BGer 6B_603/2010
 
BGer 6B_603/2010 vom 26.11.2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_603/2010
Urteil vom 26. November 2010
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Faga.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Michael B. Graf,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
2. A.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Sutter,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 14. April 2010.
Sachverhalt:
A.
Am 25. Mai 2007 ereignete sich in Stein/SG auf der Hauptstrasse zwischen Nesslau und Wildhaus eine Kollision zwischen dem Fahrrad von X.________ und dem Motorrad von A.________. X.________ war in Fahrtrichtung Wildhaus unterwegs und beabsichtigte, auf der Höhe "Haselschwendi" nach links über die Gegenfahrbahn abzubiegen. Dabei kollidierte sie mit A.________, der sich auf seinem Motorrad von hinten näherte und im Begriff war, sie zu überholen. A.________ zog sich durch den Sturz mehrere Prellungen und Schürfungen zu. X.________ erlitt insbesondere eine offene Unterschenkelfraktur links sowie mehrere Schürfungen.
B.
Mit Strafbescheid der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen vom 3. März 2008 wurde X.________ der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 110.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie mit einer Busse in der Höhe von Fr. 600.-- bestraft. Gegen diesen Strafbescheid erhob X.________ Einsprache.
C.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Kreisgerichts Obertoggenburg-Neutoggenburg sah mit Entscheid vom 19. September 2008 von einer Bestrafung ab und stellte das Verfahren in Anwendung von Art. 54 StGB definitiv ein. Eine von A.________ dagegen erhobene Berufung hiess das Kantonsgericht St. Gallen mit Entscheid vom 14. April 2010 gut. Es verurteilte X.________ wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von vier Tagessätzen zu Fr. 200.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren und zu einer Busse in der Höhe von Fr. 200.--. Die Schadenersatzansprüche von A.________ verwies es auf den Zivilweg.
D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen sei aufzuheben, und sie sei von Schuld und Strafe freizusprechen.
E.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz die Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) vor.
1.2 Inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. zum Begriff der Willkür BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f. mit Hinweisen). Diese aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Maxime wurde wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f. mit Hinweisen).
Wird die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) gerügt, gelten qualifizierte Anforderungen an die Begründung. Dies prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur, wenn eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Das bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; 135 III 232 E. 1.2 S. 234; je mit Hinweisen).
1.3 Unbestritten ist, dass A.________ (nachfolgend: Beschwerdegegner) als Fahrer einer Gruppe von vier Motorrädern unterwegs war. Er fuhr an zweiter Stelle, und sein Abstand zum vordersten Fahrer betrug rund 30 Meter. Die Beschwerdeführerin wurde vom ersten Fahrer der Gruppe überholt und bog kurz danach auf der Höhe "Haselschwendi" ab, um ihrer Familie beim Heuen zu helfen. Dabei kollidierte sie mit dem Motorrad des Beschwerdegegners, der sie links überholen wollte. Die Kollisionsstelle befand sich ca. 35 cm links der Mittelleitlinie (in Fahrtrichtung der Parteien aus gesehen).
1.4 Die Vorinstanz gelangt zur Überzeugung, dass die Beschwerdeführerin vor dem Abbiegen nicht korrekt eingespurt habe. Vom ersten Motorradfahrer sei sie links überholt worden. Ein in der Folge korrekt eingeleitetes Manöver (Beobachtung nach hinten, rechtzeitige Zeichengabe und fehlerfreies Einspuren), welches dem Beschwerdegegner ausreichend Zeit für eine angemessene Reaktion eingeräumt hätte, sei nicht mehr durchführbar gewesen. Die Vorinstanz würdigt verschiedene Beweismittel, wie die Aussagen des Beschwerdegegners, der Auskunftsperson B.________ und zweier Geschwister der Beschwerdeführerin sowie ein von der C.________ (Haftpflichtversicherer der Beschwerdeführerin) erstelltes Gutachten. Die Beschwerdeführerin kann sich (auf Grund einer unfallbedingten Amnesie) nicht an den Unfallhergang erinnern. Die Vorinstanz befindet die Aussagen des Beschwerdegegners als stimmig. Danach habe die Beschwerdeführerin vor dem abrupten Einspuren weder zurückgeschaut noch ein Handzeichen gegeben. Entsprechendes habe auch B.________ bestätigt, der als Dritter hinter dem Beschwerdegegner fuhr. Die Vorinstanz verweist zudem auf die Schilderungen von D.________, wonach ihre Schwester bis auf der Höhe einer Scheune (die folgenden 7 bis 14 Meter bis zur Kollisionsstelle waren für sie nicht mehr einsehbar) kein Handzeichen gegeben habe. Sie trifft, ausgehend von einer Geschwindigkeit des Motorrads von 60 km/h, betreffend den Abstand des Beschwerdegegners zum vordersten Fahrer (30 respektive 60 Meter) und der Geschwindigkeit des Fahrrads (10 respektive 20 km/h) verschiedene Annahmen. Gestützt darauf zeigt sie auf, dass es nach maximal 5.3 Sekunden, nachdem der erste Motorradfahrer die Beschwerdeführerin passiert hat, zur Kollision gekommen sein muss. Selbst wenn eine Zeichengabe auf der von der Schwester nicht mehr beobachteten Strecke erfolgt wäre, wäre dies verspätet geschehen (angefochtener Entscheid S. 5 ff.).
