Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_488/2011
Urteil vom 27. Dezember 2011
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Koch.
Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, Hauptabteilung OK/WK, Rheinstrasse 12, 4410 Liestal,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Strafzumessung (Nachtatverhalten und Prognose),
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 1. März 2011.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft legt X.________ mit Anklageschrift vom 30. Oktober 2008 diverse Urkunden- und Vermögensdelikte zur Last.
Er habe als Geschäftsführer der A.________ mbH Provisionen und Honorare für sich persönlich vereinnahmt, ohne sie auf die Geschäftskonten einzuzahlen oder zu verbuchen. Bei den vierzehn Liegenschaftsverkäufen belaufe sich die Deliktssumme auf je Fr. 12'500.-- bis Fr. 50'000.--, bei den Versicherungsabschlüssen auf Fr. 133'020.45, Fr. 22'290.60 und Fr. 45'221.25, bei den Treuhandgeschäften auf Fr. 23'600.--. Einem Liegenschaftsinteressenten habe er die Anzahlung von Fr. 25'000.-- nicht zurückerstattet, sondern Verbindlichkeiten der A.________ beglichen. Das Geld sei infolge des Konkurses der A.________ nicht zurückbezahlt worden.
Dem Buchhalter der A.________ habe X.________ ein Firmenkonto bei der B.________ AG verschwiegen. Auf dieses seien Einnahmen eingegangen, welche er privat abgehoben habe, und welche nicht als Umsätze in die Buchhaltung eingeflossen seien.
X.________ habe Geld vom Firmenkonto der A.________ abgehoben und dieses privat verbraucht. Weitere private Verbindlichkeiten (Leasingraten, Kleider, Parfum, Hotelrechnungen, Eintritte in Vergnügungsparks, Restauration privater Möbel, Fanartikel eines Eishockeyklubs, Kosten für die Installation des ISDN-Anschlusses) habe er mit Mitteln der A.________ beglichen. Seiner Ehefrau C.________ habe er einen fiktiven Lohn von Fr. 5'500.-- ausbezahlt, obwohl diese nie für die A.________ gearbeitet habe.
Zudem habe X.________ die D.________ AG betrogen, indem er vorgegeben habe, ihm sei die Stelle per 31. Oktober 2003 gekündigt worden, weshalb er eine Reise nicht habe antreten können. Dies habe er mit einem inhaltlich unwahren, vom Firmeninhaber der A.________ unterzeichneten Schreiben belegt. Die Reiseversicherung habe Fr. 1'410.-- vergütet.
X.________ habe sich der mehrfachen Veruntreuung, der mehrfachen qualifizierten ungetreuen Geschäftsbesorgung, der Urkundenfälschung und des Betrugs strafbar gemacht.
Mit ergänzender Anklageschrift vom 24. September 2009 wirft die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft X.________ vor, er habe sich mit einem inhaltlich unwahren Dokument, einer Vereinbarung mit E.________, von gewissen Anklagepunkten entlasten wollen. Er erfülle die Tatbestände des versuchten Betrugs und der Urkundenfälschung.
B.
Das Strafgericht Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 13. November 2009 wegen mehrfacher qualifizierter ungetreuer Geschäftsbesorgung, versuchten und vollendeten Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten. Sechs Monate der Freiheitsstrafe rechnete es als vollzogen an, weil das Beschleunigungsgebot verletzt sei.
C.
X.________ erhob Appellation, die Staatsanwaltschaft und zwei Zivilkläger Anschlussappellation. Das Kantonsgericht wies mit Urteil vom 1. März 2011 die Akten des Strafverfahrens gegen X.________ aus dem Kanton Luzern aus dem Recht, mit Ausnahme des Protokolls der Befragung zur Person. Es verurteilte X.________ in teilweiser Gutheissung der Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft wegen mehrfacher Veruntreuung, versuchten und vollendeten Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten.
D.
