Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_446/2011
Urteil vom 15. November 2011
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.
Verfahrensbeteiligte
Pensionskasse Caritas,
Löwenstrasse 3, Postfach, 6000 Luzern 5, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mark Kurmann,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
2. D.________, vertreten durch Rechtsanwalt Peter von Moos,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 2. Mai 2011.
Sachverhalt:
A.
Die 1977 geborene D.________ absolvierte vom 16. August 1998 bis 15. August 2001 bei der Firma X.________ eine Lehre als kaufmännische Angestellte. Vom 1. Juli bis 30. September 2001 war sie in einem Pensum von 50 % als Bereichssekretärin in der Abteilung Kommunikation der Firma X.________ tätig und bei der Pensionskasse Caritas für die berufliche Vorsorge versichert. Am 2. Juli 2002 meldete sich D.________ unter Hinweis auf ein psychisches Leiden und fehlende körperliche Belastbarkeit bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach umfangreichen Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht sprach die IV-Stelle Luzern D.________ rückwirkend ab 1. Oktober 2002 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine halbe Invalidenrente zu (Verfügungen vom 19. August und 12. Oktober 2005), unterbrochen von der Periode der Taggeldzahlung (September 2004 bis Januar 2005) während der Dauer der beruflichen Abklärung. Gegen die Verfügung vom 12. Oktober 2005 erhob die Pensionskasse Caritas Einsprache und gegen den ablehnenden Einspracheentscheid vom 29. November 2006 Beschwerde. Diese hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 11. März 2008 in dem Sinne gut, dass es den angefochtenen Einspracheentscheid aufhob und die Sache an die IV-Stelle zurückwies, damit sie nach medizinischen Abklärungen zum Beginn der Wartezeit und zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit neu verfüge. Nach Beizug von Berichten der behandelnden Ärzte und einer Expertise des Instituts Y.________ vom 31. März 2009 sprach die IV-Stelle D.________ mit Verfügung vom 17. September 2009 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % ab 1. Juni 2008 weiterhin eine halbe Invalidenrente zu, nachdem sie die laufende Rente zunächst gestützt auf den Entscheid des Verwaltungsgerichts auf Ende Mai 2008 eingestellt hatte.
B.
D.________ liess beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern Beschwerde führen mit dem Antrag, unter Aufhebung der Verfügung vom 17. September 2009 sei ihr eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. Mit einer weiteren Verfügung vom 3. Februar 2010 sprach die IV-Stelle der Versicherten für den Zeitraum ab 1. Oktober 2002 bis 31. Januar 2010 eine halbe Rente zu, weil sie in der angefochtenen Verfügung vom 17. September 2009 nur ab 1. Juni 2008 über den Invalidenrentenanspruch verfügt hatte. Im Übrigen schloss sie auf Abweisung der Beschwerde.
Am 9. Februar 2010 lud das Verwaltungsgericht die Pensionskasse Caritas zum Verfahren bei und räumte ihr die Gelegenheit ein, zur Beschwerde und zur Vernehmlassung Stellung zu nehmen. Hievon machte die Pensionskasse mit Eingabe vom 13. März 2010 Gebrauch. Mit Entscheid vom 2. Mai 2011 wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die Pensionskasse Caritas, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der lite pendente erlassenen Verfügungen vom 26. Januar und 3. Februar 2010 sei festzustellen, dass die Wartezeit gemäss Art. 29 IVG bzw. die Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, nicht vor dem 1. November 2001 begonnen hat.
D.________ lässt beantragen, auf das beschwerdeweise gestellte Feststellungsbegehren sei nicht einzutreten, während die übrigen Rechtsbegehren abzuweisen seien; ferner ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
2.1 Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob das bei ihm erhobene Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 II 94 E. 1 S. 96, 135 III 1 E. 1.1 S. 3, 134 V 138 E. 1 S. 140). Nach Art. 89 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a); durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist (lit. b); und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (lit. c).
