BGer 8C_291/2010
 
BGer 8C_291/2010 vom 19.07.2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_291/2010
Urteil vom 19. Juli 2010
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Verfahrensbeteiligte
K.________ AG,
handelnd durch U.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
beco Berner Wirtschaft, Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Lagerhausweg 10, 3018 Bern,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 8. März 2010.
Sachverhalt:
A.
A.a Die Firma K.________ AG ist im Bereich Anbau, Vermarktung und Aufbereitung von Speisekartoffeln für den Frischkonsum tätig. Mit dem Hinweis auf die ungewisse weitere Belieferung ihres Hauptkunden, des Grossbetriebs X.________, reichte sie am 11. August 2008 beim beco, Berner Wirtschaft (nachfolgend: beco) eine Voranmeldung von Kurzarbeit ab September 2008 ein. Das beco erhob keinen Einspruch gegen die Zusprechung von Kurzarbeitsentschädigung an die K.________ AG für die Zeit vom 1. September 2008 bis 31. März 2009. Mit Verfügung vom 10. November 2008 und Einspracheentscheid vom 3. Dezember 2008 lehnte die Arbeitslosenkasse des Kantons Bern die Zusprechung von Kurzarbeitsentschädigung für den Monat September 2008 an sechs Arbeitnehmende mit der Begründung ab, die Arbeitsverträge der Betroffenen würden keine Minimalarbeitszeit vorschreiben, weshalb deren Arbeitsausfall unbestimmbar sei. Das dagegen beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern eingeleitete Gerichtsverfahren wurde infolge Gegenstandslosigkeit vom Protokoll abgeschrieben (Entscheid vom 16. Juni 2009).
A.b Mit dem Hinweis auf einen neuen Auftrag in noch unbestimmtem Umfang reichte die Firma K.________ AG eine weitere Voranmeldung für Kurzarbeit ab 1. April 2009 ein. Das beco erhob verfügungsweise am 22. April 2009 Einspruch gegen die Zusprechung von Kurzarbeitsentschädigung vom 1. April bis 30. Juni 2009, da die Auflösung oder Abänderung von vertraglichen Bindungen zwischen einem Unternehmer und einem Grosskunden zum üblichen wirtschaftlichen Geschehen und damit zum üblichen Betriebsrisiko gehöre, woran es mit Einspracheentscheid vom 21. Juli 2009 festhielt.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 8. März 2010 ab.
C.
Mit Beschwerde stellt die Firma K.________ AG das Rechtsbegehren, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei Kurzarbeitsentschädigung zuzusprechen.
Das beco schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung verzichtet hat.
D.
Mit nachträglicher Eingabe vom 9. Juni 2010 legt das beco ein Schreiben der Schweizerischen Post vom 31. Mai 2010 auf.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Anfechtungs- und Streitgegenstand (BGE 131 V 164 E. 2.1, 125 V 412 E. 1a S. 414 mit Hinweisen) bildet einzig der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung der Beschwerdeführerin für die Monate April bis Juni 2009. Der Streit dreht sich darum, ob der Wegfall der Belieferung des Grossbetriebs X.________ (ab 1. September 2008) als normales Betriebsrisiko zu betrachten ist. Insoweit die Beschwerdeführerin hinsichtlich des am 22. Juni 2006 eingereichten Gesuchs um Kurzarbeitsentschädigung den Nichterhalt der entsprechenden Einspruchsverfügung (vom 31. Juli 2009) der Amtsstelle rügt, wobei diese einen Zustellungsfehler einräumt (vgl. Schreiben vom 9. Juni 2010), ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
3.
Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen und die Grundsätze über den Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1 AVIG), über den anrechenbaren Arbeitsausfall (Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 lit. a AVIG), die Voraussetzungen, unter denen die Anrechenbarkeit eines Arbeitsausfalls zu verneinen ist (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b AVIG; BGE 121 V 371 E. 2a S. 374), sowie das normale Betriebsrisiko (BGE 119 V 498 E. 1 S. 500; ARV 2008 S. 158 E. 2.3 S. 159) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
4.
