BGer 2C_273/2011
 
BGer 2C_273/2011 vom 05.10.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
2C_273/2011
Urteil vom 5. Oktober 2011
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Karlen,
Gerichtsschreiber Winiger.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,
gegen
Migrationsamt des Kantons St. Gallen,
Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen.
Gegenstand
Widerruf der Aufenthaltsbewilligung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Februar 2011.
Erwägungen:
1.
1.1 Der mazedonische Staatsangehörige X.________ (geb. 1987) heiratete am 18. Oktober 2005 in seinem Heimatstaat die in A.________ niedergelassene britische Staatsangehörige Y.________ (geb. 1987). X.________ reiste am 27. Februar 2006 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein, worauf ihm das Ausländeramt des Kantons St. Gallen eine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA erteilte. Am 30. April 2007 meldete sich die Ehefrau von A.________ in den Kanton Zürich ab; ihr Ehemann blieb in A.________ wohnhaft.
1.2 Mit Verfügung vom 7. Januar 2010 widerrief das Ausländeramt die Aufenthaltsbewilligung von X.________. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, er sei eine Scheinehe eingegangen. Die hiergegen gerichteten kantonalen Rechtsmittel an das Sicherheits- und Justizdepartement bzw. das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen blieben ohne Erfolg.
1.3 Mit Beschwerde vom 28. März 2011 beantragt X.________ vor Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Februar 2011 aufzuheben und seine Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA nicht zu widerrufen.
Das Verwaltungsgericht und das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen sowie das Bundesamt für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde.
2.
Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten, liegt doch kein Unzulässigkeitsgrund im Sinne von Art. 83 BGG vor; insbesondere kommt Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG (Fehlen eines Anspruchs auf Erteilung oder Erneuerung einer ausländerrechtlichen Bewilligung) nicht zur Anwendung: Angefochten ist ein Entscheid über den Widerruf einer Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA. Da die niedergelassene Ehefrau EU-Bürgerin ist, kommt hier das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits vom 21. Juni 1999 über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) zur Anwendung. Gemäss Art. 3 Abs. 1 des Anhangs I zum FZA haben die Familienangehörigen einer Person, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens ist und ein Aufenthaltsrecht hat, das Recht, bei ihr Wohnung zu nehmen. Um auf die Beschwerde unter dem Gesichtswinkel von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG einzutreten, genügt praxisgemäss der formelle Fortbestand der Ehe (vgl. BGE 130 II 113 E. 8.3 S. 129). Ob Gründe für den Untergang des Bewilligungsanspruchs vorliegen, ist sodann eine Frage der materiellen Streitbeurteilung.
3.
3.1 Die mehrfach erhobene Rüge des Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe die Begründungspflicht und damit seinen Gehörsanspruch verletzt, erweist sich vorab als unbegründet: Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV folgt zwar in der Tat die grundsätzliche Pflicht der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Das bedeutet indessen nicht, dass sich die Behörde mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Der Rechtsuchende soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat, damit er gegebenenfalls den Entscheid sachgerecht anfechten kann (BGE 133 I 270 E. 3.1 S. 277 mit Hinweisen). Diesen Anforderungen genügt der vorinstanzliche Entscheid.
Ebenso wenig durchzudringen vermag der Beschwerdeführer mit der Rüge, die Vorinstanz habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem seine Ehefrau nicht nochmals einvernommen worden sei bzw. er sich nicht zur Eingabe seines Arbeitgebers vom 12. November 2010 habe äussern können. Zwar umfasst der Anspruch auf rechtliches Gehör u.a. auch das Recht der Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden. Jedoch ist dieser Anspruch nicht verletzt, wenn ein Gericht deshalb auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil es aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener (antizipierter) Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148 mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen waren vorliegend ohne Weiteres erfüllt: Die Aussagen der Ehefrau liegen den Akten bei und es ist nicht ersichtlich, warum diese nochmals zu befragen ist. Die Ehefrau hat denn auch wiederholt und übereinstimmend über die Umstände der Trennung ausgesagt. Ebenso wenig hat die Vorinstanz das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass es die unaufgefordert eingereichte Stellungnahme des Arbeitgebers des Beschwerdeführers, welche diesen als arbeitsmarktmässig besonders qualifiziert darstellt (vgl. angefochtener Entscheid E. 2.5), dem Beschwerdeführer nicht zur "Stellungnahme" unterbreitete, da dieses Schreiben nicht einen rechtserheblichen Aspekt betrifft.
