Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
2C_818/2011
Urteil vom 18. Januar 2012
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
nebenamtlicher Bundesrichter Locher,
Gerichtsschreiber Errass.
Verfahrensbeteiligte
Eidgenössische Steuerverwaltung, Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben, Eigerstrasse 65, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
X.________, Beschwerdegegner
vertreten durch Fürsprecher Andreas Keller.
Gegenstand
Verrechnungssteuer; DBA-Thailand,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung I, vom 29. August 2011.
Sachverhalt:
A.
Auf ihrer Gratiskapitalerhöhung über Fr. 300'000.-- vom 14. Dezember 2006 überwies die Y.________ AG am 17. Juli 2009 der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eine Verrechnungssteuer von 35 %, ausmachend Fr. 105'000.--. Mit Schreiben vom 22. Juli 2009 ersuchte X.________, Alleinaktionär der Y.________ AG, die ESTV gestützt auf das DBA-Thailand vom 12. Februar 1996 um vollständige Rückerstattung der Verrechnungssteuer. Auf die Aufforderung der ESTV, das Rückerstattungsbegehren auf amtlichem Formular mit einer Bestätigung der thailändischen Steuerbehörde zu stellen, reichte X.________ am 5. September 2009 das Formular Nr. 60 nach und verlangte eine Rückerstattung von Fr. 60'000.-- (Rückerstattung von 20% statt 35%, d.h. 15% bilden eine definitive Belastung). Auf die Abweisung des Rückerstattungsbegehrens durch die ESTV verlangte X.________ einen einsprachefähigen Entscheid.
B.
Am 27. Juli 2010 wies die ESTV den Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer durch anfechtbaren Entscheid ab, weil X.________ den Nachweis seiner Ansässigkeit in Thailand für den Zeitpunkt der Fälligkeit der betroffenen Erträge nicht rechtsgenügend erbracht habe. Mit Einspracheentscheid vom 22. Februar 2011 wies die ESTV die dagegen erhobene Einsprache ab. Dabei führte sie zusätzlich an, X.________ könne aus dem Rundschreiben der ESTV vom 1. September 2005, wo für die Rückforderung von Quellensteuern auf Kapitalleistungen aus privatrechtlicher beruflicher Vorsorge insbesondere für Personen mit Wohnsitz in Thailand erleichterte Wohnsitzbescheinigungen zugelassen werden, nichts zu seinen Gunsten ableiten, weil es sich hier nicht um solche Quellensteuern handle. Das Bundesverwaltungsgericht hiess am 29. August 2011 die Beschwerde dagegen gut, hob den Einspracheentscheid vom 22. Februar 2011 auf und wies die Sache zum Neuentscheid im Sinne der Erwägungen an die ESTV zurück. Es befand, das erwähnte Rundschreiben müsse ebenso auf Wohnsitzbescheinigungen betreffend die Verrechnungssteuer angewendet werden. Allerdings sei es Sache der ESTV, noch näher abzuklären, ob X.________ über eine Wohnsitzbescheinigung gemäss Ziffer 4 des Rundschreibens vom 1. September 2005 verfüge. Falls dessen Ansässigkeit in Thailand zum massgebenden Zeitpunkt (14. Dezember 2006) zu bejahen sei, habe die ESTV X.________ Verrechnungssteuern im Umfang von Fr. 60'000.-- zurückzuerstatten.
C.
Die ESTV beantragt vor Bundesgericht, das angefochtene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. August 2011 aufzuheben und den von X.________ am 5. September 2009 gestellten Antrag auf Rückerstattung der Verrechnungssteuer in Bestätigung des Einsprachenentscheids vom 22. Februar 2011 vollumfänglich abzuweisen.
D.
X.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung.
E.
Mit Eingabe vom 24. November 2011 nimmt die ESTV auf die Beschwerdeantwort von X.________ Bezug und macht geltend, bei der beigebrachten Seite 2 des Formulars 60 in deutscher Übersetzung handle es sich um ein unzulässiges Novum.
Erwägungen:
1.
