Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_822/2011
Urteil vom 3. Februar 2012
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Master of Law David Fischer,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle Schwyz,
Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 27. September 2011.
Sachverhalt:
A.
Mit Verfügung vom 8. April 1997 sprach die IV-Stelle Schwyz der 1962 geborenen K.________ eine ganze Rente ab 1. März 1996 zu. In der Folge wurde der Rentenanspruch dreimal bestätigt, letztmals mit Mitteilung vom 7. April 2006. Im Rahmen eines weiteren 2009 eingeleiteten Revisionsverfahrens wurde K.________ medizinisch abgeklärt (MEDAS-Gutachten vom 22. Juli 2010). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren hob die IV-Stelle die Verfügung vom 8. April 1997 wiedererwägungsweise auf und stellte u.a. fest, es bestehe ab 1. März 2011 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 50 % Anspruch auf eine halbe Rente. Gemäss Übergangsbestimmungen habe die Versicherte trotzdem Anspruch auf eine ganze Rente (Verfügung vom 27. Januar 2011).
B.
Auf die Beschwerde der K.________ mit dem Antrag, die IV-Stelle sei anzuweisen, ihr eine Rente basierend auf einem Invaliditätsgrad von mindestens 70 % auszurichten, trat das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz nicht ein (Entscheid vom 27. September 2011).
C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, das Erkenntnis vom 27. September 2011 sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. Januar 2011 einzutreten und sowohl einen materiellen Entscheid zu erlassen als auch das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung zu behandeln.
Das kantonale Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Mit der vorinstanzlich angefochtenen Verfügung vom 27. Januar 2011 hob die IV-Stelle die auf einem Invaliditätsgrad von 70 % beruhende ganze Rente der Beschwerdeführerin wiedererwägungsweise auf (Art. 53 Abs. 2 ATSG) und setzte den Anspruch entsprechend dem ermittelten Invaliditätsgrad von 50 % ab 1. März 2011 herab (Art. 28 Abs. 2 IVG). Da der Ehemann der Versicherten im Zeitpunkt der Verfügung vom 27. Januar 2011 eine ganze Rente bezog und sich die Bemessung ihrer Rente danach richtete (vgl. Kreisschreiben über die Berechnung von überführten und altrechtlichen Renten bei Mutationen und Ablösungen [KS3] Rz. 2022), gelangte weiterhin eine ganze Rente zur Ausrichtung.
2.
Die Vorinstanz ist auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. Januar 2011, mit der die Ausrichtung einer ganzen Rente basierend auf einem Invaliditätsgrad von mindestens 70 % beantragt wurde, nicht eingetreten mit der Begründung, die Versicherte habe nach wie vor Anspruch auf eine ganze Rente. Es fehle somit an einem aktuellen schutzwürdigen Interesse - im Sinne des einschlägigen § 37 Abs. 1 der kantonalen Verordnung über die Verwaltungsrechtspflege - an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades als 50 %.
3.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 59 ATSG. Das Verständnis der Vorinstanz vom Begriff des schutzwürdigen Interesses an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades als 50 % sei zu eng.
3.1 Nach Art. 59 ATSG ist zur Beschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung oder den Einspracheentscheid berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Der Begriff des schutzwürdigen Interesses für das Verfahren vor dem kantonalen Versicherungsgericht ist gleich auszulegen wie derjenige nach Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG für das Verfahren der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vor dem Bundesgericht (BGE 134 II 120 E. 2.1 S. 122; SVR 2009 BVG Nr. 27, 8C_539/2008 E. 2.1). Ein schutzwürdiges Interesse liegt somit vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation des oder der Rechtsuchenden durch den Ausgang des Verfahrens beeinflusst werden kann. Dabei wird verlangt, dass die Beschwerde führende Person durch den angefochtenen Verwaltungsakt (Verfügung oder Einspracheentscheid) stärker als jedermann betroffen ist und in einer besonderen, beachtenswerten, nahen Beziehung zur Streitsache steht (BGE 136 V 7 E. 2.1 S. 9 mit Hinweisen).
Bei einer Verfügung über eine Rente der Invalidenversicherung im Besonderen kann allenfalls ein schutzwürdiges Interesse an der sofortigen Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades bestehen, auch wenn sich ein solcher nicht auf die Höhe der IV-Leistung auswirkt (Urteil 9C_858/2010 vom 17. Mai 2011 E. 1 mit Hinweisen).
3.2 Die Beschwerdeführerin begründet ihr schützenswertes Interesse an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades als 50 % bzw. eines Invaliditätsgrades von mindestens 70 % mit der Absicht, sich von ihrem mehr als sieben Jahre getrennt lebenden Ehemann scheiden zu lassen (E. 3.2.1) sowie wegen der Bedeutung des IV-Entscheids für die Höhe der Rente der beruflichen Vorsorge (E. 3.2.2) und den Anspruch auf Ergänzungsleistungen (E. 3.2.3).
3.2.1 Bei einer Scheidung wird die Rente der Beschwerdeführerin neu festgesetzt, was bei einem Invaliditätsgrad von nurmehr 50 % zu tieferen Leistungen führt. Dies allein begründet indessen kein aktuelles schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades. Es kann sich nicht anders verhalten als im Falle des Bezugs einer Witwen- oder Witwerrente hinsichtlich einer möglichen Wiederverheiratung (vgl. SVR 2006 IV Nr. 11 S. 41, I 791/03 E. 2.6). Von einer unzumutbaren Unsicherheit betreffend die finanziellen Konsequenzen einer Scheidung kann entgegen den Vorbringen in der Beschwerde nicht gesprochen werden. Zum einen kann sich die Versicherte unentgeltlich die Rente vorausberechnen lassen (Art. 33ter IVV); zum andern könnte sie bei einer Scheidung die Herabsetzung der ganzen Rente auf eine halbe durch Bestreitung der Invaliditätsbemessung der IV-Stelle anfechten (vgl. BGE 106 V 91 E. 2 S. 93; SVR 2006 IV Nr. 11 S. 41, I 791/03 E. 2.6.2).
3.2.2 Aufgrund der Akten war die Invaliditätsleistungen ausrichtende Vorsorgeeinrichtung weder ins Vorbescheidverfahren einbezogen worden, noch wurde ihr die Verfügung vom 27. Januar 2011 eröffnet. Damit ist aber die Invaliditätsschätzung der Invalidenversicherung für sie und auch das Berufsvorsorgegericht grundsätzlich nicht verbindlich (Urteil 9C_689/2008 vom 25. Februar 2009 E. 1.2 mit Hinweisen). Im Übrigen entfaltet der im IV-Verfahren ermittelte Invaliditätsgrad auch dann keine Bindungswirkung für die berufliche Vorsorge, wenn er nicht genau ("präzis") bestimmt werden muss, weil eine grobe Schätzung für die Festsetzung des Umfangs des Anspruchs oder die Verneinung eines Anspruchs genügt. Diese Bindungswirkungsfrage stellt sich u.a. im Zusammenhang mit Ehepaar-Invalidenrenten (Urteil 9C_858/2010 vom 17. Mai 2011 E. 2.3.2 mit weiteren Hinweisen), welche Sachverhaltskonstellation hier gegeben ist. Aufgrund des Bezugs einer ganzen Rente durch den Ehemann gab bereits ein Invaliditätsgrad von 40 % weiterhin Anspruch auf Ausrichtung einer ganzen Rente. Damit fehlt es auch aus berufsvorsorgerechtlicher Sicht an einem schutzwürdigen Interesse zur Anfechtung der Verfügung vom 27. Januar 2011.
3.2.3 Aus den im vorinstanzlichen Verfahren eingereichten Unterlagen zum Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin Ergänzungsleistungen (EL) zur Rente der Invalidenversicherung bezieht. Der Invaliditätsgrad bestimmt massgeblich, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe einnahmenseitig ein hypothetisches Erwerbseinkommen anzurechnen ist (Art. 11 Abs. 1 lit. a ELG und Art. 14a Abs. 2 ELV; Urteil 9C_600/2009 vom 8. Oktober 2009 E. 3; vgl. auch SVR 2010 EL Nr. 11 S. 31, 9C_67/2010 E. 3.2.2). Im Berechnungsblatt für den EL-Anspruch ab 1. Januar 2011 ist der nicht erwerbstätigen Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 14a Abs. 2 lit. b ELV ein hypothetisches Einkommen von Fr. 14'400.- angerechnet worden. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 60 % bis unter 70 % würde weniger (Art. 14a Abs. 2 lit. c ELV), bei mindestens 70 % sogar kein solches Einkommen berücksichtigt. Ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung eines höheren Invaliditätsgrades als 50 % ist daher zu bejahen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 185/00 vom 11. September 2002 E. 4b/bb).
3.3 Die Vorinstanz hätte somit auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. Januar 2011 eintreten und das sinngemässe Begehren, es sei festzustellen, dass der Invaliditätsgrad mindestens 70 % betrage, behandeln müssen. Das wird sie nachzuholen haben, wobei sie auch über das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung zu befinden hat. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist begründet.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die IV-Stelle die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Deren Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist demzufolge gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz vom 27. September 2011 aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie über die Beschwerde gegen die Verfügung vom 27. Januar 2011 materiell entscheide.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der IV-Stelle Schwyz auferlegt.
3.
Die IV-Stelle Schwyz hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz, der Ausgleichskasse Schwyz und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 3. Februar 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Fessler