BGer 9C_209/2010 |
BGer 9C_209/2010 vom 02.09.2010 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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9C_209/2010
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Urteil vom 2. September 2010
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
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Gerichtsschreiber R. Widmer.
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Verfahrensbeteiligte |
F.________, geboren 1999, handelnd durch seine Eltern,
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und diese vertreten durch Fürsprecher Marc F. Suter,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
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vom 28. Januar 2010.
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1999 geborene F.________ leidet an Trisomie 21 (Down Syndrom), weshalb er von der Invalidenversicherung verschiedene Leistungen bezieht. Am 15. Dezember 2008 ersuchten die Eltern von F.________ die Invalidenversicherung für ihren Sohn, der die Schule in der Regelklasse besucht und heilpädagogischen Zusatzunterricht geniesst, um Abgabe eines Notebooks samt Tasche, eines Druckers, sprechender Textverarbeitung für Windows Multitext und einer Tastatur mit farbigen Tasten. Mit Verfügung vom 29. April 2009 hielt die IV-Stelle Bern fest, die beantragten invaliditätsbedingten Hilfsmittel könnten mit Ausnahme des Personalcomputers (PC) abgegeben werden. Da 80 % aller Haushalte über einen PC verfügen, gelte dieser samt üblichem Zubehör (gängige Software, Bildschirm, Drucker usw.) als Grundausstattung eines Haushaltes und könne nicht als invaliditätsbedingt notwendig beansprucht werden.
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B.
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Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher die Eltern von F.________ die Aufhebung der Verfügung und die Zusprechung eines Standardnotebooks einschliesslich zweier Tintendrucker all in one samt Zubehör, bestehend aus einem zusätzlichen Netzteil für das Notebook, zwei USB-Kabeln sowie einem Rucksack für das Notebook, hatten beantragen lassen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 28. Januar 2010).
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C.
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Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lassen die Eltern von F.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren um Abgabe des nachgesuchten Notebooks mit Zubehör als Hilfsmittel zulasten der Invalidenversicherung erneuern. Eventuell sei die Sache unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides im Sinne der Erwägungen zu neuer Verfügung an die IV-Stelle zurückzuweisen.
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Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
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1.
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Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.
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2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Anspruch auf Hilfsmittel (Art. 8 Abs. 3 lit. d in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG; Art. 14 IVV und Art. 2 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung vom 29. November 1976 [HVI; SR 831.232.51] mit anhangsweise aufgeführter Hilfsmittelliste) zutreffend wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.
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2.2 Gemäss Ziff. 13.01* HVI-Anhang besteht Anspruch auf invaliditätsbedingte Arbeits- und Haushaltgeräte sowie Zusatzeinrichtungen, Zusatzgeräte und Anpassungen für die Bedienung von Apparaten und Maschinen: Bei der Abgabe von Geräten, die auch eine gesunde Person in gewöhnlicher Ausführung benötigt, hat sich die versicherte Person an den Kosten zu beteiligen.
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2.3 Wie die Vorinstanz richtig festgehalten hat, kann das beantragte Notebook mit Zubehör unter die in Ziff. 13.01* HVI-Anhang erwähnten Arbeitsgeräte und Zusatzeinrichtungen subsumiert werden. Der Anspruch ist an die Voraussetzung geknüpft, dass das Hilfsmittel für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung oder die funktionelle Angewöhnung erforderlich ist (Art. 2 Abs. 2 HVI; Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 803/02 vom 3. September 2003 und I 668/00 vom 5. Juni 2001). Die Verwendung eines für eine Ausbildung erforderlichen PC ist nicht invaliditätsbedingt, wenn dieser auch von einer gesunden Person unter sonst gleichen Umständen benötigt wird, mit andern Worten auch für eine nicht behinderte Person ein unerlässliches Arbeitsinstrument darstellt (erwähntes Urteil I 803/02 vom 3. September 2003).
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3.
