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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_362/2010
Urteil vom 23. Juni 2010
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
I.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Robert P. Gehring,
Beschwerdeführer,
gegen
Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Berechnung des Leistungsanspruch),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 3. März 2010.
Sachverhalt:
A.
Der 1949 geborene I.________ bezog ab 1. Februar 2004 Ergänzungsleistungen (EL) zu seiner halben Invalidenrente. Bei der Berechnung des Anspruchs berücksichtigte das Amt für AHV und IV des Kantons Thurgau (nachfolgend: EL-Durchführungsstelle) ab 1. August 2005 ein hypothetisches Erwerbseinkommen der Ehefrau in der Höhe von Fr. 34'600.-. Nach der Geburt des dritten Kindes der Eheleute I.________, A.________, am 9. Dezember 2008 nahm die EL-Durchführungsstelle eine Neuberechnung vor. Mit zwei Verfügungen vom 23. Januar 2009 setzte sie die Ergänzungsleistung für den Monat Dezember 2008 auf Fr. 1'989.- und ab 1. Januar 2009 auf Fr. 2'005.- fest. Dagegen liess I.________ Einsprache erheben. Auf Ende Juni 2009 verlor er seine Teilzeitstelle bei der Firma X.________ GmbH. Mit Einspracheentscheid vom 7. September 2009 setzte die EL-Durchführungsstelle die Ergänzungsleistung für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 31. Dezember 2009 neu auf Fr. 1'989.- (Dezember 2008), Fr. 2'410.- (Januar bis April 2009) und Fr. 2'215.- (Mai bis Dezember 2009) fest.
B.
Die Beschwerde des I.________ hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht mit Entscheid vom 3. März 2010 teilweise gut. Es hob die Einspracheentscheide vom 3. und 7. September 2009, soweit die Zeit ab 1. Januar 2009 betreffend, mit der Feststellung auf, es bestehe Anspruch auf eine monatliche Ergänzungsleistung in der Höhe von Fr. 3'354.- (1. Januar bis 30. April 2009), Fr. 2'224.- (1. Mai bis 30. Juni 2009) und Fr. 2'473.- (1. Juli bis 31. Dezember 2009).
C.
I.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 3. März 2010 sei insoweit teilweise zu ändern, dass die Ergänzungsleistung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2009 auf Fr. 3'727.- im Monat festgelegt werde, unter Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
Nach Abweisung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Prozesses (Verfügung vom 25. Mai 2010) hat I.________ den einverlangten Kostenvorschuss bezahlt.
Erwägungen:
1.
Vor Bundesgericht angefochten ist die von der Vorinstanz auf monatlich Fr. 2'473.- festgesetzte Ergänzungsleistung für die Monate Juli bis Dezember 2009. Dabei ist einzig die Anrechnung von Kinderzulagen in der Höhe von Fr. 7'200.- (Art. 11 Abs. 1 lit. f ELG) sowie eines hypothetischen Erwerbseinkommens der Ehefrau von Fr. 28'000.- (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG) resp. Fr. 17'667.- (= 2/3 x [Fr. 28'000.- - Fr. 1'500.-]; vgl. Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG) umstritten.
2.
Gemäss Art. 11 Abs. 1 ELG werden als Einnahmen angerechnet u.a. Familienzulagen (lit. f) sowie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (lit. g).
2.1 Die Vorinstanz hat bei der Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2009 Kinderzulagen in der Höhe von Fr. 7'200.- berücksichtigt. Sie hat erwogen, sobald die Ehefrau des EL-Bezügers einer Erwerbstätigkeit nachgehe, womit sie ein jährliches Erwerbseinkommen in der Höhe von mindestens dem halben jährlichen Betrag der minimalen vollen Altersrente der AHV (für 2009: Fr. 6'840.-; vgl. Art. 34 Abs. 5 AHVG und Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 09 vom 26. September 2008 über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bei der AHV/IV/EO) erzielen könne, was zutreffe, habe sie Anspruch auf die vollen Kinderzulagen (vgl. Art. 13 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 24. März 2006 über die Familienzulagen [FamZG; SR 836.2]). Übe sie trotz gegebener Zumutbarkeit keine Erwerbstätigkeit aus, seien ihr auch die dadurch entgehenden Kinderzulagen als Verzichtseinkünfte nach Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG anzurechnen.
Die vorinstanzliche Rechtsauffassung ist zutreffend. Der Beschwerdeführer setzt sich mit diesen Erwägungen nicht auseinander. Insbesondere legt er nicht dar, inwiefern die vorinstanzliche Rechtsauffassung, ausbleibende Kinderzulagen als Folge des Verzichts auf eine zumutbare Erwerbstätigkeit oder deren Ausdehnung stellten ebenfalls Verzichtseinkünfte im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG dar, Bundesrecht verletzt (vgl. Ralph Jöhl, Ergänzungsleistungen zur AHV/IV, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR]/Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2006, Rz. 265 S. 1828). Er bringt einzig vor, er erhalte nach dem Verlust seiner Teilzeitstelle ab 1. Juli 2009 keine Kinderzulagen mehr. Damit vermag er jedoch den Begründungsanforderungen nicht zu genügen (Art. 42 Abs. 2 BGG).
