Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4D_91/2011
Urteil vom 4. April 2012
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Gerichtsschreiber Luczak.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Reto B. Känzig,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Caroline Engel,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Schadenersatz,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 22. September 2011.
Erwägungen:
1.
A.________ (Beschwerdeführerin) hat in dem von der Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis gegen B.________ (Beschwerdegegner) geführten Strafverfahren ein Schadenersatzbegehren im Betrage von Fr. 19'188.-- nebst Zins gestellt. Das Jugendgericht des Bezirks Horgen, das den Beschwerdegegner am 13. Januar 2010 wegen mehrfacher Brandstiftung im Sinne von Art. 221 Abs. 1 StGB und weiterer Delikte schuldig gesprochen hat, wies die Schadenersatzbegehren, darunter auch jenes der Beschwerdeführerin, auf den Weg des ordentlichen Zivilprozesses und entsprach damit dem Begehren des Beschwerdegegners. Die Beschwerdeführerin hat beim Obergericht des Kantons Zürich Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil, soweit es ihre Zivilforderung betraf, aufzuheben und ihre Zivilforderung im Umfang von Fr. 16'892.-- nebst Zins gutzuheissen. Im Übrigen erwuchs das Urteil des Jugendgerichts in Rechtskraft. Das Obergericht erkannte am 22. September 2011, das Schadenersatzbegehren der Beschwerdeführerin werde auf den Weg des ordentlichen Zivilprozesses verwiesen.
2.
Die Beschwerdeführerin stellt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, eventuell mit subsidiärer Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen folgende Anträge:
"1. Es sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an die Erstinstanz, eventualiter an die Vorinstanz zurückzuweisen.
2. Es sei die Vorinstanz anzuweisen, der Beschwerdeführerin Einsicht in das psychiatrische Gutachten des Zentrums X.________ sowie in das psychiatrische Gutachten des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes Y.________ zu gewähren, soweit diese Gutachten für die Erst- oder Vorinstanz hinsichtlich dem Schadenersatzbegehren der Beschwerdeführerin relevant sind.
3. Es sei die Erstinstanz, eventualiter die Vorinstanz anzuweisen, der Beschwerdeführerin nach gewährter Akteneinsicht eine Frist zur Ergänzung ihres Schadenersatzbegehrens bzw. ihrer Berufung zu gewähren."
Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.
3.
Die Beschwerdeschrift enthält keinen materiellen Antrag, wie er nach Art. 42 Abs. 1 BGG erforderlich ist. Der unter Ziffer 1 der Rechtsbegehren gestellte Rückweisungsantrag genügt indessen, da die Vorinstanz die Forderung der Beschwerdeführerin überhaupt nicht beurteilt hat und es nicht Sache des Bundesgericht wäre, als erste Instanz darüber zu entscheiden. Das Bundesgericht könnte mithin, sollte es die Rechtsauffassung der Beschwerdeführerin für begründet erachten, kein Sachurteil fällen, sondern müsste die Streitsache zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes an die Vorinstanz zurückweisen (BGE 133 III 489 E. 3.1 mit Hinweisen). Die unter Ziffer 2 und 3 gestellten Anträge sind insoweit problematisch, als sie in den Rechtsbegehren an die Vorinstanz noch nicht enthalten waren (Art. 99 Abs. 2 BGG). Es ist indessen davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin darin lediglich die Vorgaben umschreibt, nach welchen die Vorinstanz nach der beantragten Rückweisung vorzugehen hätte (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_289/2008 vom 1. Oktober 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 III 591). Insoweit sind die Vorbringen zulässig, zumal die Beschwerdeführerin bereits vor der Vorinstanz gerügt hatte, die erste Instanz hätte ihr Einsicht in die zwei psychiatrischen Gutachten gewähren müssen.
4.
Die Beschwerdeführerin erkennt, dass angesichts des Fr. 30'000.-- unterschreitenden Streitwerts die Beschwerde in Zivilsachen an sich nicht offen steht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG), meint aber, es stelle sich eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung (Art. 74 Abs. 2 lit. a BGG). Zu entscheiden sei, ob der Schutz der Interessen des Angeklagten zur Geheimhaltung von Akten, welche für die Beurteilung der Zivilforderung entscheidrelevant sind, höher zu gewichten sind als das Recht des Geschädigten, seine zivilrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren wirkungsvoll durchzusetzen, was erfordere, die Interessen des Geschädigten gegenüber jenen des Täters, der den Schaden verursacht hat, abzuwägen. Damit zeigt die Beschwerdeführerin selbst auf, dass die Beantwortung der sich stellenden Streitfrage kasuistisch zu erfolgen hat und in aller Regel über den konkreten Fall hinaus keine Bedeutung erlangen kann (zum Begriff der Frage von grundsätzlicher Bedeutung vgl. BGE 135 III 1 E. 1.3 S. 4 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist daher nicht einzutreten.
