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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_615/2010
Urteil vom 30. September 2010
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Aargau,
Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,
gegen
K.________, vertreten durch Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 8. Juni 2010.
Sachverhalt:
A.
Die 1958 geborene K.________ ist seit Oktober 1986 in der Firma S.________ GmbH als Fakturistin angestellt. Aufgrund beidseitiger Hüftbeschwerden bezog sie seit 1989 eine Viertelsrente und ab 1993 eine halbe Rente der Invalidenversicherung. Der Anspruch wurde wiederholt überprüft und bestätigt. Mit Vorbescheiden vom 22. Dezember 2008 und 28. April 2009 stellte die IV-Stelle K.________ die Einstellung der Rente in Aussicht. Mit Verfügung vom 19. Juni 2009 hob sie diese auf das Ende des der Zustellung der Verfügung folgenden Monats auf (Invaliditätsgrad von 37 %).
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 8. Juni 2010 teilweise gut; es sprach der Versicherten anstelle der halben eine Viertelsrente zu.
C.
Die IV-Stelle des Kantons Aargau führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt Aufhebung des kantonalen Entscheides und Festhalten an der Verfügung vom 19. Juni 2009.
K.________ und die Vorinstanz schliessen auf Abweisung der Beschwerde, das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Streitig und zu prüfen ist die Rechtmässigkeit der Aufhebung der seit 1993 laufenden halben Invalidenrente; dabei ist lediglich umstritten, welches Valideneinkommen bei der Berechnung des Invaliditätsgrades zu berücksichtigen ist.
1.1 Die Vorinstanz hat dazu in Übereinstimmung mit Erwägung 2.2 des Urteils U 340/04 vom 9. März 2005 festgehalten, dass die Invaliditätsbemessung der voraussichtlich bleibenden oder längere Zeit dauernden Erwerbsunfähigkeit zu entsprechen hat, weshalb auch die berufliche Weiterentwicklung zu berücksichtigen ist, die eine versicherte Person normalerweise vollzogen hätte. Dazu ist allerdings erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie einen beruflichen Aufstieg und ein entsprechend höheres Einkommen tatsächlich realisiert hätte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Absichtserklärungen genügen dazu nicht; vielmehr muss die Absicht, beruflich weiterzukommen, bereits durch konkrete Schritte wie Kursbesuch, Aufnahme eines Studiums usw. kundgetan worden sein. Die Anforderungen an den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit dürfen dabei nicht überspannt werden. Gleichwohl muss der hypothetische berufliche Werdegang dem Gericht wahrscheinlicher erscheinen als die Weiterausübung der angestammten Arbeit.
1.2 Welche berufliche Tätigkeit die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausüben würde, ist als Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe eine Tatfrage, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht, selbst wenn darin auch Schlussfolgerungen aus der allgemeinen Lebenserfahrung berücksichtigt werden (Urteile 9C_847/2007 vom 9. Mai 2008 E. 3.1, 8C_234/2007 vom 14. November 2007 E. 4.1; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399). Die Feststellung der Vorinstanz bleibt daher für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich, ausser sie sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 BGG.
2.