1.1
1.1.1 Beim angefochtenen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich um einen Entscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts, die unter keinen Ausschlussgrund gemäss Art. 83 BGG fällt und daher mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht weitergezogen werden kann (Art. 82 Abs. 1 lit. a und Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Der angefochtene Entscheid beendet das Verfahren zwar nicht, sondern die Sache geht zu neuem Entscheid an die ESTV zurück (Rückweisungsentscheid). Solche Entscheide werden ausnahmsweise dann wie Endentscheide behandelt, wenn der unteren Instanz, an welche die Sache zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr verbleibt und die Rückweisung nur noch der rechnerischen Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 127). Hier hat aber die ESTV ergänzende Sachverhaltsabklärungen vorzunehmen und ein "relativ umfangreiches Beweisverfahren" durchzuführen (E. 7.3 des angefochtenen Entscheids). Damit stellt der Rückweisungsentscheid entgegen den Vorbringen der ESTV keinen (Quasi)-Endentscheid, sondern einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 BGG dar.
1.1.2 Ein Zwischenentscheid ist einerseits anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken könnte (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) oder andererseits, wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG).
Einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nimmt das Bundesgericht an, wenn eine beschwerdebefugte Behörde durch einen Rückweisungsentscheid gezwungen wird, eine ihrer Ansicht nach rechtswidrige Verfügung zu erlassen. Da sie ihren eigenen Entscheid nicht anfechten kann, könnte dieser rechtskräftig werden, ohne dass er einmal dem Bundesgericht unterbreitet werden konnte. Um dies zu vermeiden, darf eine beschwerdebefugte Behörde unter Berufung auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bereits gegen den Rückweisungsentscheid an das Bundesgericht gelangen (BGE 134 II 124 E. 1.3 S. 128). Eine solche Konstellation ist hier gegeben. Die Beschwerde ist insofern zulässig.
1.1.3 Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde der gemäss Art. 89 Abs. 2 lit. a BGG legitimierten Beschwerdeführerin ist daher einzutreten.
1.2 Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und 96 BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Deren Sachverhaltsfeststellungen können nur berichtigt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 bzw. Art. 97 Abs. 1 BGG).
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Nach der Beschwerdeführerin ist die vom Beschwerdegegner erstmals vor Bundesgericht eingereichte Übersetzung der Wohnsitzbestätigung auf dem Antragsformular ein solches Novum, das nicht berücksichtigt werden dürfe. Diese Frage kann hier offen gelassen werden, weil sich das Bundesgericht vorliegend ohnehin nicht mit Fragen des Wohnsitzes im konkreten Fall befasst.
2.
2.1 Der Bund erhebt gestützt auf Art. 132 Abs. 2 BV eine Verrechnungssteuer u.a. auf dem Ertrag beweglichen Kapitalvermögens (Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 13. Oktober 1965 über die Verrechnungssteuer [VStG, SR 642.21]). Steuerbarer Ertrag von Aktien, Stammanteilen an Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Genossenschaften ist nach Art. 20 Abs. 1 der Verrechnungssteuerverordnung vom 19. Dezember 1966 (VStV, SR 642.211) jede geldwerte Leistung der Gesellschaft oder Genossenschaft an die Inhaber gesellschaftlicher Beteiligungsrechte oder an ihnen nahestehende Dritte, die sich nicht als Rückzahlung der im Zeitpunkt der Leistung bestehenden Anteile am einbezahlten Grund- oder Stammkapital darstellt (u.a. Gratisakten). Steuerpflichtig ist der Schuldner der steuerbaren Leistung (Art. 10 Abs. 1 VStG). Diese ist bei der Auszahlung, Überweisung, Gutschrift oder Verrechnung ohne Rücksicht auf die Person des Gläubigers um den Steuerbetrag zu kürzen (Art. 14 Abs. 1 VStG). Weil der Inhaber der Beteiligungsrechte bei einer Gratiskapitalerhöhung keine eigentliche Zahlung erhält, die um die Verrechnungssteuer gekürzt werden könnte, leistete die Schuldnerin der steuerbaren Leistung hier auf der Ausgabe von Gratisaktien eine Verrechnungssteuer von Fr. 105'000.--, was unbestritten ist.
