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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_313/2011
Urteil vom 29. August 2011
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Faga.
Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Suppiger,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Fahrlässige schwere Körperverletzung; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, 4. Abteilung, vom 28. Januar 2011.
Sachverhalt:
A.
Am 19. September 2008 ereignete sich auf der Hauptstrasse zwischen Reiden (LU) und Wikon (LU) eine Kollision zwischen A.________, die mit ihrem Fahrrad unterwegs war, und einem von X.________ gelenkten Lieferwagen. A.________ wartete an der Verzweigung Bodenachermatte, um die Hauptstrasse zu überqueren. Als sie losfuhr, wurde sie vom Lieferwagen erfasst, der sich ihr von rechts auf der Hauptstrasse näherte und in Richtung Wikon unterwegs war. Durch die Kollision erlitt A.________ insbesondere ein schweres Schädelhirntrauma. Sie wird zeitlebens schwerst behindert bleiben.
B.
Mit Entscheid des Amtsstatthalteramts Willisau vom 16. März 2010 wurde X.________ der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig gesprochen. Das Amtsstatthalteramt bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 120.--, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie mit einer Busse in der Höhe von Fr. 500.--. Gegen diesen Entscheid erhob X.________ Einsprache.
C.
Das Amtsgericht Willisau sprach X.________ mit Urteil vom 16. September 2010 der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig. Es bestätigte das durch das Amtsstatthalteramt festgesetzte Strafmass. Eine von X.________ dagegen erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 28. Januar 2011 gut. Es sprach ihn von Schuld und Strafe frei.
D.
Sowohl A.________ (6B_302/2011) als auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (6B_313/2011) führen Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragen, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern sei aufzuheben, und X.________ sei wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung schuldig zu sprechen und zu bestrafen.
E.
X.________ und das Obergericht des Kantons Luzern beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) vor.
1.1 Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 136 II 304 E. 2.4 S. 313 f. mit Hinweis; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 136 III 552 E. 4.2 S. 560 mit Hinweisen).
Wird die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) gerügt, gelten qualifizierte Anforderungen an die Begründung. Eine solche Rüge prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur, wenn sie in der Beschwerde vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Das bedeutet, dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136 I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen).
1.2 Unbestritten ist, dass A.________ (nachfolgend: Geschädigte) mit ihrem Fahrrad an der Wartelinie der Bodenachermatte stillstand, um die Hauptstrasse in Richtung Riederstrasse zu überqueren. Hinter ihr befand sich ein Fahrzeug. Rund 80 Meter vor dem von X.________ (nachfolgend: Beschwerdegegner) gelenkten Lieferwagen bog ein Personenwagen von der Hauptstrasse links in die Bodenachermatte ein. Zwei Fahrzeuge fuhren von Wikon her kommend in Richtung Reiden, passierten die Geschädigte und kreuzten den Beschwerdegegner. In der Riederstrasse befanden sich keine Verkehrsteilnehmer. Weitere Fahrzeuge oder Personen stellt die Vorinstanz nicht fest. Die signalisierte Höchstgeschwindigkeit auf der vortrittsberechtigten Hauptstrasse beträgt 60 km/h und wurde vom Beschwerdegegner nicht überschritten. Die Geschädigte fuhr los und wurde vom Beschwerdegegner erfasst, als sie sich bereits auf seiner rechten Fahrspur befand. Der Beschwerdegegner erblickte sie 0.3 Sekunden vor der Kollision. Sein Abstand zum Unfallort betrug zu dem Zeitpunkt vier bis fünf Meter.
1.3 Gemäss Art. 26 Abs. 1 SVG muss jedermann sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Nach Art. 26 Abs. 2 SVG ist besondere Vorsicht geboten unter anderem gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten.