3.2 Gemäss Art. 51 Abs. 2 lit. a AuG erlöschen die Ansprüche (unter anderem) nach Art. 43 AuG, wenn sie rechtsmissbräuchlich geltend gemacht werden, namentlich um Vorschriften des Ausländergesetzes und seiner Ausführungsbestimmungen über die Zulassung und den Aufenthalt zu umgehen. Erfasst wird davon insbesondere die so genannte Scheinehe bzw. Ausländerrechtsehe. Ein Bewilligungsanspruch entfällt demnach, wenn zum Vornherein nie der Wille bestand, eine dauerhafte Gemeinschaft zu begründen, und der einzige Zweck der Heirat darin liegt, dem Ausländer zu einer ausländerrechtlichen Bewilligung zu verhelfen (vgl. BGE 127 II 49 E. 4a S. 55 mit Hinweisen). Selbst wenn ursprünglich keine Ausländerrechtsehe eingegangen worden ist, kann sich die Berufung auf die gesetzliche Anspruchsnorm als rechtsmissbräuchlich erweisen. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt Rechtsmissbrauch vor, wenn der Ausländer sich auf eine Ehe beruft, die nur noch formell besteht, weil entweder ihm selber jeglicher Wille zum Führen der ehelichen Gemeinschaft fehlt oder für ihn erkennbar ist, dass keine ernsthafte Aussicht auf ein (weiteres) eheliches Zusammenleben bzw. auf die Führung einer Lebensgemeinschaft mit dem schweizerischen Ehegatten mehr besteht, wobei es auf die Ursachen der Trennung nicht ankommt. Das durch die Rechtsordnung vorgesehene Anwesenheitsrecht kann nicht unabhängig vom Bestand einer ehelichen Beziehung beansprucht werden (BGE 130 II 113 E. 4.2 S. 117 mit Hinweisen). In Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften hat das Bundesgericht erkannt, dass diese aus dem allgemeingültigen Rechtsmissbrauchsverbot abgeleiteten Grundsätze auch bei der Anwendung von Art. 3 des Anhangs I FZA Geltung haben. Der mit einer EU-Bürgerin verheiratete Drittstaatsangehörige kann aus dieser Norm keinen Bewilligungsanspruch ableiten, wenn er sich auf eine jeglichen Inhalts entleerte Ehe beruft, die bloss noch auf dem Papier besteht (BGE 130 II 113 E. 9 und 10 S. 129 ff.; Urteil 2A.131/2005 vom 14. September 2005 E. 2.2; je mit Hinweisen).
3.3 Das Vorliegen einer Ausländerrechtsehe darf nicht leichthin angenommen werden (vgl. BGE 128 II 145 E. 2.2 S. 151). Ob eine solche geschlossen wurde, entzieht sich oft einem direkten Beweis und ist bloss durch Indizien zu erstellen. Feststellungen des kantonalen Richters über das Bestehen von solchen Hinweisen können äussere Gegebenheiten, aber auch innere psychische Vorgänge betreffen (Wille der Ehegatten). In beiden Fällen handelt es sich um tatsächliche Feststellungen, welche für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich sind (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.).
