BGer 5A_134/2012
 
BGer 5A_134/2012 vom 07.05.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
5A_134/2012
Urteil vom 7. Mai 2012
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin,
Bundesrichter Marazzi, von Werdt,
Gerichtsschreiber Zbinden.
1. Verfahrensbeteiligte
X.________,
2. Y.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bernhard Hediger,
Beschwerdeführerinnen,
gegen
Bezirksrat Z.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Rechtsverweigerung (Beistandschaft),
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 28. Dezember 2011.
Sachverhalt:
A.
A.a X.________ (geb. 1924) ist seit 22. August 2005 gestützt auf Art. 392 Ziff. 1 und Art. 393 Ziff. 2 ZGB verbeiständet. Sie ist pflegebedürftig und lebt seit ihrer Entlassung aus der fürsorgerischen Freiheitsentziehung (21. Oktober 2010) bei ihrer Tochter Y.________.
A.b Der Sohn von X.________ ersuchte um Entmündigung seiner Mutter. Mit Beschluss vom 16. November 2010 verzichtete die Vormundschaftsbehörde der Stadt Z.________ auf Errichtung einer Vormundschaft über X.________; sie beauftragte aber die Beiständin mit einer konsequenteren Regelung der Betreuung und der ärztlichen Versorgung von X.________ (Ziff. 2 des Dispositivs). X.________ und Y.________ erhoben gegen Ziff. 2 des ihnen am 18. November 2010 zugestellten Beschlusses am 29. November 2010 Beschwerde beim Bezirksrat Z.________ (untere Aufsichtsbehörde), mit der sie verschiedene, hier nicht relevante Anordnungen verlangten; eine weitere Eingabe liessen sie dem Bezirksrat am 22. Dezember 2010 zukommen. Mit Präsidialverfügung vom 24. Januar 2011 trat der Bezirksrat Z.________ wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein.
A.c Dagegen wandten sich X.________ und Y.________ am 15. Februar 2011 mit Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung an die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich; sie rügten die Untätigkeit der Vormundschaftsbehörde und des Bezirksrats und beantragten, der Bezirksrat sei anzuweisen, seiner Funktion als erste Aufsichtsbehörde in Vormundschaftssachen nachzukommen, und stellten verschiedene Anträge in Bezug auf die Vormundschaftsbehörde. Mit Verfügung vom 24. März 2011 trat die Direktion der Justiz und des Innern wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit auf die Beschwerde nicht ein und überwies die Sache zuständigkeitshalber und zur Behandlung der Aufsichtsbeschwerde an das Obergericht des Kantons Zürich. Dieses trat mit Beschluss vom 5. Mai 2011 auf "die Beschwerde vom 15. Februar 2011 gegen die Präsidialverfügung des Bezirksrates Z.________ vom 24. Januar 2011" wegen verspäteter Beschwerdeeingabe nicht ein.
A.d Mit Urteil vom 22. September 2011 hob das Bundesgericht den obergerichtlichen Beschluss in Gutheissung einer Beschwerde von X.________ und Y.________ wegen Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf, weil ihnen die in den Akten des Obergerichts enthaltenen Stellungnahmen des Bezirksrats vom 18. März 2011 und der Vormundschaftsbehörde vom 15. März 2011, nicht zur Kenntnisnahme zugestellt worden waren, und wies die Sache an die Vorinstanz zurück (Urteil 5A_422/2011 vom 22. September 2011).
B.
Mit Beschluss vom 28. Dezember 2011 trat das Obergericht auf die Beschwerde nicht ein, nachdem es die besagten Schriftstücke den Beschwerdeführerinnen zur Kenntnis- und Stellungnahme zugestellt hatte und die Beschwerdeführerinnen dazu hatten Stellung nehmen können.
C.
X.________ und Y.________ (Beschwerdeführerinnen) gelangen mit Beschwerde in Zivilsachen vom 9. Februar 2012 (Postaufgabe) an das Bundesgericht. Sie beantragen, den Beschluss des Obergerichts vom 28. Dezember 2011 aufzuheben und für nichtig zu erklären (Ziff. 1), festzustellen sei ferner, dass im vorliegenden Verfahren fälschlicherweise das neue Recht statt das bis zum 31. Dezember 2010 gültige alte Recht (ZPO/ZH, GVG/ZH, VRG/ZH) angewendet wurde und dadurch das rechtliche Gehör und die Rechtsweggarantie verletzt worden seien (Ziff. 2). Gestützt auf diese Feststellung sei die Zuständigkeitsfrage neu zu prüfen und die "kantonale Justizdirektion" für die Behandlung der Aufsichtsbeschwerde zuständig zu erklären (Ziff. 3). Schliesslich sei das Obergericht anzuweisen, die Akten an die Justizdirektion zu überweisen, damit sie die Untersuchung der Tätigkeit der Vormundschaftsbehörde im Sinn der Aufsichtsbeschwerden und gestützt auf § 7 VRV aufnehmen könne (Ziff. 4).
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.
