BGer 6B_893/2010
 
BGer 6B_893/2010 vom 05.04.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
6B_893/2010
Urteil vom 5. April 2011
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Mathys,
Gerichtsschreiberin Binz.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Marcus Wiegand,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Grobe Verkehrsregelverletzung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 1. Juli 2010.
Sachverhalt:
A.
X.________ überschritt am 9. Juni 2009 um 19.29 Uhr in Winterthur auf der Seenerstrasse die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von innerorts 50 km/h um netto 26 km/h. In der Folge wurde er erstinstanzlich der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gesprochen und mit einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 90.-- sowie mit einer Busse von Fr. 1'000.-- bestraft. X.________ erhob gegen dieses Urteil Berufung. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 1. Juli 2010 das erstinstanzliche Urteil.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Er sei der einfachen Verkehrsregelverletzung schuldig zu erklären und mit einer angemessenen Busse in der Höhe von maximal Fr. 1'000.-- zu bestrafen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung, subeventualiter zur Ergänzung des Sachverhalts, im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen den Schuldspruch der groben Verletzung der Verkehrsregeln. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) infolge Abweisung seines Antrags auf Vornahme eines Augenscheins an der Messstelle. Die Seenerstrasse gleiche im Bereich der Messstelle mehr einer "Ausserortsstrecke" denn einer "Innerortsstrecke".
2.
2.1 Die Vorinstanz erwägt, bei den Akten hätten der Fotoprint, mit welchem die Geschwindigkeitsüberschreitung dokumentiert worden sei, ein Ausdruck von "Google maps", die vom Beschwerdeführer eingereichten Fotografien und Kartenausschnitte sowie eine kurze DVD-Aufzeichnung der letzten Fahrstrecke des Beschwerdeführers bis zur Messstelle vorgelegen. Im Berufungsverfahren seien weitere Ausschnitte aus dem kantonalen GIS-Browser und aktuelle Fotografien zu den Akten erhoben und dem Beschwerdeführer zur Einsicht vorgelegt worden. Die im Jahre 2006 erstellten GIS-Browser Fotografien würden dem heutigen Stand entsprechen. Die Unterlagen würden ein aufschlussreiches Bild über die Verkehrssituation vermitteln (angefochtenes Urteil E. 2.4.2. S. 7). Die Seenerstrasse weise erkennbar Innerortscharakter auf. Es handle sich um eine zweispurige, nicht richtungsgetrennte Strasse. Links und rechts führe ein Trottoir mit Radstreifen der Strasse entlang. Im Bereich der Messstelle befänden sich ein Fussgängerstreifen und eine Bushaltestelle sowie eine Abzweigung in ein relativ dicht überbautes Industriequartier (angefochtenes Urteil E. 2.5. S. 8).
2.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe die örtlichen Gegebenheiten unvollständig und somit den Sachverhalt unrichtig festgestellt. Die Seenerstrasse weise im Bereich weit vor und auch nach der Messstelle Ausserortscharakter auf. Sie führe stark abgesenkt, daher unterflur, durch nach wie vor eher brachliegendes Industrieland. Die Strasse sei sehr übersichtlich, extrem breit und gut ausgebaut. Links und rechts der Strasse befinde sich Wiesland und weit nach oben abgesetzt würden nur wenige Industriebauten stehen. Die Bildserie belege, dass der Fahrradstreifen sehr selten benutzt werde. Die zwei Bushaltestellen würden nicht bedeuten, dass im Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung um 19.20 Uhr und somit ausserhalb der Bürozeiten auch tatsächlich ein grosses Fussgängeraufkommen geherrscht habe. Nur ein dreidimensionaler Eindruck erfasse die Weite der Strasse, die äusserst geringe Frequenz von Fussgängern und Fahrradfahrern sowie die spezielle Lage als Unterflurstrasse. Zudem vermittle ein Abfahren der Strasse die gefühlsmässig richtige Geschwindigkeit. Ergebe der Augenschein, dass auch eine höhere als die signalisierte Geschwindigkeit vertretbar sei, könnte ihm umso weniger eine rücksichtslose Verhaltensweise angelastet werden.
2.3 Das Bundesgericht legt seinem Urteil die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist. Willkür bei der Beweiswürdigung liegt nach Art. 9 BV vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 135 I 313 E. 1.3 S. 316; 135 II 356 E. 4.2.1 S. 362; je mit Hinweisen).