3.4 Das angefochtene Urteil geht zutreffend von diesen rechtlichen Vorgaben aus. Als Indizien für das Vorliegen einer Scheinehe führen die kantonalen Behörden auf: die ausländerrechtliche Interessenlage (angefochtener Entscheid E. 2.3.1), die unterschiedlichen Angaben zum Kennenlernen und die Eheschliessung nach nur zweimaligen gemeinsamen Ferienaufenthalten (angefochtener Entscheid E. 2.3.2), die erheblichen Widersprüche zur Hochzeit (angefochtener Entscheid E. 2.3.3), die unklare Wohnsituation und den Bezug getrennter Wohnungen (angefochtener Entscheid E. 2.3.4 und 2.3.5), auffällige Wissenslücken (erstes Treffen, Heiratsantrag, bevorzugtes Essen, Rauchverhalten, Geburtstagsdatum) bzw. Desinteresse in Bezug auf den Ehepartner (Verzicht auf Hochzeitsfest, fehlende gemeinsame Ferien und Bekanntschaften) (angefochtener Entscheid E. 2.3.6) sowie schliesslich die Aussagen der Ehefrau, die Ehe gehe nicht mehr weiter und die Beziehung sei zu Ende (angefochtener Entscheid E. 2.3.4 und 2.3.6). Es kann diesbezüglich vollumfänglich auf die detaillierten, für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. E. 3.3 hiervor) verwiesen werden.
Der Beschwerdeführer setzt sich mit den Erwägungen der Vorinstanz betreffend seine im kantonalen Rechtsmittelverfahren erhobenen Rügen nicht genügend auseinander, sondern wiederholt im Wesentlichen einzig, was er bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorbrachte. So geht er beispielsweise nicht substantiell auf die Feststellung des Verwaltungsgerichts ein, die Ehefrau habe ausgesagt, ihren Ehemann durch den Bruder des Beschwerdeführers kennengelernt zu haben, wohingegen der Beschwerdeführer angab, seine Frau sei mit seinem Cousin in Mazedonien gewesen. Er setzt sich ebenfalls nicht mit der Feststellung der Vorinstanz auseinander, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe - im Widerspruch zu den Aussagen des Beschwerdeführers - erklärt, der Beschwerdeführer könne kein Englisch. Diesbezüglich bringt der Beschwerdeführer lediglich vor, die Vorinstanz habe aus der Einvernahme nur die Aussagen "herausgepickt", welche nicht exakt übereingestimmt hätten.
Wesentlich erscheint sodann insbesondere, dass die Eheleute die gemeinsame Wohnung - falls sie eine solche überhaupt je bewohnten - leichthin aufgaben, nachdem die Ehefrau des Beschwerdeführers eine Stelle im Kanton Zürich gefunden hatte. Weiter steht fest, dass die Eheleute aussagten, sie hätten keine gemeinsamen Hobbys und auch nie gemeinsame Ferien verbracht. Für alles Weitere kann auf die überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.
3.5 Was der Beschwerdeführer vorbringt, vermag insgesamt die von der Vorinstanz vorgenommene ausführliche und detaillierte Würdigung der verschiedenen für eine Scheinehe sprechenden Indizien nicht zu erschüttern. Es liegt weder eine willkürliche Sachverhaltsermittlung noch eine willkürliche Beweiswürdigung vor. Nachdem der Beschwerdeführer insbesondere den Nachweis für eine gelebte Ehegemeinschaft nicht erbracht hat, ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht aufgrund der gesamten Umstände geschlossen hat, der Beschwerdeführer sei mit Y.________ die Ehe bloss eingegangen, um sich ein Anwesenheitsrecht in der Schweiz zu verschaffen.
3.6 Der Widerruf der Aufenthaltsbewilligung ist schliesslich auch verhältnismässig: Das "eheliche" Zusammenleben in der Schweiz hat vorliegend maximal vierzehn Monate gedauert. Bei seiner Einreise war der Beschwerdeführer erst 19 Jahre alt; er hat während seines hiesigen Aufenthalts die Kontakte zu seinem Heimatland gewahrt, ist der dortigen Sprache mächtig und mit den Verhältnissen in seiner Heimat nach wie vor vertraut. Es ist ihm deshalb zuzumuten, dorthin zurückzukehren.
3.7 Durch den Widerruf der Aufenthaltsbewilligung haben die kantonalen Behörden somit kein Recht im Sinne von Art. 95 BGG verletzt. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet. Sie ist daher im vereinfachten Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen.
4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt, dem Sicherheits- und Justizdepartement und dem Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sowie dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Oktober 2011
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Winiger