BGer 9C_490/2011 |
BGer 9C_490/2011 vom 22.09.2011 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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9C_490/2011 {T 0/2}
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Urteil vom 22. September 2011
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II. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
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Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
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Gerichtsschreiber Scartazzini.
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Verfahrensbeteiligte |
E.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rudolf Strehler,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
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Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
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vom 27. April 2011.
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Sachverhalt:
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A.
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Die selbstständigerwerbende Typografin E.________ (geboren 1973) meldete sich am 8. April 2005 für die Folgen eines am 27. April 2000 erlittenen Flugunfalles zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führte medizinische und beruflich-erwerbliche Abklärungen durch. Mit Verfügung vom 24. Juli 2007 wurde der Anspruch auf berufliche Massnahmen und mit Verfügung vom 25. Juli 2007 der Anspruch auf eine Invalidenrente abgewiesen (Invaliditätsgrad von 16 %). Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 26. Februar 2009 insofern teilweise gut, als die Angelegenheit zur Durchführung ergänzender Abklärungen an die IV-Stelle zurückgewiesen wurde. Gestützt auf ein von der X.________ Treuhand AG, am 30. August 2009 erstattetes betriebswirtschaftliches Gutachten betreffend die Einzelfirma C.________ wies die IV-Stelle das Rentenbegehren der Versicherten nach Feststellung eines Invaliditätsgrades von 27 % mit Verfügung vom 22. März 2010 ab.
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B.
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E.________ liess dagegen Beschwerde erheben und beantragen, es sei ihr ab 1. April 2001 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Mit Entscheid vom 27. April 2011 hob das kantonale Gericht die angefochtene Verfügung in teilweiser Gutheissung der Beschwerde auf. Der Beschwerdeführerin wurde eine Viertelsrente bei einem Invaliditätsgrad von 44,8 % mit Anspruch ab 1. August 2004 zugesprochen, wobei die Streitsache zur Festsetzung von Rentenhöhe und zur Prüfung und allfälliger Durchführung von Eingliederungsmassnahmen an die IV-Stelle zurückgewiesen wurde.
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C.
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E.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen sei ihr nach Aufhebung des angefochtenen Entscheides ab 1. August 2004 eine Viertelsrente, ab 1. Januar 2009 eine halbe Rente und ab 1. Januar 2011 eine Dreiviertelsrente zuzusprechen.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393).
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2.
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Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Januar 2009 bzw. 2011 eine höhere Invalidenrente als eine Viertelsrente beanspruchen kann.
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3.
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3.1 Der angefochtene Entscheid hält fest, im betriebswirtschaftlichen Gutachten sei davon ausgegangen worden, dass sich die Einzelfirma der Beschwerdeführerin ab dem Start im Jahr 1999 von einem Umsatz von rund Fr. 91'100.- und einem Betriebsgewinn von knapp Fr. 23'000.- bis zum Endausbau im Jahr 2012 mit zwei bis drei Mitarbeitenden zu einem Umsatz von Fr. 532'000.- und einem Betriebsgewinn von Fr. 95'000.- entwickelt hätte. Bis zum Jahr 2004 sei das Gutachten davon ausgegangen, dass sich der Umsatz auf Fr. 210'000.- und der Betriebsgewinn auf Fr. 57'000.- belaufen hätten sowie die Beschwerdeführerin nach den ersten Geschäftsjahren (bis 2001) ihre Leistungs- und Kapazitätsgrenze erreicht und deshalb zur administrativen Entlastung sowie zur Auftragsausführung eine Teilzeitmitarbeiterin (50 %) eingestellt hätte. Die tatsächlich erzielten Umsätze und Betriebsgewinne bzw. -verluste bei einem 50 %-Pensum seien jedoch bei weitem hinter den prognostizierten (auf 50 % umgerechneten) Werten zurückgeblieben. Die Vorinstanz erwog sodann, im Gutachten werde diese Diskrepanz nicht erklärt. Zwar sei denkbar, dass sich Umsatz und Ergebnis infolge der gesundheitlichen Probleme gegenüber der Validensituation nur unterproportional entwickelt haben, so dass nicht ohne Weiteres von den genannten Werten auf die hypothetische Entwicklung geschlossen werden könne. Gehe man indessen von der im Gutachten vorgenommenen Berechnung der 1. Ausbaustufe bis 2004 aus (Umsatz Fr. 210'000., Betriebsgewinn Fr. 57'000.