2.2 Die Verrechnungssteuer bildet für einen im Ausland steuerpflichtigen Leistungsempfänger eine endgültige Belastung, soweit nicht ein Doppelbesteuerungsabkommen eine Entlastung vorsieht (MAJA BAUER-BALMELLI/MARKUS REICH, in: Zweifel/Athanas/Bauer-Balmelli, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht [II/2], Bundesgesetz über die Verrechnungssteuer, 2005, N 71 der Vorbemerkungen). Gemäss Art. 10 Abs. 1 des Abkommens vom 12. Februar 1996 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Königreich Thailand zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (DBA-Thailand, SR 0.672.974.51) können Dividenden, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Gesellschaft an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, im anderen Staat besteuert werden. Aufgrund von Art. 10 Abs. 2 DBA-Thailand können diese Dividenden jedoch auch in dem Vertragsstaat, in dem die Gesellschaft, welche die Dividende zahlt, ansässig ist, nach dem Recht dieses Staates besteuert werden; die Steuer darf aber, wenn der Empfänger der Dividenden der Nutzungsberechtigte ist, 15 vom Hundert des Bruttobetrags der Dividende nicht übersteigen (lit. b). Dabei regeln die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten in gegenseitigem Einvernehmen, wie diese Begrenzungsbestimmungen durchzuführen sind (Art. 10 Abs. 2 Unterabsatz 2 DBA-Thailand). Hier erklärten die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten für die Umsetzung der Begrenzungsbestimmungen das Formular 60 als anwendbar (für Länder ohne eigenes Formular) mit dem Titel "Claim for refund of Swiss anticipatory tax withheld on dividends and interest derived from sources within Switzerland". Danach hat das "competent tax office" die notwendige Wohnsitzbestätigung zu datieren, offiziell abzustempeln und zu unterzeichnen. Für Thailand wird im Übrigen verlangt, dass das "Regional Revenue Bureau" die Ansässigkeit mittels eines "Certificate of Residence" bestätigt (vgl. Einspracheentscheid Ziff. 3a). Allerdings gehen diese formellen Anforderungen aus keiner öffentlich zugänglichen Verlautbarung der ESTV hervor, und zwar auch nicht aus der von ihr herausgegebenen Dokumentation "Steuerentlastungen auf Grund von Doppelbesteuerungsabkommen", die sich nur auf in der Schweiz steuerpflichtige Personen bezieht.
2.3 Das an die kantonalen Verwaltungen für die direkte Bundessteuer gerichtete Rundschreiben der ESTV vom 1. September 2005 behandelt unter Ziffer 4 die "Rückforderung der Quellensteuern auf Kapitalleistungen aus privatrechtlicher beruflicher Vorsorge (2. Säule und Säule 3a)" und hält fest:
"In letzter Zeit häufen sich die Anfragen im Zusammenhang mit der Rückforderung der Quellensteuern auf Kapitalleistungen aus privatrechtlicher Vorsorge bei Personen mit Wohnsitz im Ausland, namentlich in Thailand. Vermehrt verweigern die thailändischen Behörden, den Vorsorgenehmern den "Antrag auf Rückerstattung der Quellensteuern auf Kapitalleistungen von Vorsorgeeinrichtungen mit Sitz in der Schweiz' auszufüllen.
Da aufgrund der meisten Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht für Leistungen aus privatrechtlicher Vorsorge dem Wohnsitzstaat zukommt (vgl. DBA-Übersicht), wurde im Zusammenhang mit der Abteilung für internationales Steuerrecht der ESTV folgendes Vorgehen beschlossen:
1. Die steuerpflichtige Person hat wie bis anhin das obgenannte Formular den Steuerbehörden ihres Wohnsitzstaates einzureichen. Bestätigt diese von der Leistung Kenntnis zu haben, ist das Formular der zuständigen kantonalen Steuerbehörde weiterzuleiten.