2.2 Der Beschwerdeführerin wurde zum vorinstanzlichen Verfahren beigeladen und ist durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt, muss sie sich doch nach Einbezug in das Verfahren diesen bei Nichtanfechtung entgegen halten lassen. Denn im Bereich der obligatorischen beruflichen Vorsorge sind die Vorsorgeeinrichtungen nach der Rechtsprechung an die Feststellungen der IV-Organe gebunden, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar sind (BGE 133 V 67 E. 4.3.2 S. 69 mit Hinweisen, 132 V 1 E. 3.2 S. 4). Dem Einwand der Versicherten sodann, mit welchem der Pensionskasse sinngemäss ein schutzwürdiges Interesse an der Änderung des angefochtenen Entscheides abgesprochen wird, weil sie ein Feststellungsbegehren gestellt habe, ohne ein entsprechendes Interesse zu besitzen, kann nicht beigepflichtet werden. Der als Feststellungsbegehren formulierte Antrag der Pensionskasse auf Festsetzung der Eröffnung der Wartezeit auf ein Datum ab 1. November 2001 betrifft den Rentenbeginn als Teilaspekt des streitigen Leistungsanspruchs und bildet somit Anfechtungs- und Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren. Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
3.
Zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht bezüglich des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit und des Beginns der einjährigen Wartezeit nach Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in der vorliegend anwendbaren, bis 31. Dezember 2007 gültig gewesenen Fassung) zu Recht das Datum des 1. Oktober 2001 als massgebend erachtet hat.
3.1 Die Vorinstanz ging gestützt auf die medizinischen Unterlagen, insbesondere das Gutachten des Instituts Y.________ vom 31. März 2009 und den Bericht der Hausärztin Frau Dr. med. K.________ vom 6. Juli 2008 davon aus, dass die Versicherte seit 1. Oktober 2001 sowohl in ihrer angestammten Tätigkeit als kaufmännische Angestellte als auch in einer angepassten Arbeit nur hälftig einsatz- und leistungsfähig sei. Gemäss den frühesten Einschätzungen der Frau Dr. K.________ (Zeugnis vom 28. Juni 2002, bestätigt im Bericht vom 18. August 2002) ist der Eintritt der Arbeitsunfähigkeit laut angefochtenem Entscheid auf 1. Oktober 2001 festzusetzen. Dieses Datum stimme, wie das kantonale Gericht weiter erwogen hat, mit dem Krankheitsverlauf überein, habe sich doch das Krankheitsbild im Verlaufe des Monats September 2001 manifestiert.
3.2 Nach Auffassung der Beschwerdeführerin ist die teilweise Arbeitsunfähigkeit der Versicherten erst nach Ende Oktober 2001 eingetreten. Die gesundheitlichen Störungen, die sich seit Januar 2001 manifestierten, hätten die berufliche Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt. Die Vorinstanz habe sich mit der beschwerdeweise vorgetragenen Argumentation nicht auseinandergesetzt und damit ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Das psychische Leiden sei erstmals am 18. Juni 2002 im Psychiatriezentrum des Kantonsspitals Luzern diagnostiziert worden, wobei keine Aussagen über den Beginn der Arbeitsunfähigkeit gemacht wurden. Ferner unterstellt die Pensionskasse der Hausärztin, den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit aus versicherungsrechtlichen Gründen auf den 1. Oktober 2001 festgelegt zu haben, als die einmonatige Nachdeckungsfrist nach BVG lief. Das Institut Y.________ habe sich einzig auf die Aussagen der Frau Dr. K.________ stützen können. Bis Ende September 2001 habe keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, weshalb es willkürlich sei, eine solche ab 1. Oktober 2001 anzunehmen.
4.