1.5 Die von der Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung erhobenen Einwände gehen nicht über eine blosse appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid hinaus. Soweit sie die Glaubwürdigkeit des Beschwerdegegners anzweifelt, sind ihre Vorbringen ungeeignet, Willkür respektive eine Verletzung der Unschuldsvermutung darzutun. Der allgemeinen Glaubwürdigkeit eines Zeugen im Sinne einer dauerhaften persönlichen Eigenschaft kommt kaum mehr relevante Bedeutung zu. Weitaus bedeutender für die Wahrheitsfindung als die allgemeine Glaubwürdigkeit ist die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussage (BGE 133 I 33 E. 4.3 S. 45 mit Hinweisen). Indem die Beschwerdeführerin die Aussagen von B.________ (der unmittelbar hinter dem Beschwerdegegner fuhr) in Frage stellt oder behauptet, die Vorinstanz habe die Aussagen ihrer Schwester falsch gewürdigt, legt sie einzig dar, wie deren Ausführungen ihrer Auffassung nach richtigerweise zu interpretieren gewesen wären. Auch diese Vorbringen vermögen die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht zu erschüttern.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin basiert im Wesentlichen auf der Annahme, nach ihrem Einspuren vom vordersten Motorradfahrer rechts überholt worden zu sein. Diese Darstellung erschöpft sich in einer blossen Behauptung, welche zudem im Widerspruch zu den Schilderungen des Beschwerdegegners, von B.________ und D.________ steht. Laut der Zeugin habe sie die Beschwerdeführerin bis 10 Meter vor der Unfallstelle beobachtet, wobei diese "normal an der Leitplanke entlang" gefahren sei. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander, sondern stellt der Würdigung der Vorinstanz lediglich ihre eigene Sicht der Dinge gegenüber. Ihre Berechnung zur verbleibenden Zeitspanne ab dem Ende des ersten Überholmanövers bis zur Kollision überzeugt zudem nicht. Sie nimmt an, der Beschwerdegegner sei mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h gefahren, ohne zu behaupten respektive darzutun, dass die vorinstanzliche Feststellung (60 bis maximal 80 km/h) offensichtlich unrichtig sei. Darüber hinaus fusst ihre Berechnung auf der unzutreffenden Annahme, ihr Fahrrad habe stillgestanden.
Was die Beschwerdeführerin weiter gegen den Schuldspruch einwendet, geht an der Sache vorbei. Selbst wenn man annehmen wollte, der Beschwerdegegner sei mit übersetzter Geschwindigkeit und mit einem ungenügenden Abstand zum vorderen Fahrer unterwegs gewesen, führt dies nicht zu einer Entlastung der Beschwerdeführerin. Das Strafrecht kennt keine Schuldkompensation (BGE 106 IV 58 E. 1 S. 59 f. mit Hinweis).
Dass und inwiefern offensichtlich erhebliche beziehungsweise schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an ihrer Schuld fortbestehen sollten, zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf. Eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" ist nicht ersichtlich. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG überhaupt zu genügen vermag.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Dem Beschwerdegegner ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im bundesgerichtlichen Verfahren keine Umtriebe entstanden sind.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. November 2010
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Faga