2. Verweigert die zuständige ausländische Behörde die Bestätigung auf dem Formular, ist von der steuerpflichtigen Person eine geeignete Alternative beizubringen. Dies kann z.B. mittels einer Wohnsitzbestätigung der Steuerbehörde (certificate of Residence) oder - falls dies ebenfalls nicht möglich ist - anhand einer Wohnsitzbestätigung einer anderen behördlichen Stelle geschehen (Einwohnerkontrollamt resp. registration office o.ä.). Dieses Dokument ist zusammen mit dem ausgefüllten und unterzeichneten Antrag der zuständigen kantonalen Steuerbehörde einzureichen.
Liegt eines dieser Dokumente vor, kann die kantonale Steuerverwaltung die Rückerstattung der Quellensteuern vornehmen" (Hervorhebung im Original).
3.
3.1 Die Vorinstanz beurteilte die Auffassung der ESTV, die Wohnsitzbestätigung habe im Falle des Beschwerdegegners zwingend mittels Bestätigung der zuständigen regionalen thailändischen Steuerverwaltung auf dem Formular 60 zu erfolgen, als zu streng. Nachdem es bei der Anwendung des DBA-Thailand zu verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten gekommen war, habe sie durch das Rundschreiben vom 1. September 2005 die Anforderungen an die Wohnsitzbestätigung reduziert. Darin liege eine zulässige Praxisänderung. Indem aber die ESTV diese gelockerte Verwaltungspraxis nur sehr punktuell vollziehe und im Falle des Beschwerdegegners nicht anzuwenden bereit sei, liege ein Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot vor. Da aber noch zu wenig geklärt war, ob die gelockerten Voraussetzungen für eine Wohnsitzbescheinigung bei Anwendung des Rundschreibens vom 1. September 2005 im vorliegenden Fall erfüllt waren, hiess die Vorinstanz die Beschwerde gut und wies die Sache für zusätzliche Sachverhaltsabklärungen und zum Neuentscheid an die ESTV zurück.
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt nun die analoge Anwendung dieses Rundschreibens vom 1. September 2005 im vorliegenden Fall: Sie unterstreicht zunächst den wesentlichen Unterschied zwischen der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen und der Einkommenssteuer auf Kapitalleistungen aus Vorsorge; jene habe der Bund dort, wo die Rückerstattungsvoraussetzungen erfüllt sind, (regelmässig) teilweise rückzuerstatten, wohingegen diese - bei Vorliegen der Rückerstattungsvoraussetzungen - der Kanton voll zu erstatten habe; denn diesbezüglich liege ein ausschliessliches Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaates vor, während dieses bei Kapitalerträgen nicht ausschliesslich sei (d.h. beide Vertragsstaaten dürfen in einem bestimmten Ausmass besteuern). Ferner erfolge die Rückerstattung der Verrechnungssteuer in einem Massenverfahren, während die Rückerstattung der Einkommenssteuer auf der Kapitalleistung aus Vorsorge Einzelfälle seien. Im Massenverfahren sei es unabdingbar, Besteuerungs- bzw. Entlastungsvoraussetzungen "anhand von eingängigen und klaren Kriterien" zu überprüfen. Würden die gelockerten Voraussetzungen auch auf die Rückerstattung der Verrechnungssteuer übertragen, seien Missbräuchen Tür und Tor geöffnet und werde "die Umsetzung von Artikel 20 Absatz 3 DBA-Thailand verunmöglicht", weshalb sich hier ein "strengerer Formalismus" aufdränge. Daraus ergebe sich, dass es "qualifizierte sachliche Gründe" gebe für unterschiedliche Anforderungen betreffend Ansässigkeitsnachweis mit Bezug auf die Rückforderungsansprüche bei der Verrechnungssteuer bzw. der Einkommenssteuer.
