Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_486/2010
Urteil vom 23. September 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Briw.
Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Max Birkenmaier,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Mehrfache Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG),
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 19. März 2010.
Sachverhalt:
A.
Die Stadtpolizei Zürich ermittelte im Rahmen der Aktion "Balaton" ab September 2001 gegen den Ungarn B.________ (alias C.________) wegen Förderung der Prostitution und Menschenhandels. Er wurde verdächtigt, als Mitglied einer Gruppe über Jahre Frauen in Ungarn angeworben, zwecks Prostitution nach Zürich gebracht, sie dort überwacht und ihren Verdienst grösstenteils abgeschöpft zu haben. In dieses Ermittlungsverfahren wurde auch X.________ einbezogen. Er arbeitete von Februar 2005 bis zu seiner Verhaftung am 13. Juni 2006 als Receptionist in einem einschlägigen Hotel im Zürcher Rotlichtmilieu (Hotel H.________). Er war namentlich für die Entgegennahme von Reservationen, die Tagesabschlüsse sowie das Ein- und Auschecken der Gäste zuständig. Er wurde mit Anklageschrift vom 19. Dezember 2007 der Förderung der Prostitution (Art. 195 StGB) sowie der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG angeklagt.
B.
Das Bezirksgericht Zürich beurteilte am 26. November 2008 die Zeugenaussagen der geschädigten Frauen, die Einvernahmen von B.________ und eines Mitbeteiligten sowie einen Teil der Telefonkontrollen wegen Verletzung der Verteidigungsrechte als nicht verwertbar. Es sprach X.________ der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG schuldig und von den weiteren Vorwürfen frei und bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 40.-- (wovon 55 Tagessätze durch Polizei- und Untersuchungshaft als geleistet gelten). Den Vollzug der Geldstrafe schob es mit einer Probezeit von 2 Jahren auf.
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 19. März 2010 auf seine Berufung hin die Rechtskraft des Freispruchs fest (die Staatsanwaltschaft hatte ihre Berufung zurückgezogen). Es bestätigte den bezirksgerichtlichen Schuldspruch und die bedingte Geldstrafe, wobei es die Höhe des Tagessatzes auf Fr. 20.-- herabsetzte.
C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, ihn eventuell freizusprechen, sowie ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
In der Vernehmlassung verzichtet die Vorinstanz auf eine Stellungnahme. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen:
1.
Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerdeschrift vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es gilt eine qualifizierte Rügepflicht, insbesondere auch hinsichtlich eines Willkürvorwurfs (BGE 136 I 229 E. 4.1; 133 IV 286 E. 1). Das Bundesgericht legt die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), wenn sie nicht offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet willkürlich (BGE 133 II 249 E. 1.2.2). Willkür (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4) muss der Beschwerdeführer anhand des angefochtenen Urteils darlegen. Auf appellatorische Kritik ist nicht einzutreten (BGE 136 I 49 E. 1.4.1; 136 II 101 E. 3).
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. a EMRK und § 162 StPO/ZH).
Die Anklage bestimmt den Prozessgegenstand. Sie hat die dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe genügend konkretisiert sind. Dieses Anklageprinzip gewährleistet zugleich die Verteidigungsrechte und das Gehörsrecht des Angeklagten. Das Gericht ist an den in der Anklage wiedergegebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an dessen rechtliche Würdigung durch die Anklagebehörde (BGE 126 I 19 E. 2a).
Diesen Anforderungen genügt die Anklageschrift. Es handelt sich zwar lediglich noch um den Anklagesachverhalt betreffend das ANAG. In der Anklageschrift wird in diesem Zusammenhang aber zusätzlich auf den Anklagesachverhalt betreffend die Förderung der Prostitution verwiesen. Der Beschwerdeführer habe "in oben erwähnter Weise [die betroffenen Frauen...] in den erwähnten Zeiträumen im Hotel [...] logieren" lassen und ihnen ihre illegale Einreise und ihren illegalen Aufenthalt überhaupt erst ermöglicht. Die Vorinstanz stellt diesen Anklagesachverhalt ausführlich dar (angefochtenes Urteil S. 5-7). Willkür ist nicht ersichtlich. Die Vorbringen sind appellatorisch. Darauf ist nicht weiter einzutreten.
