Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4A_237/2010
Urteil vom 6. Oktober 2010
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichterinnen Rottenberg Liatowitsch, Kiss
Gerichtsschreiber Leemann.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Andreas Güngerich,
Gesuchsteller,
gegen
Union Cycliste Internationale (UCI),
vertreten durch Rechtsanwalt Jean-Christophe Diserens,
Gesuchsgegnerin.
Gegenstand
Revision,
Revision der Entscheide des Tribunal Arbitral du Sport (TAS) vom 20. April 2006 sowie vom 5. Mai 2006.
Sachverhalt:
A.
X._________, (Gesuchsteller) war bis zum Jahr 2006 professioneller Radsportler.
Die Union Cycliste Internationale mit Sitz in Aigle (UCI; Gesuchsgegnerin) ist der internationale Verband für den Radsport.
B.
B.a Mit Entscheid des TAS vom 20. April 2006 (Verfahren CAS 2005/A/936) wurde der Gesuchsteller wegen Verletzung der anwendbaren Anti-Doping-Regeln anlässlich eines Rennens in Spanien unter anderem für zwei Jahre gesperrt, und zwar rückwirkend ab dem 2. Februar 2006.
B.b Mit Schiedsentscheid vom 5. Mai 2006 (Verfahren CAS 2005/A/969) verurteilte das TAS den Gesuchsteller im Zusammenhang mit einem Radrennen in Kanada aufgrund eines weiteren Dopingvergehens zu einer lebenslänglichen Sperre.
Mit Urteil vom 14. August 2006 (4P.176/2006) trat das Bundesgericht auf eine vom Gesuchsteller gegen diesen Entscheid erhobene staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.
C.
Mit Revisionsgesuch vom 28. April 2010 beantragt der Gesuchsteller, es seien die Entscheide des TAS vom 20. April 2006 sowie vom 5. Mai 2005 (recte: 2006) aufzuheben.
Die Gesuchsgegnerin sowie das TAS beantragen die Abweisung des Revisionsgesuchs.
Am 27. Juli 2010 reichte der Gesuchsteller dem Bundesgericht eine Replik ein. Dazu nahm die Gesuchsgegnerin mit Duplik vom 9. August 2010 Stellung.
Erwägungen:
1.
Der Gesuchsteller macht geltend, er habe im Verfahren CAS 2005/A/936 nach Erhalt der Ergebnisse der A-Probe eine B-Probe verlangt. Nachdem diese durchgeführt und ausgewertet worden sei, habe er einzig die "counter-analysis" der B-Probe mit einem Umfang von zwei Seiten erhalten, nicht jedoch den "laboratory's report", der über 80 Seiten umfasst habe. Ebenso wenig sei er auf die Möglichkeit hingewiesen worden, "the complete analysis report" der B-Probe zu verlangen. Der Gesuchsteller bringt weiter vor, sein Rechtsvertreter habe anlässlich des Hearings vom 2. Februar 2006 vor dem TAS zwar beantragt, in den kompletten "laboratory's report" Einsicht nehmen zu dürfen; darauf sei jedoch weder das TAS noch die Gesuchsgegnerin eingegangen und dieser Antrag sei "sehr wahrscheinlich nicht einmal in den Verfahrensakten erwähnt" worden. Erst mit E-Mail vom 29. Januar 2010 habe er den kompletten Bericht betreffend die B-Probe zugestellt erhalten. In diesem Zeitpunkt habe er erfahren, dass die A- und B-Probe zumindest teilweise von den gleichen Laboranten analysiert worden seien. Nach den anwendbaren Regeln des "International Standard for Laboratories" sei dies jedoch unzulässig. Damit liege eine Regelverletzung vor, die nach Ansicht des Gesuchstellers zu einem Freispruch hätte führen müssen. Ein Freispruch im Verfahren CAS 2005/A_936 wiederum führe "zwangsläufig zu einer milderen Sanktion im wiederaufzunehmenden Verfahren CAS 2005/A_969", nämlich erst zu einer zweijährigen und nicht zu einer lebenslänglichen Sperre.
2.