3.3 Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei den gelockerten Voraussetzungen für die Bestätigung nach dem Rundschreiben vom 1. September 2005 nicht nur um eine reine "Praxisänderung" handelt, sondern um ein Missachten von Art. 11 Abs. 2 lit. b der Verordnung des EFD vom 19. Oktober 1993 über die Quellensteuer bei der direkten Bundessteuer (QStV, SR 642.118.2). Dort wird ausdrücklich eine Bestätigung der zuständigen Steuerbehörde des anspruchsberechtigten Vertragsstaates, wonach diese von der Kapitalleistung Kenntnis hat, verlangt. Nach dem Formular 01.2011 (Antrag auf Rückerstattung der Quellensteuer auf Kapitalleistungen von Vorsorgeeinrichtungen mit Sitz in der Schweiz) wird eine "Bestätigung der Steuerbehörde des ausländischen Wohnortes" verlangt mit folgendem Wortlaut: "Die Steuerbehörde des Wohnortes bestätigt, von obiger Kapitalleistung Kenntnis zu haben." Damit haben diese ausländischen Steuerbehörden an sich zwei Tatsachen zu bescheinigen, nämlich einerseits den (ausländischen) Wohnsitz des Empfängers sowie das Wissen um den Zufluss der Kapitalleistung. Demgegenüber sind die formellen Voraussetzungen für eine Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen in keinem generell-abstrakten Erlass geregelt, sondern gehen bloss aus dem amtlichen Formular Nr. 60 der ESTV hervor (vgl. E. 2.2).
3.4 Wohl bestehen zwischen der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen und der Einkommenssteuer auf Kapitalleistungen aus Vorsorge an der Quelle formale Unterschiede. Entscheidend ist aber nicht der äussere Unterschied der Vergleichsfälle; der Gleichheitssatz von Art. 8 BV verlangt, dass wertungsmässig gleich gelagerte Fälle gleich behandelt werden (HEINZ HAUSHEER/MANUEL JAUN, Die Einleitungsartikel des ZGB, 2003, N 204 zu Art. 1 ZGB).
3.4.1 Unter dem DBA-Thailand ergaben sich offensichtlich bezüglich der erforderlichen Bestätigungen Schwierigkeiten, indem sich die thailändischen Behörden weigerten, den Vorsorgenehmern den Rückerstattungsantrag zu unterzeichnen und damit Wohnsitz und Kenntnis vom Zufluss der Kapitalleistung zu bescheinigen (Einleitende Bemerkung auf dem Rundschreiben vom 1. September 2005). Bezüglich der - mit der Bestätigung der Kenntnis von der Kapitalleistung - verbundenen Wohnsitzbestätigung spielt es aber keine wesentliche Rolle, ob sie für die Rückerstattung der Quellensteuer auf Kapitalleistungen oder -erträgen verwendet wird. Dies selbst dann nicht, wenn für beide Rückerstattungstatbestände unterschiedliche Formulare bestehen. In beiden Fällen sollten an sich die zuständigen Steuerbehörden die notwendigen Bestätigungen ausstellen. Da diese aber hierzu offenbar nicht bereit waren, lockerte die ESTV die formellen Voraussetzungen und lässt es mit einer Wohnsitzbestätigung der Steuerbehörde oder einer Wohnsitzbestätigung einer andern behördlichen Stelle bewenden. Wie der Fall des Beschwerdegegners zeigt, ergeben sich dieselben Schwierigkeiten, wenn es darum geht, eine Wohnsitzbestätigung für die Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen zu erlangen. Von da her vermag nicht einzuleuchten, im Falle des Beschwerdegegners - trotz analoger Schwierigkeiten und damit insoweit gleicher Sachlage - an einem "strengeren Formalismus" festzuhalten.