1.3.1 Die Vorinstanz erwägt, es sei fraglich, ob die Geschädigte vom Beschwerdegegner als Kind hätte wahrgenommen werden können. Die Geschädigte sei knapp 13 Jahre alt gewesen. Aus "grösserer Distanz" sei es "schwierig bis unmöglich, bei jugendlichen Radfahrern das genaue Alter schätzen zu können". Die Körpergrösse sei kein ausreichendes Indiz, da auf dem Fahrrad alle Personen kleiner erscheinen würden. Auch sei das Fahrrad auf Distanz nicht als Kinderfahrrad erkennbar gewesen. Kinder müssten schon bei kurzer Betrachtung als solche erkennbar sein. Das sei für den Beschwerdegegner nicht möglich gewesen (angefochtener Entscheid S. 7 f.).
1.3.2 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz verfalle in Willkür, indem sie die sofortige Erkennbarkeit der Geschädigten als Kind verneine. Die Geschädigte sei im Tatzeitpunkt rund 12½-jährig und 145 cm gross gewesen. Auch habe sie weniger als 30 kg gewogen. Es treffe nicht zu, dass alle Personen auf einem Fahrrad kleiner erscheinen würden. Die Geschädigte sei nach kurzer Betrachtung und von Weitem als Kind erkennbar gewesen. Zudem sei sie auf einem Kinderfahrrad unterwegs gewesen (Beschwerde S. 6 f.).
1.3.3 Die Geschädigte war im Unfallzeitpunkt 12 Jahre und 10 Monate alt sowie gemäss Rapport der Kantonspolizei Luzern vom 21. September 2008 145 cm gross. Soweit die Vorinstanz feststellt, es sei aus grösserer Distanz schwierig oder unmöglich, bei jugendlichen Radfahrern das genaue Alter zu schätzen, gehen diese Erwägungen an der Sache vorbei. Wesentlich ist, ob die Geschädigte für den Beschwerdegegner als Kind erkennbar war respektive bei gebotener Aufmerksamkeit erkennbar gewesen wäre. Die Vorinstanz verweist auf den Entscheid BGE 129 IV 282, wonach Kinder zwischen 4 und 14 Jahren im Strassenverkehr besonders häufig Unfallopfer würden. Da die Geschädigte knapp 13 Jahre alt sei, sei sie am oberen Ende des Schutzbereiches. Diese Erwägungen sind im Zusammenhang mit der hier interessierenden Frage nicht plausibel. Der Umstand, dass Kinder in einem bestimmten Alter im Strassenverkehr anteilsmässig am häufigsten Opfer schwerer oder tödlicher Verletzungen werden, erlaubt Rückschlüsse auf ihre (kognitiven und körperlichen) Fähigkeiten und ihr (schutzbedürftiges) Verhalten (vgl. dazu RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, Grundlagen, Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, 2002, N. 443; PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar zum Strassenverkehrsrecht, 2011, N. 14 ff. zu Art. 26 SVG). Er tangiert hingegen die Frage der Erkennbarkeit als Kind nicht.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die Körpergrösse ohne Zweifel wesentliches Kriterium, um einen Verkehrsteilnehmer als Kind, Jugendlichen oder erwachsene Person erkennen zu können. Die Geschädigte war ihrem Alter entsprechend klein gewachsen. Ihre Körpergrösse entsprach einem rund 11-jährigen Mädchen (vgl. die von der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrie empfohlenen Wachstumskurven auf www.kispi.uzh.ch, welche sich auf die Angaben der Weltgesundheitsorganisation stützen). Ein solches Mädchen ist als Kind erkennbar. Konkrete Umstände, welche den gegenteiligen Schluss erlauben würden, hält die Vorinstanz nicht fest. Insbesondere stellt sie nicht fest, dass die Sicht des Beschwerdegegners auf die Bodenachermatte eingeschränkt gewesen wäre, als die Geschädigte an der Wartelinie stand respektive als sie losfuhr und die Hauptstrasse überquerte. Diese ist an der fraglichen Stelle gerade und übersichtlich. Der Unfall ereignete sich bei Tageslicht und trockenem Wetter. Der Beschwerdegegner hatte freie Sicht auf die Verzweigung Bodenachermatte, die stillstehende Geschädigte und das hinter ihr wartende Auto (erstinstanzlicher Entscheid S. 10 f.; angefochtenes Urteil S. 6 mit Verweis auf das Gutachten S. 20). Zudem war die Geschädigte mit einem Kinderfahrrad unterwegs. Aus dem Umstand, dass sie an der Wartelinie (allenfalls) auf dem Sattel ihres Kinderfahrrades sass, kann nichts zu Gunsten des Beschwerdegegners abgeleitet werden. Indem die Vorinstanz davon ausgeht, die Geschädigte sei für den Beschwerdegegner nicht als Kind erkennbar gewesen, stellt sie den Sachverhalt willkürlich fest.
