Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
8C_475/2011 {T 0/2}
Urteil vom 12. Dezember 2011
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard,
Gerichtsschreiberin Polla.
Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Rechtsabteilung, Fluhmattstrasse 1, 6002 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
G.________, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Unfallversicherung (Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
vom 9. Mai 2011.
Sachverhalt:
A.
A.a Der 1968 geborene G.________ war als Hochbauzeichner beim Architekturbüro L.________ AG, tätig, als er bei einem Verkehrsunfall am 21. Juli 1991 ein Schädelhirntrauma (mit linksseitiger hoch parietalen Kalottenfraktur, einer linksseitigen fronto-parietalen Epiduralblutung sowie temporo-occipitalen Kontusionsblutungen mit einer rechtsseitigen Claviculafraktur) erlitt. Ab 24. September 1992 konnte er seine angestammte Tätigkeit als Hochbauzeichner wieder zu 100 % aufnehmen. Berufsbegleitend schloss der Versicherte erfolgreich eine dreijährige Ausbildung an der Technikerschule zum Hochbautechniker (Architektur) ab. Seit Oktober 1997 war G.________ als Aussendienstmitarbeiter bei der K.______ AG, tätig. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) kam für die Unfallfolgen auf und sprach dem Versicherten - nebst einer Integritätsentschädigung - ab 1. November 1997 bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine Rente zu (Verfügung vom 17. November 1998).
A.b Nachdem die Invalidenversicherung ihre ab 1. November 1997 zugesprochene halbe Rente (Invaliditätsgrad 50 %) revisionsweise zufolge veränderter erwerblicher Verhältnisse aufgrund einer am 1. Oktober 2002 angetretenen Stelle als Kundenakquisiteur bei der H.________ AG bei einem ermittelten Invaliditätsgrad von 23 % aufhob, überprüfte die SUVA ihrerseits revisionsweise die von ihr ausgerichtete Invalidenrente. Mit Verfügung vom 27. Juni 2003 und Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005 setzte sie die Invalidenrente nach Massgabe eines Invaliditätsgrades von 30 % herab. In einem weiteren, im August 2008 angehobenen Revisionsverfahren hob die SUVA erneut wegen veränderter Arbeits- und Verdienstverhältnisse die Rente bei einem Invaliditätsgrad von 7,2 % auf den 1. August 2009 auf (Verfügung vom 3. Juli 2009), was sie mit Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2009 bestätigte.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher G.________ die Zusprechung einer Invalidenrente aufgrund eines Invaliditätsgrades von 30 % ab 1. August 2009 beantragen liess, hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 9. Mai 2011 insoweit gut, als es den Einspracheentscheid vom 21. Oktober 2009 in dem Sinne abänderte, dass es die SUVA verpflichtete, G.________ ab 1. August 2009 eine Invalidenrente gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 18 % auszurichten.
C.
Die SUVA führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
Während das Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung verzichtet, lässt G.________ auf Abweisung der Beschwerde schliessen.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG ).
2.
Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG). Revisionsrechtlich erheblich sind nicht nur die gesundheitlichen, sondern alle wesentlichen Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet sind, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Zeitlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung einer anspruchserheblichen Änderung des Invaliditätsgrades ist die letzte rechtskräftige Verfügung, welche auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs beruht (BGE 134 V 131 E. 3 S. 132 mit Hinweisen). Am Ende des revisionsrechtlichen Vergleichszeitraumes steht die angefochtene Revisionsverfügung bzw. der Einspracheentscheid (BGE 130 V 343 E. 3.5.2 S. 351).
3.
Das kantonale Gericht hat die gemäss Urteil U 339/03 vom 19. August 2004 (RKUV 2005 U 533 S. 40 ff.) im Rentenrevisionsverfahren zu berücksichtigenden Grundsätze bei der Neufestsetzung des Invaliditätsgrads für eine versicherte Person mit unverändertem Gesundheitsschaden aber zwischenzeitig vollzogener erheblicher Lohnentwicklung als Invalide zutreffend dargelegt.
Danach bleibt zwar beim hypothetischen Einkommen ohne Invalidität (Valideneinkommen) auch im Rentenrevisionsverfahren als Bezugsgrösse der zuletzt erzielte Verdienst grundsätzlich bestehen, indessen gilt es den zwischenzeitig tatsächlich durchlaufenen beruflichen Werdegang als Invalider mitzuberücksichtigen, kann dieser doch Rückschlüsse auf die hypothetische beruflich-erwerbliche Entwicklung ohne versicherten Gesundheitsschaden zulassen. Umgekehrt darf auch nicht jede tatsächlich erfolgte Lohnverbesserung als invalide Person einfach mit einer gleich verlaufenden Entwicklung des Valideneinkommens gleichgesetzt werden, kann dies doch eine Folge günstiger Umstände sein, die sich die versicherte Person im Rahmen der Schadenminderungspflicht als neues Invalideneinkommen anrechnen lassen muss, ohne dass deswegen auch zugleich das Valideneinkommen auf der Grundlage neuer Bemessungskriterien zu bestimmen ist. Entscheidend sind vielmehr die gesamten Umstände bis zum Revisionszeitpunkt. Hat sich die versicherte Person seit dem erstmaligen Rentenentscheid beruflich etwa durch Weiterbildung, hohen leistungsmässigen Einsatz oder eine ausserordentliche berufliche Bewährung besonders qualifiziert und hat sich dies bei gleich gebliebenem Gesundheitszustand beim Invalideneinkommen lohnwirksam niedergeschlagen, ist dies zumindest bei einer versicherten Person, welche ihre angestammte Tätigkeit auch nach dem Unfall (in einem reduzierten Pensum) weiterführen konnte, ein gewichtiges Indiz dafür, dass sie als gesunde Person eine äquivalente Entwicklung durchlaufen hätte (a.a.O. E. 3.3 in fine).
4.
4.1 Die Vorinstanz erwog, gestützt auf das das invalidenversicherungsrechtliche Verfahren abschliessende Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts I 724/04 vom 30. März 2005 E. 2.5.2 sei das Valideneinkommen mittels statistischer Werte (Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik [LSE] für das Jahr 2002) zu ermitteln, wobei zu Gunsten des Versicherten von einem Verdienst von Fr. 8'233.- (Anforderungsniveau 1 [Verrichtung höchst anspruchsvoller und schwierigster Aufgaben] der Tabelle TA7 im Tätigkeitsbereich "planen, konstruieren, zeichnen, gestalten") auszugehen sei, woraus ein Jahreseinkommen von Fr. 104'523.- (Fr. 8'233.- x 12 : 40 x 41,9 + 1 % Nominallohnentwicklung) resultiere. In Berücksichtigung der Teuerung ergäbe dies für das Jahr 2009 einen Jahresverdienst von Fr. 113'458.-. Für die Bestimmung des Invalideneinkommens stellte die Vorinstanz auf das bei der X.________ AG effektiv erzielte Bruttoeinkommen im Jahr 2009 von Fr. 93'465.- ab, bei welcher Firma der Versicherte seit 1. Januar 2006 tätig ist. In Gegenüberstellung der beiden Vergleichseinkommen (Valideneinkommen: Fr. 113'458.20; Invalideneinkommen: Fr. 93'465.- ermittelte sie eine Erwerbseinbusse von 18 %, woraus sich eine erhebliche Verbesserung der erwerblichen Verhältnisse gegenüber derjenigen im Jahre 2003 mit einem von der SUVA errechneten Invaliditätsgrad von 30 % (Einspracheentscheid vom 17. Mai 2005) ergäbe. Entgegen den Darlegungen im Einspracheentscheid bestehe aber weiterhin ein Rentenanspruch, weshalb dem Versicherten ab 1. August 2009 eine Invalidenrente auf der Basis eines Invaliditätsgrades von 18 % zustehe.
4.2 Die SUVA wendet sich einzig gegen die vorinstanzliche Bemessung des Valideneinkommens. Ausgehend von der LSE 2008 sei das ohne gesundheitliche Beeinträchtigung mutmasslich erzielte Jahreseinkommen bei Lohnzahlungen an männliche Angestellte im Bereich "planen, konstruieren, zeichnen, gestalten" von monatlich Fr. 7'749.- anzunehmen (Tabelle TA7, Anforderungsniveau 1 und 2) und unter Berücksichtigung der betriebsüblichen Normalarbeitszeit von 41,7 Wochenstunden und der Nominallohnentwicklung im Baugewerbe bis ins Jahr 2009 auf Fr. 98'805.80 hochzurechnen.
4.3 Wie die SUVA zutreffend festhielt ging das damalige Eidgenössische Versicherungsgericht im Urteil I 724/2004 vom 30. März 2005 beim gestützt auf die LSE ermittelten Valideneinkommen mit Blick auf die Wahl der massgeblichen Stufe (Anforderungsniveau 1 oder 2) lediglich im Rahmen einer hypothetischen Vergleichsrechnung unter Verwendung der Konjunktiv-Formulierung vom Anforderungsniveau 1 aus, um dem Versicherten aufzuzeigen, dass sich hieraus im Rahmen der invalidenversicherungsrechtlichen Bemessung des Invaliditätsgrades nichts zu seinen Gunsten ergeben würde. Soweit die Vorinstanz somit unter Hinweis auf dieses Urteil vom Anforderungsniveau 1 der überdies nunmehr überholten LSE des Jahres 2002 anstelle der aktuellsten statistischen Werte ausgeht, ist ihr nicht zu folgen.