2.2 Nach der Rechtsprechung gelten als anrechenbare Einnahmen im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG auch Einkommen, die der nicht oder teilerwerbstätige Ehegatte mit einer Erwerbstätigkeit oder der Ausdehnung seiner Teilzeittätigkeit zumutbarerweise erzielen könnte (BGE 117 V 287 E. 3b S. 291; AHI 2001 S. 132, P 18/99, E. 1b). Inwiefern dem Ehegatten eine allenfalls zeitlich ausgedehntere oder besser entlöhnte erwerbliche Tätigkeit zumutbar ist, beurteilt sich nach seinem Alter, dem Gesundheitszustand, den Sprachkenntnissen, der Ausbildung, seiner bisherigen Tätigkeit, nach der konkreten Arbeitsmarktlage sowie der Dauer der Abwesenheit vom Berufsleben (BGE 134 V 53 E. 4.1 S. 61; Urteile 9C_539/2009 vom 9. Februar 2010 E. 4.1 und 9C_184/2009 vom 17. Juli 2009 E. 2.2 mit Hinweisen; Jöhl, a.a.O, Rz. 181 ff. S. 1760 ff.).
2.2.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, der Ehefrau des Beschwerdeführers wäre ein ausserhäusliches erwerbliches Pensum von 70 %, vier Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags, zumutbar. Damit könnte sie beispielsweise als Reinigungsfrau oder in der Landwirtschaft ein Einkommen (nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge) von rund Fr. 28'000.- jährlich erzielen. Die Ausdehnung des hypothetischen Arbeitspensums von bisher 50 % auf 70 % sei zumutbar, da namentlich vom ältesten 15-jährigen Sohn eine gewisse Unterstützung im Haushalt erwartet werden dürfe und der Beschwerdeführer auch in derjenigen Zeit, in welcher er vorher erwerbstätig gewesen sei, sich um Haushalt und Kinderbetreuung kümmern und so seine Ehefrau zusätzlich entlasten könne.
2.2.2
2.2.2.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz setze Art. 14a Abs. 2 lit. a ELV indirekt wieder ausser Kraft, wenn sie der Ehefrau mit Wirkung ab 1. Juli 2009 ein entsprechend höheres Einkommen zumute, was nicht angehe. Laut dieser Bestimmung ist Invaliden unter 60 Jahren bei einem Invaliditätsgrad von 40 bis unter 50 Prozent mindestens der um einen Drittel erhöhte Höchstbetrag für den Lebensbedarf von Alleinstehenden nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer 1 ELG anzurechnen. Nach der Rechtsprechung begründet Art. 14a Abs. 2 lit. a ELV die widerlegbare Vermutung eines Verzichts auf Einkünfte im Sinne von Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG in Fällen, wo der Grenzbetrag nicht erreicht wird, insbesondere wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird (Urteile 9C_749/2009 vom 12. November 2009 E. 2.2 und 9C_600/2009 vom 8. Oktober 2009 E. 3.2 mit Hinweis; kritisch Jöhl, a.a.O, Rz. 191 S. 1767).
Art. 14a Abs. 2 lit. a ELV ist unbestrittenermassen in dem hier interessierenden Zeitraum von Juli bis Dezember 2009 nicht anwendbar. Der Beschwerdeführer war 2009 60 Jahre alt geworden. Die Frage eines anrechenbaren hypothetischen Erwerbseinkommens unter dem Titel Verzichtseinkommen nach Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG stellt sich indessen grundsätzlich bei beiden Ehegatten unabhängig davon, ob Art. 14a Abs. 2 lit. a ELV zur Anwendung gelangt oder nicht. Dabei sind die familiären Verhältnisse insgesamt zu berücksichtigen. Die Eheleute haben sich insbesondere (allenfalls nach einer gewissen Anpassungszeit) so zu organisieren, dass der nicht mehr erwerbstätige Ehegatte sich vermehrt im Haushalt betätigt und der dadurch entlastete Ehepartner eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, das erwerbliche Arbeitspensum erhöht oder in eine besser entlöhnte Tätigkeit wechselt (AHI 2001 S. 132, P 18/99; vgl. auch Jöhl, a.a.O, Rz. 183 S. 1762). Es wird nicht geltend gemacht, dass und auch nicht dargelegt, inwiefern die Vorinstanz diese Grundsätze verletzt hat.
2.2.2.2 Mit Bezug auf den zumutbaren zeitlichen Umfang einer erwerblichen Tätigkeit sowie die Höhe des damit erzielbaren Einkommens setzt sich der Beschwerdeführer entweder mit den Erwägungen der Vorinstanz nicht substanziiert auseinander oder er übt unzulässige appellatorische Kritik an deren Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung (Urteil 9C_802/2008 vom 22. Dezember 2008 E. 1.2.2 mit Hinweis). Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.
Der vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht nicht.
3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Juni 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Fessler