BGer 9C_399/2011 |
BGer 9C_399/2011 vom 11.07.2011 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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{T 0/2}
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9C_399/2011
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Urteil vom 11. Juli 2011
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
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Gerichtsschreiberin Dormann.
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Verfahrensbeteiligte |
IV-Stelle des Kantons Graubünden,
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Ottostrasse 24, 7000 Chur,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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F.________, vertreten durch Procap,
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Schweizerischer Invaliden-Verband,
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Beschwerdegegner.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung
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(Invalidenrente; Invalideneinkommen),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden
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vom 23. November 2010.
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1974 geborene F.________ meldete sich im Februar 2004 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nachdem sie ihm eine vom 1. Februar bis 30. September 2004 befristete Invalidenrente zugesprochen hatte (Verfügung vom 14. Dezember 2004), wies die IV-Stelle des Kantons Graubünden das Leistungsgesuch mit Verfügung vom 24. März 2009 für die Zeit bis 31. Oktober 2008 ab. Nach Zusprache von beruflichen Massnahmen (Verfügung vom 30. August 2004) sowie nach weiteren Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 4. März 2010 auch für die anschliessende Zeit einen Rentenanspruch.
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B.
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Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hiess die von F.________ dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 23. November 2010 gut, hob die Verfügung vom 4. März 2010 auf und verpflichtete die IV-Stelle, im Sinne der Erwägungen neu über den Rentenanspruch zu verfügen.
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C.
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Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, den Entscheid vom 23. November 2010 insofern aufzuheben, als er den Leidensabzug auf 20 % festsetze.
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Erwägungen:
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1.
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1.1 Das kantonale Gericht hat gestützt auf die Berichte der Dres. med. R.________ und H.________ vom 23. März resp. 15. April 2010 festgestellt, der Versicherte sei in einer angepassten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfügbaren Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig. Ferner hat es die IV-Stelle zu weiteren Abklärungen über das Valideneinkommen verhalten und in Bezug auf das Invalideneinkommen zur Vornahme eines leidensbedingten Abzugs vom Tabellenlohn in Höhe von 20 % verpflichtet. Die Beschwerde führende IV-Stelle rügt einzig, ein Abzug vom Tabellenlohn gemäss BGE 126 V 75 sei nicht gerechtfertigt, jedenfalls nicht in der festgesetzten Höhe.
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1.2 Der als Zwischenentscheid im Sinne des Art. 93 Abs. 1 BGG zu qualifizierende Rückweisungsentscheid (BGE 133 V 477 E. 4.2 S. 481 f.) kann laut der genannten Bestimmung nur angefochten werden, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).
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1.3 Die Gutheissung der Beschwerde könnte keinen Endentscheid herbeiführen. Hingegen ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen - und nach ihrer Auffassung rechtswidrigen - Entscheid hinsichtlich der Invaliditätsbemessung an die Vorgaben der Vorinstanz gebunden. In dieser Konstellation ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil zu bejahen und auf die Beschwerde einzutreten (BGE 133 V 477 E. 5.2 S. 483 ff.).
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2.
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2.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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2.2 Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad (vgl. LSE 94 S. 51) Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 321 E. 3b/aa S. 323) und je nach Ausprägung die versicherte Person deswegen die verbliebene Arbeitsfähigkeit auch auf einem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem erwerblichem Erfolg verwerten kann (BGE 126 V 75 E. 5b/aa in fine S. 80). Der Abzug soll aber nicht automatisch erfolgen. Er ist unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen und darf 25 % nicht übersteigen (BGE 126 V 75 E. 5b/bb-cc S. 80; 134 V 322 E. 5.2 S. 327 f.; Urteil 9C_368/2009 vom 17. Juli 2009 E. 2.1). Unter dem Titel Beschäftigungsgrad im Besonderen wird bei Männern, welche gesundheitlich bedingt lediglich noch teilzeitlich erwerbstätig sein können, ein Abzug anerkannt. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei Männern statistisch gesehen Teilzeitarbeit vergleichsweise weniger gut entlöhnt wird als eine Vollzeittätigkeit (SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009 E. 2.1.1 mit Hinweisen).