4.4 Die vernehmlassungsweise gegen die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Invaliditätsbemessung vorgebrachten Einwände des Beschwerdegegners dringen ebenso wenig durch: Es bleibt davon auszugehen, dass er ohne den erlittenen Unfall die Ausbildung zum Ingenieur HTL durchlaufen hätte und heute diesen Beruf als Gesunder auch vollzeitlich ausüben würde (Urteil I 724/04 vom 30. März 2005 E. 2.5.1). Das letztinstanzlich erstmals vorgebrachte Argument, er arbeite auch als Folge des erlittenen Schädel-Hirntraumas mit einem relativ hohen Zeitaufwand und daher auch häufig abends und gelegentlich samstags, weshalb die überdurchschnittliche Wochenarbeitszeit im Sinne der Parallelität der Vergleichseinkommen auch beim Validenlohn berücksichtigt werden müsse, findet in den Akten insoweit keine Stütze, als sich keine Hinweise auf eine überdurchschnittliche Arbeitszeit aufgrund einer gesundheitsbedingten Minderleistung finden. Im Arbeitsvertrag vom 14. Oktober 2005 ist vielmehr unter der Rubrik "Arbeitszeit" ausdrücklich festgehalten, dass die Tätigkeit auch Wochenend- und Abendarbeit erfordert. Die hohe Leistungsbereitschaft des Versicherten lässt sich überdies damit erklären, dass der Monatslohn lediglich ein Fixum von Fr. 3'000.- umfasst und zusätzlich bei Vertragsabschluss mit einem Kunden eine Provision ausbezahlt wird, woraus sich ein gewisser Leistungs- und Konkurrenzdruck notwendigerweise, jedoch für alle Angestellten, ergibt, welcher von der Unternehmung durch die Offenlegung der Verkaufsumsätze der einzelnen Angestellten noch erhöht wird. Dass der Beschwerdegegner diesem Druck mehr als Stand halten kann, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass er hinsichtlich des erreichten Verkaufsumsatzes das Jahr 2008 als zweitbester Angestellter der Schweiz abschliessen konnte und bis Ende November 2008 gar den ersten Platz hielt. Ein von ihm zu leistender unfallbedingter Mehraufwand, um im Vergleich mit seinen Arbeitskollegen mithalten zu können, ist hieraus gerade nicht zu schliessen.
4.5
4.5.1 Die statistischen Werte zur Ermittlung des Valideneinkommens im Jahr 2008 liegen bei den Anforderungsniveaus 1 und 2 nur zusammen vor. Ein Abstellen hierauf trägt somit der vorliegenden Situation vollkommen Rechnung, entspricht dies doch einer Einreihung bei der Verrichtung selbstständiger und qualifizierter bis höchst anspruchsvoller und schwierigster Arbeiten, wobei die LSE 2008 lohnmässig bei diesen beiden Qualifikationsstufen einheitlich von Fr. 7'749.- ausgeht. Neue Bemessungskriterien für das Valideneinkommen drängen sich hingegen aufgrund des als Invalider zwischenzeitlich durchlaufenen beruflichen Werdegangs nicht auf, zumal eine allfällige Überstundenleistung ohne entsprechende Entschädigung im Rahmen einer mit dieser Einstufung (im Anforderungsniveau 1 und 2) regelmässig einhergehenden Kaderposition durchaus üblich wären. Die tatsächlich erfolgte Lohnverbesserung als Invalider ist als Folge günstiger Umstände im Sinne einer optimalen Leistungsverwertung bei der jetzigen Arbeitgeberin zu sehen, die sich der Beschwerdegegner im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht anrechnen lassen muss.
4.5.2 Die SUVA hat sodann, wie erwähnt, korrekterweise auf die aktuellsten lohnstatistischen Angaben des Jahres 2008 (zum massgebenden Revisionszeitpunkt: SVR 2010 IV Nr. 49 S. 151, 9C_85/2009 E. 2.2) abgestellt. In Berücksichtigung einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41.6 Stunden im Baugewerbe (vgl. Tabelle B 9.2 in: Die Volkswirtschaft 10/2010, S. 94) und einer Nominallohnentwicklung bei den Männern im Baugewerbe von + 2 % (vgl. Bundesamt für Statistik, Tabelle T1.1.05, Nominallohnindex, Männer, 2006-2009) ergibt sich ein Jahreseinkommen als Valider von Fr. 98'642.-. In Gegenüberstellung mit dem bei der X.________ AG im Jahr 2009 effektiv erzielten, unbestrittenen Bruttoeinkommen von Fr. 93'465.- (Lohnausweis vom 25. Januar 2010) resultiert die von der SUVA ermittelte rentenansschliessende Erwerbseinbusse von gerundet 5 %.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten vom Beschwerdegegner als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 9. Mai 2011 aufgehoben.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 12. Dezember 2011
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Ursprung
Die Gerichtsschreiberin: Polla