Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_838/2011
Urteil vom 5. Juni 2012
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Schöbi,
Gerichtsschreiber Borner.
Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bohren,
Beschwerdeführer,
gegen
Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, Amtsleitung, Feldstrasse 42, 8090 Zürich,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Bedingte Entlassung,
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, vom 15. November 2011.
Sachverhalt:
A.
Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte G.________ am 23. Januar 2007 wegen versuchter vorsätzlicher Tötung, Diebstahls, Betrugs, einfacher Körperverletzung und Vergehen gegen das Betäubungsmittel- sowie das Waffengesetz zu 9 Jahren Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe (unter Einbezug des Widerrufs einer bedingten Strafe von 6 Monaten Gefängnis). Gleichzeitig ordnete es eine ambulante Massnahme an.
Zwei Drittel der Strafe waren am 26. Juni 2011 verbüsst; das Strafende fällt auf den 1. August 2014.
B.
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich lehnte am 14. Juni 2011 ein Gesuch von G.________ um bedingte Entlassung ab. Den Rekurs gegen diesen Entscheid wies die Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich am 15. August 2011 ab.
Die dagegen erhobene Beschwerde von G.________ wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 15. November 2011 ab, soweit es darauf eintrat.
Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe Art. 110 BGG verletzt, indem sie ihre Kognition eingeschränkt habe. Gemäss der gerügten Bestimmung wäre sie verpflichtet gewesen, den Sachverhalt frei zu prüfen.
Die Vorinstanz überprüfte den Sachverhalt auf unrichtige oder ungenügende Feststellungen (angefochtener Entscheid S. 3 Ziff. 1.3). Inwiefern darin eine Kognitionsbeschränkung liegen sollte, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Eine solche auferlegt sich die Vorinstanz bei der Ermessensausübung (a.a.O.). Da erst ein Ermessensmissbrauch bzw. eine Ermessensüber- oder -unterschreitung Recht verletzen würde, liegt kein Verstoss gegen Art. 110 BGG vor (Urteil 1C_310/2009 vom 17. März 2010 E. 2.2.2 und 2.2.3).
2.
Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe die bundesgerichtlichen Vorgaben (BGE 124 IV 193) missachtet, wonach die bedingte Entlassung nach zwei Drittel der Strafdauer in der Regel zu erfolgen habe und nur aus guten Gründen verweigert werden dürfe. Zudem sei sie bloss marginal auf seine detaillierten Ausführungen eingegangen und habe so seinen Anspruch auf rechtliches Gehör mehrfach verletzt.
2.1 Das zitierte Urteil ist auf Fälle zugeschnitten, bei welchen "sich am Zustand, in dem sich der Täter jetzt, nach Zwei-Drittel-Verbüssung, befindet, während des restlichen Drittels im Vollzug nicht mehr allzu viel ändern wird" (E. 4d/aa Abs. 2, S. 198).
Diese Voraussetzung trifft beim Beschwerdeführer nicht zu. Bei ihm wurden eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit histrionischen und emotional instabilen (impulsiven) Anteilen (ICD-10: F61.0), eine Störung durch flüchtige Lösungsmittel - schädlicher Gebrauch - (ICD-10: F18.1) und posttraumatische Belastungssymptome im Sinne eines klassifikatorischen Störungsbildes (ICD-10: F43.1) diagnostiziert. Er befindet sich seit dem 5. Februar 2008 in psychotherapeutischer Behandlung (Therapiebericht des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes [PPD] vom 14. März 2011, kantonale Akten, act. 10.1/99). Die Behandlung verlaufe erfolgreich, indem sich der Beschwerdeführer unter anderem auch mit seinen emotionalen Reaktionen auseinandersetze. Deliktpräventiv jedoch habe er bisher nur minime Therapieerfolge erzielt (angefochtener Entscheid S. 7 f. Ziff. 4). So sei seine Stimmungslage im letzten Berichtsjahr aufgrund höherer Anforderungen stetig instabiler geworden. Um das Rückfallrisiko zu senken, werde deshalb empfohlen, dass der Beschwerdeführer die deliktorientierte Einzeltherapie weiterführe, an der Gruppentherapie in der JVA Pöschwies teilnehme und die geplanten begleiteten und unbegleiteten Urlaube wieder aufnehme (Bericht, S. 4 ff. und S. 11 f.).
Diese Ausführungen lassen darauf schliessen, dass der Beschwerdeführer dank der vorgesehenen Massnahmen deliktpräventiv noch im Vollzug Fortschritte machen wird. Damit erweist sich sein Hauptargument, die Vorinstanz habe die bundesgerichtlichen Vorgaben (BGE 124 IV 193) missachtet, als unbegründet. Gingen aber seine diesbezüglichen Rügen an der Sache vorbei, musste sich die Vorinstanz dazu auch nicht äussern.
2.2 Die Vorinstanz verweigerte die bedingte Entlassung insbesondere auch unter Hinweis auf den Bericht des PPD, wonach der Beschwerdeführer im letzten Berichtsjahr zunehmend unter inneren Anspannungen gelitten habe, weshalb er zunächst erste Vollzugslockerungsstufen zu durchlaufen habe, um zu erproben und zu beweisen, dass er in der Lage sei, sich in einem offenen Regime mit zunehmender Freiheit zu bewähren.
