Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
9C_83/2012 {T 0/2}
Urteil vom 9. Mai 2012
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.
Verfahrensbeteiligte
S.________,
Beschwerdeführer,
gegen
Sozialkommission der Gemeinde X.________,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV
(Berechnung des Leistungsanspruchs),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 28. November 2011.
Sachverhalt:
A.
Der ........ geborene S.________ beantragte Ende September 2009 Zusatzleistungen zu der ihm ab diesem Monat ausgerichteten Altersrente der AHV. Mit Verfügung vom 11. Februar 2010 verneinte die Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde X.________ einen Anspruch, woran sie mit Einspracheentscheid vom 5. Mai 2010 festhielt.
B.
Die Beschwerde des S.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit einzelrichterlichem Entscheid vom 28. November 2011 ab.
C.
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung der angefochtenen "Verfügung" sei ihm rückwirkend ab 1. September 2009 eine angemessene "AHV-Zusatzrente" zuzusprechen und es sei festzustellen, dass es im Verlauf dieses Verfahrens zu einer unnötigen Rechtsverzögerung gekommen sei, unter Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.
Die Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde X.________, das kantonale Sozialversicherungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
1.1 Der Beschwerdeführer bestreitet die Zuständigkeit des Einzelrichters zum Entscheid über seinen Anspruch auf Ergänzungsleistungen ab 1. September 2009. Es gehe um Dauerleistungen, weshalb bei einem geltend gemachten Anspruch von monatlich Fr. 759.- "über die Zeit von der Gesuchstellung bis zur Eröffnung des vorinstanzlichen Urteils, d.h. (...) für rund 27 Monate" der Streitwert mehr als Fr. 20'000.- betrage. Damit entfalle aber nach der einschlägigen kantonalen Gesetzgebung die einzelrichterliche Entscheidkompetenz. Bei dieser Argumentation verkennt der Beschwerdeführer, dass die Ergänzungsleistung eine auf ein Jahr berechnete Geldleistung ist (Art. 3 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 ELG sowie Art. 9 ELG). Dementsprechend entfaltet denn auch eine Verfügung oder ein Einspracheentscheid über Ergänzungsleistungen in zeitlicher Hinsicht Rechtsbeständigkeit lediglich für das Kalenderjahr. Die einzelnen Berechnungspositionen können jährlich überprüft und allenfalls neu festgesetzt werden (BGE 128 V 39; Urteil 9C_600/2009 vom 8. Oktober 2009 E. 2). Es verletzt daher kein Bundesrecht, dass die Vorinstanz den EL-Anspruch für die Zeit vom 1. September bis 31. De-zember 2009 geprüft hat. Damit hat sie insbesondere den Streitgegenstand (zu diesem Begriff BGE 125 V 413) nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt. Unter diesen Umständen ist von einem Streitwert von klar weniger als Fr. 20'000.- auszugehen. Die Rüge der funktionellen Unzuständigkeit des vorinstanzlichen Einzelrichters ist somit unbegründet.
1.2 Der in diesem Verfahren eingereichte Einschätzungsentscheid des kantonalen Steueramtes für die Staats- und Gemeindesteuern 2010 ist ein unzulässiges (echtes) Novum und hat daher ausser Acht zu bleiben (SVR 2011 IV Nr. 57 S. 171, 8C_958/2010 E. 4.3.1).
2.
Der Beschwerdeführer rügt die Verfahrensdauer von 27 Monaten als zu lang und mit dem öffentlichen Interesse nicht vereinbar. Er beantragt, es sei festzustellen, dass es zu einer unnötigen Rechtsverzögerung gekommen sei.
2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 1 BV hat jede Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen u.a. Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist. Diese Garantie ist verletzt, wenn eine Sache über Gebühr verschleppt wird. Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln. Es ist vielmehr in jedem Einzelfall zu prüfen, ob sich die Dauer unter den konkreten Umständen als angemessen erweist. Der Streitgegenstand und die damit verbundene Interessenlage können raschere Entscheide erfordern oder längere Behandlungsperioden erlauben. Massgebend sind weiter der Umfang und die Komplexität der aufgeworfenen Sachverhalts- und Rechtsfragen, die Bedeutung des Streites für die Parteien und ihr Verhalten (Urteil 6B_801/2008 vom 12. März 2009 E. 3.3; BGE 130 I 312 E. 5.2 S. 332, 125 V 188 E. 2a S. 191; vgl. GEROLD STEINMANN, St. Galler Kommentar BV, 2. Aufl. 2008, N. 11 ff. zu Art. 29 BV und JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 495 ff.; vgl. auch FELIX UHLMANN, in: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 2008, N. 6 zu Art. 94 BGG). Bei der Prüfung der Frage, ob der Anspruch auf Beurteilung innert angemessener Frist verletzt ist, ist auch zu berücksichtigen, dass es dem Rechtsuchenden obliegt, im Rahmen des Zumutbaren die zum Entscheid berufene Gerichtsbehörde, wenn nötig, darauf aufmerksam zu machen, das Verfahren voranzutreiben oder allenfalls Rechtsverzögerungsbeschwerde zu führen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts H 134/02 vom 30. Januar 2003 E. 1.2).
