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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4A_447/2011
Urteil vom 20. September 2011
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Leemann.
Verfahrensbeteiligte
C. und D. X.________,
Beschwerdeführer,
gegen
U.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Marc Stefan Daetwyler,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ausweisung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 23. Juni 2011.
Sachverhalt:
A.
Der mit D. X.________ verheiratete Immobilienkaufmann C. X.________ mietete eine Wohnung in Y.________ als Familienwohnung für monatlich Fr. 4'100.--. Am 7. Februar 2011 stellte die Vermieterin U.________ ein Ausweisungsbegehren, gestützt auf einer am 21. September 2010 per 31. Januar 2011 ausgesprochenen Kündigung. Das Einzelgericht im summarischen Verfahren trat am 12. April 2011 mangels Liquidität des Sachverhalts auf das Begehren nicht ein.
Mit Urteil vom 23. Juni 2011 hiess das Obergericht (II. Zivilkammer) eine Berufung der Vermieterin gut, befahl dem Mieter und dessen Ehefrau, die Wohnung unverzüglich geräumt zu verlassen, und wies den Gemeindeammann an, den Befehl auf Verlangen der Vermieterin zu vollstrecken. Die Begründung lautet zusammengefasst wie folgt:
Die Vermieterin behauptet, sie habe unter Verwendung des offiziellen Formulars dem Mieter und dessen Ehefrau in zwei separaten eingeschriebenen Briefen ordentlich gekündigt. Aus der Bestätigung der Post ergibt sich, dass am 21. September 2010 in Z.________ zwei Sendungen gleichzeitig aufgegeben und am 29. September 2010 in Y.________ abgeholt worden sind. Die Ehefrau des Mieters hat sich nicht vernehmen lassen und den Sachverhalt somit nicht bestritten. Der Mieter seinerseits bestreitet nicht, diese Sendungen abgeholt zu haben; er bestreitet aber, dass sie die Kündigung enthielten. Er behauptet, in den Sendung hätten sich Mahnungen befunden; er machte dazu aber keine weiteren Angaben und legte die Mahnschreiben nicht ins Recht, trotz Verhandlungsmaxime. Im Lichte des von der Vermieterin in sich schlüssig vorgebrachten und soweit als möglich belegten Sachverhalts erscheint die Behauptung des Mieters als reine Schutzbehauptung, die den von der Vermieterin vorgetragenen Sachverhalt nicht derart in Zweifel zu ziehen vermag, dass er als illiquid zu betrachten wäre. Die Ausweisung kann deshalb gemäss Art. 257 ZPO im summarischen Verfahren angeordnet werden.
B.
Gegen dieses Urteil reichten der Mieter (nachfolgend: Beschwerdeführer) und seine Ehefrau (nachfolgend: Beschwerdeführerin) eine Beschwerde in Zivilsachen mit dem Antrag auf Abweisung des Ausweisungsbegehrens; sie rügen eine Verletzung von Art. 257 ZPO sowie eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts. Gleichzeitig ersuchten sie um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 3. August 2011 wurde das Gesuch der Beschwerdeführer um aufschiebende Wirkung abgewiesen.
Es wurde keine Beschwerdeantwort der Vermieterin (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) eingeholt.
Erwägungen:
1.
Strittig vor Obergericht war die Gültigkeit der Kündigung; bei einem monatlichen Mietzins von Fr. 4'100.-- ergibt sich ein Streitwert (Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) von etwa Fr. 150'000.-- (vgl. BGE 4A_189/2011 vom 4. Juli 2011 E. 1.1). Das angefochtene Urteil beendet den Rechtsstreit und stammt von einem oberen Gericht, das als Rechtsmittelinstanz geurteilt hat (vgl. Art. 75 Abs. 1 BGG). Die Beschwerde in Zivilsachen steht damit offen.
2.
Die Beschwerdeführer rügen zuerst eine Verletzung von Art. 257 Abs. 1 ZPO. Diese Bestimmung sieht unter dem Titel "Rechtsschutz in klaren Fällen" vor, dass das Gericht Rechtsschutz im summarischen Verfahren gewährt, wenn der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist und die Rechtslage überdies klar ist.
2.1 Die Anwendung dieser bundesrechtlichen Bestimmung wird frei geprüft (Art. 95 lit. a und Art. 106 Abs. 1 BGG). Es wird somit namentlich frei geprüft, ob die Vorinstanz von einem zutreffenden Begriff des sofort beweisbaren Sachverhalts ausgegangen ist und diesen richtig angewendet hat.
Die Beweiswürdigung selbst hingegen ist eine Frage der Feststellung des Sachverhalts, die der Überprüfung grundsätzlich entzogen ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer kann dagegen nur einwenden, eine tatsächliche Feststellung sei offensichtlich unrichtig, was gleichbedeutend ist mit willkürlich, oder beruhe auf einer Rechtsverletzung, insbesondere einer Verletzung des verfassungsmässigen Willkürverbots (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 135 III 127 E. 1.5).
2.2 Sofort beweisbar ist ein Sachverhalt, wenn er ohne zeitliche Verzögerung und ohne besonderen Aufwand nachgewiesen werden kann. Der Beweis ist in der Regel durch Urkunden zu erbringen; andere sofort greifbare Beweismittel sind aber nicht ausgeschlossen (vgl. Art. 254 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a ZPO).
Vorliegend ist unbestritten, dass die Beschwerdeführer die beiden eingeschriebenen Briefe der Beschwerdegegnerin entgegengenommen haben. Die Beschwerdegegnerin hat ihrem Ausweisungsbegehren Kopien der beiden Kündigungsformulare beigelegt, die nach ihrer Darstellung in den Briefen waren. Die Beschwerdeführer bestreiten, dass die Schreiben eine Kündigung enthielten; sie behaupten, es habe sich um Mahnungen gehandelt. Die angeblichen Mahnschreiben haben sie aber nicht ins Recht gelegt; sie bringen vor, keinen Grund gehabt zu haben, diese aufzubewahren. Sie haben auch keine weiteren Angaben zu deren Inhalt gemacht.
Es galt die Verhandlungsmaxime; es oblag somit den Parteien, die Tatsachen, auf die sie ihre Begehren stützten, darzulegen und die Beweismittel anzugeben (Art. 55 Abs. 1 ZPO; vgl. Art. 257 Abs. 2 ZPO). Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer ändert die Fragepflicht des Richters (Art. 56 ZPO) daran nichts, waren die Vorbringen jeder Partei doch klar und eindeutig; dass sie nicht übereinstimmten, ist unter diesem Aspekt irrelevant und in einem Prozess nicht etwa unüblich. Sodann lag entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht ein Fall vor, in welchem der Richter ausnahmsweise, trotz Geltung der Verhandlungsmaxime, von Amtes wegen Beweise zu erheben hat (Art. 153 Abs. 2 ZPO); es ging in keiner Weise um unbestrittene Tatsachen, an deren Richtigkeit erhebliche Zweifel bestehen.
Der Entscheid war somit auf Grund der Vorbringen der Parteien zu fällen. Auf dieser Grundlage aber konnte ohne zeitliche Verzögerung entschieden werden.
2.3 Die Rechtslage ist klar, wenn die Anwendung und Auslegung einer Norm, namentlich auf Grund ihres Wortlauts, der Rechtsprechung und der bewährten Lehre, zu keinem Zweifel Anlass gibt (vgl. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], BBl 2006 7352 Ziff. 5.18 zu Art. 253 E-ZPO). Das trifft vorliegend zu. Liegt der Sachverhalt so, wie ihn die Beschwerdegegnerin schildert, hat sie fristgerecht eine ordentliche Kündigung ausgesprochen und haben die Beschwerdeführer es unterlassen, diese rechtzeitig anzufechten oder eine Verlängerung der Mietdauer zu verlangen (vgl. Art. 273 OR), was die Beschwerdeführer denn auch nicht bestreiten; das Mietverhältnis wäre damit klarerweise erloschen und die Beschwerdeführer hätten folglich die Mietwohnung zu verlassen.
2.4 Der umstrittene Sachverhalt, nämlich die Entgegennahme der Kündigung durch die Beschwerdeführer am 29. September 2010, war somit sofort beweisbar und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen klar; in diesem Sinn wurde Art. 257 ZPO dadurch, dass der Ausweisungsentscheid im summarischen Verfahren erging, nicht verletzt. Damit ist noch nichts darüber gesagt, ob der umstrittene Sachverhalt auch bewiesen wurde.
3.
