
2.3 Unbestrittenermassen wurde der Beschwerdeführer am 10. April 2010 (13.45 Uhr) anlässlich einer Zollkontrolle polizeilich festgenommen. Die am 11. April 2010 erfolgte Befragung durch eine Detektivin der Kantonspolizei Basel-Stadt erfüllt die Anforderungen von Art. 31 Abs. 3 BV (i.V.m. § 76 Abs. 3 StPO/BL) offensichtlich nicht. Es handelt sich bei der Polizistin nicht um die nach dem anwendbaren kantonalen Prozessrecht für die Anhörung und Haftanordnung zuständige Justizbehörde. Die Vorführung vor den Untersuchungsbeamten des Statthalteramtes erfolgte am 13. April 2010 (vormittags). Die erst ca. drei Tage nach der Verhaftung durchgeführte Anhörung verletzt das Beschleunigungsgebot von Art. 31 Abs. 3 BV bzw. dessen Konkretisierung in § 76 Abs. 3 StPO/BL.
2.4 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes sind Gehörsverletzungen dieser Art (bzw. die Verletzung des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen) im Dispositiv des Haftprüfungsentscheides förmlich festzustellen und bei der Kostenverlegung (vgl. unten, E. 5) mitzuberücksichtigen (vgl. Urteile 1B_326/2009 vom 11. Mai 2010 E. 2.3; 1B_165/2009 vom 30. Juni 2009 E. 5; s. auch EGMR Kaiser gegen Schweiz vom 15. März 2007, in: Pra 96 [2007] Nr. 110 S. 744 ff.). Damit wird dem Betroffenen eine hinreichende Wiedergutmachung ("satisfaction équitable" i.S.v. Art. 41 EMRK) verschafft (vgl. BGE 135 II 334 E. 3 S. 337; 130 I 312 E. 5.3 S. 333; je mit Hinweisen).
Die Beschwerde ist in diesem Punkt teilweise gutzuheissen.
3.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, das Statthalteramt habe den Haftbefehl "auf Vorrat" erlassen und damit die Anhörung auf eine überflüssige Formalie reduziert.
Dieser Vorwurf findet in den Akten keine Stütze. Zwar wurde der Haftbefehl auf den "12. April 2010" datiert. Im Sinne von § 76 Abs. 4 und § 81 Abs. 2 StPO/BL eröffnet wurde er aber erst nach der Haftanhörung. Der Umstand, dass der Untersuchungsbeamte des Statthalteramtes vor der Anhörung (und im Interesse des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen) bereits einen Entwurf des Haftbefehls ausarbeitete, nach der Anhörung vom 13. April 2010 keine Veranlassung sah, den Haftbefehl inhaltlich zu ändern, und bei dessen Eröffnung offenbar das Datum zu aktualisieren vergass, begründet keine Verletzung verfassungsmässiger Rechte.
4.
Die Feststellung der Verletzung des Beschleunigungsgebotes bzw. des rechtlichen Gehörs im Haftanordnungsverfahren führt nach der Rechtsprechung nicht automatisch zur Haftentlassung, sofern materielle Haftgründe bestehen und noch keine Überhaft vorliegt (BGE 114 Ia 88 E. 5d S. 92 f.; Urteile 1B_165/2009 vom 30. Juni 2009 E. 5.3; 1S.11/2006 vom 31. August 2006 E. 8.2; 1P.162/1996 vom 14. Februar 1996 E. 3-4). Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen von besonderen Haftgründen, insbesondere von Fluchtgefahr (§ 77 Abs. 1 lit. a StPO/BL).
4.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70; je mit Hinweisen). So ist es zulässig, die familiären und sozialen Bindungen des Häftlings, dessen berufliche Situation und Schulden sowie Kontakte ins Ausland und Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein Land, das den Angeschuldigten grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, wäre die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme angeordnet werden (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73, E. 2.16 S. 78 f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279; je mit Hinweisen).
4.2 Bei Haftbeschwerden prüft das Bundesgericht (im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes in das Grundrecht der persönlichen Freiheit) die Auslegung und Anwendung des kantonalen Prozessrechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis).
4.3 Der Beschwerdeführer bestreitet die Feststellungen der Haftrichterin nicht, wonach er nigerianischer Staatsangehöriger sei, mit seiner Familie in Deutschland lebe, und in der Schweiz weder einen Wohnsitz habe, noch Bezugspersonen. Aufgrund der bisherigen Untersuchungsergebnisse hat er zudem im Falle einer Anklage und Verurteilung mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe wegen qualifizierten Drogendelikten zu rechnen. Daraus ergeben sich ausreichend konkrete Anhaltspunkte für den Haftgrund der Fluchtgefahr. Daran vermögen auch die Vorbringen des Beschwerdeführers nichts zu ändern, wonach er in Deutschland als Gebrauchtwagenhändler tätig sei (womit er ein monatliches Einkommen von ca. EUR 500.-- erziele) und dass ihn die deutschen Behörden nötigenfalls an die Schweiz ausliefern würden. Auch die drohende Flucht in ein Land, das den Verfolgten zur Strafverfolgung an die Schweiz ausliefern könnte, begründet nach der dargelegten Rechtsprechung einen zulässigen Haftgrund.
Die Ansicht der kantonalen Behörden, mit blossen Ersatzmassnahmen für Haft lasse sich der dargelegten Fluchtneigung nicht ausreichend begegnen, hält ebenfalls vor der Verfassung stand.
Es kann offen bleiben, ob neben Fluchtgefahr noch weitere besondere Haftgründe erfüllt wären.
4.4 Der Vorwurf, die Urteilsbegründung der Vorinstanz verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, findet in den Erwägungen des angefochtenen Entscheides keine Stütze. Es werden darin die wesentlichen Gesichtspunkte erörtert, weshalb die Haftrichterin die Fortsetzung der Haft als zulässig erachtete. Dabei musste sie sich nicht mit sämtlichen Ausführungen des Beschwerdeführers ausdrücklich und detailliert befassen. Es ist auch nicht ersichtlich, inwieweit die Urteilsbegründung es dem Beschwerdeführer faktisch verunmöglicht hätte, den Rechtsweg ans Bundesgericht wirksam zu beschreiten (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.1 S. 277, E. 3.5.1 S. 283; 129 I 232 E. 3.2 S. 236; 123 I 31 E. 2c S. 34; je mit Hinweisen).
4.5 Angesichts der zu untersuchenden Vorwürfe betreffend qualifizierte Drogendelikte hält die bisherige Haftdauer von ca. zwei Monaten auch vor dem Verhältnismässigkeitsgebot stand (vgl. BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170, 270 E. 3.4.2 S. 281; je mit Hinweisen).
5.
Der Beschwerdeführer unterliegt im bundesgerichtlichen Verfahren mit seinen Hauptanträgen. Unter den gegebenen Umständen (vgl. E. 2) rechtfertigt es sich jedoch, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Der Kanton Basel-Landschaft hat der Anwältin des Beschwerdeführers überdies eine (reduzierte) Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Diese wird auf Fr. 2'000.-- festgesetzt.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird damit hinfällig.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird festgestellt, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf unverzügliche Vorführung vor die haftanordnende Justizbehörde (Art. 31 Abs. 3 BV) verletzt worden ist. Im Übrigen werden die Beschwerde und das Haftentlassungsgesuch abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Basel-Landschaft (Statthalteramt Laufen) hat der Vertreterin des Beschwerdeführers, Rechtsanwältin Ana Dettwiler, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt Laufen und dem Verfahrensgericht in Strafsachen des Kantons Basel-Landschaft, Präsidentin, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Juni 2010
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Forster