Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1C_23/2012
Urteil vom 2. Juli 2012
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Jordi,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern, Schermenweg 5, Postfach, 3001 Bern.
Gegenstand
Entzug des Führerausweises für Motorfahrzeuge,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 17. August 2011 der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern.
Sachverhalt:
A.
X.________ fuhr am 29. November 2010, um ca. 10 Uhr, am Steuer eines Personenwagens auf der Winkelriedstrasse in Bern stadtauswärts. Dabei wurde er von einer Patrouille der Berner Kantonspolizei kontrolliert. Diese stellte fest, dass die linke vordere Seitenscheibe, die hinteren Seitenscheiben und beide Aussenspiegel vollständig schneebedeckt waren. Die rechte vordere Seitenscheibe wies nach den polizeilichen Feststellungen zwei runde schneefreie Flächen von je rund 10 cm Durchmesser auf und war im Übrigen ebenfalls schneebedeckt.
Mit Strafmandat vom 22. Dezember 2010 verurteilte das Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland X.________ wegen dieses und eines weiteren Vorfalls (vom 18. September 2010, nicht bzw. nicht gut sichtbares Anbringen der Parkscheibe) zu einer Busse von Fr. 300.--.
Am 28. Februar 2011 entzog das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons Bern X.________ den Führerausweis in Anwendung von Art. 16b Abs. 1 lit. a und Abs. 2 lit. a SVG und Art. 33 der Verkehrszulassungsverordnung (VZV; SR 741.51) für einen Monat.
Am 17. August 2011 wies die Rekurskommission für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern die Beschwerde von X.________ gegen die Entzugsverfügung ab.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________, diesen Entscheid der Rekurskommission aufzuheben und das Administrativverfahren im Sinn von Art. 16a Abs. 4 SVG folgenlos einzustellen oder eventuell eine administrative Sanktion im Sinn von Art. 16a Abs. 2 SVG zu verfügen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
C.
Die Rekurskommission beantragt in ihrer Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt verzichtet auf Vernehmlassung.
D.
Am 23. Februar 2012 erkannte der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.
E.
Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Der Beschwerdeführer hält an der Beschwerde fest.
Erwägungen:
1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über einen Führerausweisentzug. Dagegen steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nach Art. 82 ff. BGG offen; ein Ausnahmegrund ist nicht gegeben (Art. 83 BGG). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Bundesrecht, was zulässig ist (Art. 95 lit. a, Art. 97 Abs. 1 BGG ). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.
In Bezug auf den massgeblichen Sachverhalt stellt die Rekurskommission auf die im Sachverhalt unter Ziff. A wiedergegebenen Feststellungen im Polizeirapport ab.
2.1 Der Beschwerdeführer sieht darin eine qualifiziert unrichtige Feststellung des Sachverhalts bzw. eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Wie er bisher in sämtlichen Stellungnahmen und Rechtsschriften ausgeführt habe, sei der entsprechende Polizeirapport äusserst knapp gehalten und enthalte insbesondere keine objektiven Beweismittel wie Fotografien. Die Rekurskommission habe es unterlassen, seine mehrfach vorgetragene Argumentation - die Polizeibeamten hätten ihn nur darauf hingewiesen, die gereinigten Stellen der Seitenscheiben seien "eher klein", und die Seitenscheiben seien keineswegs durchgehend mit Schnee bedeckt gewesen - zu würdigen. Sie habe sich zudem über die strafrechtliche Beurteilung des Untersuchungsrichters hinweggesetzt, welcher ihn "nur" mit Fr. 260.-- (nach Abzug der Ordnungsbusse von Fr. 40.-- für das Nichtanbringen der Parkscheibe) gebüsst habe und damit von einem besonders leichten Fall respektive davon ausgegangen sei, dass er nach seiner subjektiven Überzeugung genügend Rundumsicht gehabt habe und keine objektiven Kriterien oder Beweismittel vorlägen, die eine andere Annahme rechtfertigen könnten. Stossend sei auch, dass die Rekurskommission davon ausgegangen sei, er sei mit zugeschneiten, nicht bloss verschneiten Seitenscheiben und Aussenspiegeln unterwegs gewesen.
