BGer 8F_9/2010
 
BGer 8F_9/2010 vom 10.03.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8F_9/2010
Urteil vom 10. März 2011
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
Gerichtsschreiber Holzer.
 
Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,
Gesuchstellerin,
gegen
Zürich Versicherungsgesellschaft AG,
Postfach, 8022 Zürich,
vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli,
Gesuchsgegnerin.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Revisionsgesuch gegen das Urteil
des Schweizerischen Bundesgerichts U 402/05 vom
23. August 2007.
Sachverhalt:
A.
Mit Urteil U 402/05 vom 23. August 2007 wies das Bundesgericht die von B.________ erhobene Beschwerde gegen den die Leistungseinstellung der Zürich Versicherungs Gesellschaft AG (nachstehend: die Zürich) gemäss Verfügung vom 17. November 2003 und Einspracheentscheid vom 15. März 2004 bestätigenden Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 6. September 2005 ab.
B.
Mit Eingabe vom 9. August 2010 (Postaufgabe) ersucht B.________ um Revision des Urteils U 402/05 und beantragt sinngemäss, die Zürich sei zu verpflichten, ab 15. März 2004 eine Rente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 100 % und eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 50 % auszurichten. Gleichzeitig stellt B.________ ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
Erwägungen:
1.
Urteile des Bundesgerichts erwachsen am Tag ihrer Ausfällung in Rechtskraft (Art. 61 BGG). Eine nochmalige Überprüfung der einem Urteil des Bundesgerichts zugrunde liegenden Streitsache ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die Revision dient insbesondere nicht dazu, Fehler und Unterlassungen der Prozessparteien nachträglich korrigieren zu können (vgl. etwa Spühler/Dolge/Vock, Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2006, N. 5 zu Art. 121 BGG; Elisabeth Escher, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Basel 2008, N. 9 zu Art. 121 BGG). Das Gericht kann auf seine Urteile nur zurückkommen, wenn einer der in den Art. 121 ff. BGG abschliessend aufgeführten Revisionsgründe vorliegt. Ein solcher Revisionsgrund ist ausdrücklich geltend zu machen, wobei es nicht genügt, das Vorliegen eines solchen zu behaupten. Der geltend gemachte Revisionsgrund ist im Revisionsgesuch unter Angabe der Beweismittel anzugeben, wobei aufzuzeigen ist, weshalb er gegeben und inwiefern deswegen das Dispositiv des früheren Urteils abzuändern sein soll (Urteil 8F_9/2009 vom 2. Juni 2009 E. 3.1).
2.
Das Bundesgericht hat im Urteil U 402/05 vom 23. August 2007 sinngemäss erwogen, die Versicherte habe am 19. November 2002 ein Schleudertrauma der HWS ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle erlitten. Somit war die Adäquanz eines allfälligen natürlichen Kausalzusammenhanges praxisgemäss (BGE 117 V 359) speziell zu prüfen; diese spezielle Prüfung führte im konkreten Fall zu einer Verneinung der Adäquanz. Insofern die Gesuchstellerin vorbringt, diese Praxis der speziellen Adäquanzprüfung verstosse gegen die EMRK, ist kein Grund ersichtlich, weshalb sie diese Argumentation nicht bereits im Hauptverfahren hätte geltend machen können. Da zudem gemäss Art. 122 lit. a BGG eine Revision wegen Verletzung der EMRK nur vorgesehen ist, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem endgültigen Urteil festgestellt hat, dass die EMRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, ein solches EGMR-Urteil indessen nicht vorliegt, ist auf das Gesuch, soweit die geltend gemachte EMRK-Verletzung betreffend, nicht einzutreten.
3.
3.1 Nach Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG kann die Revision verlangt werden, wenn die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte, unter Ausschluss von Tatsachen und Beweismitteln, die erst nach dem Entscheid entstanden sind.
Die neuen Tatsachen müssen erheblich sein, das heisst sie müssen geeignet sein, die tatsächliche Grundlage des angefochtenen Urteils zu verändern, so dass sie bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer anderen Entscheidung führen können. Neue Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt waren, aber zum Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat der Gesuchsteller darzutun, dass er die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Erheblich ist ein Beweismittel, wenn anzunehmen ist, es hätte zu einem anderen Urteil geführt, falls das Gericht im Hauptverfahren davon Kenntnis gehabt hätte. Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Ein Revisionsgrund ist nicht schon dann gegeben, wenn das Gericht bereits im Hauptverfahren bekannte Tatsachen unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid wesentliche Tatsachen unbewiesen geblieben sind (BGE 127 V 353 E. 5b S. 358 mit Hinweisen; 110 V 138 E. 2 S. 141; vgl. auch BGE 121 IV 317 E. 2 S. 322; 118 II 199 E. 5 S. 205).
3.2 Nach Art. 124 Abs. 1 lit. d BGG müssen Revisionsgesuche, die sich auf den Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG stützen, innerhalb von 90 Tagen nach dessen Entdeckung, frühestens jedoch nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung des Entscheids beim Bundesgericht eingereicht werden. Insofern sich das am 9. August 2010 der Post übergebene Gesuch auf den Bericht des Dr. med. N.________ vom 21. August 2007 und auf das Gutachten des Dipl. ing. S.________ vom 23. November 2009 stützt, erweist es sich als offensichtlich verspätet, so dass nicht darauf einzutreten ist.
3.3 Die Revision ist ein ausserordentliches Rechtsmittel und dient nicht einfach der Weiterführung des Verfahrens. Es obliegt den Prozessparteien, rechtzeitig und prozesskonform zur Klärung des Sachverhalts entsprechend ihrer Beweispflicht beizutragen. Dass es ihnen unmöglich war, Tatsachen und Beweismittel bereits im früheren Verfahren beizubringen, ist nur mit Zurückhaltung anzunehmen (Escher, a.a.O., N. 8 zu Art. 123 BGG). Dies gilt ganz besonders, wenn im Revisionsverfahren mit angeblich neu entdeckten Beweismitteln bereits im Hauptverfahren aufgestellte Behauptungen belegt werden sollen, die vom Gericht aufgrund eines aufwändigen Beweisverfahrens als unzutreffend erachtet wurden. Entsprechend hat der Gesuchsteller im Revisionsgesuch darzutun, dass er die Beweismittel im früheren Verfahren trotz hinreichender Sorgfalt nicht beibringen konnte (BGE 127 V 353 E. 5b S. 358 mit Hinweisen; Urteile 4A_144/2010 vom 28. September 2010 E. 2.3; 4A_42/2008 vom 14. März 2008 E. 4.1, nicht publ. in BGE 134 III 286 ff.; 4P.102/2006 vom 29. August 2006 E. 2.1). Soweit die Gesuchstellerin ihr Revisionsgesuch auf das Gutachten des Dr. med. M______ vom 11. Mai 2010 stützt, ist nicht ersichtlich, weshalb sie während des Hauptverfahrens nicht in der Lage gewesen sein sollte, ein entsprechendes Gutachten zu veranlassen oder eine Begutachtung bei diesem Spezialisten zu beantragen.
3.4 Das Revisionsgesuch ist auch abzuweisen, wenn man zu Gunsten der Beschwerdeführerin das Gutachten des Dr. med. M______ vom 11. Mai 2010 nicht als von Vorneherein unbeachtlich qualifiziert. Auch wenn dieses Gutachten bereits im Ausgangsverfahren eingereicht worden wäre, hätte es nicht zu einem anderen Entscheid geführt. Die Frage, ob zwischen dem Unfallereignis und den beklagten Beschwerden ein natürlicher Kausalzusammenhang besteht, wurde in jenem Verfahren offengelassen, da die Adäquanz eines allfälligen Kausalzusammenhanges zu verneinen war. Auf eine spezielle Adäquanzprüfung wäre dann zu verzichten gewesen, wenn das Unfallereignis vom 19. November 2002 zu im Sinne der Rechtsprechung organisch hinreichend nachgewiesenen Unfallfolgen (vgl. Urteil 8C_806/2007 vom 7. August 2008, E. 8.2 mit zahlreichen Hinweisen) geführt hätte. Ein abweichender Entscheid wäre daher nicht bereits dann gefällt worden, wenn ein natürlicher Kausalzusammenhang rechtsgenüglich nachgewiesen gewesen wäre, sondern allenfalls dann, wenn eine Organizität der Unfallfolgen, aufgrund der die spezielle Adäquanzprüfung entfällt, erstellt gewesen wäre.
Die Beschwerdeführerin wurde nach dem Unfall umfassend behandelt, unter anderem auch durch einen Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten. Weder die behandelnden Spezialärzte noch die Gutachter des Instituts für Interdisziplinäre Medizinische Begutachtungen (vgl. das im Hauptverfahren eingereichte Privatgutachten vom 7. April 2006) erachteten Abklärungsmassnahmen, wie sie Dr. med. M______ vorgenommen hat, für indiziert oder beweistauglich. Insoweit dieser Arzt organische Unfallfolgen postuliert, stützt er sich dabei auf Verfahren, welche von der Rechtsprechung als nicht beweistauglich für die Beurteilung der Unfallkausalität der Beschwerden angesehen werden (bezüglich der funktionellen Magnetresonanztomographie vgl. BGE 134 V 231 E. 5.2 ff. S. 233 ff.; bezüglich der Posturografie vgl. Urteile 8C_75/2010 vom 1. April 2010 E. 4 und U 197/04 vom 29. März 2006 E. 3.2). Zudem ist aus dem Gutachten nicht ersichtlich, ob der Experte über die gesamten medizinischen Akten verfügte; dagegen sprechen etwa der Umstand, dass er entgegen der echtzeitlichen Angaben von einer Bewusstlosigkeit der Versicherten in der ersten Minuten nach dem Unfall ausgeht, und das Übergehen des MRI-Befundes des Dr. med. E.________, Klinik X.________, vom 28. November 2002. Somit hätte bezüglich der Organizität der Beschwerden selbst dann nicht auf das Gutachten des Dr. med. M______ vom 11. Mai 2010 abgestellt werden können, wenn dieses bereits im Ausgangsverfahren eingebracht worden wäre.
4.
Das offensichtlich unbegründete Revisionsgesuch ist somit abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ebenso ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der Gesuchstellerin sind demnach die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Das Revisionsgesuch wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Gesuchstellerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 10. März 2011
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Holzer