BGer 2C_215/2011
 
BGer 2C_215/2011 vom 26.07.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_215/2011
Urteil vom 26. Juli 2011
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
Bundesrichter Seiler,
Gerichtsschreiber Zähndler.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
Beschwerdeführer,
gegen
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt.
Gegenstand
Familiennachzug / vorsorgliche Massnahmen,
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht vom 17. Januar 2011.
Sachverhalt:
A.
Der 1970 geborene türkische Staatsangehörige A.________ führte in der Türkei während zwölf Jahren eine sog. Imam-Ehe mit seiner Landsfrau B.________. Aus dieser Beziehung gingen zwei Söhne hervor (geb. 1990 und 2000).
Am 24. Oktober 2001 heiratete A.________ in der Türkei eine 22 Jahre ältere Schweizerin philippinischer Herkunft und reiste daraufhin am 19. Januar 2002 in die Schweiz ein, wo er aufgrund dieser Ehe eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Im Februar 2006 reisten die beiden aus der Beziehung mit B.________ stammenden Söhne von A.________ im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz ein. Am 13. Dezember 2006 wurde A.________ die Niederlassungsbewilligung erteilt. Im Frühjahr 2007 - d.h. rund drei Monate nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung - löste A.________ den gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Schweizer Gattin auf und am 10. April 2009 liess er sich in Ankara formell von ihr scheiden. Die Ehe ist kinderlos geblieben.
Am 1. März 2010 heiratete A.________ dann in Basel seine frühere Partnerin B.________, welche sich mit einem Besuchervisum in der Schweiz aufhielt. Wenige Tage später, am 8. März 2010, stellte er ein Nachzugsgesuch für seine neue Gattin.
B.
Mit Schreiben vom 16. / 19. März 2010 teilte das Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt A.________ mit, dass sein Gesuch einer eingehenden Prüfung bedürfe und mehrere Wochen bis Monate in Anspruch nehmen werde; mit einem Entscheid vor Ablauf des Touristenvisums von B.________ am 23. März 2010 könne jedenfalls nicht gerechnet werden. B.________ müsse deshalb den Bewilligungsentscheid im Ausland abwarten. Hiergegen rekurrierte A.________ am 24. März 2010 beim Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt und er stellte den Antrag, es sei seiner neuen Gattin der Aufenthalt in der Schweiz während des Familiennachzugsverfahrens im Sinne einer vorsorglichen Massnahme zu gestatten. Am 16. April 2010 wies das Departement den Rekurs ab. Ein dagegen von A.________ erhobener erneuter Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt wurde von diesem zur Beurteilung an das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht überwiesen. Mit Urteil vom 17. Januar 2011 wies das Appellationsgericht den Rekurs ab.
C.
Gegen des Urteil des Appellationsgerichts richtet sich die von A.________ mit Eingabe vom 7. März 2011 geführte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beim Bundesgericht, mit welcher er im Wesentlichen erneut beantragte, es sei seiner neuen Gattin der Aufenthalt in der Schweiz während der Dauer des hängigen Familiennachzugsverfahrens zu gestatten.
Das Justiz- und Sicherheitsdepartement sowie das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Migration liess sich innert der angesetzten Frist nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
Im Streit liegt ein Zwischenentscheid bezüglich die Anordnung einer vorsorglichen Massnahme. Die Beschwerde gegen einen solchen Zwischenentscheid ist u.a. zulässig, wenn dieser einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Dies ist in der vorliegenden Konstellation zu bejahen (vgl. Urteil 2C_483/2009 vom 18. September 2009 E. 2.2). Indessen kann mittels der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden (Art. 98 BGG).
2.
2.1 Art. 17 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG; SR 142.20) sieht vor, dass Ausländerinnen und Ausländer, die für einen vorübergehenden Aufenthalt rechtmässig eingereist sind und die nachträglich eine Bewilligung für einen dauerhaften Aufenthalt beantragen, den Entscheid im Ausland abzuwarten haben. Nur wenn die Zulassungsvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind, kann die zuständige kantonale Behörde - ausnahmsweise - den Aufenthalt während des Verfahrens gestatten (vgl. Art. 17 Abs. 2 AuG).
