Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_658/2011
Urteil vom 4. April 2012
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Schöbi.
Gerichtsschreiber Borner.
Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Lars Heidbrink,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Zentralstrasse 28, 6002 Luzern,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Widerhandlung gegen das Ausländergesetz;
rechtliches Gehör, Anklagegrundsatz, faires Verfahren; Rechtsirrtum,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, 4. Abteilung, vom 12. Mai 2011.
Sachverhalt:
A.
L.________ ist Geschäftsführer eines FKK-Single-Clubs. Für Fr. 90.-- können Männer und Frauen die Infrastruktur wie Sauna, Dampfbad, Whirlpool, Sonnenterrasse und Sex-Kino benützen. Dem Geschäftsführer wird vorgeworfen, Frauen ohne ausländerrechtliche Bewilligung Zimmer für das Anbieten von sexuellen Diensten zur Verfügung gestellt zu haben. Die Kantonspolizei Luzern hielt am 11. März 2009 im Club 21 Frauen an, davon 19 aus Bulgarien und Rumänien sowie je eine aus Litauen und Brasilien.
B.
Das Amtsgericht Luzern-Land verurteilte L.________ am 13. Dezember 2010 wegen mehrfacher Beschäftigung von Ausländerinnen ohne Bewilligung (Art. 117 Abs. 1 Satz 1 AuG) und mehrfacher Widerhandlung gegen das kantonale Gastgewerbegesetz zu einer bedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 50.-- und Fr. 1'000.-- Busse.
Auf Appellation des Verurteilten sprach ihn das Obergericht am 12. Mai 2011 schuldig des mehrfachen Verschaffens einer Erwerbstätigkeit in der Schweiz an Ausländerinnen ohne die dazu erforderliche Bewilligung (Art. 116 Abs. 1 lit. b AuG) und bestätigte die Widerhandlungen gegen das Gastgewerbegesetz sowie die erstinstanzlichen Sanktionen.
C.
L.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf des Verstosses gegen das Ausländergesetz freizusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Erwägungen:
1.
Anlässlich der Appellationsverhandlung eröffnete die Vorinstanz dem Beschwerdeführer, dass sie den Sachverhalt auch unter der Strafnorm des Art. 116 Abs. 1 lit. b AuG prüfen werde, und forderte ihn auf, sich zu diesem Tatbestand zu äussern.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes, des rechtlichen Gehörs und seines Anspruchs auf ein faires Verfahren, weil er sich ohne Vorbereitung zur neuen Strafbestimmung habe äussern müssen und weder Beweisanträge noch Ergänzungen zum rechtserheblichen Sachverhalt habe machen können.
Das Amtsgericht beurteilte die Tätigkeit der Frauen als unselbstständige. Gestützt auf denselben Anklagesachverhalt erkannte die Vorinstanz - wie vom Beschwerdeführer selbst in der Berufung vertreten - auf selbstständige Erwerbstätigkeit. Welche Beweisanträge oder Ergänzungen des rechtserheblichen Sachverhalts der Beschwerdeführer unter diesen Umständen hätte machen wollen, legt er nicht dar und ist auch nicht ersichtlich.
Das Gericht hat das Recht von Amtes wegen anzuwenden. Dabei ist es nicht an die rechtliche Würdigung der Anklagebehörde gebunden. Nachdem der Beschwerdeführer selbst die Frauen als Selbstständigerwerbende dargestellt hatte, musste er damit rechnen, dass die Vorinstanz den Fall unter dieser Prämisse beurteilen würde. Deshalb genügte ihr Hinweis zu Beginn der Appellationsverhandlung.
Damit erweisen sich die gerügten Verfassungsverletzungen als unbegründet.
2.
Art. 116 Abs. 1 lit. b AuG erfüllt, wer Ausländerinnen oder Ausländern eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz ohne die dazu erforderliche Bewilligung erleichtert beziehungsweise eine solche Erwerbstätigkeit fördert, mithin Gehilfenschaft zur Straftat im Sinne von Art. 115 Abs. 1 lit. c AuG leistet, wonach bestraft wird, wer eine nicht bewilligte Erwerbstätigkeit ausübt (BGE 137 IV 153 E. 1.8, 159 E. 1.5.1).
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet, den objektiven Tatbestand erfüllt zu haben. Da er nicht Arbeitgeber der Frauen gewesen sei, sei er auch nicht verpflichtet gewesen, deren Arbeitsbewilligungen zu kontrollieren bzw. diese bei der Behörde einzuholen.
Die Rüge geht an der Sache vorbei. Dem Beschwerdeführer wird nicht vorgeworfen, er hätte Bewilligungen einholen resp. kontrollieren müssen. Durch das Club-Angebot mussten die Frauen nicht selbst Räumlichkeiten und Freier "organisieren", was ihnen die Erwerbstätigkeit zumindest erleichterte. Damit ist der objektive Tatbestand erfüllt.
