BGer 6B_581/2010
 
BGer 6B_581/2010 vom 13.08.2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_581/2010
Urteil vom 13. August 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Mathys,
Gerichtsschreiberin Unseld.
 
Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A.Rh., Rathaus, 9043 Trogen,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Anwander,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Nichtbeherrschen des Fahrzeugs,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, vom 27. April 2010.
Sachverhalt:
A.
Der Einzelrichter des Kantonsgerichts Appenzell Ausserrhoden sprach X.________ am 12. Januar 2010 wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs (Art. 31 Abs. 1 SVG) schuldig. Er sah von einer Bestrafung ab, auferlegte X.________ jedoch die Untersuchungs- und Gerichtskosten von Fr. 1'700.--.
X.________ appellierte gegen dieses Urteil. Das Obergericht von Appenzell Ausserrhoden hiess die Appellation am 27. April 2010 gut und sprach X.________ von der Anklage des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs frei. Die Verfahrenskosten nahm es auf die Staatskasse.
B.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell Ausserrhoden beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil vom 27. April 2010 aufzuheben und die Angelegenheit zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen oder eventualiter die Beschwerdegegnerin gestützt auf Art. 107 Abs. 2 BGG wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs schuldig zu sprechen.
C.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Der Anklage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Y.________ wartete am 21. Mai 2007 in seinem auf dem Parkfeld unmittelbar bei der Einfahrt in die Tiefgarage eines Einkaufscenters in Herisau abgestellten Personenwagen Kia. Die Beschwerdegegnerin fuhr mit ihrem Renault an diesem Parkfeld rechtsseitig vorbei in die Tiefgarage ein. Dabei soll sie mit der hinteren rechten Tür bzw. mit dem hinteren rechten Radlauf das Fahrzeug von Y.________ hinten rechts gestreift haben. Dies sei von Y.________ durch ein Zittern wahrgenommen worden.
1.2 Die Kantonspolizei entnahm den involvierten Fahrzeugen am Unfallort Klebstreifen mit Mikrospuren. Die Spurenauswertung ergab, dass sich auf dem Fahrzeug von Y.________ etwas Klarlackabrieb befand, bei welchem es sich gemäss der Lackdatenbank der Kantonspolizei nicht um einen Originalklarlack der Marke Kia handle. Diese Art von Klarlack werde aber bei etlichen Automarken, darunter Renault, verwendet. Die Kantonspolizei gelangt im forensischen Untersuchungsbericht vom 21. Dezember 2007 zum Ergebnis, dies könne höchstens als Hinweis auf eine mögliche Kollision gewertet werden, da die Eigenlacke der zwei Personenwagen fehlen würden. Ohne eine separate Eigenlacksicherung könne in der Regel keine sinnvolle Befundbewertung gemacht werden (kant. Akten, Urk. 15).
1.3 Die Vorinstanz erwägt, der Untersuchungsbericht vom 21. Dezember 2007 vermöge weder ein Verschulden der Beschwerdegegnerin noch deren Unschuld zu belegen. Auch gestützt auf die Fotos der von der Polizei nachgestellten Unfallsituation und der Beschädigungen an den beiden Fahrzeugen könne nicht mit einiger Wahrscheinlichkeit gesagt werden, ob es zwischen den beiden Fahrzeugen tatsächlich zu einer Berührung gekommen sei. Im Übrigen weise ein Mitglied des Gerichts mit sehr guten Ortskenntnissen in der Urteilsberatung darauf hin, dass aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen die Einfahrt zum betreffenden Einkaufscenter aus der von der Polizei nachgestellten Unfallsituation heraus unmöglich sei, sondern dazu viel weiter hätte ausgeholt werden müssen. Diese Feststellung werde durch die Fotos von der Einfahrt bestätigt, welche deutlich zeigen würden, dass sich das in einem spitzen Winkel auslaufende Parkfeld unmittelbar neben der Einfahrt befinde und für das Einfahren ein Ausholen erforderlich mache. Die Unfallrekonstruktion und die daraus gezogenen Schlüsse seien daher aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten stark zu relativieren. Grundsätzlich gegen eine Täterschaft der Beschwerdegegnerin spreche, dass Y.________ anlässlich seiner Einvernahme selbst nicht mehr genau gewusst habe, wo sich an seinem Fahrzeug der durch die Kollision verursachte Schaden befand. Ebenfalls Zweifel an der Schuld der Beschwerdegegnerin werfe der Umstand auf, dass dieser nach eigenen Angaben weder sein Auto reparieren noch einen Kostenvoranschlag für die Reparatur einholen liess. Zu berücksichtigen sei weiter ein Ungleichgewicht zwischen dem von Y.________ festgestellten Zittern seines Fahrzeugs und der angeblich daraus resultierenden Beschädigung. Damit ein Personenwagen zittere, sei aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung ein kräftiger Stoss nötig. Ein solcher hätte jedoch zu einer grösseren Beschädigung an beiden Fahrzeugen geführt. An einer Täterschaft der Beschwerdegegnerin bestünden daher erhebliche Zweifel. Zu bedenken sei zudem, dass auch ein anderes Fahrzeug den Personenwagen von Y.________ gestreift haben könnte. Die Beschwerdegegnerin sei deshalb gestützt auf die Beweisregel in dubio pro reo freizusprechen.