Gegen dieses Urteil erhebt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung des Nachtatverhaltens und der Prognose an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Verfahrenskosten seien X.________ aufzuerlegen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des gesamten angefochtenen Urteils. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich, dass sie sich nur gegen den bedingten Strafvollzug und den in diesem Punkt unterlassenen Beizug der Verfahrensakten des Kantons Luzern wendet. Dieses Rechtsbegehren genügt den Anforderungen von Art. 42 Abs. 1 BGG. Da die weiteren Voraussetzungen nach Art. 42, Art. 78 ff. und Art. 90 ff. BGG erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe die Akten des im Kanton Luzern hängigen Strafverfahrens zu Unrecht aus den Akten gewiesen. Zwar sei das hängige neue Strafverfahren aufgrund der Unschuldsvermutung unbeachtlich. Indessen könnten andere "Erkenntnisse über Lebenssachverhalte" verwertet werden. In den Akten des Kantons Luzern würden Geschäftsvorgänge geschildert, die ähnliche Vorgänge beträfen wie das vorliegende Verfahren. Zwei Geschäftspartner des Beschwerdegegners hätten einen finanziellen Schaden erlitten. Das Nachtatverhalten, welches sich aus den Luzerner Akten ergebe, sei für die Strafzumessung und die Prognose entscheidend.
2.2 Die Vorinstanz erwägt, aus dem hängigen Ermittlungsverfahren liessen sich keine rechtsverbindlichen Schlüsse zum Nachtatverhalten des Beschwerdegegners ableiten. Solange der Verfahrensausgang nicht feststehe, dürften die Akten nicht beigezogen werden (angefochtenes Urteil S. 8 f.)
3.
3.1 Die Beschwerdeführerin macht sinngemäss eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV geltend. Dieser umfasst das Recht auf Abnahme der rechtzeitig und formrichtig angebotenen rechtserheblichen Beweismittel. Zusätzlichen Beweisanträgen ist nur Folge zu leisten, falls weitere Abklärungen entscheiderheblich erscheinen und sich als sachlich geboten aufdrängen. Der Richter kann das Beweisverfahren hingegen schliessen, wenn er in willkürfreier antizipierter Beweiswürdigung davon ausgehen darf, weitere Ergänzungen vermöchten am relevanten Beweisergebnis nichts Entscheidendes zu ändern (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen).
3.2 Nach Art. 47 Abs. 1 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des Täters zu. Das Verhalten des Täters nach der Tat kann für die Strafzumessung von Bedeutung sein, soweit es Rückschlüsse auf ihn und seine Einstellung zur Tat zulässt (Urteil 6B_26/2011 vom 20. Juni 2011 E. 3.7 mit Hinweis). So wirkt sich beispielsweise die aufrichtige Reue nach Art. 48 lit. d StGB strafmildernd aus. Positiv ins Gewicht fallen regelmässig auch Bemühungen des Täters, den Schaden wiedergutzumachen oder weitere Delikte zu verhindern (z.B. die Einsicht; das Geständnis von Delikten, die sonst nicht hätten nachgewiesen werden können; die Entschuldigung bei den Opfern; Schadenersatzzahlungen; die Festigung des beruflichen und familiären Umfelds). Straferhöhend kann das Gericht hingegen z.B. die wiederholte Straffälligkeit berücksichtigen (vgl. BGE 136 IV 1 E. 2.6.2 S. 2 mit Hinweisen, wonach Vorstrafen straferhöhend gewichtet werden dürfen).
3.3 Die Strafzumessung erfasst das gegenwärtig zu beurteilende Delikt und das damit in Zusammenhang stehende Nachtatverhalten. Tatvorwürfe, welche Gegenstand eines anderen Verfahrens sind, darf der Richter aufgrund der Unschuldsvermutung und des Doppelbestrafungsverbots nicht in die Strafzumessung einbeziehen. Insoweit geht die Rüge der Beschwerdeführerin fehl, wonach die Akten des Kantons Luzern hinsichtlich des (anderweitigen deliktischen) Nachtatverhaltens bei der Strafzumessung zu berücksichtigen seien.