Erwägungen:
1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid (Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG), mit dem das Obergericht auf eine "Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung" im Rahmen einer Beistandschaft nicht eingetreten ist. Es liegt damit ein öffentlich-rechtlicher, unmittelbar mit dem Zivilrecht in Zusammenhang stehender Entscheid vor (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG), der mit Beschwerde in Zivilsachen angefochten werden kann. Die Beschwerdeführerinnen waren am kantonalen Verfahren als Parteien beteiligt (Art. 76 Abs. 1 lit. a BGG); ihren Anträgen wurde nicht entsprochen, sodass sie über ein schützenswertes Interesse an der Behandlung vorliegender Beschwerde verfügen (Art. 76 Abs. 1 lit. b BGG). Der angefochtene Beschluss ist den Beschwerdeführerinnen am 10. Januar 2012 zugestellt worden. Die am 9. Februar 2012 erhobene Beschwerde ist damit rechtzeitig erfolgt (Art. 100 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist grundsätzlich einzutreten.
1.2 Die Beschwerde ist zu begründen (Art. 42 Abs. 2 BGG). Mit ihr ist in gedrängter Form durch Auseinandersetzung mit den Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, welche Vorschriften und warum sie vom Obergericht verletzt worden sein sollen. Eine qualifizierte Rügepflicht gilt hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht. Das Bundesgericht prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 49 E. 1.4.1 S. 53; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Wird die Verletzung des Willkürverbots gerügt, reicht es nicht aus, die Situation aus eigener Sicht zu schildern und den davon abweichenden angefochtenen Entscheid als willkürlich zu bezeichnen; vielmehr ist im Einzelnen darzulegen, inwiefern das kantonale Gericht willkürlich entschieden haben soll und der angefochtene Entscheid deshalb an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246). Diesen Anforderungen vermögen die Erörterungen der Beschwerdeführerinnen über weite Strecken nicht zu genügen.
2.
Das Obergericht hat im Wesentlichen erwogen, am 1. Januar 2011 sei die schweizerische Zivilprozessordnung (ZPO) in Kraft getreten, die zwar auf das vormundschaftliche Verfahren keine unmittelbare Anwendung finde; das Rechtsmittel gegen Entscheide der Bezirksräte sei im Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (§ 187 ff. GOG) geregelt, welches ebenfalls am 1. Januar 2011 in Kraft getreten sei. Die angefochtene Präsidialverfügung des Bezirksrats vom 24. Januar 2011 sei nach Inkrafttreten beider Gesetze erlassen worden, weshalb analog Art. 405 ZPO neues Recht zur Anwendung gelange. Gemäss § 187 GOG seien gegen Entscheide der Bezirksräte in familienrechtlichen Angelegenheiten die Rechtsmittel der ZPO zulässig; das Verfahren richte sich nach Art. 308 ff. ZPO (Berufung oder Beschwerde), wobei die Rechtsmittelfrist entsprechend Art. 420 Abs. 2 ZGB zehn Tage betrage (§ 188 GOG). Gemäss Dispositiv-Ziff. 1 der bezirksrätlichen Verfügung vom 24. Januar 2011 seien die Beschwerdeführerinnen dahingehend belehrt worden, dass sie innert 10 Tagen ab Empfang des Entscheides Rekurs an das Obergericht erheben können. Überdies halte Art. 319 lit. c ZPO fest, dass Fälle von Rechtsverzögerung mit Beschwerde anfechtbar seien.
Das Obergericht behandelte die als "Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung" eingereichte Eingabe der Beschwerdeführerinnen als Beschwerde im Sinn von Art. 321 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 lit. c ZPO und führte des weiteren aus, der Entscheid des Bezirksrats vom 24. Januar 2011 sei den Beschwerdeführerinnen einen Tag später zugestellt und die Rechtsmittelfrist damit formell am 25. Januar 2011 eröffnet worden. Die Frist zur Erhebung der Beschwerde sei damit am Freitag, 4. Februar 2011 abgelaufen. Die am 16. Februar 2011 der Post aufgegebene Beschwerdeschrift erweise sich als verspätet.
3.
3.1 Unter dem Titel der Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen die Beschwerdeführerinnen, das Obergericht habe trotz entsprechenden Vorbringen nicht geprüft, ob es in der Sache zuständig sei.
3.2 Wie bereits dargelegt (E. 2) hat das Obergericht die als "Aufsichtsbeschwerde wegen Rechtsverweigerung" eingereichte Eingabe der Beschwerdeführerinnen als Beschwerde im Sinn von Art. 321 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 lit. c ZPO behandelt und hat damit seine Zuständigkeit bejaht. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) ist nicht ersichtlich.
4.
4.1 Die Beschwerdeführerinnen machen des weiteren geltend, das Obergericht habe fälschlicherweise die seit dem 1. Januar 2011 in Kraft stehende ZPO und das am gleichen Datum in Kraft getretene GOG/ZH statt das bis zum 31. Dezember 2010 gültige alte Recht (ZPO/ZH, GVG/ZH, VRG/ZH) angewendet; dadurch habe es das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und die Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) verletzt.