-), entspreche dies gegenüber dem tatsächlich erzielten Umsatz im Jahr 2004 von rund Fr. 64'000.- mehr als dem Dreifachen des tatsächlich erzielten Umsatzes. Eine allfällige überproportionale Auswirkung der gesundheitlichen Beschwerden auf die Fähigkeit, neue Aufträge zu akquirieren und auszuführen, erscheine damit genügend berücksichtigt. Demgegenüber erscheine die weitere im Gutachten prognostizierte Entwicklung bis 2012 mit einem Umsatz von Fr. 532'000.-, einem Betriebsgewinn von Fr. 95'000.-, der durch weitere Umsatz- und Kostenoptimierung auf Fr. 110'000.- gesteigert werden könne, sowie die Beschäftigung von zwei bis drei Mitarbeitenden, nicht mehr als überwiegend wahrscheinlich. Dass die Beschwerdeführerin in den Jahren 2001 und 2002 noch respektable Umsätze erzielt hatte, sei gemäss Bericht der Berufsberaterin vom 16. Dezember 2006 darauf zurückzuführen, dass sie als Freelancerin an einem Grossprojekt arbeiten konnte, wo sie wie eine Angestellte im Stundenlohn entlöhnt wurde. Mithin ergebe sich, dass die Versicherte ihre grössten Aufträge jeweils entweder als Freelancerin oder aber auf Grund ihrer Stellung als ehemalige Arbeitnehmerin akquirieren konnte. Die gemäss Gutachten über 2004 hinausgehende Entwicklung von Umsatz und Gewinn, mit Beschäftigung von bis zu drei Mitarbeitenden, erscheine gegenüber der bis 2004 vorgezeichneten Entwicklung als zu vage, zumal das Gutachten selber davon ausgehe, dass eine Unternehmensgrösse mit drei bis vier Personen (inkl. Unternehmerin) oder mehr in der Werbebranche relativ selten sei und es einer aussergewöhnlichen Leistung bedürfe, um eine solche Unternehmensgrösse zu erreichen. Ausserdem werde im Gutachten festgehalten, dass aufgrund der kurzen Zeitspanne von 16 Monaten selbstständiger Erwerbstätigkeit die Unternehmensentwicklung "mit einer sehr grossen Unsicherheit" behaftet sei. Das Gutachten erläutere nicht näher, aus welchen Gründen bei der Beschwerdeführerin eine überdurchschnittliche Entwicklung stattgefunden hätte. Es sei daher davon auszugehen, dass die Versicherte ab dem Jahr 2004 als selbstständige Unternehmerin ein Einkommen von Fr. 57'000.- erzielt hätte, welches zusammen mit dem zusätzlichen Einkommen aus der Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin ein Valideneinkommen von Fr. 60'340.- ergebe.
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3.2 Die Beschwerdeführerin macht geltend, die vom Gericht in Abweichung vom betriebswirtschaftlichen Gutachten vom 30. August 2009 gemachten Feststellungen seien offensichtlich unrichtig, weil es davon ausging, dass sich ihr Betrieb nach der darin bis 2004 vorgezeichneten Prognose nicht mehr weiter entwickelt hätte. Sie bringt vor, die Aktivitäten nach dem am 27. April 2000 erlittenen Flugunfall könnten in keiner Weise den Gradmesser für die hypothetische betriebliche Umsatzentwicklung darstellen. Der betriebswirtschaftliche Gutachter habe bis zum Jahr 2008 einen Umsatz von Fr. 325'000.-, bis 2009 von Fr. 364'000.- und bis 2012 einen solchen von Fr. 532'000.- prognostiziert. Bei den vorinstanzlichen Abweichungen von den Erkenntnissen im Gutachten werde nicht berücksichtigt, dass von Beginn der selbstständigen Erwerbstätigkeit bis zum Flugunfall lediglich 16 Monate verstrichen waren. Nach diesem Ereignis sei sie für rund neun Monate zu 100 % und anschliessend zu 50 % arbeitsunfähig gewesen. Der Arbeitsausfall habe für die neu aufgebauten Kundenbeziehungen zu lange gedauert und die weitere Entwicklung ihrer Einzelfirma sei zu ungewiss gewesen, sodass sich die Kunden neue Werbepartner gesucht hätten. Ab 2004 habe sich der Stundenansatz gemäss Gutachten von Fr. 120.- auf Fr. 130.- erhöht, was selbst bei gleich bleibender Anzahl Arbeitsstunden einen Umsatz von Fr. 210'000.- auf Fr. 227'500.- bewirkt und selbst ohne Mehrakquisitionen zu einem Invaliditätsgrad von 58 % geführt hätte. Zudem müsse davon ausgegangen werden, dass sie bei vollständig stagnierendem Betriebsgewinn ab 2004 ihr Geschäft aufgegeben hätte und ausschliesslich im Anstellungsverhältnis tätig gewesen wäre, in welchem sie im Jahr 2008 einen branchenüblichen Lohn von Fr. 77'880.- erzielt und ihr Invaliditätsgrad ebenfalls 58 % betragen hätte. Schliesslich würden zum unbestrittenen Betriebsgewinn von Fr. 77'600.- ab 2010 und von Fr. 86'200.- ab 2011 jeweils die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit als Erwachsenenbildnerin von jährlich Fr. 3'340.- kommen. Daraus ergebe sich ab 1. August 2004 ein Anspruch auf eine Viertelsrente (45 %), ab 1. Januar 2009 auf eine halbe Rente (54 bzw. 59 %) und ab 1. Januar 2011 auf eine Dreiviertelsrente (63 %).
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3.3 Die Vorbringen der Beschwerdeführerin beschränken sich im Wesentlichen auf appellatorische Tatsachenkritik an der vorinstanzlichen Beweiswürdigung, die, selbst wenn sie zuträfe, keine Bundesrechtsverletzung und auch keine qualifiziert unrichtige Tatsachenerhebung darstellt (vgl. E. 1). Insbesondere kann von einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsermittlung dort nicht die Rede sein, wo das Gericht mit nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen dartut, warum es für die Bestimmung des Valideneinkommens als Tatfrage (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399) nicht den Angaben des (betriebswirtschaftlichen) Gutachtens folgt. Die Vorinstanz hat nicht übersehen, dass die Aktivitäten nach dem Unfallereignis nicht unmittelbarer Gradmesser sein können. Die Auswirkungen der gesundheitlichen Beschwerden auf die Fähigkeit neue Aufträge zu akquirieren und auszuführen, hat sie mit der Annahme des Dreifachen des tatsächlich erzielten Umsatzes als genügend berücksichtigt betrachtet. Die Beschwerdeführerin äussert sich nicht weiter zu dieser masslichen Grösse. Ebenso wenig blieb in den Ausführungen des kantonalen Gerichts unberücksichtigt, dass von Beginn der selbstständigen Tätigkeit bis zum Flugzeugabsturz lediglich 16 Monate verstrichen waren. Dieser Umstand ändert indessen - in Übereinstimmung mit der Vorinstanz - nichts daran, dass es an einer hinreichenden Erklärung fehlt, übrigens auch seitens der Beschwerdeführerin, weshalb bei der Versicherten nach 2004 eine überdurchschnittliche Entwicklung stattgefunden haben soll. Nachdem die vom Gutachter erwähnte Erhöhung des Stundenansatzes von Fr. 120.- auf Fr. 130.- mit dieser - wenig wahrscheinlichen - Expansion zusammenhängt, hat dieser finanzielle Aspekt zu Recht keinen Eingang in die vorinstanzlichen Erwägungen gefunden. Dass sich die daraus resultierende Umsatzzunahme vollumfänglich im Betriebserfolg neidergeschlagen hätte, wie die Beschwerdeführerin zudem behauptet, entbehrt jeglicher Grundlage.
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Insoweit die Beschwerdeführerin schliesslich geltend macht, sie hätte sich als Gesunde nicht freiwillig mit einem erheblich tieferen Einkommen begnügt, als es im Angestelltenverhältnis erzielbar gewesen wäre, so handelt es sich um ein neues Vorbringen, das unzulässig ist, zumal sie nicht darlegt, weshalb erst der vorinstanzliche Entscheid dazu Anlass gegeben hat (vgl. Art. 99 Abs. 1 BGG; Urteile 4D_150/2009 vom 15. März 2010 und 5A_103/2010 vom 19. Februar 2010 E. 3.1 in fine). Abgesehen davon liefert die Beschwerdeführerin keinerlei Argumente oder Anhaltspunkte, die ihre Behauptung untermauern. Die Beschwerde führende Person hat auch im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes die rechtserheblichen Tatsachen zu substanziieren und zu belegen (Urteil 9C_211/2011 vom 5. Juli 2011 E. 4.4.2).
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4.
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Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 22. September 2011
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Meyer
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Der Gerichtsschreiber: Scartazzini
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