Das Bundesgesetz über das internationale Privatrecht vom 18. Dezember 1987 (IPRG; SR 291) enthält keine Bestimmungen betreffend die Revision von Schiedsentscheiden im Sinne von Art. 176 ff. IPRG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts, das diese Gesetzeslücke gefüllt hat, steht den Parteien eines internationalen Schiedsverfahrens das ausserordentliche Rechtsmittel der Revision zur Verfügung, für das die Zuständigkeit des Bundesgerichts gegeben ist. Heisst das Bundesgericht ein Revisionsgesuch gut, entscheidet es nicht selbst in der Sache, sondern weist diese an das Schiedsgericht, das entschieden hat, oder an ein neu zu bildendes Schiedsgericht zurück (BGE 134 III 286 E. 2 S. 286 f. mit Hinweisen).
2.1
2.1.1 Unter der Verfahrensordnung des OG konnten sich die Parteien auf die in Art. 137 OG vorgesehenen Revisionsgründe berufen, und auf das Verfahren fanden die Art. 140 - 143 OG sinngemäss Anwendung (BGE 118 II 199 E. 4 S. 204; Urteil 4P.120/2002 vom 3. September 2002 E. 1.1, publ. in Pra 2002 Nr. 199 S. 1041 ff.). Dies gilt grundsätzlich weiterhin für die geltende Regelung des BGG, namentlich für den Revisionsgrund gemäss Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG, der demjenigen von Art. 137 lit. b OG entspricht (BGE 134 III 45 E. 2.1 S. 47, 286 E. 2.1 S. 287).
2.1.2 Nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann die Revision verlangt werden, wenn die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte, unter Ausschluss von Tatsachen und Beweismitteln, die erst nach dem Entscheid entstanden sind.
Nur Tatsachen und Beweismittel, die dem Gesuchsteller im Zeitpunkt des Hauptverfahrens trotz aller Sorgfalt nicht bekannt waren, können eine Revision rechtfertigen. Die neuen Tatsachen müssen erheblich sein, das heisst sie müssen geeignet sein, die tatsächliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern, so dass sie bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung führen können (BGE 134 III 669 E. 2.2 S. 671 mit Hinweisen).
Wird die Revision eines internationalen Schiedsgerichtsurteils beantragt, hat das Bundesgericht gestützt auf die in diesem Urteil aufgeführten Entscheidgründe zu beurteilen, ob die Tatsache erheblich ist und - wäre sie bewiesen worden - wahrscheinlich zu einem anderen Entscheid geführt hätte (Urteile 4A_42/2008 vom 14. März 2008 E. 4.1, nicht publ. in BGE 134 III 286 ff.; 4P.102/2006 vom 29. August 2006 E. 2.1).
2.1.3 Auch die Revision eines Schiedsentscheids setzt ein rechtlich geschütztes Interesse (vgl. Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG) voraus. Im Verfahren vorgebrachte Begehren sind nur zu beurteilen, wenn sie auf einem hinreichenden Rechtsschutzinteresse gründen. Dabei reicht es nicht aus, dass im fraglichen Entscheid einzelnen Begehren des Gesuchstellers nicht oder nicht voll entsprochen worden ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der Entscheid über das Revisionsgesuch geeignet ist, dem Gesuchsteller den angestrebten materiellrechtlichen Erfolg zu verschaffen (vgl. BGE 114 II 189 E. 2 S. 190; ANTONIO RIGOZZI/MICHAEL SCHÖLL, Die Revision von Schiedssprüchen nach dem 12. Kapitel des IPRG, 2002, S. 24 ff.).
2.2 Der Gesuchsteller begründet sein Rechtsschutzinteresse an der Revision des Schiedsentscheids vom 20. April 2006 (Verfahren CAS 2005/A/936) mit einem angeblich nachträglich entdeckten Dokument, das seiner Ansicht nach eine Regelverletzung belegt und zu einem Freispruch führen müsste. Die ausgesprochene zweijährige Sperre wäre mittlerweile zwar abgelaufen. Der Gesuchsteller macht jedoch geltend, ein Freispruch in diesem Verfahren habe Auswirkungen auf das Verfahren CAS 2005/A/969. Er bringt hingegen nicht vor, das fragliche Dokument zeige auch in diesem Verfahren eine Reglementswidrigkeit auf, die zu einer Aufhebung der Sperre führen müsse, sondern behauptet, ein Freispruch im Verfahren CAS 2005/A/936 führe zwangsläufig zu einer milderen Sanktion im Verfahren CAS 2005/A/969. Damit verkennt der Gesuchsteller, dass das Bundesgericht bei Gutheissung der Revision nicht selbst in der Sache entscheidet, sondern die Sache an das Schiedsgericht zurückweist, weshalb in jedem Fall erst dieses über die Frage eines Freispruchs zu entscheiden hätte. Inwiefern ein allfälliger Freispruch im ersten Verfahren einen Revisionsgrund in Bezug auf den zweiten Schiedsentscheid vom 5. Mai 2006 darstellen würde, legt der Gesuchsteller nicht dar, braucht jedoch ohnehin nicht vertieft zu werden, zumal bereits das Begehren um Revision des ersten Schiedsentscheids vom 20. April 2006 ins Leere stösst.