1.4
1.4.1 Betreffend die Beschleunigung des Fahrrades ab der Wartelinie erwägt die Vorinstanz, die Geschädigte habe die Hauptstrasse möglichst schnell überqueren wollen. Deshalb sei davon auszugehen, dass sie beim Losfahren mit 1.4 m/s² maximal beschleunigt habe (angefochtener Entscheid S. 10 f.).
1.4.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, es sei willkürlich anzunehmen, die Geschädigte sei möglichst schnell über die Hauptstrasse gefahren. Solches lasse sich den Zeugenaussagen des hinter der Geschädigten wartenden Fahrzeuglenkers nicht entnehmen. Auch lasse die Vorinstanz die Ausführungen im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich vom 25. Januar 2010 ausser Acht. Dieses schliesse eine maximale Beschleunigung der Geschädigten aus. Deshalb sei auf die Schlussfolgerungen in der Expertise abzustellen (Beschwerde S. 8 f.).
1.4.3 Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei. In Fachfragen darf es davon indessen nicht ohne triftige Gründe abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Ein Abweichen ist zulässig, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch die Umstände ernsthaft erschüttert ist. Umgekehrt kann das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten unter Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen gegen das Willkürverbot und gegen Verfahrensrechte der Parteien verstossen (BGE 136 II 539 E. 3.2 S. 547 f.; 133 II 384 E. 4.2.3 S. 391; 132 II 257 E. 4.4.1 S. 269; je mit Hinweisen).
1.4.4 Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes der Stadtpolizei Zürich hält zur Beschleunigung Folgendes fest: Versuche mit Kindern im Alter von 9 bis 12 Jahren hätten in den ersten vier Sekunden nach dem Anfahren mit dem Fahrrad durchschnittliche Beschleunigungswerte von 0.65 m/s² bis 1.4 m/s² ergeben. Der untere Grenzwert sei durch ein 9-jähriges Mädchen und der obere Grenzwert durch einen 12-jährigen Knaben erzielt worden. Eine Beschleunigung von 1.4 m/s² sei im konkreten Fall nicht plausibel. In Bezug zum rekonstruierten Kollisionsbereich habe sich die Endlage der Geschädigten etwas entgegen ihrer Fahrtrichtung zum Kollisionsort befunden. Auf Grund der Wurfrichtung der Geschädigten und des Fahrrades sei sie mit einer Geschwindigkeit im unteren Bereich des möglichen Spektrums kollidiert (Gutachten S. 17 f. und 23 f.). Damit geht das Gutachten in Bezug auf die Beschleunigung ebenfalls von Werten im unteren Bereich der Bandbreite (0.65 m/s² bis 1.4 m/s²) aus. Eine maximale Beschleunigung schliesst es ausdrücklich aus.
Diese Erwägungen in der Expertise sind nachvollziehbar. Insbesondere ist naheliegend, dass die Geschädigte unter Berücksichtigung ihrer Körpergrösse nicht die gleiche Tretkraft erzielte wie ein 12-jähriger Junge. Inwiefern das Gutachten in diesem wesentlichen Punkt nicht schlüssig erscheinen sollte, legt die Vorinstanz nicht dar. Insbesondere setzt sie sich mit den entsprechenden Ausführungen betreffend die Wurfrichtung der Geschädigten und des Fahrrades, welche laut Gutachten eine eher tiefe Beschleunigung indiziert, nicht auseinander. Sie mutmasst, dass die Geschädigte die Strasse möglichst schnell habe überqueren wollen. Damit weist sie in keiner Weise auf Umstände hin, welche die Glaubwürdigkeit des Gutachtens erschüttern könnten. Indem die Vorinstanz vom Gutachten ohne erkennbaren Grund abweicht, verfällt sie ihn Willkür.