2.4 Was der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht geeignet, Willkür darzulegen. Der Beschwerdeführer wiederholt in weiten Teilen seine Ausführungen, welche er bereits in der Berufung vorgebracht hat. Die Vorinstanz führt beispielsweise aus, auch wenn vereinzelt unüberbaute Grundstücke anzutreffen seien, könne nicht von einem "wenig" überbauten Gebiet gesprochen werden. In unmittelbarer Nähe der Messstelle befänden sich zwei Bushaltestellen, die Fussgängerverkehr generieren, sowie ein Fahrradstreifen, welcher von schutzlosen Verkehrsteilnehmern befahren werde. Obschon die Strasse im fraglichen Bereich gut ausgebaut und übersichtlich sei, fehle es an einer "extremen" Breite bzw. Übersichtlichkeit (angefochtenes Urteil E. 2.7. S. 11 f.). Anstatt sich auf die vorinstanzlichen Erwägungen zu beziehen, legt der Beschwerdeführer seine eigene Sicht der Dinge dar. Aus der appellatorischen Kritik am angefochtenen Urteil ergibt sich nicht, dass und inwiefern die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich im Sinne von Art. 9 BV festgestellt hat. Darauf ist mangels rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53; 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen). Die Vorinstanz konnte auf die Vornahme eines Augenscheins verzichten, weil sie sich aufgrund der in den Akten befindlichen Unterlagen ein Bild über die Verkehrssituation gemacht hatte. Sie durfte ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen, ihre Überzeugung würde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert. Dies stellt keine Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör dar (BGE 136 I 229 E. 5.2 und 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen). Schliesslich legt der Beschwerdeführer nicht substanziiert dar, inwiefern die Erstellung des Fotomaterials in seiner Abwesenheit eine eigenständige Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen soll (vgl. Beschwerde S. 7). Darauf ist nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG).
3.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht durch die Qualifikation seines Verhaltens als grobe Verkehrsregelverletzung.
3.1 Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand ist nach der Rechtsprechung erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Dies ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit kommt aber auch in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136 mit Hinweisen).
Nach der Rechtsprechung sind die objektiven und grundsätzlich auch die subjektiven Voraussetzungen der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ungeachtet der konkreten Umstände zu bejahen, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 25 km/h oder mehr überschritten wird (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237 f.; 123 II 106 E. 2c S. 112 f.; je mit Hinweisen).
3.2 Der Beschwerdeführer bringt zum objektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung vor, er habe die Grenze von 25 km/h nur sehr knapp überschritten (vgl. Beschwerde S. 8 f.). Dieser Einwand ist unbehelflich. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, gilt die Rechtsprechung auch bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um genau 25 km/h (angefochtenes Urteil E. 2.2.2. S. 5 f.; vgl. Urteil 6B_563/2009 vom 20. November 2009 E. 1.4.1).
3.3 In subjektiver Hinsicht macht der Beschwerdeführer geltend, sich in einem Irrtum über die zulässige Höchstgeschwindigkeit befunden zu haben. Deshalb könne sein Verhalten nicht als rücksichtslos eingestuft werden.
3.3.1 Die Vorinstanz führt diesbezüglich aus, es sei zutreffend, dass auf dem inkriminierten Strassenabschnitt bis zum 13. Dezember 2001 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gegolten habe. Mit der Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit habe sich jedoch in baulicher Hinsicht viel geändert. Die Abklassierung der Strasse sei mit dem Bau der Erschliessungsstrasse zur Sulzerallee einhergegangen. Dabei sei die Seenerstrasse selbst baulich verändert worden (Fussgängerstreifen, Mittelinsel, Bushaltestellen auf beiden Seiten, spezielle Signalisation des Radweges im Abzweigungsbereich). Da die Strecke auf dem Gebiet der Stadt Winterthur und somit innerorts liege, gelte generell eine Geschwindigkeit von 50 km/h. Zudem sei offensichtlich, dass es sich beim fraglichen Abschnitt nicht um eine "Überlandstrasse" handle. Der Beschwerdeführer sei die Strecke vom Ohrbühlkreisel mit den anliegenden Einkaufszentren durch ein überbautes Industriequartier in die Richtung eines Wohnquartiers gefahren. Auch die Argumentation des Beschwerdeführers, er habe sich von früher daran erinnern können, dass auf dieser Strecke aussergewöhnlicherweise 80 km/h erlaubt seien, könne ihn nicht entlasten. Da er selber angebe, die Strecke "sehr selten" bzw. "nie" zu fahren, erscheine dies unglaubhaft. Hinzu komme, dass sich die Verkehrssituation seit damals auffallend verändert habe. Selbst wenn sich der Beschwerdeführer an die frühere Signalisation zu erinnern vermöge, dürfte er nicht blindlings darauf vertrauen, dass sich diese innert siebeneinhalb Jahren nicht verändere (angefochtenes Urteil E. 2.7. S. 11 ff.).