Für das Verfahren in Streitigkeiten des Bundessozialversicherungsrechts vor den kantonalen Versicherungsgerichten ist das in Art. 29 Abs. 1 BV verankerte Beschleunigungsgebot resp. das Rechtsverweigerungs- und Rechtsverzögerungsverbot (Urteil 9C_502/2008 vom 23. Juli 2008 E. 1) positivrechtlich normiert. Gemäss Art. 61 lit. a ATSG hat das Verfahren einfach und rasch zu sein (BGE 126 V 244 E. 4a S. 249; 110 V 57 E. 4b S. 61; Urteil 9C_418/2009 vom 24. August 2009 E. 1.1).
2.2 Der Anspruch auf Feststellung (im Dispositiv) einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes durch die Vorinstanz setzt wie bei jedem anderen Begehren auf Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten (Art. 5 Abs. 1 lit. b VwVG) ein schutzwürdiges Interesse voraus (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG). Verlangt ist ein unmittelbares und aktuelles Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur (BGE 133 II 249 E. 1.3.1 S. 252) an der sofortigen Feststellung der gerügten Rechtsverletzung, dem keine erheblichen öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen, und dass dieses schutzwürdige Interesse nicht anderweitig - durch eine rechtsgestaltende Verfügung - gewahrt werden kann (BGE 126 II 300 E. 2c S. 303; 125 V 21 E. 1b S. 24, je mit Hinweisen). Auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn sich die gerügte Rechtsverletzung jederzeit wiederholen könnte, eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre, die aufgeworfenen Fragen sich jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können und wenn an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht (BGE 136 II 101 E. 1.1 S. 103; 135 I 79 E. 1.1 S. 81 Urteil 9C_143/2012 vom 22. März 2012 E. 4.2).
2.3 Wer eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes durch die Vorinstanz rügt und dispositivmässig festgestellt haben will, hat darzulegen, inwiefern er daran ein schutzwürdiges Interesse hat oder ein Ausnahmetatbestand im dargelegten Sinne gegeben ist ( Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG ; BGE 133 II 249 E. 1.1 S. 251). Der Beschwerdeführer macht geltend, als Folge der 27-monatigen Hinauszögerung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihm insofern ein konkreter Nachteil erwachsen, als selbst ein neues Gesuch um Ausrichtung von EL kaum rückwirkend bewilligt würde. Damit vermag er indessen kein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung einer Rechtsverzögerung durch die Vorinstanz darzutun und auf den diesbezüglichen Antrag ist daher nicht einzutreten. Der EL-Anspruch ab 2010 ist nicht Streitgegenstand (vorne E. 1.1). Darüber wird die Beschwerdegegnerin noch zu befinden haben. Im Übrigen könnte die Rüge der Rechtsverzögerung auch materiell keinen Erfolg haben. Abgesehen davon, dass das vorinstanzliche Verfahren, um das es hier in erster Linie geht (vgl. Art. 56 Abs. 2 ATSG), ab Anhängigmachen der Beschwerde am 27. Mai 2010 nicht 27, sondern 18 Monate dauerte, hatte sich der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt nach Abschluss des Schriftenwechsels im Oktober 2011 nach dem Stand des Prozesses erkundigt und um beförderliche Behandlung der Streitsache ersucht. Unter diesen Umständen kann der Vorinstanz nicht der Vorwurf einer überlangen Verfahrensdauer gemacht werden (vorne E. 2.1).
3.
3.1 Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG). Als Einnahmen angerechnet werden u.a. zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in Geld oder Naturalien, soweit sie bei Ehepaaren und Personen mit Kindern, die einen Anspruch auf eine Kinderrente der AHV begründen, 1'500 Franken übersteigen, sowie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 11 Abs. 1 lit. a und lit. g ELG).