2.2 Es ist schlechterdings nicht ersichtlich, inwiefern die von der Rekurskommission übernommenen tatsächlichen Feststellungen des Polizeirapports offensichtlich falsch im Sinn von Art. 97 Abs. 1 BGG sein sollten. Der Rapport ist zwar knapp, aber präzise und auch ohne fotografische Dokumentation ausreichend aussagekräftig. Es kann ihm sowohl entnommen werden, dass die Seitenscheiben (mit Ausnahme der Seitenscheibe vorne rechts, die zwei Gucklöcher von je 10 cm Durchmesser aufwies) und die Aussenspiegel vollständig verschneit waren, dass die Beamten unter dem Ausdruck "verschneit" "schneebedeckt" verstehen und dass die für das sichere Führen eines Fahrzeugs erforderliche Rundumsicht erheblich eingeschränkt war. Allein der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens stets versuchte, diese Feststellungen zu relativieren, indem er vorbrachte und vorbringt, die Scheiben und die Aussenspiegel seien nur teilweise und zudem nur sehr dünn mit Schnee bedeckt gewesen, sodass die Rundumsicht gewährleistet gewesen sei, vermag das Abstellen auf den Polizeirapport keineswegs willkürlich erscheinen zu lassen. Ein Widerspruch mit der strafrechtlichen Beurteilung ist schon deswegen nicht festzustellen, weil das Strafmandat nur im Dispositiv vorliegt; die Verurteilung wegen einfacher Verkehrsregelverletzung im Sinn von Art. 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse in der Grössenordnung von Fr. 260.-- ist mit den Sachverhaltsfeststellungen des Polizeirapports vereinbar. Die Rüge, die Rekurskommission habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt, ist unbegründet. Weder ersichtlich noch dargetan ist, inwiefern sie in diesem Zusammenhang sein rechtliches Gehör verletzt haben sollte; auf die Gehörsverweigerungsrüge ist nicht einzutreten.
3.
3.1 Das Gesetz unterscheidet zwischen der leichten, mittelschweren und schweren Widerhandlung ( Art. 16a-c SVG ). Gemäss Art. 16a SVG begeht eine leichte Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft und ihn dabei nur ein leichtes Verschulden trifft (Abs. 1 lit. a). Die fehlbare Person wird verwarnt, wenn in den vorangegangenen zwei Jahren der Ausweis nicht entzogen war und keine andere Administrativmassnahme verfügt wurde (Abs. 3). Gemäss Art. 16b SVG begeht eine mittelschwere Widerhandlung, wer durch Verletzung von Verkehrsregeln eine Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer mittelschweren Widerhandlung wird der Führerausweis für mindestens einen Monat entzogen (Abs. 2 lit. a). Leichte und mittelschwere Widerhandlungen werden von Art. 90 Ziff. 1 SVG als einfache Verkehrsregelverletzungen erfasst (BGE 135 II 138 E. 2.4 S. 143). Gemäss Art. 16c SVG begeht eine schwere Widerhandlung, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt (Abs. 1 lit. a). Nach einer schweren Widerhandlung, welche einer groben Verkehrsregelverletzung im Sinn von Art. 90 Ziff. 2 SVG entspricht (BGE 132 II 234 E. 3 S. 237), wird der Führerausweis für mindestens drei Monate entzogen (Abs. 2 lit. a). Eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestentzugsdauern ist ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 3 SVG).
3.2 Es bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass das sichere Führen eines Motorfahrzeugs eine freie Rundumsicht erfordert. Sind nur die Front- und die Heckscheibe frei, das Sichtfeld nach den Seiten hin dagegen eingeschränkt und die Aussenspiegel nicht benutzbar, ist beispielsweise ein sicherer Spurwechsel oder ein Abbiegen nach links oder rechts wegen des grossen, für den Lenker nicht einsehbaren Bereichs ("toter Winkel"), in dem sich beispielsweise ein Velofahrer befinden könnte, auch bei ansonsten ungetrübten Wetter- bzw. Sichtverhältnissen nicht gewährleistet. Wer ein Motorfahrzeug lenkt, dessen Aussenspiegel und Seitenfenster bis auf zwei kleine Gucklöcher vorne rechts schneebedeckt sind, sodass er im Wesentlichen nur durch die Frontscheibe und über den Innenspiegel durch die Heckscheibe sehen kann, nimmt somit eine nicht zu unterschätzende abstrakte Gefährdung der Verkehrssicherheit in Kauf. Auch das Verschulden des Beschwerdeführers erscheint nicht als leicht im Sinn von Art. 16a Abs. 1 lit. a SVG, hätte er doch die Scheiben mit einem geringen Zeitaufwand auch mit improvisierten Hilfsmitteln vom Schnee befreien können. Die Einstufung des Vorfalls als mittelschwere Widerhandlung im Sinn von Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG ist nicht zu beanstanden (vgl. Urteil 6A.58/2006 vom 9. Oktober 2006).
Daraus folgt zwingend, dass dem Beschwerdeführer der Ausweis zumindest für die gesetzliche Mindestdauer von einem Monat zu entziehen ist (Art. 16b Abs. 2 lit. a SVG).
4.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt und der Rekurskommission des Kantons Bern für Massnahmen gegenüber Fahrzeugführerinnen und Fahrzeugführern sowie dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. Juli 2012
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi