BGer 5A_712/2011
 
BGer 5A_712/2011 vom 16.11.2011
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
5A_712/2011
Urteil vom 16. November 2011
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber V. Monn.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dominique Facincani-Kunz,
Beschwerdeführer,
gegen
Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Wagen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ehescheidung,
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 23. April 2010 und den Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 6. September 2011.
Sachverhalt:
A.
Im Jahre 2004 hoben die Eheleute X.________ (geb. 1957) und Y.________ (geb. 1959) den gemeinsamen Haushalt auf. Die Folgen der Trennung mussten gerichtlich geregelt werden. Im Oktober 2008 leitete X.________ beim Friedensrichteramt Freienstein-Teufen das Scheidungsverfahren ein. Y.________ blieb der Sühnverhandlung vom 30. Januar 2009 fern. Mit Klage vom 5. Februar 2009 hob X.________ den ordentlichen Scheidungsprozess vor dem Bezirksgericht Bülach an. Die vom 6. Februar 2009 datierte Vorladung zur Hauptverhandlung retournierte Y.________ dem Bezirksgericht mit dem Vermerk "zu meiner Entlastung" und teilte mit, dass sie ihrerseits am 23. Dezember 2008 bei der Pretura del Distretto di Vallemaggia eine Scheidungsklage eingereicht hätte. Mit Verfügung vom 19. Februar 2009 stellte der Bezirksrichter von Bülach fest, dass die Scheidungsklage des Ehemannes vor jener der Ehefrau rechtshängig war, weshalb die Zuständigkeit des Bezirksgerichts Bülach gegeben und das Scheidungsverfahren dort fortzuführen sei. Ferner wurde ausdrücklich an der Durchführung der gemäss Verfügung vom 6. Februar 2009 auf den 23. April 2009 angesetzten Hauptverhandlung festgehalten. Dieser Zwischenentscheid blieb unangefochten. Y.________ blieb auch der Hauptverhandlung fern. Der Einzelrichter ging von einer unentschuldigten Säumnis aus, liess den Anwalt des Ehemannes zum einseitigen Vortrag zu und befragte diesen. Vor dem Erlass des Urteils holte der Richter ohne Orientierung der Parteien bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG und bei der Zentralstelle 2. Säule Sicherheitsfonds BVG Erkundigungen über allfällige Vorsorgeguthaben der Ehefrau ein. Diese verliefen negativ. Mit Urteil vom 11. Mai 2009 schied der Einzelrichter im ordentlichen Verfahren des Bezirksgerichts Bülach die Ehe der Parteien, sprach keine nachehelichen Unterhaltsbeiträge zu, stellte fest, dass die Parteien in güterrechtlicher Hinsicht vollständig auseinandergesetzt sind, und verzichtete auf eine Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge.
B.
Nach dem Versand des vorab im Dispositiv zugestellten Urteils meldete sich der heutige Rechtsvertreter von Y.________ unter Vorlage einer vom 9. Juni 2009 datierten Vollmacht und verlangte eine begründete Fassung des Urteils. Mit Eingabe vom 18. Juni 2009 ersuchte er unter Hinweis auf ein Arztzeugnis, worin der Ehefrau eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 20. April bis 4. Mai 2009 bescheinigt wurde, um Wiederherstellung einer allenfalls nach dem 23. April 2009 anlaufenden oder bereits abgelaufenen Frist bzw. um die nachträgliche Entschuldigung des Ausbleibens der Ehefrau an der Hauptverhandlung und um Neuansetzung derselben. Letzteres Ersuchen wies das Bezirksgericht Bülach am 4. August 2009 ab; den Antrag auf Wiederherstellung der Frist schrieb es als gegenstandslos ab. Ein Rechtsmittel dagegen wurde nicht ergriffen.
C.
Y.________ erhielt das begründete Urteil am 9. September 2009, worauf sie am 21. September 2009 dagegen Berufung führte. Mit Beschluss vom 23. April 2010 hob das Obergericht des Kantons Zürich das Scheidungsurteil vom 11. Mai 2009 auf und wies den Prozess "zur korrekten Durchführung des Verfahrens" an das Bezirksgericht Bülach zurück. Es hielt im Wesentlichen dafür, der erstinstanzliche Richter habe zufolge Unterlassung der persönlichen Anhörung der Ehefrau § 198 Abs. 1 der Zivilprozessordnung des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 (nachfolgend "ZPO/ZH") verletzt. Ferner habe der Ehescheidungsrichter nicht einfach von einer Anerkennung der tatsächlichen Klagegründe und einem Verzicht auf Einreden ausgehen dürfen, weil in diesem Punkt gestützt auf Art. 139 Abs. 2 ZGB die Offizialmaxime gelte. Damit sei das Verfahren nicht korrekt durchgeführt worden.
D.
Darauf gelangte X.________ an das Kassationsgericht des Kantons Zürich. Mit Zirkulationsbeschluss vom 6. September 2011 hiess dieses die Beschwerde in dem Sinne teilweise gut, als es die Erwägungen des Obergerichts hinsichtlich der Verletzung von § 198 Abs. 1 ZPO/ZH verwarf, die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils indes als gerechtfertigt erachtete, weil sich in den Eheschutzakten, die der Scheidungsrichter für das Scheidungsverfahren beigezogen hatte, eine Anwaltsvollmacht mit dem Betreff "Ehe" befunden habe, und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 50 Abs. 1 ZPO/ZH), der auch für das Gericht gelte, der Richter zumindest die Ehefrau hätte anfragen müssen, ob das Vertretungsverhältnis weiter bestehe. Die Nachfrage habe sich umso mehr aufgedrängt, als das Verhalten der Ehefrau, die sich der Teilnahme am erstinstanzlichen Verfahren komplett verweigert habe, in Anbetracht der auf dem Spiel stehenden Interessen wenig nachvollziehbar erschien und sich die Nachfrage des Gerichts nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Frage aufdrängte, ob die Ehefrau fähig sei, ihre Sache selbst gehörig zu führen (§ 29 Abs. 2 ZPO/ZH). Insgesamt habe das Obergericht hinsichtlich der Nichtbeachtung der Vollmacht von einer nicht korrekten Durchführung des erstinstanzlichen Verfahrens ausgehen dürfen.
E.
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 10. Oktober 2011 wendet sich X.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) an das Bundesgericht. Er beantragt, den Beschluss des Obergerichts vom 23. April 2010 und denjenigen des Kassationsgerichts vom 6. September 2011 aufzuheben und das Urteil des Einzelrichters des Bezirksgerichts Bülach vom 11. Mai 2009 vollumfänglich zu bestätigen; eventualiter sei die Sache nur zur Abklärung bezüglich des Vorliegens des Klagegrundes nach Art. 114 ZGB an das Bezirksgericht Bülach zurückzuweisen. Sodann seien sämtliche bisher angefallenen Verfahrenskosten Y.________ (Beschwerdegegnerin) aufzuerlegen.
In der Sache wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer ficht sowohl den Beschluss des Obergerichts als auch denjenigen des Kassationsgerichts des Kantons Zürich an, die beide die Sache zur Durchführung eines neuen Ehescheidungsverfahrens an das Bezirksgericht zurückweisen. Damit ist das Erfordernis der Letztinstanzlichkeit gemäss Art. 75 BGG erfüllt (BGE 134 III 141 E. 2 S. 143 f.). Der Sache nach handelt es sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG.
Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache. In der Hauptsache geht es um eine Scheidung, wobei sowohl der Scheidungspunkt wie auch die Nebenfolgen umstritten sind. Es liegt somit eine Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG) ohne Vermögenswert vor (vgl. BGE 116 II 493 E. 2 S. 494 ff.), so dass die Beschwerde in Zivilsachen grundsätzlich zur Verfügung steht.
1.2 Selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide können vor Bundesgericht nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und Art. 93 BGG angefochten werden.
1.2.1 Der Beschwerdeführer beruft sich auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, wonach ein selbständig eröffneter Zwischenentscheid angefochten werden kann, sofern die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde.
