BGer 8C_817/2011 |
BGer 8C_817/2011 vom 31.01.2012 |
Bundesgericht
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Tribunal fédéral
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Tribunale federale
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8C_817/2011 {T 0/2}
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Urteil vom 31. Januar 2012
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I. sozialrechtliche Abteilung
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Besetzung
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Bundesrichter Ursprung, Präsident,
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Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard,
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Gerichtsschreiber Jancar.
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Verfahrensbeteiligte |
T.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt J. Mischa Mensik,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Kantonale IV-Stelle Wallis,
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Bahnhofstrasse 15, 1950 Sitten,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung (Invalidenrente, Revision)
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Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
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gerichts Wallis vom 29. September 2011.
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Sachverhalt:
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A.
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Der 1970 geborene T.________ arbeitete seit 3. April 2000 als Mineur bei der Firma U.________. Bei einem Unfall vom 9. Februar 2004 erlitt er eine superiore Berstungsfraktur des Lendenwirbelkörpers 1 mit Kyphosierung. Im rheumatologisch-psychiatrischen Gutachten der Klinik C.________, Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS), vom 30. Mai 2006 wurde folgende Diagnose mit Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit gestellt: persistierendes thorakolumbovertebrales Syndrom mit spondylogenen Ansätzen bei Status nach Arbeitsunfall am 9. Februar 2004 (ICD-10: M54.6 und Z98.8; die Folgeoperationen vom 12. Februar und 8. Oktober 2004 sowie 2. Februar 2005 wurden diagnostisch ebenfalls aufgeführt). Ohne Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit seien: Status post Meniskektomie rechts (2001); Lumbovertebralsyndrom L4 L5 bei Beckenschiefstand links und Transitionsanomalie; zervikospondylogenes Syndrom beidseits bei muskulärer Dysbalance; Fehlhaltung (Streckhaltung und Hyperkyphose); anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4; bestehend seit mindestens 2005). In der angestammten Tätigkeit sei der Versicherte nicht mehr arbeitsfähig; eine leichte bis mittelschwere Tätigkeit sei ihm ganztags möglich, wobei die zu hantierenden Gewichte im Bereich von 10-15 kg lägen und Zwangshaltungen des Rückens vermieden werden sollten. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 18. April 2007 sprach ihm die IV-Stelle ab 1. Februar 2005 bis 31. Januar 2006 eine ganze Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad 100 %); danach entfalle der Rentenanspruch (Invaliditätsgrad 25 %).
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Am 9. Oktober 2008 meldete sich der Versicherte erneut bei der IV-Stelle an. Er berief sich auf die Berichte der Dres. med. R.________, Facharzt FMH für Neurologie, vom 8. Mai 2008 sowie H.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie, Wirbelsäulenleiden, Schleudertrauma und orthopädische Traumatologie, vom 4. Oktober 2008 und 26. Januar 2010. Die IV-Stelle zog eine Stellungnahme der Frau Dr. D._________, Fachärztin für Physikalische Medizin und Rehabilitation, Regionaler Ärztlicher Dienst (RAD) vom 15. April 2010, einen Bericht des Psychiaters FMH A.________ und des Dr. phil. klin. psych./Supervisor S.________, vom 16. Juni 2010 sowie Stellungnahmen der Frau Dr. D._________ und des Psychiaters FMH Dr. med. B.________, RAD, vom 4. August 2010 bei. Mit Verfügung vom 12. November 2010 verneinte die IV-Stelle den Rentenanspruch mangels Verschlechterung des Gesundheitszustandes.
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B.
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Hiegegen erhob der Versicherte beim Kantonsgericht Wallis Beschwerde; er legte neu einen Bericht des Dr. med. H.________ vom 5. August 2008 auf. Mit Entscheid vom 29. September 2011 wies die Vorinstanz die Beschwerde ab.
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C.
