BGer 1B_538/2011
 
BGer 1B_538/2011 vom 17.10.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
1B_538/2011
Urteil vom 17. Oktober 2011
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Merkli,
Gerichtsschreiber Mattle.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Dr. Nicolas Roulet,
gegen
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft,
Hauptabteilung Arlesheim, Kirchgasse 5, Postfach,
4144 Arlesheim.
Gegenstand
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug,
Beschwerde gegen den Beschluss vom 16. August 2011 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft,
Abteilung Strafrecht.
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz am 8. Februar 2011 in Untersuchungshaft genommen. Seit dem 3. Mai 2011 befindet er sich in der Strafanstalt Wauwilermoos im vorzeitigen Strafvollzug.
B.
Am 18. Mai 2011 beantragte X.________ bei der Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft Haftentlassung. Die Staatsanwaltschaft leitete das Haftentlassungsgesuch an das Zwangsmassnahmengericht Basel-Landschaft weiter und beantragte dessen Abweisung. Das Zwangsmassnahmengericht wies das Entlassungsgesuch am 27. Mai 2011 ab.
C.
Eine von X.________ gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft am 16. August 2011 ab.
D.
Gegen den Beschluss des Kantonsgerichts gelangt X.________ mit Beschwerde in Strafsachen vom 29. September 2011 ans Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und seine Entlassung aus dem vorläufigen Strafvollzug.
E.
Die Vorinstanz beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Vernehmlassung. Mit Stellungnahme vom 10. Oktober 2011 hält der Beschwerdeführer an der Beschwerde fest.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Beschluss des Kantonsgerichts betrifft die Fortsetzung des vorzeitigen Strafvollzugs. Angefochten ist somit ein letztinstanzlicher kantonaler Entscheid in einer Strafsache, gegen den gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen offen steht. Nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde gegen den selbstständig eröffneten Zwischenentscheid zulässig, da die Fortsetzung der Haft einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (vgl. Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.1). Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG beschwerdebefugt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
Ein sich im vorzeitigen Strafvollzug befindender Angeschuldigter ist berechtigt, jederzeit ein Begehren um Entlassung aus der Haft bzw. dem vorzeitigen Strafvollzug zu stellen. Da dieser Vollzug seine Grundlage nicht in einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil hat, kann er gegen den Willen des Betroffenen nur so lange gerechtfertigt sein, als die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft gegeben sind (BGE 117 Ia E. 1c und d S. 76 ff.).
Bei der Untersuchungshaft handelt es sich um eine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 ff. StPO (SR 312.0). Strafprozessuale Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden, die in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und dazu dienen, Beweise zu sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen oder die Vollstreckung des Endentscheids zu gewährleisten (Art. 196 lit. a-c StPO). Die Auslegung und die Anwendung der im Bundesrecht geregelten Voraussetzungen für die Grundrechtsbeschränkungen prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (Art. 95 lit. a BGG; vgl. BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 269). Mit dem Entscheid über strafprozessuale Zwangsmassnahmen wird über die Grundrechtsbeschränkung definitiv entschieden. Somit stellen diese Zwangsmassnahmen keine vorsorglichen Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar. Die nach dieser Bestimmung vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe und das über die Begründungspflicht nach Art. 42 Abs. 2 BGG hinausgehende Rügeprinzip im Sinne von Art. 106 Abs. 2 BGG sind demnach nicht anwendbar (vgl. Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.2 mit Hinweisen).
3.
Nach Art. 221 Abs. 1 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem Flucht-, Kollusions- oder Wiederholungsgefahr vorliegt. Ausserdem ist Haft zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahrmachen (Art. 221 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er rügt jedoch, die Vorinstanz habe den Haftgrund Wiederholungsgefahr zu Unrecht bejaht.
3.1 Der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist gegeben, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die beschuldigte Person durch Verbrechen oder schwere Vergehen (vgl. dazu BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.) die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO). Nach der Praxis des Bundesgerichts kann die Anordnung bzw. Fortsetzung von strafprozessualer Haft wegen Wiederholungsgefahr dem Verfahrensziel der Beschleunigung dienen, indem verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist nicht verfassungs- und grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, Beschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 mit Hinweis).
3.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe früher nicht mehrfach gleichartige Straftaten verübt. Bei den Straftaten, für die er rechtskräftig verurteilt worden sei, handle es sich lediglich um einfache Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie um Delikte, die vorliegend irrelevant seien. Eine qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz werde ihm im laufenden Strafverfahren erstmals vorgeworfen, wobei sämtliche ihm zum Vorwurf gemachten Teilhandlungen als Ganzes betrachtet werden müssten.
Bei den Vortaten muss es sich um Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter gehandelt haben. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt, sofern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Der Nachweis, dass die beschuldigte Person eine Straftat verübt hat, gilt bei einem glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 86 mit Hinweisen). Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr kann unter Umständen auch schon gegeben sein, wenn die beschuldigte Person früher nur eine gleichartige Straftat verübt hat (Urteil 1B_133/2011 vom 12. April 2011 E. 4.7). Bei akut drohenden Schwerverbrechen könnte nach der Praxis des Bundesgerichtes unter bestimmten Voraussetzungen sogar ausnahmsweise auf das Vortatenerfordernis ganz verzichtet werden (vgl. BGE 137 IV 13 E. 3-4 S. 18 ff.).