Die Vorinstanz hat im Rahmen von Art. 97 Abs. 1 und 105 Abs. 1 BGG verbindlich festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin seit 1. Oktober 2001 durchschnittlich zu mindestens 50 % arbeitsunfähig war. Sie hat sich dabei insbesondere auf das Gutachten des Instituts Y.________ und Bescheinigungen der Hausärztin Frau Dr. med. K.________ (vom 28. Juni und 18. August 2002) gestützt, welche am nächsten beim fraglichen Zeitpunkt liegen. Inwiefern diese medizinisch abgestützte Sachverhaltsfeststellung offensichtlich unrichtig sein soll, vermag die Pensionskasse nicht darzutun. Insbesondere ist sie nicht in der Lage, echtzeitliche ärztliche Stellungnahmen zu nennen, welche abweichend von Frau Dr. med. K.________ den Beginn der Einschränkung in der Arbeitsfähigkeit auf einen späteren Zeitpunkt festgelegt hätten. Wenn die Beschwerdeführerin es als fragwürdig erachtet, dass die Arbeitsunfähigkeit ausgerechnet am 1. Oktober 2001, bei Beendigung der Tätigkeit der Versicherten bei der Firma X.________, einsetzte, während in den Monaten zuvor keine Einschränkung festgestellt worden war, mag ihr ein gewisses Verständnis entgegengebracht werden. Die Folgerungen der Pensionskasse, es sei "im Juni 2002 eine gezielte, zusammenhängende Aktion zur sozialen Absicherung von D.________" angelaufen, ist indessen spekulativ. Zusätzliche Argumente, welche darauf schliessen lassen, dass die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Datum des Eintritts einer iv-rechtlich massgebenden Arbeitsunfähigkeit offensichtlich unrichtig festgestellt hat, vermag die Pensionskasse nicht anzuführen. In weiten Teilen erschöpfen sich ihre Vorbringen in einer im Rahmen der gesetzlichen Überprüfungsbefugnis (E. 1 hievor) unzulässig appellatorischen Kritik an der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Wenn sich die Vorinstanz nicht mit sämtlichen Argumenten der Pensionskasse auseinandergesetzt hat, hat sie deren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Denn das Gericht ist nicht gehalten, sich mit sämtlichen vorgebrachten Argumenten zu befassen. Es kann sich darauf beschränken, die wesentlichen Vorbringen zu behandeln. Erforderlich ist, dass dem angefochtenen Entscheid die Gründe entnommen werden können, auf welchen er beruht. Dies trifft im vorliegenden Fall ohne weiteres zu.
Die Kritik an den Feststellungen des Instituts Y.________ betreffend den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, welche das Verwaltungsgericht als massgebend erachtete, ist unbegründet. Dass die Gutachter des Instituts Y.________ im Wesentlichen auf die früheren Zeugnisse der Frau Dr. med. K.________ abgestellt haben, ist nicht von der Hand zu weisen. Inwiefern die Vorinstanz in Willkür verfallen sein sollte, indem sie den Fachärzten gefolgt ist, erscheint jedoch nicht nachvollziehbar, holte doch die Verwaltung gestützt auf den Rückweisungsentscheid der Vorinstanz die Expertise des Instituts Y.________ gerade zwecks Feststellung von Beginn und Ausmass der Arbeitsunfähigkeit ein. Gestützt auf die Ausführungen im Gutachten des Instituts Y.________ kann von den im Verlaufe des Jahres 2001 - bereits vor September 2001 - beklagten Schwindelbeschwerden und (prä-)synkopalen Episoden, die Frau Dr. K.________ von verschiedenen Seiten hat abklären lassen, durchaus auf eine bereits dannzumal sich manifestierende dissoziative Störung geschlossen werden mithin sich die auf den 1. Oktober 2001 festgelegte Arbeitsunfähigkeit nicht als offensichtlich unrichtig erweist.
Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Rechtsbegriff "Beginn der Arbeitsunfähigkeit" im Sinne von Art. 23 BVG falsch ausgelegt, ist ihr entgegenzuhalten, dass das kantonale Gericht sich nicht mit dieser Bestimmung, sondern mit Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in der bis Ende 2007 gültig gewesenen Fassung) auseinander zu setzen hatte; der Rentenbeginn nach IVG ist auch für den Obligatoriumsbereich der beruflichen Vorsorge massgebend, so dass die entsprechende Rüge fehl geht. Schliesslich kann von einer erst nach Jahren rückwirkend festgelegten Arbeitsunfähigkeit, die keinen Anspruch auf Invalidenleistungen gegenüber der Vorsorgeeinrichtung zu begründen vermöchte, im vorliegenden Fall nicht die Rede sein.
5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Pensionskasse aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz l BGG). Diese hat der Versicherten überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen ( Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG ). Das Gesuch der Versicherten um unentgeltliche Rechtspflege ist damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat die Versicherte für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 15. November 2011
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Widmer