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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_606/2011
Urteil vom 16. November 2011
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Ivo Harb,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich.
Gegenstand
Untersuchungshaft,
Beschwerde gegen den Beschluss vom 30. September 2011 des Obergerichts des Kantons Zürich,
III. Strafkammer.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen schwerer Körperverletzung bzw. Versuchs dazu. Sie wirft ihm vor, in der Nacht des 4. Juni 2011 bei einer Auseinandersetzung, bei welcher mindestens ein Mitbeschuldigter beteiligt gewesen sei, dem stehenden Opfer einen Fusstritt gegen den Kopf versetzt zu haben. Dieses sei in der Folge gestürzt und habe sich erhebliche Verletzungen zugezogen.
Am 6. Juni 2011 versetzte das Zwangsmassnahmengericht am Bezirksgericht Zürich X.________ in Untersuchungshaft.
Mit Verfügung vom 6. September 2011 verlängerte es die Haft bis zum 6. März 2012.
B.
Die von X.________ hiergegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich (III. Strafkammer) am 30. September 2011 ab. Es bejahte den dringenden Tatverdacht der (versuchten) schweren Körperverletzung und Wiederholungsgefahr. Ob weitere Haftgründe gegeben seien, liess es offen. Es beurteilte die Haft als verhältnismässig. Ersatzmassnahmen erachtete es als ungenügend.
C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben; er sei umgehend aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei anstelle der Untersuchungshaft eine Ersatzmassnahme anzuordnen.
D.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Hinweis insbesondere auf ihre Stellungnahme vom 20. September 2011 im kantonalen Beschwerdeverfahren die Abweisung der Beschwerde.
X.________ hat dazu keine Bemerkungen eingereicht.
Erwägungen:
1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 BGG zulässig.
Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a i.V.m. lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gelichartige Straftaten verübt hat (lit. c).
2.2 Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht ausdrücklich nicht. Er macht geltend, es fehle am Haftgrund der Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO.
2.3 Nach der Rechtsprechung kann die Anordnung bzw. Fortsetzung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr dem Verfahrensziel der Beschleunigung dienen, indem verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist nicht verfassungs- und grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, Beschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85; 135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen). Die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist zulässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen).
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist entgegen dem deutschsprachigen Gesetzeswortlaut dahin auszulegen, dass "Verbrechen oder schwere Vergehen" drohen müssen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.).
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO verlangt, dass die beschuldigte Person bereits früher gleichartige Vortaten verübt hat. Auch bei den Vortaten muss es sich um Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter gehandelt haben. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt. Das Gesetz spricht von verübten Straftaten und nicht bloss einem Verdacht, so dass dieser Haftgrund nur bejaht werden kann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Neben einer rechtskräftigen Verurteilung gilt der Nachweis auch bei einem glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 86 mit Hinweisen).
In besonders schweren Fällen kommt bei ernsthafter und konkreter Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr auch ohne frühere gleichartige Straftaten in Betracht (BGE 137 IV 13).
2.4 Am 20. Oktober 2009 bestrafte die Jugendanwaltschaft Zürich den Beschwerdeführer wegen Raubes zu 40 Tagen Freiheitsentzug, bedingt bei einer Probezeit von einem Jahr. Sie kam zum Schluss, der Beschwerdeführer sei in der Nacht des 22. März 2009 zusammen mit Mittätern auf einen Passanten losgegangen. Der Beschwerdeführer habe versucht, dem Opfer einen Faustschlag ins Gesicht zu versetzen, es jedoch verfehlt. Einer der Täter habe das Mobiltelefon des Opfers an sich genommen. Letzteres habe eine Nasenbeinkontusion, einen Bruch an der linken Hand, eine Kontusion am rechten Knie und eine Gehirnerschütterung erlitten.
Gegenstand des hängigen Untersuchungsverfahrens bildet der Angriff des Beschwerdeführers in der Nacht des 4. Juni 2011. Der Beschwerdeführer gesteht ein, dabei einen Fusstritt gegen den Kopf des stehenden Opfers ausgeführt zu haben, worauf es zu Boden stürzte. Es erlitt, wie sich aus den Akten ergibt, einen Schädelbruch mit Blutung und Hirnschädigung. Eine konkrete Lebensgefahr habe nicht bestanden. Hingegen seien Folgeschäden möglich. Stirnhirnverletzungen könnten zu einem sog. Frontalhirnsyndrom mit Wesenveränderungen und Verhaltensauffälligkeiten führen. Das Spektrum der Komplikationen, das bei solchen traumatischen Kopfverletzungen auftreten könne, sei gross. Mit dem Wiedererlangen des durch Nervenschäden verlorenen Geruchssinns sei eher nicht zu rechnen.
Der Beschwerdeführer war demnach bereits zweimal an Gewalttätigkeiten beteiligt, bei denen das jeweilige Opfer erheblich verletzt wurde. Raub gemäss Art. 140 Ziff. 1 StGB stellt ein Verbrechen dar (Art. 10 Abs. 2 StGB). Ob die dem Beschwerdeführer neu vorgeworfene Tat als schwere Körperverletzung nach Art. 122 StGB oder als einfache Körperverletzung nach Art. 123 StGB einzustufen ist, wird der Sachrichter zu entscheiden haben. Bei der einfachen Körperverletzung handelt es sich um ein schweres Vergehen, weshalb die Tat im Rahmen von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO auch dann von Bedeutung wäre, wenn lediglich Art. 123 StGB zur Anwendung käme.