Nicht nachvollziehbar ist die in diesem Kontext gezogene Schlussfolgerung der Beschwerdeführerin, wonach der Beschwerdegegner über 30 Meter vor der Kollision mit einer Notbremsung hätte reagieren können (Beschwerde S. 9). Sie verkennt, dass diese Distanz unter anderem auf einer maximalen Beschleunigung der Geschädigten respektive auf eine Fahrzeit von zwei Sekunden beruht (2 s X 15.27 m/s) und vom Gutachten im Ergebnis verworfen wird. Darauf ist nicht weiter einzugehen.
1.5 Die Beschwerdeführerin rügt wiederholt die Feststellung als willkürlich, wonach das Fehlverhalten der Geschädigten für den Beschwerdegegner laut Vorinstanz erst vier bis fünf Meter vor der Kollision erkennbar gewesen sein soll (Beschwerde S. 3, 7 f. und 10). Entsprechendes stellt die Vorinstanz hingegen nicht fest. Vielmehr nimmt sie an, das Fehlverhalten sei ersichtlich gewesen, als die Geschädigte den gelben Radstreifen überfahren habe. Ebenso geht die Rüge an der Sache vorbei, soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang vorbringt, die Annahme der Vorinstanz, wonach Radfahrer und Fussgänger oftmals an der Mittellinie anhalten würden, sei willkürlich und "beweisergebniswidrig" (Beschwerde S. 7 f.). Dabei handelt es sich hingegen nicht um eine tatsächliche Feststellung. Die Vorinstanz stützt sich nicht auf eine Beweiswürdigung, sondern unabhängig vom konkreten Sachverhalt auf einen nach ihrem Dafürhalten aus der allgemeinen Lebenserfahrung gewonnenen Erfahrungssatz. Diesem kommt allgemeine Geltung für gleichgelagerte Fälle und damit normativer Charakter zu (vgl. betreffend Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen im Rahmen von Art. 16 ATSG BGE 137 V 64 E. 1.2 S. 66 mit Hinweisen; ERHARD SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen, 1993, § 16 N. 649). Darauf ist nicht weiter einzugehen.
1.6 Die willkürliche Beweiswürdigung betrifft, wie noch zu zeigen ist (E. 2 nachfolgend), entscheidrelevante Sachverhaltselemente.
2.
2.1 Die Vorinstanz gelangt in rechtlicher Hinsicht zum Schluss, der Beschwerdegegner habe sich regelkonform verhalten. Er sei vortrittsberechtigt gewesen und habe die signalisierte Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h ausnutzen dürfen. Da die Geschädigte nicht als Kind erkennbar gewesen sei, habe er unter diesem Aspekt keine besondere Vorsicht walten lassen müssen. Fraglich sei, ob Anzeichen für ein Fehlverhalten im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG bestanden hätten, als die Geschädigte die gelbe Linie des Radstreifens überfahren habe. Diese Frage könne offengelassen werden. Dem Beschwerdegegner sei selbst in diesem Fall keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Gemäss der Einschätzung des Gutachters sei die Kollision zwei bis vier Sekunden nach dem Überfahren der gelben Linie erfolgt. Da die Geschädigte maximal beschleunigt habe, sei von einer Zeitspanne von lediglich zwei Sekunden auszugehen. Auf Grund der erforderlichen Blickzuwendung könne dem Beschwerdegegner eine Reaktionszeit von 1.5 Sekunden nicht als Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Deshalb sei der Unfall nicht vermeidbar gewesen (angefochtener Entscheid S. 4 ff.).
2.2 Die Beschwerdeführerin macht insbesondere geltend, der Beschwerdegegner hätte die Geschädigte bereits 80 Meter vor der Einmündung in die Bodenachermatte sehen können und bei Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit auch sehen müssen. Auf diesen Bereich hätte sich seine Aufmerksamkeit richten müssen, da diese Stelle unmittelbar vor dem Unfall die einzige Gefahrenquelle gewesen sei. Indem er den hinter der Geschädigten wartenden Personenwagen, nicht aber sie selbst erblickt habe, habe er nicht die notwendige Aufmerksamkeit aufgebracht und Art. 31 SVG verletzt. Die Vorinstanz stelle zu Recht nicht in Frage, dass die Geschädigte nicht mehr als Kind im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG gelte (recte wohl: dass die Geschädigte als Kind im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG gelte). Sie sei als Kind erkennbar gewesen. Auch sei ersichtlich gewesen, dass sie die Strasse habe überqueren wollen. Deshalb hätte der Beschwerdegegner reagieren müssen, als die Geschädigte sich in Richtung der Fahrbahnmitte bewegt habe (Beschwerde S. 3 ff.).