4.2 Im vorliegenden Fall geht es im Wesentlichen um die Auslegung und Anwendung kantonalen Rechts. Von den in Art. 95 lit. c-e BGG erwähnten Teilbereichen abgesehen kann die Verletzung kantonalen Rechts dem Bundesgericht nicht mit Beschwerde unterbreitet werden. Zulässig ist hingegen die Rüge, die Anwendung kantonalen Rechts verletze Bundesrecht, insbesondere das Willkürverbot (Art. 9 BV; (BGE 134 II 349 E. 3 S. 351; 135 V 94 E. 1 S. 95; 133 I 201 E. 1 S. 203 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211 mit Hinweisen). Da vorliegend keine gerichtliche Anordnung im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit infrage steht, ist die schweizerische Zivilprozessordnung grundsätzlich nicht anwendbar (Art. 1 lit. b ZPO; BGE 137 III 531 E. 3.3). Soweit das einschlägige kantonale Recht (§ 187 GOG/ZH) die Sache der Rechtsmittelordnung der ZPO unterstellt, gelten die Bestimmungen der ZPO als kantonales Recht (Urteil 4A_375/2008 vom 18. November 2008 E. 2, in: SJ 2009 I p. 241), dessen Anwendung das Bundesgericht nur auf Willkür hin prüft.
4.3 Im vorliegenden Fall bestreiten die Beschwerdeführerinnen nicht substanziiert, dass das Rechtsmittelverfahren in familienrechtlichen Angelegenheiten ab dem 1. Januar 2011 im Gesetz über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (§ 187 ff. GOG) geregelt ist. In dieser Hinsicht erschöpft sich die Beschwerde vielmehr in einer appellatorischen Kritik am angefochtenen Entscheid, die den Begründungsanforderungen gemäss E. 1.3 nicht zu genügen vermag. Die Beschwerdeführerinnen haben gegen die Verfügung des Bezirksrats vom 24. Januar 2011 am 15. Februar 2011 (Postaufgabe 16. Februar 2011) Beschwerde erhoben. Da somit das Rechtsmittelverfahren gegen die besagte Verfügung nach Inkrafttreten des vorgenannten kantonalen Gesetzes und der ZPO eingeleitet worden ist, erweist sich die obergerichtliche Auffassung nicht als willkürlich, der Entscheid des Bezirksrats vom 24. Januar 2011 habe in analoger Anwendung von Art. 405 Abs. 1 ZPO mit den Rechtsmitteln der ZPO (Art. 308 ff.) beim Obergericht angefochten werden können. Der Hinweis auf Art. 319 lit. c ZPO geht an der Sache vorbei, zumal der Bezirksrat seine sachliche Zuständigkeit in der Verfügung vom 24. Januar 2011 verneint und damit einen (prozessualen) Entscheid gefällt hat. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich ferner nicht substanziiert gegen die obergerichtliche Annahme, die Rechtsmittelfrist gegen den bezirksrätlichen Entscheid betrage aufgrund von § 188 GOG lediglich 10 Tage. Unbestritten ist sodann, dass ihnen der bezirksrätliche Entscheid am 25. Januar 2011 eröffnet worden ist. Unter diesen Voraussetzungen ist die obergerichtliche Schlussfolgerung nicht willkürlich, die zehntägige Rechtsmittelfrist sei demnach am 4. Februar 2011 abgelaufen. Wird schliesslich berücksichtigt, dass die Beschwerde erst am 16. Februar 2011 bei der Post aufgegeben worden ist, so erweist sich der Nichteintretensentscheid des Obergerichts als verfassungskonform.
4.4 Soweit die Beschwerdeführerinnen meinen, gegen Rechtsverweigerungen könne jederzeit Beschwerde geführt werden, so trifft dies nur zu, wenn die Behörde untätig bleibt. Ergibt sich aber - wie hier - die Rechtsverweigerung aus einem formellen Nichteintretensentscheid, so ist das Rechtsmittel innert Frist zu erheben (Urteil 1C_433/2008 vom 16. März 2009 E. 1.4).
4.5 Insgesamt ist somit weder eine willkürliche Anwendung kantonalen Rechts (Art. 9 BV) noch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) ersichtlich. Die Beschwerdeführerinnen hätten nach der willkürfreien Auslegung des kantonalen Rechts die Verfügung des Bezirksrats vom 24. Januar 2011 innert 10 Tagen beim Obergericht anfechten können. Eine Verletzung der Rechtsweggarantie (Art. 29a BV) ist nicht auszumachen.
5.
Damit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Beschwerdeführerinnen kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG), wobei sie für den Gesamtbetrag der Kosten solidarisch haften (Art. 66 Abs. 5 BGG). Eine Entschädigung ist nicht geschuldet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt; sie haften für den Betrag solidarisch.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. Mai 2012
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Hohl
Der Gerichtsschreiber: Zbinden