Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_847/2010
Urteil vom 9. März 2011
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Briw.
Verfahrensbeteiligte
Xb.________,
Beschwerdeführerin,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (rechtswidriger Aufenthalt),
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 19. August 2010.
Sachverhalt:
A.
Die kongolesische Staatsangehörige Xb.________ stellte am 16. Januar 2006 in der Schweiz ein Asylgesuch. Das Bundesamt für Migration (BFM) wies das Gesuch am 7. Februar 2006 ab. Die Asylrekurskommission trat auf eine dagegen eingereichte Beschwerde nicht ein. Nach Rechtskraft dieses Entscheids forderte das EJPD sie auf, die Schweiz bis zum 2. Mai 2006 zu verlassen. Mehrere zwischenzeitlich gestellte Wiedererwägungsgesuche wies das BFM ab. Auf eine gegen die letzte abweisende Verfügung gerichtete Beschwerde trat das Bundesverwaltungsgericht am 6. August 2009 nicht ein. Am 18. Juni 2007 gebar sie eine Tochter und heiratete am 16. Mai 2008 den kongolesischen Kindsvater Xa.________ (vgl. paralleles Verfahren 6B_846/2010).
B.
Xb.________ wurde mit Strafbescheid des Untersuchungsamts St. Gallen vom 29. April 2009 mit einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 10.-- bestraft.
Auf ihre Einsprache hin verurteilte sie der Einzelrichter des Kreisgerichts St. Gallen am 5. Oktober 2009 zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen zu Fr. 5.-- und Fr. 125.-- Busse.
Sie erhob Berufung. Der Präsident der Strafkammer des Kantonsgerichts St. Gallen wies das Gesuch um Befreiung von der Einschreibegebühr wegen Aussichtslosigkeit der Berufung ab. Das Bundesgericht wies am 30. März 2010 die gegen diesen Zwischenentscheid (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) erhobene Beschwerde in Strafsachen ab, soweit es darauf eintrat (Urteil 1B_39/2010).
Das Kantonsgericht St. Gallen sprach sie am 19. August 2010 des rechtswidrigen Aufenthalts gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG; SR 142.29) schuldig und verurteilte sie zu einer Freiheitsstrafe von 2 Monaten.
C.
Xb.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, sie von Schuld und Strafe freizusprechen, sie eventuell für die Zeit seit der Geburt der Tochter am 18. Juni 2007 freizusprechen, subeventuell die Verweigerung des bedingten Strafvollzugs als bundesrechtswidrig zu erklären, die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen, die Kosten dem Staat aufzuerlegen, ihr die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das Kantonsgericht verzichtete auf eine Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
Die nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten Eingaben können nicht berücksichtigt werden.
Die Beschwerde ist in Antrag und Begründung identisch mit der Beschwerde des Ehemannes der Beschwerdeführerin, die mit heutigem Datum abgewiesen wird, soweit darauf einzutreten ist (Urteil 6B_846/2010).
2.
2.1 Gemäss Art. 115 Abs. 1 lit. b AuG wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer sich rechtswidrig, namentlich nach Ablauf des bewilligungsfreien oder des bewilligten Aufenthalts, in der Schweiz aufhält.
Die Beschwerdeführerin hält sich seit dem 3. Mai 2006 rechtswidrig in der Schweiz auf. Es besteht kein Zweifel, dass sie um die rechtskräftige Abweisung des Asylgesuchs und die Wegweisung wusste sowie dass sie keine Erlaubnis hat, in der Schweiz zu bleiben. Damit ist der Tatbestand objektiv und subjektiv erfüllt.
2.2 Mit dem Verbleib in der Schweiz trotz rechtskräftiger Abweisung des Asylgesuchs und Fristsetzung für die Ausreise ist das Tatbestandsmerkmal der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts erfüllt. Im Strafverfahren ist das Asylverfahren grundsätzlich nicht mehr zu prüfen. Soweit die Beschwerdeführerin sich zur Rechtfertigung auf Art. 11 BV, Art. 3 EMRK sowie auf das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (SR 0.107) beruft, sind ihre Vorbringen unbegründet.
Die Beschwerdeführerin hat keinen Rechtsanspruch auf Verbleib in der Schweiz. Nach dem Völkerrecht bestimmen die Staaten die Voraussetzungen des Aufenthalts von Ausländern auf ihrem Territorium. Allerdings wird das Abschieberecht etwa durch das Non-Refoulement-Prinzip eingeschränkt. Eine Verletzung von Art. 25 Abs. 3 BV (vgl. BGE 135 II 110 E. 2.2.2) begründet die Beschwerdeführerin nicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Es sind dafür auch keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Art. 11 BV gewährleistet auch Rechte, wie sie im Kinderrechtsübereinkommen verbrieft sind. Diesen Rechten lassen sich bezüglich der Erteilung von fremdenpolizeirechtlichen Bewilligungen keine gerichtlich durchsetzbaren Ansprüche entnehmen (BGE 126 II 377 E. 5d S. 391 f.). Das Kindesinteresse ist aber zu berücksichtigen (BGE 135 I 143 E. 2.3). Die Vorinstanz äussert sich zum Kindeswohl und weist darauf hin, dass die Asylbehörden diesen Gesichtspunkt insbesondere im Rahmen der Wiedererwägungsgesuche berücksichtigt haben (angefochtenes Urteil S. 6). Grundsätzlich haben selbst schweizerische Kinder das Lebensschicksal des sorge- oder obhutsberechtigten Elternteils zu teilen und ihm ins Ausland zu folgen (BGE 135 I 143 E. 2.2). Dies gilt auch für Ausländer.
Die EMRK gewährleistet Ausländern kein Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Schweiz (Urteil Gezginci gegen Schweiz vom 9. Dezember 2010, Ziff. 54; Req. 16327/05). Die Ausweisung von Ausländern kann aber unter die Gewährleistungen von Art. 8 EMRK fallen. Die Beschwerdeführerin beruft sich zu Recht nicht auf diese Bestimmung. Durch die Ausweisung wird das Familienleben nicht beeinträchtigt (vgl. BGE 135 I 143 E. 2.2; 126 II 377 E. 2b/cc). Inwiefern Art. 3 EMRK verletzt sein sollte, begründet sie nicht.
Die asylrechtlichen Gewährleistungen wurden im Asylverfahren rechtskräftig beurteilt. Ein verwaltungsgerichtlicher Entscheid ist für das Strafverfahren grundsätzlich verbindlich (BGE 129 IV 246 E. 2.1). Dass kein bundesgerichtlicher Rechtsweg offen ist, entspricht der gesetzlichen Ordnung (Art. 83 lit. d BGG). Bundesgesetze sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Für eine ausnahmsweise vorfrageweise Überprüfung der Verfassungsmässigkeit sind keine Gründe ersichtlich (vgl. BGE 136 I 49 E. 3.1). Die Beschwerde erschöpft sich in einer Kritik am schweizerischen Rechtssystem. Darauf ist nicht einzutreten.
2.3 Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB setzt der Strafaufschub nicht die Erwartung voraus, der Täter werde sich bewähren. Es genügt die Abwesenheit der Befürchtung, dass er es nicht tun werde (BGE 134 IV 1 E. 4.2.2).
Die Beschwerdeführerin brachte stets offen zum Ausdruck, dass sie sich ungeachtet des Ausgangs des Strafverfahrens weiterhin einer Ausreise widersetzen werde (angefochtenes Urteil S. 8 f.). Die Verweigerung des Strafaufschubs bei offenkundiger Renitenz verletzt kein Bundesrecht.
3.
Im Übrigen kann auf das angefochtene Urteil verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit der Rechtsbegehren abzuweisen (Art. 64 BGG). Der finanziellen Lage der Beschwerdeführerin ist mit herabgesetzten Kosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 und Art. 66 Abs. 1 BGG ). Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. März 2011
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Briw