Die Vorinstanz stellte im angefochtenen Entscheid in tatsächlicher Hinsicht fest, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 2006 sowie 2008 wegen verschiedener Delikte, unter anderem mehrfach wegen Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz, verurteilt worden ist. Im laufenden Strafverfahren hat er sodann ein umfassendes Geständnis abgelegt, von Mitte Februar 2009 bis Ende November 2009 Marihuana verkauft zu haben. Schliesslich wird ihm vorgeworfen, noch während des Untersuchungsverfahrens Marihuana im zweistelligen Kilobereich angebaut zu haben. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer mehrfach Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz verübt hat. Bei den Delikten, die sich aus den rechtskräftig abgeschlossenen früheren sowie aus dem laufenden Strafverfahren ergeben, handelt es sich jedenfalls um schwere Vergehen (Art. 19 Abs. 1 und 2 BetmG [SR 812.121] i.V.m. Art. 10 StGB). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer bis zum heutigen Zeitpunkt zwar mehrfach wegen Widerhandlungen, aber noch nie wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig verurteilt worden ist, zumal der Nachweis der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im laufenden Strafverfahren angesichts des Geständnisses des Beschwerdeführers als erbracht gelten kann und ausserdem auch schwere Vergehen als Vortaten im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO genügen. Das Erfordernis der Gleichartigkeit ist erfüllt. Unerheblich ist unter den gegebenen Umständen, ob die dem Beschwerdeführer im laufenden Strafverfahren vorgeworfenen Handlungen als Ganzes betrachtet werden müssen oder nicht.
3.3 Die Begehung der in Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO genannten Delikte muss ernsthaft zu befürchten sein. Erforderlich ist eine sehr ungünstige Rückfallprognose. Dabei sind insbesondere die Häufigkeit und Intensität der untersuchten Delikte sowie die einschlägigen Vorstrafen zu berücksichtigen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 86). Dass der Beschwerdeführer im Falle einer Haftentlassung erneut qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und damit gleichartige Verbrechen oder schwere Vergehen im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO begehen würde, ist ernsthaft zu befürchten. Angesichts der einschlägigen Vorstrafen des Beschwerdeführers, des Marihuanaverkaufs im Jahr 2009 und des Umstands, dass er sich trotz der laufenden Strafuntersuchung nicht davon abhalten liess, Marihuana im zweistelligen Kilobereich anzubauen, erweist sich die Rückfallprognose für den Beschwerdeführer als sehr ungünstig. An der sehr ungünstigen Prognose ändern auch die Einwände des Beschwerdeführers nichts, er könnte im Falle einer Haftentlassung sofort bei seinem Bruder ein regelmässiges Erwerbseinkommen erzielen und er verfüge auch heute noch über eine eigene Wohnung.
3.4 Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, der gewerbsmässige Handel mit Cannabis bzw. Marihuana stelle keine erhebliche Gefahr für die Sicherheit von Privatpersonen dar, zumal der Handel mit Hanf nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts keinen qualifizierten Fall von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG darstellen könne.
Die erhebliche Gefährdung der Sicherheit anderer durch drohende Verbrechen und schwere Vergehen bezieht sich nicht nur auf Delikte gegen Leib und Leben. In Betracht kommen angesichts der von Betäubungsmitteln ausgehenden Gesundheitsgefährdung auch Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. Insbesondere kann auch der banden- oder gewerbsmässige Handel mit Cannabis bzw. Marihuana eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit anderer darstellen (vgl. Urteil 1B_126/2011 E. 3.7). Daran ändert der Umstand nichts, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ein mengenmässig qualifizierter Fall gemäss Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG bei Cannabis ausgeschlossen ist, weil die Gesundheitsgefährdung, welche vom Konsum von Cannabis ausgeht, als vergleichsweise gering zu bewerten ist. Zwar ist Cannabis nicht geeignet, die körperliche und seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen. Cannabis ist aber in gesundheitlicher Hinsicht nicht unbedenklich, insbesondere nicht für Jugendliche mit grösseren Schwierigkeiten. Den Cannabis-Produkten wohnen nicht vernachlässigbare Gefahren und Risiken inne (BGE 120 IV 256 E. 2b S. 258 f.).
Die im Falle einer Entlassung des Beschwerdeführers aus dem vorzeitigen Strafvollzug ernsthaft zu befürchtenden qualifizierten Wiederhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, insbesondere der banden- oder gewerbsmässige Handel mit Cannabis bzw. Marihuana, gefährden die Gesundheit der potenziellen Konsumenten in nicht vernachlässigbarer Weise. Zumindest für gewisse Personen stellen solche Delikte eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO dar.
4.
Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig. Er ersucht indes um unentgeltliche Rechtspflege. Da die Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
2.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
2.2 Advokat Nicolas Roulet wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Oktober 2011
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Mattle