2.2 Die Vorinstanz kommt im angefochtenen Entscheid zum Schluss, dass die Zulassungsvoraussetzungen für die Ehefrau des Beschwerdeführers jedenfalls nicht offensichtlich erfüllt seien, zumal die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers allenfalls widerrufen werden müsse. Sie führt sinngemäss aus, dass das Vorgehen des Beschwerdeführers den Verdacht aufkommen lasse, dass er die Ehe mit seiner ehemaligen schweizerischen Ehefrau nur zum Schein eingegangen sei und von Anfang an beabsichtigt habe, nach Erhalt der Niederlassungsbewilligung die Beziehung zu seiner langjährigen türkischen Partnerin und Mutter der gemeinsamen Söhne wieder aufzunehmen und diese in die Schweiz zu holen. Nebst dem zeitlichen Ablauf im vorliegenden Fall sowie dem Altersunterschied zwischen dem Beschwerdeführer und seiner schweizerischen Gattin spreche hierfür auch der Umstand, dass er während dieser Ehe jedes Jahr mit seinen Söhnen, aber ohne die Schweizer Ehefrau, für vier Wochen in die Türkei gereist sei, um dort seine frühere Partnerin zu besuchen. Einen weiteren möglichen Grund für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers sieht das Appellationsgericht auch darin, dass gegen diesen Verlustscheine in ganz beträchtlicher Höhe (Fr. 112'751.50) verzeichnet seien und auch noch offene Betreibungen im Umfang von Fr. 2'653.60 beständen.
2.3 Der Beschwerdeführer rügt, dass die Vorinstanz die Voraussetzungen für eine Bewilligung des Aufenthalts seiner neuen Gattin in willkürlicher Weise als nicht offensichtlich gegeben erachtet habe. Dabei macht er im Wesentlichen geltend, dass er über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfüge und seine Ehegattin deshalb ohne Weiteres Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung habe. Gründe für den Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung seien nicht auszumachen, zumal die Beziehung zu seiner geschiedenen Schweizer Gattin keine Scheinehe gewesen sei. Ohnehin hätten die kantonalen Behörden aber diesbezüglich seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da sie bis anhin weder ihn noch die geschiedene Ehefrau befragt und auch keine Abklärungen vorgenommen hätten. Hinsichtlich seiner finanziellen Lage macht er geltend, dass er diese mittlerweile in den Griff bekommen habe und sich das weitere Wachstum seiner Verschuldung stark verlangsamt habe. Sodann behauptet der Beschwerdeführer, dass es auch den Anspruch auf Schutz des Familienlebens i.S.v. Art. 8 Ziff. 1 EMRK bzw. Art. 13 BV verletzen würde, wenn seine neue Gattin das Bewilligungsverfahren im Ausland abwarten müsste; insbesondere der jüngere der gemeinsamen Söhne bedürfe der Anwesenheit seiner leiblichen Mutter.
3.
3.1 Da der Beschwerdeführer den von ihm behaupteten Anspruch auf Nachzug seiner neuen Gattin auf seine Niederlassungsbewilligung abstützt, kann nur dann von offensichtlich erfüllten Zulassungsvoraussetzungen i.S. von Art. 17 Abs. 2 AuG die Rede sein, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass diese Niederlassungsbewilligung widerrufen wird.
3.2 Ein Bewilligungswiderruf ist namentlich dann möglich, wenn die ausländische Person im Bewilligungsverfahren falsche Angaben gemacht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat (Art. 63 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 62 lit. a AuG).
Die von der Vorinstanz aufgezeigten Umstände sind nicht von vornherein ungeeignet, ein solches Verhalten des Beschwerdeführers zu indizieren: In anderen Fällen, welche mit dem vorliegenden in sachverhaltlicher Hinsicht vergleichbar sind, sprach das Bundesgericht von einem bekannten Verhaltensmuster mit welchem der Ausländer beabsichtigt, sich in der Schweiz ein Anwesenheitsrecht zu verschaffen und seiner Familie den Nachzug zu ermöglichen (vgl. dazu etwa die Urteile 2C_734/2009 vom 19. April 2010; 2C_559/2009 vom 11. Februar 2010; 2C_311/2009 vom 5. Januar 2010; 2C_33/2008 vom 7. Mai 2008; jeweils mit Hinweisen).