Das kantonale Gericht ist zum Ergebnis gelangt, der tatsächlich durchlaufene berufliche Werdegang der Versicherten sei bekannt: Sie habe interimistisch trotz gesundheitlicher Beschwerden die Stelle als Teamleiterin übernommen, welche Funktion sie gemäss ihrem Arbeitgeber im Gesundheitsfall dauerhaft ausüben könnte. Sie hat sich bei der Frage der mutmasslichen Validenkarriere der Beschwerdegegnerin auf die Angaben des Geschäftsleiters der S.________ GmbH gestützt. Dieser bestätigte gegenüber der Beschwerdeführerin in Schreiben vom 29. Januar 2009 und 9. April 2009, die Versicherte habe in den vorangegangenen zwei Jahren in der Funktion als Teamleiterin des Verkaufsbüros aussergewöhnliche Arbeitseinsätze geleistet und sei entsprechend höher entlöhnt worden. Der Einsatz sei jedoch an der Grenze des ihr Zumutbaren gewesen und die Versicherte erledige nun wieder die ursprünglichen, einfacheren Arbeiten im 50 %-Pensum. Die Verantwortung für die von ihr vorübergehend geleiteten Abteilung habe sie an eine Mitarbeiterin mit einem 100 %-Pensum abgeben müssen. Entsprechend der noch erbrachten Leistung sei der Lohn auf monatlich Fr. 3'550.- reduziert worden, wohingegen sie bei Gesundheit in der Funktion der Teamleiterin einen Lohn von monatlich rund Fr. 8'500.- erzielen könnte. Die Vorinstanz hat rechtsprechungsgemäss dargelegt (Urteil 9C_85/2009 vom 15. März 2010 E. 2.2 mit Hinweisen), dass im Revisionsverfahren insoweit ein Unterschied zur ursprünglichen Rentenfestsetzung besteht, als der in der Zwischenzeit durchlaufene berufliche Werdegang der invaliden Person bekannt ist und jetzt - anders als bei der erstmaligen Rentenfestsetzung - allenfalls Rückschlüsse (oder weitere Rückschlüsse) auf die hypothetische beruflich-erwerbliche Entwicklung ohne Gesundheitsschaden möglich sind. Dabei sind die gesamten bis zum Revisionszeitpunkt eingetretenen Umstände zu werten. Sie hat dazu erwogen, der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin als Invalide einen vorübergehenden Karrieresprung gemacht und der Arbeitgeber den bei Gesundheit möglichen Aufstieg bestätigt habe, lasse den Rückschluss auf eine solche beruflich-erwerbliche Entwicklung ohne Gesundheitsschaden bis auf Stufe Teamleiterin zu.
3.
3.1 Für die Beschwerdeführerin ist nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass die Beschwerdegegnerin ohne Gesundheitsschaden den Jahreslohn einer Teamleiterin erzielen würde. Bei der Tätigkeit als Leiterin des Verkaufsbüros handle es sich um eine rein theoretische Möglichkeit. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, die im Zeitpunkt des Rentenbeginns auf diese Entwicklung hätten schliessen lassen. Die Beschwerdegegnerin sei 1986 als Sachbearbeiterin/Fakturistin eingestellt worden und habe 1988 krankheitsbedingt das Pensum auf die Hälfte reduziert. Es sei nicht ersichtlich oder geltend gemacht, dass beim Eintritt die spätere Beförderung zur Teamleiterin vorgesehen oder eine solche in der betreffenden Firma ein normaler Karriereschritt einer Sachbearbeiterin gewesen sei. Der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin "zwölf Jahre später zufällig aufgrund personeller Engpässe vorübergehend die Teamleitung übernommen" habe und dies ohne die gesundheitliche Einschränkung auch dauerhaft hätte weiterführen können, sei alleine nicht ausreichend, um auf einen iv-rechtlich relevanten Karrieresprung zu schliessen.
3.2 Vorinstanz und Beschwerdegegnerin halten in der Stellungnahme dagegen, dass nach der Rechtsprechung bei der Beurteilung, was die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung beruflich-erwerblich erreicht oder wie sich ihr Lohn entwickelt hätte, die gesamten bis zum Revisionszeitpunkt eingetretenen Umstände zu werten sind und dabei die Anforderungen an den massgebenden Beweisgrad nicht überspannt werden dürfen (vorne E. 1.1). Ihr Vorwurf, mit der Sichtweise der Beschwerdeführerin sei dies der Fall, ist berechtigt. Der Standpunkt, es müssten in den Akten klare Indizien dafür zu finden sein, dass die Einstellung im Jahr 1986 bereits im Hinblick auf eine künftige Teamleitung erfolgte, um wie hier Jahrzehnte später den erforderlichen Wahrscheinlichkeitsbeweis für eine berufliche Fortentwicklung erbringen zu können, widerspricht ganz offensichtlich der allgemeinen Lebenserfahrung und verkennt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realitäten. Die Beschwerdegegnerin war beim Stellenantritt erst 28-jährig und damit in einem Alter, in dem der berufliche Aufstieg regelmässig noch nicht abgeschlossen ist, ja vielfach noch nicht begonnen hat. Mit den zu hoch gesteckten Anforderungen an den Nachweis einer invaliditätsbedingt verunmöglichten Einkommensentwicklung verletzte die Verwaltung Bundesrecht, wie die Vorinstanz richtig befunden hat.
4.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdegegnerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'400.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 30. September 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Schmutz