Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5A_453/2010
Urteil vom 11. August 2010
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter L. Meyer, von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Veronika Imthurn,
Beschwerdeführerin,
gegen
Kantonsgericht St. Gallen, Präsident der
II. Zivilkammer, Klosterhof 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
unentgeltliche Prozessführung (Kindesschutz),
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts St. Gallen, Präsident der II. Zivilkammer, vom 19. Mai 2010.
Sachverhalt:
A.
X.________ (geb. xxxx 1998) lebte seit ihrem dritten Lebensmonat bei einer Pflegefamilie in A.________. Sie hatte regelmässigen Kontakt zu ihrer leiblichen Mutter Z.________. Im Hinblick auf die Rückkehr zur leiblichen Mutter wurde ab Sommer 2008 der Kontakt zwischen X.________ und Z.________ mehrfach neu geregelt. Nachdem es zwischen Mutter und Pflegemutter zu Auseinandersetzungen gekommen war, wandte sich die Pflegemutter an den Verein Kinderanwaltschaft Schweiz. Dieser Verein vermittelte X.________ mit lic. iur. Veronika Imthurn aus B.________ eine Rechtsanwältin, die seither im Namen des Kindes auftritt. Ihre Legitimation als Rechtsvertreterin leitet die Anwältin aus einer Vollmacht ab, die das Kind am 14. Mai 2009 zu seiner Vertretung in der Besuchsregelung und in den Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde A.________ unterzeichnet hat.
B.
B.a Am 15. Mai 2009 beantragte die Anwältin zunächst eine Abänderung der Kontaktregelung, worauf die Vormundschaftsbehörde A.________ nicht eintrat. Im Mai 2009 behielt Z.________ ihre Tochter anlässlich eines Besuchs bei ihr zurück und kündigte das Pflegeverhältnis. Seither lebt X.________ bei ihrer leiblichen Mutter.
B.b Mit Eingabe vom 29. Mai 2009 stellte die Anwältin bei der Vormundschaftsbehörde A.________ den Antrag, es sei Z.________ die Obhut zu entziehen, das Kind wieder bei den Pflegeeltern zu platzieren und der persönliche Verkehr zu regeln. Ferner ersuchte sie u.a. um eine kinderpsychiatrische Begutachtung. Auf das zugleich eingereichte Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung trat das zuständige Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen nicht ein (Entscheid vom 8. Juni 2009). In Gutheissung des dagegen erhobenen Rekurses befreite der Einzelrichter des Kantonsgerichts St. Gallen X.________ im Verfahren vor der Vormundschaftsbehörde A.________ von Vorschüssen und Kosten und bestellte ihr Rechtsanwältin Veronika Imthurn ab 15. Mai 2009 zur unentgeltlichen Vertreterin (Entscheid vom 22. Juli 2009). Unter Hinweis auf diesen Entscheid ersuchte die Anwältin die Vormundschaftsbehörde A.________ am 28. Juli 2009 um Akteneinsicht und um Zulassung als Prozessvertreterin. Die Vormundschaftsbehörde A.________ trat weder auf diese Begehren noch auf die Anträge ein, welche die Anwältin in der Eingabe vom 29. Mai 2009 gestellt hatte (Verfügungen vom 4. und 12. August 2009).
B.c Gegen die Verfügungen der Vormundschaftsbehörde A.________ erhob Rechtsanwältin Veronika Imthurn am 26. August 2009 im Namen von X.________ Beschwerde beim Departement des Innern des Kantons St. Gallen. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens stellte die Anwältin den zusätzlichen Antrag, die Vormundschaftsbehörde A.________ sei vorsorglich anzuweisen, ihr unverzüglich Einsicht in das Verfahren von X.________ zu gewähren und sie (die unterzeichnende Anwältin) als Verfahrenspartei zuzulassen; eventualiter sei den Verfügungen der Vormundschaftsbehörde vom 4. und 12. August 2009 die aufschiebende Wirkung zu entziehen (Eingabe vom 4. September 2010). Das Departement des Innern wies dieses Gesuch mit Entscheid vom 14. September 2009 ab.
B.d Gegen den Entscheid des Departementes erklärte X.________ am 25. September 2009 Rekurs an den Einzelrichter des Kantonsgerichts St. Gallen. Neben den unveränderten Anträgen betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen ersuchte sie zudem für das Rekursverfahren vor dem Kantonsgericht St. Gallen um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Den Rekurs betreffend die vorsorglichen Massnahmen wies der Einzelrichter im Familienrecht des Kantonsgerichts mit Entscheid vom 22. März 2010 ab. Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung wies der Präsident der II. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen mit Entscheid vom 19. Mai 2010 ebenfalls ab, soweit es nicht gegenstandslos geworden war; Gerichtskosten wurden keine erhoben.
C.