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2.3 Ob ein (behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter) Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen ist, stellt eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage dar (Urteil 8C_652/2008 vom 8. Mai 2009 E. 4 in fine, nicht publiziert in: BGE 135 V 297). Die Frage nach der Höhe des (im konkreten Fall grundsätzlich angezeigten) Abzuges vom Tabellenlohn dagegen ist eine Ermessensfrage. Deren Beantwortung ist letztinstanzlicher Korrektur nur mehr dort zugänglich, wo das kantonale Gericht das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt hat, also bei Ermessensüberschreitung, -missbrauch oder -unterschreitung (vgl. zu diesen Rechtsbegriffen Urteil I 793/06 vom 4. Oktober 2007 E. 2.3, in: Plädoyer, 2008/1 S. 69; BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399; Urteil 9C_368/2009 vom 17. Juli 2009 E. 2.1).
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3.
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3.1 Die Vorinstanz hat für die Festsetzung des Abzugs lediglich auf die Vernehmlassung der IV-Stelle vom 7. Mai 2010 und die "vorliegenden Umstände" verwiesen. Diesbezüglich steht fest, dass der Versicherte bloss zu 50 % arbeitsfähig ist (E. 1.1 und 2.1). Die Einschätzungen der Dres. med. R.________ und H.________ können nicht in dem Sinn verstanden werden, dass eine Vollzeittätigkeit, wenn auch bei gesundheitlich bedingt eingeschränkter Leistungsfähigkeit, zumutbar wäre. Die Frage nach einer Änderung der Rechtsprechung gemäss Urteil I 69/07 vom 2. November 2007 E. 5, wonach dieser Faktor beim leidensbedingten Abzug nicht zu berücksichtigen ist (vgl. aber SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009 E. 2.5.2), stellt sich demnach im konkreten Fall nicht. Der reduzierte Beschäftigungsgrad rechtfertigt einen Abzug vom Tabellenlohn (E. 2.2).
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3.2 Gemäss der beim Bundesamt für Statistik erhältlichen Tabelle T der Lohnstrukturerhebung 2008 (Bruttolohn nach Beschäftigungsgrad, Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes und Geschlecht) erzielten in diesem Jahr Männer in einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsniveau 4) bei einem Arbeitspensum zwischen 50 und 74 % aufgerechnet auf ein Vollzeitpensum durchschnittlich ein um 10,25 % tieferes Einkommen als Vollzeitbeschäftigte; bei einem Arbeitspensum zwischen 25 und 49 % betrug die Einbusse gar 17,62 % (für 2006 vgl. Urteil 9C_643/2010 vom 27. Dezember 2010 E. 3.4).
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3.3 Laut Dr. med. H.________ ist in Bezug auf eine angepasste (teilzeitliche) Tätigkeit darauf zu achten, dass "nicht zu viele emotional belastende zwischenmenschliche Kontakte stattfinden, auch keine unregelmässige Arbeit oder Nachtarbeit und möglichst keine Stressspitzen". Ob auch aufgrund dieser Anforderungen ein Abzug zu gewähren ist, ist fraglich (vgl. aber für Einschränkungen im Rahmen körperlich leichter Hilfsarbeitertätigkeiten BGE 126 V 75 E. 5a/bb S. 78). Weitere abzugsbegründende Merkmale (E. 2.2) sind nicht ersichtlich. Unter den gegebenen Umständen erscheint die Höhe des Abzuges zwar an der oberen Grenze des Vertretbaren, von einer rechtsfehlerhaften Ermessensausübung kann indessen nicht gesprochen werden. Die Beschwerde ist unbegründet.
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4.
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Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3.
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Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, der Ausgleichskasse des Schweizerischen Gewerbes und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 11. Juli 2011
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
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Meyer Dormann
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