BGer 8C_782/2010
 
BGer 8C_782/2010 vom 09.12.2010
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_782/2010
Urteil vom 9. Dezember 2010
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.
 
Verfahrensbeteiligte
Z.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Bruno Bauer,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung
(Massnahmen beruflicher Art; Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 10. August 2010.
Sachverhalt:
A.
A.a Der 1965 geborene, als Aussendienstmitarbeiter in der Papierbranche tätig gewesene Z.________ meldete sich erstmals am 22. Januar 1998 unter Hinweis auf einen Bandscheibenvorfall bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen gewährte berufliche Massnahmen in Form einer Umschulung zum Informatik-Techniker TS, welche Z.________ Ende 2000 erfolgreich abschloss, womit er rentenausschliessend beruflich eingegliedert war.
A.b Z.________ meldete sich am 26. Januar 2005 erneut zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an, da er an den Folgen eines am 12. Januar 2004 erlittenen Schleudertraumas leide. Die IV-Stelle klärte die beruflichen und medizinischen Verhältnisse ab, holte diverse Arztberichte ein und gab ein polydisziplinäres Gutachten beim medizinischen Begutachtungsinstitut A.________ in Auftrag, welches am 21. Mai 2008 erstellt wurde. Gestützt hierauf und auf eine Stellungnahme ihres Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD; vom 8. Juli 2008) schloss die IV-Stelle die Arbeitsvermittlung ab, da der Versicherte in der angestammten und in einer leidensadaptierten Tätigkeit vollständig arbeitsfähig sei (Verfügung vom 11. Juni 2009). Sie verneinte sodann mit Verfügung vom 12. Juni 2009 einen Rentenanspruch.
B.
Die gegen die Verfügungen vom 11. und 12. Juni 2009 erhobenen Beschwerden des Z.________ mit den Anträgen auf Gewährung von Eingliederungsmassnahmen und Zusprechung einer ganzen Invalidenrente sowie ergänzenden medizinischen Abklärungen, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen unter Vereinigung beider Verfahren mit Entscheid vom 10. August 2010 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt Z.________ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sowie die Verfügungen vom 11. und 12. Juni 2009 seien aufzuheben und die Sache sei zur neuen Abklärung und Beurteilung im Sinne der Zusprache von beruflichen Massnahmen sowie einer Invalidenrente an die Verwaltung zurückzuweisen. Eventuell habe das Bundesgericht zusätzliche medizinische Abklärungen, insbesondere die Vornahme eines neuropsychologischen Gutachtens, anzuordnen und hernach berufliche Eingliederungsmassnahmen sowie subsidiär eine Invalidenrente zuzusprechen, und zwar "primär eine volle Invalidenrente, hilfsweise eine solche zu zwei Dritteln, subsidiär eine hälftige Invalidenrente und höchstvorsorglicherweise eine Viertelsrente". Ferner wird um unentgeltliche Rechtspflege ersucht.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Stellungnahme.
D.
Mit Eingabe vom 30. November 2010 (Poststempel) ersuchte der Rechtsvertreter des Versicherten um Sistierung des Verfahrens.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig ist der Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung in Form von Rente und beruflichen Massnahmen. Die Vorinstanz hat die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs einschlägigen Rechtsgrundlagen und die dazu ergangene Judikatur zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.
3.1 Nach den im Wesentlichen gestützt auf das - als beweiskräftig und ausschlaggebend erachtete - Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ (vom 21. Mai 2008) getroffenen, letztinstanzlich nur im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 BGG überprüfbaren Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 f.) ist der Beschwerdeführer aufgrund der ärztlichen Diagnosen einer Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10: F54), eines persistierenden zervikozephalen Symptomenkomplexes (ICD-10: M54.2) bei einem HWS-Distorionstrauma (ICD-10: S13.4) sowie einem Status nach Diskushernien-Operation LWK5/S1 1997 mit aktuell feststellbarer leichten Wurzelirritation S1 bei Rezidivhernie (ICD-10: G54.4) und einem Nikotinabusus (ICD-10: F17.2), sowohl in seiner bisherigen Tätigkeit als Informatik-Techniker als auch für sämtliche körperlich leichten bis intermittierend mittelschweren Tätigkeiten vollständig arbeitsfähig.
3.2
3.2.1 Dass das kantonale Gericht im Rahmen freier Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG) der im Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ vom 21. Mai 2008 in Berücksichtigung der relevanten Vorakten und der geklagten Beschwerden und aufgrund eines multidisziplinären, spezialärztlichen Konsensus attestierten vollständigen Arbeitsfähigkeit beweismässig ausschlaggebendes Gewicht beigemessen hat, ist mit Blick auf die vorinstanzlich vollständige und inhaltlich korrekte Darlegung der medizinischen Aktenlage sowie deren sorgfältige und objektive Prüfung (vgl. BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) weder offensichtlich unrichtig noch willkürlich oder sonstwie bundesrechtswidrig.