4.1 Dies schadet der Beschwerdeführerin insoweit nicht, als sie ausschliesslich rügt, im kantonalen Verfahren sei ihr verfassungsmässiger Gehörsanspruch, insbesondere ihr Recht auf Akteneinsicht, verletzt worden, was sie auch mit der gleichzeitig erhobenen subsidiären Verfassungsbeschwerde geltend machen kann (Art. 116 BGG).
4.2 Zu beachten ist allerdings, dass das Bundesgericht im Verfahren der Verfassungsbeschwerde (wie übrigens auch im Rahmen einer Beschwerde in Zivilsachen, soweit es um die Verletzung von Grundrechten geht) nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen prüft. Es gilt ein strenges Rügeprinzip: das Gericht untersucht den angefochtenen Entscheid nicht von sich aus umfassend auf seine Verfassungsmässigkeit, sondern beschränkt sich auf die Prüfung der in der Beschwerde rechtsgenüglich vorgebrachten Rügen (Art. 106 Abs. 2 und Art. 117 BGG ; BGE 134 V 138 E. 2.1 S. 143; 133 III 439 E. 3.2 S. 444 mit Hinweisen).
5.
Die Beschwerdeführerin rügt ausschliesslich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
5.1 Die Vorinstanz erkannte, das Akteneinsichtrecht des Geschädigten sei bei Akten zur Person des Angeklagten, die nur für die Strafzumessung von Bedeutung seien, eingeschränkt. Die Gutachten äusserten sich über die psychische Gesundheit des Beschwerdegegners, die (strafrechtliche) Schuldfähigkeit, die Rückfallgefahr und die Anordnung von Schutzmassnahmen. Sie enthielten somit sensible Informationen, die den Geschädigten nicht zur Durchsetzung ihrer Zivilforderungen dienten. Daher sei das rechtliche Gehör nicht verletzt worden. Mit Bezug auf die Forderung der Beschwerdeführerin erwog die Vorinstanz, die massgebliche Brandstiftung vom 5. Juli 2006 werde in den Gutachten nicht erwähnt. Da sich diese aber auch in allgemeiner Weise über den Beschwerdegegner äusserten, seien deren Erkenntnisse gegebenenfalls auch bei der Beurteilung der Zurechenbarkeit bzw. der Urteilsfähigkeit mit Bezug auf die Brandstiftung vom 5. Juli 2006 zu beachten. Die Vorinstanz kam dann aber zum Schluss, unter Berücksichtigung der beiden psychiatrischen Gutachten lasse sich mit Bezug auf die Brandstiftung vom 5. Juli 2006 nicht abschliessend und hinreichend beurteilen, ob der Beschwerdegegner im Tatzeitpunkt urteilsfähig war. Daher wies sie die Forderung der Beschwerdeführerin auf den Weg des Zivilprozesses.
5.2 Die Beschwerdeführerin geht mit der Vorinstanz davon aus, das Akteneinsichtsrecht des Geschädigten bestehe nur insoweit, als dies zur Durchsetzung seiner prozessualen Rechte notwendig sei. Die Vorinstanz argumentiere aber widersprüchlich, wenn sie einerseits der Beschwerdeführerin die Akteneinsicht verweigere, um ihr andererseits dieselben Akten entgegenzuhalten und angeblich entscheidrelevante Aktenstellen zu zitieren. Die Beschwerdeführerin sei bei dieser Ausgangslage schlicht nicht im Stande, den Erwägungen der kantonalen Instanz etwas entgegen zu halten.
5.3 Der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessende Anspruch auf rechtliches Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt anderseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Dazu gehört insbesondere das Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines solchen Entscheids zur Sache zu äussern, erhebliche Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (BGE 135 I 187 E. 2.2 S. 190; 127 I 54 E. 2b S. 56 mit Hinweis).
5.4 Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verlangt insbesondere, dass die Gerichte die rechtserheblichen Vorbringen der Parteien anhören und bei der Entscheidfindung berücksichtigen. Damit sich die Parteien ein Bild über die Erwägungen des Gerichts machen können, ist sein Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die sich sein Entscheid stützt. Nicht erforderlich ist hingegen, dass sich der Entscheid mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinander setzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Es genügt, wenn der Entscheid gegebenenfalls sachgerecht angefochten werden kann (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).