4.1 Die Rechtsprechung legt den Begriff der wirtschaftlichen Gründe in Berücksichtigung des präventiven Charakters der Kurzarbeitsentschädigung weit aus und versteht darunter sowohl strukturelle als auch konjunkturelle Gründe insgesamt und nicht nur den Rückgang der Nachfrage nach den normalerweise von einem Betrieb angebotenen Gütern und Dienstleistungen (ARV 2004 S. 128 E. 1.3 mit Hinweisen; NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, 2. Aufl. 2007, S. 2321 Rz. 477).
4.2 Mit dem normalen Betriebsrisiko im Sinne von Art. 33 Abs. 1 lit. a zweiter Satzteil AVIG sind die "gewöhnlichen" Arbeitsausfälle gemeint, mithin jene Ausfälle, die erfahrungsgemäss regelmässig und wiederholt auftreten, demzufolge vorhersehbar und in verschiedener Weise kalkulatorisch erfassbar sind. Was in diesem Sinne noch als normal gelten soll, darf nach der Rechtsprechung nicht nach einem für alle Unternehmensarten allgemein gültigen Massstab bemessen werden, sondern ist in jedem Einzelfall aufgrund der mit der spezifischen Betriebstätigkeit verbundenen besonderen Verhältnisse zu bestimmen (BGE 119 V 498 E. 1 S. 500 mit Hinweisen auf Rechtsprechung und Schrifttum). Dabei kommt dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit in aller Regel massgebende Bedeutung zu (BGE 119 V 498 E. 3 S. 501; NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2323 Rz. 483).
4.3 Nach den unbestritten gebliebenen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz belieferte die Beschwerdeführerin als ihren Hauptkunden seit über 30 Jahren den Grossbetrieb X.________ mit Speisekartoffeln. Darüber hinaus beschaffte und lagerte sie Saatkartoffeln zum Anbau von Speisekartoffeln, die sie an Produzenten und Produzentengenossenschaften verkaufte. Aufgrund von Restrukturierungsmassnahmen hat der Grossbetrieb X.________ seine Beschaffung von Frischprodukten vereinheitlicht, weshalb die Lieferungen der Kartoffeln über eine sogenannte Plattform hätten erfolgen sollen. Die Firma K.________ AG besass schriftliche Zusicherungen für die weitere Zusammenarbeit über diese Plattform seitens des Grossbetriebs X.________ und der mit der Plattformführung beauftragten Firma. Dennoch kam es aus ungeklärten Gründen nicht zu einer Umsetzung der Auftragszusicherung, wodurch die Beschwerdeführerin ab 1. September 2008 den Grossbetrieb X.________ als Grosskunden verlor.
4.4 Bei diesem Auftragsverlust handelt es sich nach Auffassung der Vorinstanz um ein normales wirtschaftliches Betriebsrisiko im Sinne der Rechtsprechung, da die Geschäftsbeziehung mit einem Hauptkunden, auch bei gutem Einvernehmen, das vorhersehbare Risiko beinhalte, bei veränderten Verhältnissen einen Umsatzeinbruch zu erleiden.