Zu berücksichtigen ist überdies, dass der Beschwerdeführer seit längerer Zeit Thaiboxen trainiert. Bei dieser Kampfsportart besteht eine nicht unerhebliche Verletzungsgefahr. Der Beschwerdeführer begründet den Fusstritt damit, er habe Angst gehabt; es sei "einfach eine Reaktion gewesen". Da er unter Kokain-, Cannabis- und Alkoholeinfluss gestanden sei, habe er die Gefahr nicht ganz richtig eingeschätzt. Weil sich das Opfer zu ihm gedreht habe, habe er die Gefahr vielleicht etwas überschätzt, sich bedroht gefühlt und entsprechend zu heftig reagiert. Die Vorinstanz bemerkt dazu, von einem Thaiboxer müsse erwartet werden, dass er ausserhalb des Trainings- bzw. Kampfumfelds jemandem nicht "reflexartig" einen Fusstritt nach Thaibox-Technik versetze. Das Verhalten des Beschwerdeführers deute darauf hin, dass er sich nicht unter Kontrolle gehabt habe bzw. habe. Diese Einschätzung ist nicht zu beanstanden. Sie spricht ebenfalls für Wiederholungsgefahr.
Soweit die Vorinstanz den Beschwerdeführer als Thaiboxer bezeichnet, ist entgegen dessen Auffassung keine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG gegeben, hat er in seiner Einvernahme vom 4. Juni 2011 doch selber angegeben, er trainiere seit ca. 1 ½ Jahren Thaiboxen, dies drei- bis viermal pro Woche für ca. 2 Stunden (act 2/1 S. 7).
Es geht hier um den Schutz von Leib und Leben, also das höchste Rechtsgut. Insoweit darf an die Annahme von Wiederholungsgefahr kein allzu strenger Massstab angelegt werden. Anders zu entscheiden hiesse, die potentiellen Opfer einem nicht verantwortbaren Risiko auszusetzen (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271).
Würdigt man dies gesamthaft, hält es vor Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz Wiederholungsgefahr bejaht hat.
2.5 Die Vorinstanz erwägt, eingestellte Strafverfahren seien für die Beurteilung der Rückfallprognose grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Betreffend die Einstellungsverfügung vom 11. Dezember 2007 gehe aus den Akten jedoch hervor, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, am 25. März 2007 an einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppierungen beteiligt gewesen zu sein und dabei jemandem einen Faustschlag versetzt zu haben.
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Berücksichtigung des Vorfalles vom 25. März 2007 verletze die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK), da insoweit keine rechtskräftige Verurteilung erfolgt sei.
Wie es sich damit verhält, kann dahingestellt bleiben, da die Bejahung der Wiederholungsgefahr nach dem Gesagten auch dann kein Bundesrecht verletzt, wenn man den Vorfall vom 25. März 2007 ausser Acht lässt.
2.6 Die Staatsanwaltschaft hat am 31. August 2011 ein psychiatrisches Gutachten über den Beschwerdeführer in Auftrag gegeben und den Sachverständigen insbesondere gebeten, sich zur Rückfallgefahr zu äussern. Bis zum Vorliegen der gutachterlichen Stellungnahme dazu kann die Freilassung des Beschwerdeführers aus Gründen der öffentlichen Sicherheit nicht verantwortet werden. Nach Erstattung des Gutachtens wird die Frage der Wiederholungsgefahr im Lichte der gutachterlichen Aussagen erneut zu prüfen sein. Im Hinblick auf das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO) wird die Staatsanwaltschaft darauf hinzuwirken haben, dass der Sachverständige seine Stellungnahme zur Rückfallgefahr - gegebenenfalls in einem Vorabbericht - möglichst rasch erstattet.
2.7 Der Beschwerdeführer bringt vor, Ersatzmassnahmen reichten zur Bannung der Wiederholungsgefahr aus.
Die Vorinstanz ist anderer Auffassung. Ihr Entscheid (S. 14 f. E. 4) ist auch insoweit nicht zu beanstanden. Beim Beschwerdeführer besteht die ernstliche Gefahr, dass er erneut erheblich gewalttätig werden könnte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb sich daran Wesentliches ändern sollte, wenn ihm - wie er vorschlägt - das Verbot auferlegt würde, "gewisse Lokale" aufzusuchen, oder angeordnet würde, dass er zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein müsse. Gewalttätigkeiten wären auch an anderen Orten und zu anderen Zeiten möglich. Die Anordnung der vom Beschwerdeführer angeregten Therapie ist jetzt, vor der Erstattung des Gutachtens, nicht zweckmässig. Die Frage, ob und wieweit eine Therapie sinnvoll sei, wird erst gestützt auf das Gutachten seriös beantwortet werden können. Der Gutachter wird sich im Übrigen auch dazu äussern, wieweit das gewalttätige Verhalten des Beschwerdeführers auf den Gebrauch von Drogen und Alkohol zurückzuführen ist. Bevor geklärt ist, ob diese Substanzen eine wesentliche Rolle gespielt haben, kann auch das Verbot ihres Konsums keine ausreichende Ersatzmassnahme darstellen.
3.
Die Beschwerde ist danach abzuweisen.
Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers kann angenommen werden. Da die Untersuchungshaft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG wird deshalb bewilligt. Es werden keine Kosten erhoben und dem Anwalt des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Ivo Harb, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. November 2011
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Härri