2.2 Auch den subjektiven Tatbestand ficht der Beschwerdeführer mit dem Argument an, weil ihm keine Arbeitgeberstellung zugekommen sei, habe er die Bewilligungen nicht kontrollieren müssen. Vielmehr habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Frauen die Bewilligungen selbst einholen würden.
Die Vorinstanz führt dazu unter anderem aus, es sei allgemein bekannt, dass ausländische Prostituierte immer wieder versuchten, ohne ausländerrechtliche Bewilligung in der Schweiz zu arbeiten. "Die Anzahl der illegal anwesenden Prostituierten wie auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit deren Anwesenheit Umsätze im Club generierte, lassen darauf schliessen, dass er nicht nur fahrlässig darauf vertraut hat, dass die Prostituierten im Besitz der notwendigen Bewilligungen waren, sondern dass er deren Fehlen - auch aus eigenem Interesse - bewusst in Kauf nahm" (angefochtener Entscheid S. 12 Ziff. 4.2.5).
Inwiefern diese Beweiswürdigung willkürlich sein sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Bei dieser Ausgangslage ist die vorinstanzliche Beurteilung, er habe vorsätzlich gehandelt, nicht zu beanstanden.
2.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, die im Club angehaltenen Frauen könnten sich auf das Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz berufen. Zudem unterliege eine selbstständige Erwerbstätigkeit bis zu 90 Arbeitstagen im Kalenderjahr dem Meldeverfahren. Das Unterlassen der Meldung stelle aber lediglich eine Ordnungswidrigkeit dar. Mithin sei die selbstständige Erwerbstätigkeit ohne Meldung nicht als Erwerbstätigkeit ohne erforderliche Bewilligung im Sinne von Art. 116 Abs. 1 lit. b AuG zu qualifizieren.
2.3.1 Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, benötigen unabhängig von der Aufenthaltsdauer eine Bewilligung (Art. 11 Abs. 1 AuG). Vorbehalten sind Staatsverträge wie z.B. das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (FZA; 0.142.112.681).
2.3.2 Zwischen der Schweiz und Brasilien gibt es kein Abkommen, das mit dem FZA vergleichbar wäre. Die Brasilianerin ging somit ohne Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nach.
Das FZA gilt heute auch für Bulgarien und Rumänien. Am 11. März 2009 jedoch, als die 19 Frauen aus diesen Ländern im Club angehalten wurden, war das Protokoll zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union vom 27. Mai 2008 (SR 0.142.112.681.1) noch nicht in Kraft getreten (in Kraft seit 1. Juni 2009). Da sich die 19 Bulgarinnen und Rumäninnen somit noch nicht auf das FZA berufen konnten, gingen auch sie ohne Bewilligung einer Erwerbstätigkeit nach.
Das Protokoll zum Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit im Hinblick auf die Aufnahme der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik als Vertragsparteien infolge ihres Beitritts zur Europäischen Union vom 26. Oktober 2004 (SR 0.142.112.681.1) war bereits am 1. April 2006 in Kraft getreten. Damit fiel die Litauerin unter den Geltungsbereich des FZA. Doch selbst wenn man der Argumentation des Beschwerdeführers folgen wollte, wonach die Litauerin lediglich eine Ordnungsvorschrift verletzt habe, rechtfertigt dies die Aufhebung des angefochtenen Entscheids nicht. Denn beim Tatverschulden legte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer zur Last, dass er einer Vielzahl von Frauen eine Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung erleichtert hatte. Von einer Vielzahl ist auch auszugehen, wenn die Litauerin keine Bewilligung gebraucht hätte. Da ansonsten alle Beurteilungsmerkmale unbestritten blieben, ist die vorinstanzliche Strafzumessung insgesamt nicht zu beanstanden.
3.
Der Beschwerdeführer macht einen Rechtsirrtum geltend. Der Betreiber eines gleich organisierten Clubs sei mit Urteil des Bezirksgerichts Uster vom 19. Dezember 2006 vom Verstoss gegen das ANAG freigesprochen worden. Deshalb habe er sich darauf verlassen können, seine Tätigkeit sei gesetzmässig.
Das Amtsgericht - worauf die Vorinstanz verweist - hatte unter anderem ausgeführt, der Umstand, dass der Beschwerdeführer das Aussageverhalten der Prostituierten gegenüber der Polizei gesteuert habe, zeige, dass er mit einem möglichen Gesetzeskonflikt gerechnet habe (Urteil vom 13. Dezember 2010, S. 17 oben). Bei dieser unangefochtenen Sachlage ist ein Rechtsirrtum zu verneinen.
4.
Die Beschwerde ist kostenpflichtig abzuweisen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, 4. Abteilung, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. April 2012
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Borner