Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C_542/2010, 1C_544/2010
Urteil vom 14. Februar 2011
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Raselli,
Gerichtsschreiberin Gerber.
Verfahrensbeteiligte
Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10, Minervastrasse 99, Postfach, 8032 Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
Flughafen Zürich AG,
Baudirektion des Kantons Zürich, Immobilienamt, Abteilung Landerwerb, Walcheplatz 1, Postfach,
8090 Zürich,
Beschwerdegegnerinnen, beide vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Roland Gfeller und Dr. Daniel Kunz.
Gegenstand
Kosten des Enteignungsverfahren (Rechnungen
Nrn. 026/2010 und 028/2010 vom 4. August 2010); Sistierung,
Beschwerde gegen zwei Verfügungen vom 27. Oktober 2010 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I.
Sachverhalt:
A.
Bei der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10, Kanton Zürich (ESchK), sind zahlreiche Entschädigungsverfahren wegen der Enteignung nachbarlicher Abwehrbefugnisse infolge Fluglärms, ausgehend vom Landesflughafen Zürich, hängig. In diesen Verfahren treten die Flughafen Zürich AG und der Kanton Zürich (Baudirektion, Immobilienamt, Abteilung Landerwerb) als Enteigner auf.
Am 4. August 2010 schickte die ESchK den Enteignern zwei Rechnungen in der Höhe von Fr. 74'038.-- (Rechnung Nr. 026/2010; Enteignungsverfahren) und von Fr. 32'618.30 (Rechnung Nr. 128/2010) für Leistungen des Fachmitglieds der ESchK, Prof. Dr. X.________, in den Jahren 2009 und 2010. Diese umfassen insbesondere die Ausarbeitung eines hedonischen Bewertungsmodells für fluglärmbelastete Renditeliegenschaften (im Folgenden: hedonisches Modell ESchK).
Dieses Bewertungsmodell wurde am 1. März 2010 erstmals einem Leitentscheid der ESchK zugrunde gelegt, der sowohl von den Enteignern als auch von den Enteigneten mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten wurde (Verfahren A-2684/2010).
B.
Die Flughafen Zürich AG und der Kanton Zürich erhoben gegen die Rechnungen 026/2010 und 028/2010 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Verfahren A-6471 und 6465/2010). Im Verfahren A-6471/2010 (betreffend die Rechnung Nr. 026/2010) beantragten sie die Sistierung des Verfahrens bis zum Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren A-2684/2010. Die ESchK widersetzte sich dem Sistierungsgesuch.
Mit Zwischenverfügungen vom 27. Oktober 2010 sistierte das Bundesverwaltungsgericht beide Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids im Verfahren A-2684/2010.
C.
Gegen die Sistierungsverfügungen erhob die ESchK zwei separate Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht (1C_542 und 544/2010). Sie beantragt, die angeordneten Sistierungen seien aufzuheben und das Verfahren fortzusetzen.
Die Flughafen Zürich AG und die Baudirektion des Kantons Zürich beantragen im Verfahren 1C_544/2010 (betreffend die Rechnung Nr. 026/2010), auf die Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei sie abzuweisen. Im Beschwerdeverfahren 1C_542/2010 (betreffend die Rechnung Nr. 028/2010) verzichten sie auf eine Stellungnahme.
D.
Am 19. Januar 2011 hat das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden im Verfahren A-2684/2010 im Wesentlichen abgewiesen. Es hielt in den Erwägungen fest, dass die Verwendung des hedonischen Modells ESchK, das unter der Verantwortung von Prof. X.________ in seiner Eigenschaft als Kommissionsmitglied erarbeitet worden sei, nicht zu beanstanden sei.
Erwägungen
1.
Da beide Beschwerden dieselben Parteien betreffen und im Wesentlichen die gleichen Rechtsfragen aufwerfen, rechtfertigt es sich, die Beschwerdeverfahren zu vereinigen.
2.
Angefochten sind zwei Sistierungsverfügungen des Bundesverwaltungsgerichts. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht nur unter den besonderen Voraussetzungen gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG offen. Darüber hinaus müssen auch die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sein, insbesondere muss die Beschwerdeführerin zur Beschwerde legitimiert sein.
2.1 Die ESchK macht geltend, die Sistierungsverfügungen bewirkten einen mehrjährigen Stillstand des Kostenbeschwerdeverfahrens, da zu erwarten sei, dass der Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren A-2684/2010 ans Bundesgericht weitergezogen werde. Es sei nicht nur für das betroffene Fachmitglied, sondern auch für die ESchK unzumutbar, so lange auf die Bezahlung zu warten. Die ESchK sei dringend auf die Mitarbeit von hochqualifizierten Fachmitgliedern angewiesen. Deren Mitarbeit stehe auf dem Spiel, wenn die Honorierung, die ihnen gesetzlich zustehe, nicht ausbezahlt werde. Die angefochtenen Verfügungen stellten deshalb das gesetzmässige Funktionieren der Kommissionsarbeit in Frage. Zudem verletzten sie das Beschleunigungsgebot.
Die ESchK stützt ihre Legitimation auf Art. 89 Abs. 1 BGG; sie erachtet sich als Partei des vorinstanzlichen Verfahrens.
2.2 Die Flughafen Zürich AG und der Kanton Zürich bestreiten die Beschwerdelegitimation der ESchK. Diese sei Vorinstanz und nicht Partei des vorinstanzlichen Verfahrens. Die ESchK sei kein Gemeinwesen und könne sich daher nicht auf Art. 89 Abs. 1 BGG berufen. Sie verfüge auch nicht über ein Behördenbeschwerderecht i.S.v. Art. 89 Abs. 2 BGG. Das Beschleunigungsgebot diene nicht dem Schutz eines Gerichts vor Verfahrensverzögerungen durch die übergeordnete Rechtsmittelinstanz. Im Übrigen könne das Bundesverwaltungsgericht jederzeit auf seine Sistierungsverfügungen zurückkommen.
3.
Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat. Zur Beschwerde sind ferner nach Art. 89 Abs. 2 BGG die Bundeskanzlei, die Departemente des Bundes oder, soweit das Bundesrecht es vorsieht, die ihnen unterstellten Dienststellen, berechtigt, wenn der angefochtene Akt die Bundesgesetzgebung in ihrem Aufgabenbereich verletzen kann (lit. a); andere Personen, Organisationen und Behörden sind zur Beschwerde berechtigt, wenn ihnen ein anderes Bundesgesetz dieses Recht einräumt (lit. d).
3.1 Es wird von der ESchK nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich, dass ihr ein besonderes Beschwerderecht nach Art. 89 Abs. 2 BGG zusteht.
3.2 Zu prüfen ist daher die allgemeine Beschwerdeberechtigung nach Art. 89 Abs. 1 BGG. Diese ist auf Privatpersonen zugeschnitten. Nach der bundesgerichtlichen Praxis kann sich aber auch ein Gemeinwesen darauf stützen, wenn es von dem angefochtenen Entscheid gleich oder ähnlich wie eine Privatperson betroffen ist (BGE 136 II 274 E. 4.1 S. 278 mit Hinweisen). In bestimmten Fällen kann das Gemeinwesen auch in hoheitlichen Interessen derart berührt sein, dass die Rechtsprechung von einem schutzwürdigen Interesse im Sinne von Art. 89 Abs. 1 BGG ausgeht (BGE 134 II 45 E. 2.2.1 S. 47 mit Hinweisen). Dagegen können Konflikte zwischen verschiedenen Organen desselben Gemeinwesens (sog. Organstreitigkeit) grundsätzlich nicht vor Bundesgericht ausgetragen werden (vgl. BGE 136 V 346 E. 3.5 S. 350 mit Hinweisen).
Die ESchK ist - wie auch das Bundesverwaltungsgericht - ein Organ der Eidgenossenschaft, ohne eigene Rechtspersönlichkeit. Die ESchK ist die erste gerichtliche Instanz zur Beurteilung von Entschädigungsgesuchen nach dem Bundesgesetz über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (EntG; SR 711). Das Bundesverwaltungsgericht ist in diesen Verfahren Rechtsmittelinstanz und gleichzeitig Aufsichtsbehörde der Schätzungskommissionen (Art. 63 Abs. 1 EntG). Das gesetzmässige Funktionieren der Schätzungskommissionen und die Wahrung des Beschleunigungsgebots in Enteignungs- und Schätzungsverfahren ist kein spezifisches Interesse der ESchK, sondern ein gemeinsames Anliegen aller eidgenössischen Behörden und namentlich des Bundesverwaltungsgerichts als Aufsichtsbehörde in Enteignungssachen.
Die ESchK ist daher nicht befugt, (Zwischen-)Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts mit Beschwerde beim Bundesgericht anzufechten.
4.
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerden mangels Legitimation der ESchK nicht einzutreten.
Nachdem das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich im Verfahren A-2684/2010 entschieden hat, wird es von Amtes wegen prüfen müssen, ob es auf die Sistierung der beiden Kostenbeschwerden zurückkommt, unter Berücksichtigung der möglichen Folgen einer weiteren Verzögerung für das Funktionieren der ESchK.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtsgebühren zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Dagegen hat die Flughafen Zürich AG (nicht aber der Kanton Zürich) Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Die Eidgenossenschaft hat die Flughafen Zürich AG für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Februar 2011
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Fonjallaz Gerber