3.
Das Revisionsgesuch erscheint widersprüchlich, wenn der Gesuchsteller einerseits behauptet, eine frühere Kenntnisnahme des B-Reports der Blutprobe sei im Verfahren CAS 2005/A/936 nicht möglich gewesen, er andererseits jedoch vorbringt, er habe im Schiedsverfahren die Edition des B-Reports verlangt. Der Gesuchsteller gesteht somit ein, bereits während des Schiedsverfahrens zumindest gewusst zu haben, dass neben der "counter-analysis" der B-Probe mit einem Umfang von zwei Seiten auch ein umfangreicher "laboratory's report" der B-Probe bestand, in dem unter anderem die Namen der bei der Analyse mitwirkenden Personen aufgeführt sind. Zudem lag ihm offenbar der entsprechende "laboratory's report" der A-Probe bereits im Schiedsverfahren vor.
Soweit sich der Gesuchsteller darauf beruft, er habe vom Inhalt des Berichts während des Schiedsverfahrens keine Kenntnis haben können, überzeugen seine Vorbringen nicht. Hätte der Gesuchsteller vor dem Schiedsgericht eine Regelverletzung in Bezug auf den vorgeschriebenen Ablauf der Analyse der A- und der B-Probe geltend machen wollen, wie er diese nunmehr im Revisionsgesuch behauptet, hätte ein Vergleich der vollständigen Berichte der A- sowie der B-Probe nahegelegen. Der Gesuchsteller behauptet nun zwar, er habe anlässlich des Hearing vom 2. Februar 2006 vor dem TAS beantragt, Einsicht in den vollständigen "laboratory's report" der B-Probe zu nehmen; diese sei ihm jedoch nicht gewährt worden. Er legt hingegen nicht dar, inwiefern er sich weiter um die Einsichtnahme in das fragliche Dokument bemüht, geschweige denn, dass er die entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten im Hinblick auf dessen Herausgabe ausgeschöpft hätte.
Es obliegt auch im Schiedsverfahren den Prozessparteien, entsprechend ihrer Beweispflicht rechtzeitig und prozesskonform zur Klärung des Sachverhalts beizutragen. Dass es einer Partei unmöglich war, eine bestimmte Tatsache bereits im früheren Verfahren vorzubringen, ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen, da der Revisionsgrund der unechten Noven nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG nicht dazu dient, bisherige Unterlassungen in der Prozessführung wieder gutzumachen (vgl. ELISABETH ESCHER, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 8 zu Art. 123 BGG). Es geht daher nicht an, im schiedsgerichtlichen Verfahren in Bezug auf ein zentrales Dokument im Zusammenhang mit der Laboranalyse zum Nachweis eines Dopingvergehens lediglich anlässlich eines Hearings Einsicht zu verlangen und die Sache danach auf sich bewenden zu lassen, um Jahre später mittels Revision geltend zu machen, der entsprechende Bericht sei nunmehr "entdeckt" worden. Daran ändert auch die Darstellung des Gesuchstellers nichts, sein Antrag sei ignoriert und "sehr wahrscheinlich nicht einmal in den Verfahrensakten erwähnt" worden. Mit diesem Vorwurf lässt sich keine Revision begründen. Eine entsprechende Rüge wäre vielmehr mit Beschwerde gegen den Schiedsentscheid geltend zu machen gewesen. Eine solche hat der Gesuchsteller gegen den Entscheid des TAS vom 20. April 2006 jedoch nicht erhoben.
Dem Vorbringen des Gesuchstellers, es sei ihm unmöglich gewesen, die nunmehr im Revisionsgesuch vorgebrachten Tatsachen bereits im Verfahren vor dem Schiedsgericht vorzubringen, kann daher nicht gefolgt werden.
4.
Das Revisionsgesuch ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird der Gesuchsteller kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Gesuchsteller auferlegt.
3.
Der Gesuchsteller hat die Gesuchsgegnerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS) schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. Oktober 2010
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber:
Klett Leemann