3.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verweigerung des rechtlichen Gehörs und eine willkürliche Verweigerung der Abnahme entlastender Beweise (Art. 9 BV, Art. 29 BV und Art. 6 EMRK).
Er habe die Einvernahme des Betriebsleiters, des Patentinhabers, des Ablösungsreceptionisten, des zweiten Nachtportiers und des Front-Desk-Managers des Hotels sowie eines weiteren Zeugen beantragt. Diese Befragungen wären geeignet gewesen, die genauen Abläufe und Weisungen sowie die Verantwortlichkeiten transparent zu machen. "Auch kann mittels den beantragten Befragungen, namentlich von Führungspersonen im Hotel [...], betreffend den subjektiven Tatbestand der erhobenen Vorwürfe der Kenntnisstand der Angestellten über die rechtliche Situation einer Klärung zugeführt werden." Die Verweigerung der Beweisabnahme habe ihm den Nachweis verunmöglicht, dass er subjektiv nicht die geringste Vermutung haben konnte, dass der Ausübung seiner arbeitsrechtlichen Pflichten strafrechtliche Relevanz zukommen könnte (Beschwerde S. 15 und 16).
Die Vorinstanz würdigt die Aussagen des Beschwerdeführers (angefochtenes Urteil S. 12-17) und kommt zum Ergebnis, es sei aufgrund seiner eigenen Angaben hinreichend erstellt ist, dass er mit mehreren Reservationen 2005 und vor dem 1. April 2006 dazu beigetragen habe, ungarischen Frauen, die in Zürich der Prostitution nachgingen, eine Unterkunft zu verschaffen und damit ihren Aufenthalt zu erleichtern. Dabei könne er nicht im Ernste behaupten, er habe jeweils angenommen, diese Frauen würden sich nur als Touristinnen in diesem Hotel des Rotlichtmilieus einquartieren. Insoweit sei der Sachverhalt erstellt, woran die beantragten Beweisabnahmen nichts zu ändern vermöchten (angefochtenes Urteil S. 17 f.).
Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil es aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 136 I 229 E. 5.3). Wie erwähnt, beurteilt die Vorinstanz den Sachverhalt aufgrund der eigenen Aussagen des Beschwerdeführers als erstellt. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass diese Beweiswürdigung willkürlich wäre. Es ist nicht ersichtlich, was die Einvernahme der beantragten Zeugen hinsichtlich des subjektiven Sachverhalts Entscheiderhebliches beizutragen vermöchte. Das Vorbringen ist unbegründet.
4.
Der Beschwerdeführer rügt eine bundesrechtswidrige Anwendung von Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG.
Die Vorinstanz geht aufgrund des Sachverhalts davon aus, es sei dem Beschwerdeführer bewusst geworden, dass die Damen nicht nur zu Aufenthalts-, sondern zu Erwerbszwecken in die Schweiz einreisten. Sie hätten sich aufgrund des Freizügigkeitsabkommens erst ab April 2006 ohne Visum in der Schweiz prostituieren dürfen. Soweit bei einer der Frauen dieser Zeitraum betroffen sei, ergehe ohnehin ein Freispruch. Die Beherbergung von illegal anwesenden Ausländern sei grundsätzlich tatbestandsmässig (mit Hinweis auf BGE 130 IV 77 E. 2.3.2. Daran ändere das korrekte Ausfüllen der Meldescheine nichts.
Diese Beurteilung trifft zu. Die Beschwerde ist unbegründet. Es kann auf das angefochtene Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG).
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit des Rechtsbegehrens abzuweisen (Art. 64 BGG). Aufgrund seiner finanziellen Lage (angefochtenes Urteil S. 22 f.) sind die Gerichtskosten herabzusetzen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'600.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. September 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Briw