2.3
2.3.1 Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 StGB). Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäss Art. 125 StGB setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist die Handlungsweise, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat auf Grund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Für die Zurechenbarkeit des Erfolgs genügt die blosse Vorhersehbarkeit nicht. Erforderlich ist auch dessen Vermeidbarkeit. Der Erfolg ist vermeidbar, wenn er nach einem hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Das Mass der im Einzelfall zu beachtenden Sorgfalt richtet sich, wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64 mit Hinweisen).
2.3.2 Im Strassenverkehr richtet sich der Umfang der zu beachtenden Sorgfalt nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes und der dazu gehörenden Verordnungen. Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker verlangt wird, beurteilt sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im Wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1 S. 285; 127 II 302 E. 3c S. 303; je mit Hinweisen).
Art. 26 Abs. 2 SVG regelt besondere Vorsichtspflichten unter anderem gegenüber Kindern. Danach kann sich der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich nicht auf das aus Art. 26 Abs. 1 SVG abgeleitete Vertrauensprinzip berufen. Dies gilt auch, wenn keine konkreten Anzeichen dafür vorliegen, dass sich Kinder unkorrekt verhalten würden. Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, um ein allenfalls begrenztes Vertrauen in das ordnungsgemässe Verhalten dieser Strassenbenützer zu rechtfertigen (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1 S. 285 f. mit Hinweisen; SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 441; BUSSY/RUSCONI, Code suisse de la circulation routière, 3. Aufl. 1996, N. 6.2 zu Art. 26 SVG; WEISSENBERGER, a.a.O., N. 14 zu Art. 26 SVG). Der Verkehrsteilnehmer muss mithin mit Verkehrsregelverletzungen seitens dieser Strassenbenützer rechnen und seine Fahrweise danach ausrichten, damit Gefährdungen und Schädigungen möglichst vermieden werden können. So hat er namentlich seine Geschwindigkeit zu mässigen, Bremsbereitschaft zu erstellen, dem Verhalten der Kinder grösste Aufmerksamkeit zu schenken und, wenn Kinder im Bereich der Strasse nicht auf den Verkehr achten, Warnsignale abzugeben und nötigenfalls zu halten (SCHAFFHAUSER, a.a.O., N. 426 und N. 443; vgl. auch Art. 4 Abs. 3 und Art. 29 Abs. 2 VRV).
2.4
2.4.1 Der Beschwerdegegner hatte freie Sicht auf die Verzweigung Bodenachermatte und die an der Einmündung stillstehende Geschädigte. Wie aufgezeigt, war die Geschädigte als Kind erkennbar (E. 1.2 und E. 1.3.3 hievor).