3.3 Eine Niederlassungsbewilligung kann auch widerrufen werden, wenn der Ausländer in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat (Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG). In BGE 2C_415/2010 vom 15. April 2011 E. 3.3 (zur Publikation vorgesehen) wurde festgehalten, dass das Bestehen von privatrechtlichen Schulden hierfür ausreichend sein könne, wenn die Verschuldung mutwillig erfolgt ist. Angesichts des Ausmasses der Verschuldung des Beschwerdeführers und dem Umstand, dass diese bis anhin stetig gestiegen ist, erscheint ein Bewilligungswiderruf auch vor dem Hintergrund dieser Bestimmung nicht als gänzlich ausgeschlossen.
3.4 Ohne in Willkür zu verfallen, durfte das Appellationsgericht bei dieser Sachlage davon ausgehen, dass die Zulassungsvoraussetzungen für die Ehefrau des Beschwerdeführers jedenfalls nicht offensichtlich erfüllt sind.
Soweit der Beschwerdeführer einwendet, er sei zum Vorwurf der Scheinehe noch nie befragt worden und habe dementsprechend noch nie dazu Stellung nehmen können, ist ihm entgegenzuhalten, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um den Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung, sondern einzig um die streitige vorsorgliche Massnahme geht. In einem solchen Verfahren kommt dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) naturgemäss eine geringfügigere Bedeutung zu, als in einem materiellen Verfahren: Stehen vorsorgliche Massnahmen im Streit, müssen die behördlichen und gerichtlichen Entscheide schnell und ohne detaillierte Sachverhaltserhebungen ergehen. Das rechtliche Gehör wird hier im Prinzip bereits durch die Eingabe des Gesuchstellers gewahrt (Urteil 2C_631/2010 vom 8. September 2010 E. 3.2 mit weiteren Hinweisen).
Auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf Art. 8 EMRK und Art. 13 BV geht ins Leere, zumal diese Bestimmungen überhaupt nur dann einen Anspruch auf Anwesenheit in der Schweiz verschaffen können, wenn der sich hier aufhaltende Angehörige über ein gefestigtes Anwesenheitsrecht verfügt (BGE 130 II 281 E. 3.1 S. 285 mit Hinweisen). Dieses gefestigte Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers durfte von den kantonalen Behörden aber - wie hiervor aufgezeigt - willkürfrei in Frage gestellt werden, so dass der Beschwerdeführer aus seinem Aufenthaltsstatus zum jetzigen Zeitpunkt keinen Anspruch auf einen sofortigen vorsorglichen Familiennachzug herzuleiten vermag.
Das vorinstanzliche Urteil ist ferner auch vor dem Hintergrund des Verhältnismässigkeitsprinzips nicht zu beanstanden: Der Beschwerdeführer und seine jetzige Ehefrau haben ihre Trennung im Jahr 2001 selbst gewählt und freiwillig auf ein weiteres Zusammenleben verzichtet. Ebenso war es der Beschwerdeführer selber, der im Jahr 2006 veranlasst hatte, dass seine Söhne in die Schweiz übersiedeln und die Mutter verlassen. Diese war mit diesem Vorgehen zudem ausdrücklich einverstanden und erklärte anlässlich einer Befragung, es bedeute ihr nichts, von ihren Kindern getrennt zu sein. Aus diesen Gründen erscheint es zumutbar, dass die gewollte und selber verursachte Trennung der Familie während des Bewilligungsverfahrens weiterdauert und die neue Gattin des Beschwerdeführers den Entscheid in der Heimat abwarten muss.
4.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde unbegründet und somit abzuweisen. Entsprechend diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da die Beschwerde von vornherein aussichtslos erschien, kann dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt und dem Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt, dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 26. Juli 2011
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Zünd Zähndler