Mittels Eingabe ihrer Rechtsanwältin Veronika Imthurn vom 21. Juni 2010 gelangt X.________ (nachfolgend Beschwerdeführerin) an das Bundesgericht. Die Beschwerdeführerin beantragt, Ziff. 1 des vorinstanzlichen Entscheids vom 19. Mai 2010 aufzuheben, das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gutzuheissen und den Präsidenten der II. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen zu verpflichten, die unterzeichnende Anwältin für das Rekursverfahren vor dem Kantonsgericht St. Gallen mit Fr. 1'911.-- (inkl. 7.6 % MwSt) zu entschädigen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht die Beschwerdeführerin ebenfalls um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Es wurden die Akten, aber keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Das Bundesgericht überprüft die Zulässigkeit der ihm unterbreiteten Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (BGE 134 III 115 E. 1 S. 117 mit Hinweisen).
1.2 Die rechtzeitig eingereichte (Art. 100 BGG) Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem das Gesuch der Beschwerdeführerin um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das kantonale Rekursverfahren abgewiesen wurde. Der vorinstanzliche Entscheid ist im Rahmen des Rekursverfahrens betreffend das Gesuch der Beschwerdeführerin um Erlass vorsorglicher Massnahmen vom 4. September 2009 ergangen. Der angefochtene Entscheid ist demnach ein Zwischenentscheid, der einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 Bst. a BGG; BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131), und zwar unabhängig davon, ob er während des Hauptverfahrens, zusammen mit dessen Endentscheid oder - wie vorliegend - nach diesem ergangen ist (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007 E. 1.2).
1.3 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg demjenigen der Hauptsache (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007 E. 1.2). Im vorliegenden Fall hat das Verfahren, das die Beschwerdeführerin ursprünglich mit Eingabe vom 29. Mai 2009 eingeleitet hat, in der eigentlichen Hauptsache den Entzug der elterlichen Obhut, die Regelung des persönlichen Verkehrs, den Wechsel des Beistandes sowie die Anhörung und Begutachtung der Beschwerdeführerin - mithin eine Zivilsache im Sinne von Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 und 7 BGG - zum Gegenstand. Deshalb unterliegt auch das hier streitige Verfahren betreffend die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege der Beschwerde in Zivilsachen.
2.
In der Hauptsache rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres verfassungsmässigen Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege. Sie macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 29 Abs. 3 BV, indem er ihr die unentgeltliche Rechtspflege zu Unrecht verweigere.
2.1 Das Bundesgericht überprüft nicht von Amtes wegen, ob der angefochtene kantonale Entscheid verfassungsmässig ist. Vielmehr überprüft es die Rüge der Verletzung verfassungsmässiger Rechte nur insofern, als die rechtssuchende Partei sie in der Beschwerde vorbringt und begründet (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt das strenge Rügeprinzip: Im Schriftsatz ist präzise anzugeben, welches verfassungsmässige Recht durch den angefochtenen kantonalen Entscheid verletzt wurde, und im Einzelnen substantiiert darzulegen, worin die Verletzung besteht (vgl. BGE 133 III 439 E. 3.2 S. 444). Das Bundesgericht prüft demnach nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen; auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt es nicht ein (BGE 133 II 396 E. 3.1 S. 399 f.). Sind die Anforderungen des Rügeprinzips erfüllt, prüft das Bundesgericht allerdings frei, ob die angerufenen verfassungsmässigen Rechte verletzt sind (vgl. BGE 130 I 26 E. 2.1 S. 31 mit Hinweisen). In diesem Rahmen untersucht das Bundesgericht demnach auch die Rüge der Verletzung von direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV (bzw. Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK) hergeleiteten Rechtspflegeansprüchen mit freier Kognition, während es die Anwendung des betreffenden kantonalen Rechts nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel des Willkürverbots prüft (BGE 120 Ia 179 E. 3 S. 180 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin macht nicht geltend, dass sich aus dem Verfassungs- und Verfahrensrecht des Kantons St. Gallen ein über Art. 29 Abs. 3 BV hinausgehender Anspruch ergebe. Somit ist die bundesrechtliche Minimalgarantie massgebend.
In jedem Fall ist das Bundesgericht an den Sachverhalt gebunden, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen kann es nur abweichen, wenn die Feststellungen offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen. Überdies ist in der Beschwerde darzutun, inwiefern die Behebung des gerügten Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 135 I 19 E. 2.2.2 S. 22).
2.2 Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und allenfalls auf unentgeltlichen Rechtsbeistand, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Mit Blick auf die Anspruchsvoraussetzung der fehlenden Aussichtslosigkeit wirft die Beschwerdeführerin der Vorinstanz vor, sie habe die Erfolgsaussichten des Rechtsbegehrens in unzulässiger Weise nicht nach den Verhältnissen zur Zeit der Einreichung des Gesuchs (25. September 2009) beurteilt, sondern die Aussichtslosigkeit aufgrund eines Beweises bejaht, den sie erst nachträglich, im Laufe des Prozesses erhoben hatte: Sie habe das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestützt auf das Gutachten des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes St. Gallen vom 29. Dezember 2009 abgewiesen, obwohl dieses Gutachten, das der Beschwerdeführerin bezüglich der Mandatierung und Bevollmächtigung ihrer Rechtsanwältin Urteilsunfähigkeit attestiert, erst nach Einreichung des streitigen Gesuchs in Auftrag gegeben wurde.