5.5 Wenn die Vorinstanz einerseits davon ausgeht, die Informationen in den psychiatrischen Gutachten dienten den Geschädigten nicht zur Durchsetzung ihrer Zivilforderungen, und andererseits festhält, die Erkenntnisse der Gutachten seien gegebenenfalls auch bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit mit Bezug auf die Brandstiftung vom 5. Juli 2006 zu beachten, ist ein gewisser Widerspruch unübersehbar. Insoweit ist der Beschwerdeführerin beizupflichten. Damit ist für sie jedoch noch nichts gewonnen, zumal die Beschwerde im Übrigen nur schwer nachzuvollziehen ist.
5.5.1 Die Beschwerdeführerin anerkennt, dass ihr Akteneinsichtsrecht nur so weit reicht, als dies zur Durchsetzung ihrer prozessualen Rechte notwendig ist. Nach dem angefochtenen Entscheid enthalten die Gutachten neben den für die Beurteilung der Urteilsfähigkeit relevanten Aussagen Informationen, die für die Durchsetzung der prozessualen Rechte nicht wesentlich sind und daher vom Einsichtsrecht nicht erfasst werden. Es besteht mithin kein Anspruch auf uneingeschränkte Akteneinsicht, sondern höchstens auf Einsicht in die prozesswesentlichen Passagen.
5.5.2 Die Beschwerdeführerin führt selbst aus, das Gericht dürfe ihre Forderung auf den Zivilweg verweisen, wenn ihm aufgrund der Akten und der Vorbringen der Parteien kein sofortiger Entscheid über die Zivilforderung möglich ist. Sie anerkennt, dass die nach Meinung der Vorinstanz wesentlichen Passagen im Entscheid zitiert werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin nicht im Stande sein sollte, aufzuzeigen, inwiefern sich die für ihre Zivilforderung relevante Urteilsfähigkeit nach Art. 16 ZGB aus den angeführten Passagen ableiten lässt. Insoweit wäre sie entgegen ihrem Vorbringen in der Lage gewesen, sich mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinander zu setzen bzw. diesen "etwas entgegen zu halten". Dass sie befürchtet, die Vorinstanz könnte die Gutachten falsch zitiert oder wesentliche Stellen unterschlagen haben, macht sie nicht geltend. Die blosse Behauptung, die Vorinstanz zitiere angeblich entscheidrelevante Aktenstellen, reicht dazu nicht aus, denn ob die zitierten Passagen entscheidrelevant sind, ergibt sich aus ihnen selbst. Insoweit genügt die Beschwerde den strengen Begründungsanforderungen (Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht, weshalb nicht darauf einzutreten ist. Ob die Vorinstanz tatsächlich alle relevanten Stellen der Gutachten wiedergegeben hat, könnte die Beschwerdeführerin auch nicht beurteilen, wenn die Vorinstanz ihrem Antrag entsprechend angewiesen würde, ihr in alle für sie relevanten Stellen der Gutachten Einsicht zu gewähren. Sie könnte nur feststellen, ob die Passagen korrekt wiedergegeben wurden. Nur einer Person, die (auch gegenüber der Beschwerdegegnerin) bezüglich des Inhalts der Gutachten unter Geheimhaltungspflicht steht, könnte die volle Akteneinsicht gewährt werden. Dass die Beschwerdeführerin Akteneinsicht in dieser Form beantragt hätte, macht sie nicht geltend und ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen.
5.5.3 Selbst wenn sich im Gutachten weitere Stellen fänden, die entscheidwesentlich sein könnten, würde dies der Beschwerdeführerin noch nichts nützen, da dies nicht bedeutet, dass die Urteilsfähigkeit des Beschwerdegegners ausgewiesen und von weiteren Beweismassnahmen abzusehen ist. Angesichts der von der Vorinstanz hervorgehobenen Divergenzen der Gutachten bezüglich des Grades der Verminderung der Steuerungsfähigkeit wäre es jedenfalls nicht willkürlich, die Sache gestützt auf die Akten für nicht spruchreif zu betrachten.
6.
Insgesamt erweist sich die subsidiäre Verfassungsbeschwerde als unbegründet. Sie ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist nicht einzutreten. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kostenpflichtig.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die Beschwerde in Zivilsachen wird nicht eingetreten.
2.
Die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. April 2012
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Luczak