3.3.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz setze sich nicht mit der Gefährlichkeit seiner gefahrenen Geschwindigkeit auseinander. Im Zeitpunkt der Messung habe kein starker Verkehr geherrscht und die Sicht- und Lichtverhältnisse seien sehr gut gewesen. Er habe das einzige Geschwindigkeitssignal übersehen. Da die Seenerstrasse früher als Ausserortsbereich signalisiert gewesen sei, obschon sie sich innerhalb der Stadt Winterthur befinde, habe er sich in der geltenden Höchstgeschwindigkeit geirrt. Am Hauptcharakter der Seenerstrasse im Vergleich zum Zustand vor der Einführung der Geschwindigkeit von 50 km/h habe sich nicht viel verändert. Insbesondere die betreffende Strecke vom Ohrbühlkreisel bis zur Messstelle sei seit der Abklassierung baulich gar nicht verändert worden. Offensichtlich handle es sich bei der Herabsetzung der Geschwindigkeit um einen reinen Verwaltungsakt, der sich aus der Heraufklassierung der Sulzerallee und der Abklassierung der Ohrbühlstrasse ergeben habe. Es habe für ihn keinen Grund gegeben, von einer Herabsetzung der Geschwindigkeitslimite auszugehen.
3.3.3 Die Vorinstanz stellt in tatsächlicher Hinsicht verbindlich fest (Art. 105 Abs. 1 BGG), dass die Seenerstrasse erkennbar Innerortscharakter aufweist. Der Einwand des Beschwerdeführers, auf der fraglichen Strecke weise nur eine einzige Signalisation auf die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h hin, ist unbehelflich. Weil die Strecke im Innerortsbereich liegt, müsste grundsätzlich gar keine Signalisation von "Generell 50" vorhanden sein. Die Vorinstanz begründet, weshalb sie es als unwahrscheinlich erachtet, dass sich der Beschwerdeführer tatsächlich an die frühere signalisierte Geschwindigkeit von 80 km/h erinnert. Sie zeigt anhand von mehreren Beispielen auf, dass sich die Strasse gegenüber dem Jahr 2001 in baulicher Hinsicht derart verändert hat, dass der Beschwerdeführer sowieso nicht blindlings darauf vertrauen durfte, dass sich die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht geändert hat. Schliesslich wertet die Vorinstanz die Behauptung des Beschwerdeführers, die Signalisation sei von einem Lastwagen verdeckt gewesen, als Indiz dafür, dass reichlich Verkehr geherrscht hat (angefochtenes Urteil E. 2.7.5. S. 13).
Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, indem sie das Verhalten des Beschwerdeführers als rücksichtslos einstuft. Zwar führte das Bundesgericht in einem jüngeren Entscheid aus, für die Beurteilung, ob das Verhalten rücksichtlos sei, gelte ein strenger Massstab. Wolle man das Schuldprinzip auch im Strassenverkehrsstrafrecht ernst nehmen, dürfe insbesondere nicht unbesehen von der objektiven auf die subjektive schwere Verkehrsregelverletzung geschlossen werden. Das Bundesgericht verneinte das rücksichtslose Verhalten, weil der Fahrzeugführer die bloss während einer Woche geltende und örtlich begrenzte Geschwindigkeitsreduktion auf der Autobahn übersehen hatte (Urteil 6B_109/2008 vom 13. Juni 2008 E. 3.1). Im gleichen Sinne entschied das Bundesgericht im Falle einer Geschwindigkeitsbeschränkung innerorts, die Teil von Massnahmen eines Verkehrsberuhigungskonzepts bildete (Urteil 6B_622/2009 vom 23. Oktober 2009 E. 3.5). Im Gegensatz zu den zitierten Urteilen sind vorliegend jedoch keine besonderen Umstände gegeben, die den Grund des momentanen Versagens erkennen und in einem milderen Licht erscheinen lassen. Die Rüge des Beschwerdeführers erweist sich als unbegründet.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist sein Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. April 2011
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Favre
Die Gerichtsschreiberin: Binz