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Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, die IV-Stelle sei anzuweisen, seinen Gesundheitszustand unter Wahrung des Ergänzungsfragerechts auf Expertenstufe abzuklären; als Experten seien Prof. Dr. med. E.________ (Neurologie) und Prof. Dr. med. F.________ (Neuropsychiatrie) zu beauftragen; sodann sei über seinen Rentenanspruch neu zu befinden; es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt. Mit Verfügung vom 17. November 2011 wies das Bundesgericht das Gesuch um Gewährung der unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab. Hierauf bezahlte der Beschwerdeführer den einverlangten Kostenvorschuss und wandte sich mit Eingabe vom 18. Januar 2012 nochmals ans Bundesgericht.
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Erwägungen:
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1.
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Die Beschwerde kann wegen Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Rechtsfragen sind die unvollständige Feststellung rechtserheblicher Tatsachen sowie die Missachtung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG) und der Anforderungen an den Beweiswert von Arztberichten (BGE 135 V 465, 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund medizinischer Untersuchungen gerichtlich festgestellte Arbeitsfähigkeit und die konkrete Beweiswürdigung sind Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, in SVR 2009 IV Nr. 53 S. 164 [9C_204/2009]; Urteil 8C_477/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 1).
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2.
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Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG; Art. 4 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach dem Einkommensvergleich (Art. 16 ATSG; Art. 28a Abs. 1 IVG), den Rentenanspruch (Art. 28 Abs. 1 IVG), die bei der Neuanmeldung analog anwendbaren Revisionsgrundsätze (Art. 17 Abs. 1 ATSG; Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV; BGE 133 V 108 E. 5.2 S. 111), den Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125) und den Beweiswert ärztlicher Berichte (E. 1 hievor) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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3.
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3.1 Die Vorinstanz hat in Würdigung der medizinischen Akten mit einlässlicher Begründung - auf die verwiesen wird - richtig erkannt, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten seit der Renteneinstellung per 31. Januar 2006 (Verfügung vom 18. April 2007) bis zur streitigen Verfügung vom 12. November 2011 nicht erheblich verschlechtert und er keinen Rentenanspruch hat.
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Die Vorbringen des Versicherten vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Dies gilt auch für die zusätzliche Eingabe vom 18. Januar 2012, welche überdies ausserhalb der Beschwerdefrist und daher verspätet (Art. 99 und 100 BGG) erfolgt ist. Er erhebt keine Rügen, welche die vorinstanzlichen Feststellungen zu seiner Arbeitsfähigkeit als offensichtlich unrichtig oder als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen lassen. Eine ungenügende Sachverhaltsabklärung liegt nicht vor, weil die dafür u.a. notwendigen Voraussetzungen - unauflösbare Widersprüche tatsächlicher Art oder Beantwortung einer entscheidwesentlichen Tatfrage, wie namentlich bezüglich Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit, auf unvollständiger Beweisgrundlage - nicht vorliegen. Im Rahmen der freien, pflichtgemässen Würdigung der Beweise durch die Vorinstanz ergab sich ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild des Gesundheitszustandes, das nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit hinreichende Klarheit über den rechtserheblichen Sachverhalt vermittelt, weshalb ihre Sachverhaltsfeststellung bundesrechtskonform ist (vgl. Urteil 8C_639/2011 vom 5. Januar 2012 E. 4.2). Von weiteren medizinischen Abklärungen ist - der Vorinstanz folgend - abzusehen, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 137 V 64 E. 5.2 S. 69, 136 I 229 E. 5.3 S. 236). Festzuhalten ist insbesondere Folgendes:
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3.2 Der Versicherte macht geltend, er verlange das rechtliche Gehör (vgl. Art. 29 Abs. 2 BV) bezüglich der relevanten Aktenstücke, damit er rechtzeitig Einfluss auf die (vorgefasste) Entscheidfindung nehmen könne. Es sei nicht ausreichend, wenn er erst kurz vor Erlass der Verfügung vom 12. November 2010 - nachdem der Vorentscheid vom 20. August 2010 bereits gefällt worden sei - die Möglichkeit erhalte, sich zum Beweisergebnis zu äussern. Die IV-Stelle habe sich in der Verfügung massgeblich auf die Stellungnahmen der RAD-Ärzte vom 4. August 2010 gestützt. Ergänzungsfragen des Versicherten an den Arzt hätten somit nicht berücksichtigt werden können. Dem ist entgegenzuhalten, dass der bereits damals anwaltlich vertretene Versicherte Gelegenheit hatte, zum Vorentscheid der IV-Stelle Stellung zu nehmen, wovon er mit Eingabe vom 24. September 2010 Gebrauch machte. Hierin äusserte er sich auch zu den RAD-Stellungnahmen vom 4. August 2010, ohne Ergänzungsfragen zu stellen. Unter diesen Umständen ist eine Verletzung des Gehörsanspruchs nicht ersichtlich.
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3.3 In somatischer Hinsicht wendet der Versicherte ein, die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sei auf Weichteilbeschwerden zurückzuführen. Soweit er geltend macht, dies ergebe sich aus dem Bericht des Psychiaters A.________ und des Psychologen/Supervisors Dr. phil. S.________ vom 16. Juni 2010 (vgl. auch E. 3.4 hienach), kann dem nicht gefolgt werden. Im vom Versicherten weiter ins Feld geführten Bericht vom 26. Januar 2010 legte Dr. med. H.________ dar, aus somatischer Sicht könne leider keine objektive Verschlechterung, d.h. keine deutliche pathologische Veränderung in den bildgebenden Verfahren oder in einer neurologischen Abklärung dokumentiert werden; das heisse nicht, dass es dem Versicherten nicht schlechter gehe; diese Verschlechterung sei vor allem eine Folge der Beschwerden in den Weichteilen (zervikal und lumbal), die leider nicht durch objektive pathologische Veränderungen dokumentiert werden könne. Unbehelflich ist der Einwand des Versicherten, als Beweismöglichkeit existiere zum Beispiel das 7-T-MRI. Denn Dr. med. H.________ führte am 5. August 2010 aus, diese Methode zur Dokumentierung von Weichteilschäden werde in Deutschland bezüglich der Schleudertraumaproblematik, allerdings erst experimentell, eingesetzt. Bis heute liessen sich Weichteilbeschwerden aufgrund der fehlenden Technik noch nicht objektivieren. Dass sich hieran etwas geändert hätte und das 7-T-MRI von Forschern und Praktikern der medizinischen Wissenschaft auf breiter Basis anerkannt wäre (vgl. BGE 134 V 231), macht der Versicherte nicht geltend.
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3.4 Der Psychiater FMH A.________ und der Psychologe/Supervisor Dr. phil. S.________ diagnostizierten im Bericht vom 16. Juni 2010 eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1); wegen der Traumatisierung sei der Versicherte nicht in der Lage, einem regelmässigen Arbeitsprozess zu folgen; er müsste selbstbestimmend immer wieder liegen können; unzumutbar seien Anforderungen, Stress und Publikumsverkehr. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sei auf die posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Vorinstanz hat gestützt auf die Stellungnahme des RAD-Psychiaters Dr. med. B.________ vom 4. August 2010 - im Lichte der eingeschränkten bundesgerichtlichen Kognition - in nicht zu beanstandender Weise erkannt, dass der psychiatrische Bericht vom 16. Juni 2010 eine unterschiedliche Beurteilung eines seit 1. Februar 2006 im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts beinhaltet, die unbeachtlich ist (nicht publ. E. 3.2 des Urteils BGE 136 V 216, in SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1 E. 3.2 [8C_972/2009]; Urteil 8C_624/2011 vom 2. November 2011 E. 2). Aus dem Urteil 8C_754/2009 vom 15. Juli 2010 kann der Versicherte nichts zu seinen Gunsten ableiten, da der dortige Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht hinreichend vergleichbar ist; entgegen seinem Vorbringen erfolgte darin insbesondere keine Praxisänderung bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung.
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3.5 Schliesslich vermag der Umstand, dass die RAD-Arztpersonen Frau D._________ und Dr. med. B.________ den Versicherten nicht selber untersucht haben, ihre Stellungnahmen aufgrund der Aktenlage nicht in Frage zu stellen (vgl. SVR 2009 IV Nr. 56 S. 174 E. 4.3.1 [9C_323/2009]).
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4.
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Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.
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Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.
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Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Wallis, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 31. Januar 2012
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Ursprung
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Der Gerichtsschreiber: Jancar
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