1.4 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, sie habe sich nicht mit der von der Anklage beschriebenen Indizienkette auseinandergesetzt. Vielmehr habe sie einzelne Feststellungen gemacht, diese jedoch nicht miteinander verknüpft, sondern nur einzeln gewertet, sich stattdessen auf blosse Annahmen und Behauptungen gestützt und endlich eine Beweiswürdigung vorgenommen, die willkürlich sei.
Das Gericht habe im Wesentlichen auf Angaben eines seiner Mitglieder abgestellt, welche nachweislich falsch seien. Es gehe nicht an, dass im Gerichtssaal Behauptungen über den Unfallort aufgestellt würden, ohne dass das Gremium einen Augenschein, nötigenfalls sogar noch mit den betroffenen Fahrzeugen, durchführe. Diesfalls hätte sich gezeigt, dass die polizeiliche Tatbestandsaufnahme mit der Fotodokumentation, ungeachtet kleiner, aber irrelevanter Unzulänglichkeiten, nicht relativiert werden müsste, sondern der Unfallort, aber auch der Hergang und die Unfallspuren genügend genau erfasst worden seien und keinerlei Zweifel am Unfallgeschehen aufkommen lassen würden. Völlig unbehelflich und im Rahmen der Beweiswürdigung auch falsch seien die Ausführungen der Vorinstanz zum Verhalten und den Aussagen des Geschädigten Y.________. Massgebend für die Beweiswürdigung sei das Geschehen am Unfallort und die damit verbundenen Sachverhaltsfeststellungen, nicht aber der Umstand, dass sich der Geschädigte rund zwei Jahre nach dem Unfall nicht mehr an alle Details erinnern könne.
1.5 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie willkürlich (Art. 9 BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 134 IV 36 E. 1.4.1). Die Beschwerdeführerin rügt Willkür bei der Beweiswürdigung und sinngemäss auch eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo, da bei willkürfreier Würdigung der Beweise im Ergebnis keine nicht zu unterdrückenden Zweifel an der Täterschaft der Beschwerdegegnerin bestanden hätten. Dazu ist sie gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG legitimiert (BGE 134 IV 36 E. 1.4).
1.6 Die Vorinstanz setzt sich mit sämtlichen Beweisen auseinander. Ihre Ausführungen lassen keine Willkür erkennen.
Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass der Hinweis des ortskundigen Richters auf die örtlichen Gegebenheiten vom Gericht nur als Anlass genommen wurde, die Möglichkeit einer Touchierung an den in der polizeilichen Fotodokumentation bezeichneten Stellen anhand der ebenfalls dokumentierten Einfahrt zur Tiefgarage näher zu prüfen. Dies ist nicht zu beanstanden. Das Gericht stellt keineswegs bloss auf eine angeblich aktenwidrige Behauptung eines seiner Mitglieder ab.
Die Zeugenaussage von Y.________ war insofern von entscheidender Bedeutung, als auf dem Fotoblatt der Kantonspolizei (kant. Akten, Urk. 2 S. 2) ein Schaden an seinem Fahrzeug, abgesehen von einem vorbestehenden, tieferen Kratzer in dem von der Polizei angezeichneten Bereich, nicht oder höchstens sehr wage und ungenau erkennbar ist. Nachdem Y.________, obschon er den angeblichen Schaden nicht reparieren liess, ebenfalls nicht in der Lage war, Angaben dazu zu machen, durfte die Vorinstanz sein fehlendes Erinnerungsvermögen ohne Willkür als Indiz gegen die Täterschaft der Beschwerdegegnerin auslegen. Entgegen den Ausführungen in der Beschwerde (Ziff. 3 und 7) erachtete auch der erstinstanzliche Richter nicht als erwiesen, dass der angebliche Lackschaden am Fahrzeug von Y.________ durch die Beschwerdegegnerin verursacht wurde. Er verurteilte diese vielmehr einzig gestützt auf die Zeugenaussage von Y.________, wonach er in seinem Fahrzeug ein Zittern verspürt habe. Dies mit der Begründung, die Beschwerdegegnerin habe zu jenem Zeitpunkt das einzige Fahrzeug gelenkt, welches hinter Y.________ in die Einfahrt der Parkgarage eingebogen sei, und das Zittern könne nur auf eine Berührung der Fahrzeuge zurückgeführt werden (Urteil des Einzelrichters S. 5 und 8).
Der Freispruch gestützt auf den Grundsatz in dubio pro reo beruht im Ergebnis nicht auf einer willkürlichen Beweiswürdigung.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die Beschwerdegegnerin wurde nicht zur Stellungnahme aufgefordert und hatte deshalb vor Bundesgericht keine Umtriebe, weshalb ihr keine Entschädigung zuzusprechen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht von Appenzell A.Rh., 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. August 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Favre Unseld