Zunächst ist zu prüfen, ob die Gutheissung der Beschwerde einen Endentscheid herbeiführen würde. Das Obergericht begründete die Rückweisung an die erste Instanz u.a. damit, dass es "vor dem Hintergrund des umfassenden Novenrechts der Beklagten nach Art. 138 ZGB praktisch die Rolle der ersten Instanz übernehmen [würde], allerdings mit dem Nachteil für die Parteien, dass sie damit einer kantonalen Rechtsmittelinstanz mit voller Kognition verlustig gingen", was nicht sachgerecht sei. Mit anderen Worten hielt das Obergericht dafür, wenn es die Sache nicht an den erstinstanzlichen Richter zurückweisen würde, müsste es - gestützt auf Art. 138 ZGB - unter Berücksichtigung sämtlicher in der Berufung vorgetragenen Tatsachen in der Sache selbst entscheiden, was insgesamt nicht zweckmässig erscheine. Damit wird klar, dass die Gutheissung der Beschwerde in Zivilsachen nicht zu einem Endentscheid, sondern zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens vor Obergericht führen würde. Mithin ist eine der beiden Eintretensvoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG nicht erfüllt.
1.2.2 Nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde in Zivilsachen zulässig, sofern der Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss der drohende Nachteil rechtlicher Natur sein, was voraussetzt, dass er sich auch mit einem späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht gänzlich beseitigen lässt (BGE 136 II 165 E. 1.2.1 S. 170; 135 I 261 E. 1.2 S. 263; 135 II 30 E. 1.3.4 S. 35 f.; 134 III 188 E. 2.1 S. 190; 133 III 629 E. 2.3.1 S. 632; je mit Hinweisen). Die blosse Möglichkeit eines nicht wieder gutzumachenden Nachteils rechtlicher Natur genügt (BGE 134 III 188 E. 2.1 S. 191 mit Hinweis). Dagegen reichen rein tatsächliche Nachteile wie die Verfahrensverlängerung oder -verteuerung nicht aus (BGE 133 III 629 E. 2.3.1 S. 632; 134 III 188 E. 2.2 S. 191; relativierend BGE 135 II 30 E. 1.3.4 und 1.3.5 S. 36 ff.).
Die Frage, ob ein nicht wieder gutzumachender Nachteil vorliegt, bemisst sich nicht an den angefochtenen Entscheiden als solchen, das heisst daran, ob diese Prozessurteile mit Beschwerde gegen den Endentscheid noch überprüft werden könnte (so noch Urteil 5A_612/2007 vom 22. Januar 2008 E. 1.1). Massgebend sind vielmehr die Auswirkungen der Zwischenentscheide auf die Hauptsache. Das erstinstanzliche Urteil und seine Bedeutung für das weitere Verfahren sind demnach entscheidend (Urteil 5D_72/2009 vom 9. Juli 2009 E. 1.1; vgl. auch Urteile 4A_242/2011 vom 13. Mai 2011 E. 1.4 und 4A_542/2009 vom 27. April 2010 E. 4.2 und 4.3). Vorliegend geht es also darum, ob die angeordnete Wiederholung des erstinstanzlichen Verfahrens einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Scheidungsverfahren bewirken kann.
Wohl in anderem Sachzusammenhang, aber immerhin, macht der Beschwerdeführer geltend, die erneute Durchführung des Scheidungsverfahrens vor erster Instanz würde die Bestimmungen über die Säumnisfolgen (§ 129 ZPO/ZH) ebenso wie diejenige zur Eventualmaxime (§ 114 ZPO/ZH) verletzen. Anders als beispielsweise in BGE 137 III 380, in welchem es um das Überspringen eines Prozessabschnitts ging, können die vom Beschwerdeführer angerufenen prozessualen Fragen im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen gegen das Scheidungsurteil noch geltend gemacht werden. Damit droht mit der angeordneten Rückweisung des Verfahrens an den erstinstanzlichen Richter kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG.
2.
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer unterliegt und ist kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet, denn der Beschwerdegegnerin sind keine entschädigungspflichtigen Aufwendungen entstanden (Art. 68 Abs. 1 BGG). Die Kosten- und Entschädigungsfolgen der kantonalen Verfahren sind nicht selbständig, das heisst unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens angefochten und daher nicht zu prüfen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, und dem Kassationsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. November 2011
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Hohl
Der Gerichtsschreiber: V. Monn