2.3 Der Vorwurf, mit dem die Beschwerdeführerin den vorinstanzlichen Entscheid umzustossen versucht, geht an der Sache vorbei. Wohl hat der Präsident der II. Zivilkammer des Kantonsgerichts St. Gallen in Erwägung II des angefochtenen Entscheids mit der Bedürftigkeit der gesuchstellenden Partei und der fehlenden Aussichtslosigkeit ihrer Rechtsbegehren die beiden Voraussetzungen erwähnt, die auch nach sanktgallischem Prozessrecht erfüllt sein müssen, damit einer Prozesspartei die Bezahlung der Gerichtskosten erlassen und gegebenenfalls ein rechtlicher Beistand bestellt werden kann. Indessen äussert sich der angefochtene Entscheid weder dazu, ob die Beschwerdeführerin im Sinne von Art. 281 Abs. 1 des sanktgallischen Zivilprozessgesetzes vom 20. Dezember 1990 (fortan "ZPO SG") bedürftig ist, noch befasst er sich mit der Frage, ob ihr Rechtsbegehren aussichtslos erscheint (Art. 281 Abs. 2 lit. a ZPO SG). Vielmehr stellt die Vorinstanz gestützt auf das erwähnte Gutachten vom 29. Dezember 2009 fest, dass die urteilsunfähige Beschwerdeführerin die Anwältin, die seit dem 14. Mai 2009 als ihre Rechtsvertreterin auftritt, gar nicht rechtsgültig zur Wahrung ihrer Interessen bevollmächtigen und beauftragen konnte. Die Vorinstanz lässt das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege mit anderen Worten schon an der Handlungs- und Prozessfähigkeit der Beschwerdeführerin scheitern. Ob dies im vorinstanzlichen Verfahren anstatt zur Abweisung des Gesuchs zu einem Nichteintretensentscheid hätte führen müssen, ist für den Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nicht ausschlaggebend und kann deshalb offenbleiben. Jedenfalls hat sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid nicht darüber ausgesprochen, ob das Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin aussichtslos erscheint oder nicht. Die Rüge, die Vorinstanz habe die Anspruchsvoraussetzung der fehlenden Aussichtslosigkeit gestützt auf einen nachträglich erhobenen Beweis verneint und dadurch Art. 29 Abs. 3 BV verletzt, läuft deshalb von vornherein ins Leere. Was die Beschwerdeführerin als Verletzung ihres verfassungsmässigen Anspruches auf unentgeltliche Rechtspflege zu rügen glaubt, ist gar nicht Gegenstand des angefochtenen Entscheids vom 19. Mai 2010.
Mit Bezug auf ihre eigene Urteilsfähigkeit und ihre Fähigkeit zur Bevollmächtigung und Mandatierung eines Rechtsvertreters, mithin die Fragen, die allein Gegenstand des angefochtenen Entscheids sind und deren Verneinung zur Abweisung des Gesuchs geführt hat, macht die Beschwerdeführerin indessen nicht einmal sinngemäss geltend, der angefochtene Entscheid verletze sie in ihren verfassungsmässigen Rechten. Im Ergebnis gehen aus dem Schriftsatz der Beschwerdeführerin keine den Anforderungen des Rügeprinzips (Art. 106 Abs. 2 BGG) genügenden Vorbringen hervor. Auf die Beschwerde ist deshalb nicht einzutreten (E. 2.1).
Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann offenbleiben, ob die Beschwerdeführerin für das vorliegende Beschwerdeverfahren vor Bundesgericht überhaupt im Sinne von Art. 71 BGG i.V.m. Art. 14 BZP (SR 273) prozessfähig ist und ob sich die in ihrem Namen auftretende Rechtsanwältin durch eine gültige Vollmacht ausweist (Art. 42 Abs. 2 BGG).
3.
Als unterliegende Partei wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG), nicht hingegen entschädigungspflichtig, da keine Vernehmlassung eingeholt wurde und der in seinem amtlichen Wirkungskreis obsiegende Kanton in der Regel auch keine Parteientschädigung zugesprochen erhält (Art. 68 Abs. 3 BGG). Angesichts der besonderen Umstände verzichtet das Bundesgericht darauf, Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, muss der Prozess, den die Beschwerdeführerin vor Bundesgericht gegen die vorinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für das kantonale Rekursverfahren führt, als von Anfang an aussichtslos bezeichnet werden, so dass es an den materiellen Voraussetzungen für die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch, soweit nicht gegenstandslos, abzuweisen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. August 2010
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber:
Escher V. Monn