Der Beschwerdegegner hätte besondere Vorsicht walten lassen müssen. Der Umstand, dass die Geschädigte knapp 13 Jahre alt war, aller Wahrscheinlichkeit nach schon über eine gewisse Erfahrung im Strassenverkehr verfügt und bereits Verkehrsunterricht genossen haben dürfte, entlastet den Beschwerdegegner nicht. Eine fixe Altersgrenze, von welcher an von Kindern ein vorschriftsgemässes Verhalten erwartet werden kann und sie nicht mehr des besonderen Schutzes durch Art. 26 Abs. 2 SVG bedürfen, lässt sich nicht exakt bestimmen. Im Strassenverkehr gelten als Kinder junge Menschen, die nicht oder nur beschränkt in der Lage sind, die Gefahren des Verkehrs kognitiv zu verarbeiten. Ihr Wahrnehmungsprozess ist gegenüber demjenigen Erwachsener verlangsamt. Ausserdem sind die Kinder in ihrem Verhalten sprunghaft und unberechenbar (BGE 129 IV 282 E. 2.2.2 S. 286 f. mit Hinweisen). Selbst wenn das Vertrauensprinzip bei einem knapp 13-jährigen Kind in gewissem Umfang zur Anwendung gelangen sollte, lässt sich daraus für den Beschwerdegegner nichts zu seinen Gunsten ableiten. Es fehlten nicht nur besondere Umstände, welche für ein begrenztes Vertrauen in ein ordnungsgemässes Verhalten der Geschädigten im Verkehr gesprochen hätten. Vielmehr verweist das Amtsgericht Willisau auf die Zeugenaussagen des hinter der Geschädigten wartenden Autolenkers, wonach sie ausschliesslich nach links und nicht in Richtung des herannahenden Beschwerdegegners geschaut habe (erstinstanzlicher Entscheid S. 6 f. und Protokoll der Zeugeneinvernahme von Z.________ Ziffer 19; angefochtener Entscheid S. 10). Somit waren Anzeichen vorhanden, dass sich die Geschädigte nicht situationsgerecht verhielt. Andere Umstände zu Gunsten des Beschwerdegegners stellt die Vorinstanz nicht fest.
2.4.2 Die Annahme der Vorinstanz, der Beschwerdegegner habe seinen Blick "in alle relevanten Richtungen wandern" lassen und in Richtung der Geschädigten respektive des hinter ihr wartenden Fahrzeugs keine erhöhte Aufmerksamkeit anwenden müssen, verletzt Bundesrecht. Unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse war die wesentliche und voraussehbare Gefahrenquelle die Einmündung in die Bodenachermatte. Auf diese Verkehrssituation hatte der Beschwerdegegner sein Augenmerk schwergewichtig zu richten. Gleichzeitig durfte er der nicht befahrenen Riederstrasse weniger Aufmerksamkeit schenken.
2.4.3 Es stellt sich die Frage, wann der Beschwerdegegner hätte erkennen müssen, dass die Geschädigte die Fahrbahn durchqueren wollte. Hätte er ihr seine hauptsächliche Aufmerksamkeit gewidmet, hätte er ihr Fehlverhalten grundsätzlich bereits bemerken können, als sie die Wartelinie überquerte und in die Hauptstrasse fuhr. Wesentlich ist, dass die Geschädigte in der Mitte der Einmündung anhielt. Daraus konnte ihre Absicht, die Strasse zu überqueren, erkannt werden. Dass sie an die Mitte der Wartelinie heranfuhr und dort wartete, um rechts auf den Radstreifen zu gelangen und in Richtung Reiden zu fahren, ist im Grunde genommen nicht anzunehmen. Hingegen ist zu Gunsten des Beschwerdegegners zu berücksichtigen, dass die Geschädigte die Hauptstrasse nicht rechtwinklig, sondern schräg nach rechts überfuhr (vgl. Gutachten S. 14 mit Anhang 8). Dies dürfte auf die leicht nach rechts versetzte Einfahrt in die Riederstrasse zurückzuführen sein. Deshalb ist nicht auszuschliessen, dass ihr Fahrmanöver unmittelbar nach dem Losfahren auch dahingehend interpretiert werden konnte, dass sie nach rechts in die Hauptstrasse abbiegen wollte. Spätestens ab dem Überfahren des gelben Radstreifens war jedoch die von ihr eingeschlagene Richtung erkennbar. Davon geht auch das Gutachten aus.
2.4.4 In welcher Zeit ein Fahrzeuglenker bei gebotener Aufmerksamkeit auf auftauchende Gefahren reagieren muss, ist eine Rechtsfrage. Die Reaktionszeit richtet sich nach den Umständen. Sie beträgt im Regelfall eine Sekunde und bei erhöhter Bremsbereitschaft 0.6 bis 0.7 Sekunden (BGE 115 II 283 E. 1a S. 285 mit Hinweisen). Wie dargetan, war der Beschwerdegegner zu besonderer Vorsicht verpflichtet. Somit ist grundsätzlich von einer erhöhten Aufmerksamkeit und damit von einer gesteigerten Reaktionsbereitschaft auszugehen. Die Vorinstanz billigt dem Beschwerdegegner eine Reaktionszeit von einer bis 1.5 Sekunden zu. Eine Zeitspanne von maximal einer Sekunde erscheint zumindest vertretbar. Hingegen lag keine Situation vor, die es rechtfertigen würde, dem Beschwerdegegner eine längere Reaktionszeit einzuräumen.