Der Beschwerdeführer diskutiert ausführlich, dass die Ursachen der Disziplinarvorfälle nicht klar seien. Dass seine inneren Spannungen im letzten Berichtsjahr zugenommen hätten, stellt er jedoch ebenso wenig in Frage wie den Zusammenhang zwischen diesen und den Disziplinarvorfällen. Wenn die Vorinstanz bei einer solchen Ausgangslage und angesichts der unbestrittenen Diagnose die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers verweigert und seine emotionale Stabilität zunächst in ersten Vollzugslockerungsschritten überprüft haben will, verstösst dies nicht gegen Bundesrecht.
Die Vorinstanz hält fest, "würde der Beschwerdeführer bereits jetzt bedingt entlassen, so wäre die Rückfallgefahr fraglos höher zu werten als bei einem schrittweisen Heranführen an die Freiheit" (angefochtener Entscheid S. 8 Ziff. 4.4). Zusammen mit den erwähnten inneren Spannungen sowie den deliktpräventiv bloss minimen Fortschritten begründete sie die Differenzialprognose ausreichend.
2.3 Die Vorinstanz verweist in ihrer Begründung mehrfach auf die Entscheide der Vollzugsbehörden, das psychiatrische Gutachten und den Bericht des PPD. Ihre Ausführungen mit den erwähnten Hinweisen sind nachvollziehbar und nehmen zu den entscheidenden Fragen Stellung.
Im vorinstanzlichen Verfahren hatte der Beschwerdeführer argumentiert, die versuchte Tötung sei nur auf aussergewöhnliche Umstände zurückzuführen, weil er ausnahmsweise eine Waffe auf sich getragen habe und der von ihm Bedrohte weiter auf ihn zugekommen sei. Diese Umstände stellten die Beurteilung der Rückfallgefahr durch den Gutachter und den PPD in ein völlig anderes Licht. Die Vorinstanz verweist in diesem Zusammenhang auf die Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers (angefochtener Entscheid S. 8 Ziff. 4.4 mit Hinweis auf S. 7 f. Ziff. 4.3). Der Gutachter hält dazu fest, dass Aggressionen zu einem verinnerlichten Gefühl beim Beschwerdeführer geworden seien und daraus auch eine erhöhte Gewaltbereitschaft resultiere. Die Impulskontrolldefizite seien ein ihn permanent begleitendes Element. Obwohl er vor mehreren Jahren im Zuge einer vergleichbaren Situation (vermeintliche Bedrohung) strafrechtlich belangt worden sei, habe er erneut eine Waffe behändigt, um solchen Bedrohungen allenfalls begegnen zu können (Gutachten, S. 42). Da die bisherigen Therapieerfolge bezüglich der Deliktprävention nur minim sind (Bericht, S. 12), sich mithin die Persönlichkeitsstruktur nicht merklich verändert hat, ist die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht nachgekommen.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihm zu Unrecht die unentgeltliche Rechtspflege verweigert und dadurch Art. 29 Abs. 3 BV verletzt. Ob ein Rechtsmittel aussichtslos sei, dürfe nur zurückhaltend angenommen werden, ansonsten das Institut der unentgeltlichen Rechtspflege seines Inhalts praktisch entleert würde. Die Justizdirektion habe bei der Legalprognose die Disziplinarmassnahmen negativ gewürdigt, keine Differenzialprognose vorgenommen und die Umstände der Straftat nicht in die Gesamtwürdigung einbezogen.
Die Justizdirektion erachtete die Beurteilungen des Gutachters und des PPD als zutreffend und berief sich zudem auf den Bericht der Fachkommission des Ostschweizer Strafvollzugskonkordats, die ebenfalls eine "sehr langsame" Vollzugsöffnung "in kleinen Schritten" empfohlen hatte. Vor dem Hintergrund der Anlasstat, der kombinierten Persönlichkeitsstörung und dem insgesamt noch nicht ausreichend stabilen Verhalten seien vor einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers Vollzugslockerungen durchzuführen (vorinstanzliche Akten, act. 4, S. 4 f. Ziff. 3.4, 3.5, insbesondere Ziff. 4). Inwiefern die Vorinstanz gestützt auch auf diese Ausführungen der Justizdirektion die Beschwerde als nicht aussichtslos hätte beurteilen müssen, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Folglich ist auf die Rüge nicht einzutreten.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei der Bemessung der Gerichtskosten ist jedoch seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen.
Für den Fall des Obsiegens begehrt der Beschwerdeführer Vollzugslockerungen, um seine bedingte Entlassung vorzubereiten. Mit dem abweisenden Entscheid ist sein Gesuch gegenstandslos. Dasselbe gilt, soweit er aus den gleichen Gründen Vollzugslockerungen während des bundesgerichtlichen Verfahrens verlangt (Beschwerdeschrift S. 10 f. Ziff. 5).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 3. Abteilung, Einzelrichterin, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Juni 2012
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Borner