3.2.2 Soweit der Beschwerdeführer letztinstanzlich vorbringt, auf das Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ könne nicht abgestellt werden, da den Experten der Austrittsbericht der Klinik X.________ vom 25. April 2005 nicht vorgelegen habe, trifft zwar zu, dass dieser im Gutachten nicht aufgelistet wurde. Die Vorinstanz hat jedoch einlässlich und zutreffend begründet, weshalb der Expertise dennoch Beweiskraft zukommt und deren Schlüssigkeit dadurch nicht in Frage gestellt ist: Die Experten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ setzten sich ebenfalls eingehend mit den im Bericht der Klinik X.________ in diagnostischer Hinsicht aufgeführten kognitiven Einschränkungen, die der Beschwerdeführer gestützt auf den Bericht der Klinik X.________ geltend macht, auseinander, da neuropsychologische Funktionsstörungen bereits im Bericht der Klinik Y.________ vom 22. Juni 2004 festgehalten wurden, welcher den Gutachtern zur Verfügung stand. Relevante neuropsychologische Defizite wurden aber im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung ausgeschlossen, wobei Inkonsistenzen bei der Anamneseerhebung (Angabe von persistierenden kognitiven Defiziten) und der neurologischen Untersuchung aufgefallen seien. Das Ausmass der Beschwerden und die subjektiv eingeschränkte Leistungsfähigkeit konnte nicht objektiviert werden, sodass aus psychiatrischer Sicht von einer psychischen Überlagerung in Form einer Schmerzverarbeitungsstörung (ICD-10: F54; ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit) ausgegangen wurde.
Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, das Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ sei in Unkenntnis wesentlicher medizinischer Vorakten erstellt worden. Dies gilt auch in Bezug auf den beschwerdeführerischen Einwand des fehlenden Beizugs der Unfallakten durch die Gutachter, denn der Beschwerdeführer legt auch nicht ansatzweise dar, inwiefern die fraglichen Berichte Diagnosen und Befunde enthalten sollen, die geeignet wären, zumindest Zweifel an der Beurteilung der Experten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ zu wecken. Indem die Vorinstanz auf das Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ abstellte, hat sie demnach weder den Untersuchungsgrundsatz (Art. 61 lit. c ATSG) noch andere bundesrechtliche Beweisgrundsätze verletzt. Ebenso wenig wurde die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung in Verletzung der Regeln über die antizipierte Beweiswürdigung (dazu im Einzelnen: SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28, I 362/99 E. 4, mit Hinweisen) getroffen, weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich ist (Art. 105 Abs. 1 BGG) und namentlich weitere Beweismassnahmen (in Form der beantragten neuropsychologischen Begutachtung) ausser Betracht fallen.
3.2.3 Nach dem Gesagten hält die gestützt auf das polydisziplinäre Gutachten des medizinischen Begutachtungsinstituts A.________ vom 21. Mai 2008 getroffene Feststellung des kantonalen Gerichts einer vollen Arbeitsfähigkeit in der bisherigen und in sämtlichen körperlich leichten bis intermittierend mittelschweren Tätigkeiten, Stand.
3.3 Bei uneingeschränkter Arbeitsfähigkeit in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Programmierer und in jeder leichten bis mittelschweren Erwerbstätigkeit liegt keine Invalidität vor, womit kein Rentenanspruch besteht. Bei diesem Ergebnis hat das kantonale Gericht zu Recht auch den Anspruch auf berufliche Massnahmen abgewiesen. Hinsichtlich des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer für das Finden der ihm zumutbaren Tätigkeiten nicht auf die spezifischen Fachkenntnisse der Invalidenversicherung angewiesen ist, da entsprechende Stellen auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt in genügender Anzahl gegeben sind und ihm die öffentliche Arbeitsvermittlung offensteht, so dass kein Anspruch auf Arbeitsvermittlung besteht (AHI-Praxis 2003 S. 268 ff.).
4.
Die vom Rechtsvertreter des Versicherten beantragte Sistierung des Verfahrens wurde damit begründet, dass mit den involvierten Versicherungen Vergleichsverhandlungen geführt würden.
Gemäss Art. 6 Abs. 1 BZP in Verbindung mit Art. 71 BGG kann das Gericht das Verfahren aus Gründen der Zweckmässigkeit aussetzen. Mit Blick darauf, dass die Invalidenversicherung an den angestrebten Vergleichsverhandlungen nicht beteiligt ist (telefonische Bestätigung des Rechtsanwaltes vom 2. Dezember 2010), besteht bei dieser Ausgangslage kein Grund, zur Verfahrenseinstellung.
5.
5.1 Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung mit Art. 66 Abs. 1 BGG).
5.2 Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG wird einer Partei die unentgeltliche Rechtspflege nur gewährt, wenn sie bedürftig ist und ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint (zum Erfordernis der Nichtaussichtslosigkeit auch bei der unentgeltlichen Verbeiständung: Urteil 8C_258/2009 vom 24. August 2009 E. 7 mit Hinweisen). Das kantonale Gericht hat die Sachverhalts- und Rechtslage einlässlich dargelegt und seinen Entscheid eingehend begründet. Die erhobenen Rügen vermochten ihn nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann daher zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f.) nicht entsprochen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Sistierungsgesuch wird abgewiesen.
2.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
4.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 9. Dezember 2010
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Ursprung Polla