Dieser Betrachtungsweise ist zuzustimmen. Der Beschäftigungseinbruch ist Folge der internen Restrukturierungsmassnahmen des Grossbetriebs X.________. Dieses mit der betriebswirtschaftlichen Abhängigkeit der Beschwerdeführerin vom Hauptkunden einhergehende Klumpenrisiko gehört zum normalen Betriebsrisiko der K.________ AG, worauf die Vorinstanz mit Blick auf das in ARV 2008 S. 158 publizierte Urteil 8C_279/2007 vom 17. Januar 2008 zutreffend schloss. Daran vermögen die Vorbringen in der Beschwerde nichts zu ändern. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzustimmen, dass sie aufgrund der schriftlichen Zusagen des Grossbetriebs X.________ und der Betreiberin der Plattform, weiterhin dem Grossbetrieb X.________ Speisekartoffeln liefern zu können, mit dem Weiterbestehen des entsprechenden Auftrags rechnen durfte. Dieser Umstand ändert aber nichts an der Tatsache, dass die K.________ AG aufgrund der fast ausschliesslichen Belieferung eines Kunden und der damit einhergehenden Bindung an diesen ein vorhersehbares Risiko einging, mit dem (grundsätzlich jederzeit möglichen und zum wirtschaftlichen Geschehen gehörenden) Verlust dieser Geschäftsbeziehung einen markanten Umsatzeinbruch zu erleiden. Auch der Einwand, das Risiko der Aufbereitung von Kartoffeln und anderen Lagergemüsen ergäbe sich aus landesstrukturellen und politischen, nicht aber aus betrieblichen Gründen ist nicht stichhaltig, zumal auch strukturpolitisch begründete Arbeitsausfälle nicht grundsätzlich vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgenommen sind (Urteil C 247/99 vom 11. Juni 2001 E. 4a; vgl. E. 4.1 und 4.2). Im Rahmen der Voranmeldung der Kurzarbeit führte die Beschwerdeführerin am 11. August 2008 in einem Schreiben an das beco vielmehr aus, die Firma habe sich aus betriebswirtschaftlichen Gründen entschlossen, ihren Absatz auf den Konzern des Grossbetriebs X.________ und dort auf eine Region zu konzentrieren. Zum einen habe der Bedarf genau den Produktionskapazitäten der Firma K.________ AG entsprochen, zum andern hätten nur so Logistik-Kosten und Infrastruktur optimiert werden können. Mit der bewussten, betriebswirtschaftlich motivierten Konzentration auf einen Grosskunden ging die Unternehmung ein vorhersehbares Risiko ein, weshalb der durch den Wegfall dieses Kunden erlittene Arbeitsausfall gerade nicht aussergewöhnlicher Natur und dem normalen Betriebsrisiko zuzurechnen ist, womit er nicht zu entschädigen ist.
4.5
4.5.1 Ein Verstoss gegen Treu und Glauben kann auch nicht im Umstand erblickt werden, dass die Verwaltung zweimal bezüglich vorgängiger Perioden keinen Einspruch gegen die Voranmeldung von Kurzarbeit erhoben hat. Wie die Vorinstanz bereits festhielt, wurde in den angerufenen Verfügungen vom 2. September und 28. November 2008 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine regelmässige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen durch die kantonale Amtsstelle notwendig ist, weshalb Kurzarbeit jeweils höchstens für drei Monate bewilligt werden darf und womit klar ausgedrückt ist, dass bei einer fortdauernden Geltendmachung des Anspruchs die Voraussetzungen neu geprüft würden.
4.5.2 Sodann wird in der Beschwerde erstmals vorgebracht, der verfügungsweise am 22. April 2009 erhobene Einspruch des beco gegen die am 20. März 2009 vorangemeldete Kurzarbeit für die Zeit ab 1. April 2009 sei verspätet erfolgt. Auf diese Rüge der Rechtsverzögerung ist nicht näher einzugehen, obwohl sie rechtlicher Natur und daher grundsätzlich zulässig ist (Art. 99 Abs. 1 BGG), da es, nachdem das beco die Voranmeldung mit Verfügung vom 22. April 2009 materiell behandelt hat, an einem Rechtsschutzinteresse fehlt (BGE 125 V 373 E. 1 S. 374). Auch wenn die Behörde grundsätzlich innerhalb der ordentlichen Voranmeldefrist zu entscheiden hat, sofern die erforderlichen Angaben und Unterlagen vorliegen (NUSSBAUMER, a.a.O., S. 2331 Rz. 512 mit Hinweis auf ARV 1985 Nr. 12 S. 47, Nr. 9 S. 35 E. 2b), schafft der Umstand, dass das beco den Einspruch erst am 22. April 2009 verfügt hat, jedenfalls keine Vertrauensgrundlage, die eine vom Gesetz abweichende Behandlung der Beschwerdeführerin erlauben würde (vgl. Urteil C 244/99 vom 30. April 2001 E. 4b). Die Beschwerde ist unbegründet.
5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem beco Berner Wirtschaft, Arbeitslosenkasse, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 19. Juli 2010
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Ursprung Polla