Die Beschwerdeführer rügen in Zusammenhang mit der Frage, ob sie die Kündigung erhalten haben, eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts. Die Anforderungen an die Begründung einer solchen Rüge sind streng (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.3); ob ihnen vorliegend Genüge getan wird, kann allerdings offen bleiben. Offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist eine Feststellung nur, wenn sie unhaltbar ist, nicht hingegen, wenn ein anderer Schluss auch möglich oder gar naheliegender wäre (BGE 135 V 2 E. 1.3 S. 4 f.; 134 II 124 E. 4.1 S. 133; 132 III 209 E. 2.1 S. 211; je mit Hinweisen).
Es entspricht der bundesgerichtlichen Praxis, dass bei nachgewiesener rechtzeitiger Aufgabe eines eingeschriebenen Briefes und substantiierten Angaben des Absenders über dessen Inhalt eine natürliche Vermutung für die Richtigkeit dieser Sachverhaltsdarstellung spricht. Dem Empfänger steht der Nachweis offen, dass der tatsächliche Inhalt der Sendung ein anderer war (Urteil 5C.97/2005 vom 15. September 2005 E. 4.4.3, in: SJ 2006 I 271; vgl. BGE 124 V 400 ff.; kürzlich Urteil 2C_259/2011 vom 26. Juli 2011 E. 4).
Der Beschwerdeführer argumentiert in der Beschwerde im Wesentlichen damit, die Vorinstanz hätte berücksichtigen müssen, dass er mit einem Gesuch um Erstreckung des Mietverhältnisses etwa drei Jahre, bei erfolgreicher Anfechtung der Kündigung infolge Kündigungsschutz bei Obsiegen in einem mietrechtlichen Verfahren sogar mehr als vier Jahre noch in der Wohnung hätte bleiben können; als Immobilienfachmann hätte er deshalb eine Kündigung nicht reaktionslos entgegengenommen. Dieser Einwand überzeugt nicht notwendigerweise. Denn es ist nicht ersichtlich, warum der Beschwerdeführer, der mit der Zahlung des Mietzinses in Verzug war, mit einer Anfechtung der ordentlichen Kündigung durchgedrungen wäre; er selber sagt hierzu nichts. Sodann ist offen, ob er eine Erstreckung erhalten hätte und gegebenenfalls für welche Dauer. Obsiegt er hingegen mit dem Einwand, die Kündigung überhaupt nicht erhalten zu haben, geniesst er effektiv den von ihm erwähnten dreijährigen Schutz vor einer neuen Kündigung (vgl. Art. 271a Abs. 1 lit. e OR). Die Interessenlage war somit keineswegs so, dass dem Beschwerdeführer notwendigerweise zu glauben war.
Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, die Beschwerdegegnerin habe sich nach der angeblichen Kündigung nicht gemeldet, um einen Übergabetermin zu vereinbaren. Es handelt sich hier um eine Tatsache, die sich im angefochtenen Urteil nicht findet und folglich unbeachtlich ist (Art. 99 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG). Davon abgesehen ergäbe sich daraus nicht der zwingende Schluss für ein bösgläubiges Verhalten der Beschwerdegegnerin, wie es der Beschwerdeführer darlegt, das darin bestanden hätte, nach Versand der strittigen Briefe zuzuwarten, bis die Fristen für eine Kündigungsanfechtung und für ein Erstreckungsgesuch abgelaufen waren, um danach wahrheitswidrig zu behaupten, in den Briefen habe sich eine Kündigung befunden.
Der Beschwerdeführer bestreitet sodann, dass die Beschwerdeführerin sich nicht habe vernehmen lassen. Aus den Akten ergebe sich, dass er sich stets auch in ihrem Namen geäussert habe. Auch wenn dem so wäre, würde dies den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Einwänden nicht mehr Bedeutung geben.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin die Entgegennahme der Schreiben durch die Beschwerdeführer am 29. September 2010 bewiesen hat und dass sie dargelegt hat, welches der Inhalt war. Die Einwände der Beschwerdeführer sind nicht derart, dass es sich aufdrängte, daran zu zweifeln, dass sich in den Schreiben die behaupteten Kündigungsformulare befanden. Die Rüge ist unbegründet.
4.
Die Beschwerde war von vornherein aussichtslos; das Gesuch um unentgeltliche Rechtsprechung wird folglich abgewiesen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Die unterliegenden Beschwerdeführer haben demzufolge die Gerichtskosten solidarisch zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 5 BGG). Da keine Beschwerdeantwort eingeholt wurde, wird der Beschwerdegegnerin keine Parteientschädigung zugesprochen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 20. September 2011
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Leemann