4.
4.1 Die Beschwerdeführerin verlangt den Einbezug der Akten des Kantons Luzern auch für die Beurteilung der Frage, ob der bedingte Strafvollzug zu gewähren sei.
4.2 Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe, von gemeinnütziger Arbeit oder einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten und höchstens zwei Jahren in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter vor der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB). Bei der Prüfung, ob der Verurteilte in subjektiver Hinsicht für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Für die Einschätzung des Rückfallrisikos ist ein Gesamtbild der Täterpersönlichkeit unerlässlich. Relevante Faktoren sind etwa strafrechtliche Vorbelastung, Sozialisationsbiographie und Arbeitsverhalten, das Bestehen sozialer Bindungen, Hinweise auf Suchtgefährdungen usw. Dabei sind die persönlichen Verhältnisse bis zum Zeitpunkt des Entscheides mit einzubeziehen (BGE 134 IV 1 E. 4.2.1 S. 5 mit Hinweisen).
4.3 In die Prognosebeurteilung einfliessen dürfen die in einem hängigen Strafverfahren zugegebenen Tatsachen (Urteile 6B_882/2009 vom 30. März 2010 E. 2.6; 6B_459/2009 vom 10. Dezember 2009 E. 1.2; 6P.31/2003 vom 8. August 2003 E. 1.3; z.T. mit Hinweisen) und auch eingestellte Strafverfahren, welche Schlüsse auf das Vorleben und den Charakter eines Täters zulassen (Urteil 6P.47/2004 vom 6. Oktober 2004 E. 6.2). Nichts anderes kann aus dem Urteil 6B_1017/2008 vom 24. März 2009 abgeleitet werden. Im konkreten Fall stellte der Richter auf den blossen Umstand eines anderen Ermittlungsverfahrens ab, wodurch die Unschuldsvermutung verletzt war. Dies bedeutet indessen nicht, dass der Beizug von Akten hängiger Verfahren grundsätzlich unzulässig wäre.
4.4 Die Vorinstanz berücksichtigt bei der Prognose, dass der Beschwerdeführer während des laufenden Verfahrens weiter delinquierte. Sie erwägt, er zeige wenig Einsicht in seine Taten und wolle den materiellen Schaden weder eingestehen noch ersetzen. Dies spreche für eine schlechte Prognose. Ausserdem arbeite er nach wie vor als Unternehmer, was die Gefahr eines Rückfalls berge. Indessen biete eine lange Probezeit von vier Jahren sowie eine Bewährungshilfe in Verbindung mit einer Schuldensanierung hinreichend Gewähr, damit der Beschwerdeführer straffrei bleibe, weil die finanziellen Schwierigkeiten ursächlich für die Delikte seien. Deshalb sei die Freiheitsstrafe aufzuschieben.
4.5 Die Beschwerdeführerin beanstandet die von der Vorinstanz anhand der vorliegenden Akten vorgenommene Würdigung, eine schlechte Prognose fehle, nicht. Sie geht indessen davon aus, bei einem Beizug der weiteren Verfahrensakten fiele diese Beurteilung anders aus. Die im Luzerner Verfahren hängigen Deliktsvorwürfe stehen in einem Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit des Beschwerdeführers und dessen angespannter Finanzlage. Selbst wenn sie sich aber erhärteten, könnten sie am angefochtenen Urteil nichts ändern. Denn die Vorinstanz beurteilte die Prognose aufgrund der zahlreichen Delikte sowie die Straffälligkeit während laufenden Strafverfahrens bereits sehr zurückhaltend. Sie gewährte den bedingten Strafvollzug nur mit engen Auflagen. Auch wenn weitere Delikte beim Nachtatverhalten zu berücksichtigen wären, umfasste die Prognose bereits die fortwährende Delinquenz. Die Rüge erweist sich als unbegründet.
5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben und keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Parteientschädigungen zugesprochen.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 27. Dezember 2011
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Koch