Die Kollision ereignete sich mehr als zwei bis maximal vier Sekunden, nachdem die Geschädigte erkennbar die gelbe Linie des Radstreifens überfahren hatte. Der Beschwerdegegner erblickte die Geschädigte erst 0.3 Sekunden vor der Kollision. Bei einer Reaktionszeit von einer Sekunde reagierte er somit mehr als 0.7 bis 2.7 Sekunden verspätet.
2.4.5 Wie aufgezeigt, hat die Geschädigte nicht maximal beschleunigt und hätte der Beschwerdegegner beim Überfahren des gelben Radstreifens innerhalb einer Sekunde reagieren müssen. Ob bei diesen Voraussetzungen die Körperverletzungen hätten verhindert werden können oder weniger schwerwiegend ausgefallen wären, stellt die Vorinstanz nicht fest. Aus dem Gutachten geht insbesondere hervor, dass bei einer konstanten Geschwindigkeit des Beschwerdegegners von 55 km/h bis 60 km/h und einer Fahrzeit der Geschädigten von mehr als 2.25 Sekunden ab Überfahren der gelben Leitlinie bis zum Kollisionsort (was eine etwas kleinere Beschleunigung als 1.4 m/s² erfordere) die Kollision vermeidbar gewesen wäre (Gutachten S. 21 ff.). Die Expertise setzt hier stillschweigend und in vertretbarer Weise eine Reaktionszeit des Beschwerdegegners von einer Sekunde voraus.
2.4.6 Dass sich die Kollision auch bei pflichtgemässem Verhalten des Beschwerdegegners ereignet hätte, ist entgegen dem Dafürhalten der Vorinstanz nicht relevant. Entscheidend ist hier nicht die Vermeidung des Unfalls, sondern diejenige der schweren Körperverletzung. Die Körperverletzung gilt auch als vermeidbar, wenn es bei sorgfaltsgemässem Verhalten des Fahrzeuglenkers mit grösster Wahrscheinlichkeit zu einer geringeren Verletzung gekommen wäre. Dies ergibt sich daraus, dass jede Steigerung einer Körperverletzung als selbständige weitere Verletzung gilt (Urteil 6P.17/2004 vom 4. August 2004 E. 7.2 mit Hinweis auf BGE 121 IV 286 E. 4c S. 292 und 103 IV 65 E. II 2 c S. 70). Es liegt auf der Hand, dass der Beschwerdegegner bei einer früheren Reaktion das Fahrzeug hätte abbremsen können und weniger heftig mit der Geschädigten zusammengestossen wäre. Das hätte wohl zu weniger schwerwiegenden Verletzungen geführt. Mit Blick auf das Gutachten ist zudem nicht auszuschliessen, dass ein rechtzeitiges Bremsmanöver die Kollision gänzlich verhindert hätte. Allenfalls wäre dem Beschwerdegegner bei gehöriger Aufmerksamkeit auch ein Ausweichmanöver möglich gewesen. Ob der Unfall und damit die schweren Körperverletzungen hätten verhindert werden können oder diese weniger schwerwiegend ausgefallen wären, kann hier nicht abschliessend beurteilt werden und werden die kantonalen Behörden abzuklären haben. Gelangen diese zur Überzeugung, dass die Kollision bei sorgfaltsgemässem Verhalten des Fahrzeuglenkers nicht hätte verhindert werden können, so ist die in diesem Fall resultierende Verletzungsschwere der Geschädigten durch den Beizug von Sachverständigen abzuklären.
3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdegegner die (angesichts der beiden inhaltlich praktisch identischen Verfahren reduzierten) bundesgerichtlichen Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist dem Kanton Luzern nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 28. Januar 2011 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten werden im Umfang von Fr. 2'000.-- dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 29. August 2011
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Faga