3.4.2 Die Beschwerdeführerin glaubt freilich, eine unterschiedliche Behandlung dränge sich aufgrund der ungleichen Verfahrensnatur auf. Die Rückerstattung der Verrechnungssteuer erfolge in einem Massenverfahren, wogegen es sich bei der Rückerstattung der Einkommenssteuer auf Kapitalleistungen um Einzelfälle handle. Allerdings ist das Rundschreiben vom 1. September 2005 entstanden, weil es bezüglich der Rückforderung von Quellensteuern auf Kapitalleistungen "häufig" zu Anfragen kam (Einleitungssatz von Ziffer 4.). Bezüglich der Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Verhältnis zu Thailand schreibt der Bundesrat in seiner Botschaft vom 1. Mai 1996 zum DBA-Thailand (BBl 1996 II 1082): "Da die thailändischen Investitionen in der Schweiz nicht von sehr grosser Bedeutung sind, dürften sich die Einbussen, die sich aus der teilweisen Rückerstattung der Verrechnungssteuer an in Thailand ansässige Personen ergeben, kaum stark auswirken". Damit kann davon ausgegangen werden, dass sich die Frage einer Rückerstattung der Verrechnungssteuer im Verhältnis zu Thailand kaum "massenhaft" stellt und sich vermutlich nicht in einer völlig anderen Grössenordnung bewegt als die Rückerstattung der Einkommensteuer auf Kapitalleistungen. Im Übrigen erschiene es als problematisch, die formellen Voraussetzungen für eine Rückerstattung im Massenverfahren möglichst hoch anzusetzen und sie dort, wo man sich für die Prüfung von Einzelfällen mehr Zeit nehmen kann, tief zu halten. So oder so überzeugt dieser Einwand der Beschwerdeführerin nicht.
3.4.3 Unbehelflich ist ebenso der Einwand der Beschwerdeführerin, gelockerte Voraussetzungen bei der Rückerstattung der Verrechnungssteuer würde die Umsetzung von Art. 20 Abs. 3 DBA-Thailand verunmöglichen. Denn dieser Methodenartikel des DBA kommt hier weder bei der Quellensteuer auf der Kapitalleistung aus Vorsorge zur Anwendung, weil es sich dabei um eine ausschliessliche Zuteilung an den Ansässigkeitsstaat handelt (PETER LOCHER, Einführung in das internationale Steuerrecht der Schweiz, 3. Aufl. 2005, S. 451), noch bei der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen, weil dieser "Zufluss aus Gratisaktien" in Thailand nicht besteuert wird und damit auch keine Anrechnung erfolgen muss.
3.4.4 Nachdem sich die Beschwerdeführerin dort, wo ihr eine Verordnung des vorgesetzten Finanzdepartements Vorgaben macht, aus praktischen Gründen darüber hinwegsetzt und die Voraussetzungen für eine Rückerstattung der Einkommenssteuer auf Kapitalleistungen aus Vorsorge gelockert hat, vermag nicht einzuleuchten, dass bei der Rückerstattung der Verrechnungssteuer auf Kapitalerträgen, deren Voraussetzungen nur aus einem von ihr herausgegebenen Formular hervorgehen, trotz vergleichbarer Schwierigkeiten strenger sein sollen. Auch hier muss der Nachweis der Ansässigkeit im anderen Vertragsstaat auch auf andere geeignete Art möglich sein als nur durch eine - kaum erhältliche - Bestätigung der zuständigen Steuerbehörde. Jedes andere Vorgehen wäre als überspitzt formalistisch zu bezeichnen und würde den völkerrechtlich bestehenden Anspruch auf Rückerstattung eines Teils der an der Quelle erhobenen Verrechnungssteuer über Gebühr erschweren. Die von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände gegen dieses Vorgehen überzeugen nicht. Die Tatsache allein, dass bei einer allenfalls ungerechtfertigten Rückerstattung der Verrechnungssteuer voll der Bund, bei einer allenfalls ungerechtfertigten Rückerstattung der Einkommenssteuer vor allem die Kantone und der Bund nur im Ausmass seines Anteils nach Art. 196 DBG partizipierten, vermag ebenso wenig ein unterschiedliches Vorgehen zu rechtfertigen.
4.
Die Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet und ist abzuweisen. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens der Beschwerdeführerin, die Vermögensinteressen wahrnimmt, aufzuerlegen (Art. 65 f. BGG). Diese hat dem Beschwerdegegner zudem eine dessen Eingabe entsprechende Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 BGG; Art. 8 Abs. 2 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006 [SR 173.110.210.3]).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. Januar 2012
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Zünd
Der Gerichtsschreiber: Errass