3.2
3.2.1 Die Beschwerdegegnerin ermittelte Einnahmen von Fr. 87'020.-, wovon anrechenbare Erwerbseinkünfte von Fr. 37'090.- (2/3 x [Fr. 57'136.- - Fr. 1'500.-]), sowie Ausgaben von Fr. 75'960.-. Dabei stellte sie auf die Verhältnisse 2008 ab. Die Vorinstanz hat die EL-Berechnung der Durchführungsstelle bestätigt, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Für die Berechnung des EL-Anspruchs seien grundsätzlich die Verhältnisse bei Beginn der Altersrente am 1. September 2009 massgeblich. Es bestehe (jedoch) keine Bindung an die von der kantonalen Steuerbehörde akzeptierte Steuererklärung 2009 und die sich darauf stützende Veranlagung. Der Beschwerdeführer und seine Ehefrau seien an mehreren Gesellschaften beteiligt. Ein kurzer Blick in deren Jahresrechnungen zeige ein diesbezüglich undurchsichtiges Bild. Werde weiter der angeblich nicht gedeckte Notbedarf berücksichtigt und gleichzeitig festgestellt, dass er offenbar in der Lage sei, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, ergäben sich Zweifel an den (von ihm dargelegten) finanziellen Verhältnissen. Abklärungen erübrigten sich jedoch, da nicht einzusehen sei, weshalb der Beschwerdeführer aus seinen Gesellschaften ab 1. September 2009 erheblich weniger Einkünfte als im Vorjahr hätte erzielen sollen.
3.2.2 In rechtlicher Hinsicht stützt sich der vorinstanzliche Entscheid hauptsächlich auf das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 25/03 vom 21. Oktober 2003 und das Urteil 9C_928/2009 vom 16. März 2010. Im ersten Präjudiz wurde u.a. festgehalten, der Verzicht eines EL-Ansprechers auf Lohn gegenüber der Gesellschaft, deren Alleinaktionär er sei, stelle ungeachtet der Beweggründe einen Verzicht auf Einkünfte im Sinne von Art. 3c Abs. 1 lit. g ELG (heute: Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG) dar (E. 5.1). Dabei sei der Lohn nicht nur aus dem Ertrag, sondern allenfalls auch aus dem Vermögen der Gesellschaft zu bezahlen. Sollte die Firma als Folge der Lohnzahlungen bei Ausbleiben entsprechender Einnahmen liquidiert werden müssen, sei dieses Ergebnis hinzunehmen. "Es kann nicht Aufgabe der Ergänzungsleistungen sein, Erwerbsgesellschaften am Leben zu erhalten, die sich nur deshalb über Wasser halten können, weil sie ihren Angestellten die Löhne (...) nicht ausrichten" (E. 5.3). Im Urteil 9C_928/2009 vom 16. März 2010 wurden diese grundsätzlichen Erwägungen bestätigt und erwogen, ein ergänzungsleistungsrechtlich relevanter Verzichtstatbestand sei gegeben, ob nun die Nichtzahlung einer Entschädigung auf einer Vertragsänderung beruhe oder lediglich der vertragliche Lohnanspruch gegenüber der Firma nicht geltend gemacht werde (E. 3.1).
3.3 Die Vorinstanz ist somit implizit von einem Lohnverzicht durch den Beschwerdeführer gegenüber den Gesellschaften resp. Einzelfirmen ausgegangen, an denen er und/oder seine Ehefrau beteiligt sind bzw. sein sollen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Insbesondere ist die in erster Linie vorgetragene Rüge unbegründet, weder die Beschwerdegegnerin noch die Vorinstanz hätten die notwendigen rechtsgenügenden Abklärungen vorgenommen. Die Beschwerdegegnerin hatte den Beschwerdeführer mehrmals aufgefordert, Unterlagen (u.a. Belege für Ausgaben, Bilanzen, Erfolgsrechnungen) einzureichen. Dieser Mitwirkungspflicht bei der Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 43 Abs. 2 ATSG) ist er indessen nicht oder nur teilweise nachgekommen. Insbesondere begnügte er sich damit, in der Einsprache vom 26. Februar 2010 geltend zu machen, solange die Steuertaxationen für 2008 und 2009 noch nicht vorlägen, sei auf die Steuererklärung abzustellen, ohne die - bereits beim Steueramt eingereichten - Unterlagen zu liefern.
Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob eine Liquidation der Firmen des EL-Ansprechers zu verwertbaren Aktiva führen würde, was der Beschwerdeführer bestreitet und damit einen anrechenbaren Forderungsverzicht verneint (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 43/03 vom 25. Juni 2004 E. 3). So oder anders ist die Ablehnung des EL-Anspruchs ab 1. September 2009 im Lichte der Bemessungsvorschrift von Art. 23 Abs. 1 ELV bundesrechtskonform, besteht doch keine Verpflichtung der Durchführungsorgane von dieser Regel abzuweichen, zumindest dann nicht, wenn sich die Verhältnisse, wie hier nach dem Gesagten der Fall, nicht zuverlässig erhellen lassen.
3.4 Der vorinstanzliche Entscheid verletzt - im Ergebnis jedenfalls - kein Bundesrecht.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat grundsätzlich der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Von der Auferlegung von Kosten ist umständehalber indessen abzusehen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Sein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung ist demzufolge gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherungen und der Sicherheitsdirektion schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 9. Mai 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Fessler