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3.1 Die Vorinstanz hat festgestellt, dass es an der Notwendigkeit der Verwendung eines Notebooks und eines Druckers fehle. Der Computer diene weder der Kommunikation mit den Lehrpersonen oder den Mitschülern noch sei er für den Leseunterricht erforderlich, der auch mit Büchern und Heften erteilt werden kann. Sodann sei der Versicherte in der Lage, das Schreiben zu erlernen, auch wenn dies mit etwelcher Mühe verbunden sei. Dass ein Laptop notwendig sei, damit der Versicherte den Schulunterricht besuchen kann, lege auch die Heilpädagogin im Bericht vom 12. Dezember 2008 nicht dar.
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3.2 In der Beschwerde wird insbesondere eingewendet, die Schreibfähigkeiten des Versicherten seien behinderungsbedingt sehr begrenzt. Obwohl dieser Umstand vorinstanzlich geltend gemacht wurde, sei er vom kantonalen Gericht nicht näher abgeklärt worden. Nicht beachtet habe die Vorinstanz ferner, dass der Versicherte an einer Sehschwäche leidet. Alle schulischen Unterlagen müssten speziell vergrössert werden, damit er mit diesen arbeiten kann, was auf seinem Notebook mittels der von der Invalidenversicherung abgegebenen Software "Multitext" geschehe. Dass die Invalidenversicherung das Zubehör zum Laptop übernommen hat, belege den Anspruch. Die Verwaltung habe die Vergütung der Kosten des Laptop mit einer unrichtigen, von der Vorinstanz korrigierten Begründung abgelehnt. Schliesslich verweist der Beschwerdeführer auf einen neuen Bericht der Heilpädagogin W.________ vom 25. Februar 2010. Die Vorinstanz habe die Schulwirklichkeit und das Umfeld des Versicherten nicht korrekt erfasst; insbesondere habe sie davon abgesehen, die Lehrkräfte anzuhören.
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4.
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Das Verwaltungsgericht hat in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG) den rechtserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend abgeklärt, weshalb das Bundesgericht nicht an die entsprechenden Feststellungen gebunden ist (E. 1 hievor). Zwar lag der Vorinstanz ein Fachbericht der Heilpädagogin W.________ vom 12. Dezember 2008 vor, auf welchen im angefochtenen Entscheid Bezug genommen wurde. Die Lehrpersonen des Versicherten wurden hingegen nicht zur konkreten schulischen Situation befragt. So fehlen namentlich Angaben zum Nutzen des Laptops im Zusammenhang mit der im Vordergrund stehenden Sehschwäche des Versicherten und seinen erheblichen Schwierigkeiten beim Schreiben, Behinderungen, die auf die Trisomie 21 zurückzuführen sind. Da der anspruchsrelevante Sachverhalt in diesen beiden entscheidenden Punkten unvollständig abgeklärt wurde, lässt sich nicht abschliessend beurteilen, ob die invaliditätsmässigen Voraussetzungen für die Abgabe des Laptops als Hilfsmittel zum Zwecke der Schulung (Art. 21 Abs. 1 IVG; Art. 2 Abs. 2 HVI und Ziff. 13.01* HVI-Anhang) erfüllt sind. Die IV-Stelle, an welche die Sache zurückzuweisen ist, wird die erforderlichen Sachverhaltsergänzungen vornehmen. Dabei sind zweckmässigerweise Abklärungen bei den Lehrpersonen zu treffen, die sich ergänzend zu den Ausführungen der Heilpädagogin W.________ vom 25. Februar 2010, deren Bericht sich nicht auf den massgeblichen Zeitpunkt des Verfügungserlasses bezieht und der auch deshalb im letztinstanzlichen Verfahren nicht in die Beurteilung miteinbezogen werden kann, über die Auswirkungen der verschiedenen Behinderungen im Schulalltag, namentlich beim Lesen und Schreiben, äussern und zur invaliditätsbedingten Notwendigkeit eines Laptops im Schulunterricht und für die Erledigung von Hausaufgaben Stellung nehmen können. Gestützt auf diese Aktenergänzungen wird die IV-Stelle über den Hilfsmittelanspruch neu verfügen.
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5.
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Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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In teilweiser Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 28. Januar 2010 und die angefochtene Verfügung vom 29. April 2009 aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle Bern zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen, über den Leistungsanspruch neu verfüge.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Bern auferlegt.
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3.
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Die IV-Stelle Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4.
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Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen.
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5.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 2. September 2010
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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Meyer Widmer
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