Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4A_203/2012
Urteil vom 17. Oktober 2012
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Corboz,
Bundesrichterin Rottenberg Liatowitsch,
Bundesrichter Kolly,
Bundesrichter von Werdt,
Gerichtsschreiber Gelzer.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Patrick Bühlmann,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Kündigung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 21. Februar 2012.
Sachverhalt:
A.
Die Erbengemeinschaft Z.________, vertreten durch B.________ (Vermieter), vermietete A.________ (Mieter) mit Mietvertrag vom 27. Juni 1988 per 15. Juli 1988 eine 2.5-Zimmerwohnung sowie einen Autoabstellplatz in O.________ zu einem monatlichen Zins von Fr. 900.--. Am 4. Oktober 2010 kündigte der Vermieter den Mietvertrag mit amtlichem Formular per 31. März 2011.
B.
Der Mieter focht die Kündigung am 2. November 2010 bei der Schlichtungsbehörde für Miete und Pacht des Bezirks Baden an. Diese erklärte gestützt auf Art. 273 Abs. 4 aOR mit Entscheid vom 15. Februar 2011 die Kündigung als rechtens und gewährte eine Erstreckung bis 30. September 2011. Dieser Entscheid wurde dem Mieter am 22. März 2011 mit folgender Rechtsmittelbelehrung zugestellt:
"Rechtsmittelbelehrung (Art. 274f Ziff. 1 OR):
Gegen diesen Entscheid kann die unterlegene Partei innert 30 Tagen seit Zustellung des Entscheides an den Richter gelangen (Gerichtspräsident bzw. Bezirksgericht des Bezirks, in dem das Miet- bzw. Pachtobjekt liegt)."
Am 4. Mai 2011 klagte der Mieter (Kläger) beim Gerichtspräsidium Baden auf Feststellung, dass die Kündigung ungültig sei, eventuell auf Erstreckung des Mietverhältnisses bis zum 31. März 2014.
Das Gerichtspräsidium Baden trat mit Entscheid vom 14. Oktober 2011 wegen verspäteter Anrufung des Gerichts auf die Klage nicht ein. Das Obergericht des Kantons Aargau wies eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers mit Entscheid vom 21. Februar 2012 ab.
C.
Der Kläger (Beschwerdeführer) erhebt Beschwerde in Zivilsachen mit den Anträgen, den Entscheid des Obergerichts vom 21. Februar 2012 aufzuheben und die Streitsache an das Obergericht zurückzuweisen.
Das Obergericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Der Beklagte (Beschwerdegegner) liess sich nicht vernehmen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde richtet sich gegen einen verfahrensabschliessenden Entscheid (Art. 90 BGG) einer oberen kantonalen Instanz, die auf ein Rechtsmittel hin kantonal letztinstanzlich in einer Zivilsache entschieden hat (Art. 75 i.V.m. Art. 72 BGG). Die Rechtsbegehren der Beschwerdeführer sind im kantonalen Verfahren nicht geschützt worden (Art. 76 Abs. 1 BGG), der massgebende Streitwert beträgt mehr als Fr. 15'000.-- (Art. 51 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 lit. a BGG) und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Der blosse Rückweisungsantrag genügt, da das Bundesgericht im Falle der Gutheissung der Beschwerde in der Sache nicht entscheiden könnte (vgl. BGE 134 III 379 E. 1.3 S. 383). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.
2.
2.1 Gemäss Art. 274f Abs. 1 aOR wird ein Entscheid der Schlichtungsbehörde rechtskräftig, wenn die Partei, die unterlegen ist, nicht innert 30 Tagen den Richter anruft. Bezüglich dieser Frist kamen die kantonalen Gerichtsferien nicht zur Anwendung (BGE 123 III 67 E. 2). Im kantonalen Verfahren anerkannte der Beschwerdeführer, dass er die Frist gemäss Art. 247f Abs. 1 aOR, welche drei Tage vor Ostern am 21. April 2011 ablief, mit der Klage vom 4. Mai 2011 nicht eingehalten hatte. Er machte jedoch geltend, nach dem Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) am 1. Januar 2011 sei die Frist gemäss Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO vom siebten Tag vor Ostern bis und mit dem siebten Tag nach Ostern stillgestanden und damit eingehalten worden.
2.2 Die Übergangsbestimmungen der ZPO sehen vor, dass für Verfahren, die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes rechtshängig sind, das bisherige Verfahrensrecht bis zum Abschluss vor der betroffenen Instanz gilt (Art. 404 Abs. 1 ZPO). Für die Rechtsmittel gilt das Recht, das bei der Eröffnung des Entscheides in Kraft ist (Art. 405 Abs. 1 ZPO).
2.3 Ein Teil der Lehre vertritt die Meinung, das Schlichtungsverfahren sei ein selbstständiges Verfahren, das durch die Schlichtungsbehörde als betroffene Instanz im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO abgeschlossen werde, weshalb für das anschliessende gerichtliche Verfahren nach dem Inkrafttreten der ZPO diese anwendbar sei (FRIDOLIN WALTHER, Das Übergangsrecht zur neuen ZPO - offene Fragen und mögliche Antworten, SZZP 2010, S. 409 ff., 412 f.; FRANCESCO TREZZINI, in: Bruno Cocchi und andere, Commentario al Codice di diritto processurale civile svizzero, 2011, N. 2 zu Art. 404 ZPO; TANJA DOMEJ, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Paul Oberhammer [Hrsg.], 2010, N. 2 zu Art. 404 ZPO; DOMINIK GASSER, Schweizerische ZPO: Checkliste für Tag 1, Anwaltsrevue 2010, S. 255 ff., 256; SUTTER-SOMM/SEILER, in: Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, Thomas Sutter-Somm und andere [Hrsg.], 2010, N. 9 zu Art. 404 ZPO). Zum Teil wird angenommen, auch wenn sich nach einem altrechtlichen Schlichtungsverfahren das gerichtliche Verfahren nach neuem Recht richte, sei eine Klagebewilligung mit altrechtlicher Gültigkeitsdauer zu erteilen (GASSER, a.a.O., S. 256; ZINON KOUMBARAKIS, Das Schlichtungsverfahren in Mietsachen nach der neuen Zivilprozessordnung, in: Aktuelle Fragen zum Mietrecht, Beat Rohrer [Hrsg.], 2012, S. 117 ff., 122 f.; Kreisschreiben des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. September 2010, SZZP 2011, S. 164; WALTHER, a.a.O., S. 414 f., der jedoch hinsichtlich des Stillstands der altrechtlichen Frist die Anwendung des neuen Rechts befürwortet). Schliesslich wird die Meinung vertreten, unter der Instanz, welche das Verfahren nach Art. 404 Abs. 1 ZPO abschliesse, sei bloss eine gerichtliche Instanz mit Entscheidkompetenz, nicht jedoch eine Schlichtungsbehörde zu verstehen. Führe ein unter altem Recht rechtshängiges Schlichtungsverfahren zu keiner Einigung, sei daher das anschliessende Gerichtsverfahren nach altem Recht durchzuführen (FREI/WILLISEGGER, in: Basler Kommentar, ZPO, 2010, a.a.O., N. 10 f. zu Art. 404 ZPO; ANDREAS FREI, Knifflige Fragen zum Übergangsrecht, Plädoyer 2011, S. 33; DAVID LACHAT, Procédure civile en matière de baux et loyers, 2011, S. 34; IVO SCHWANDER, in: Schweizerische Zivilprozessordnung, Kommentar, Brunner und andere [Hrsg.], 2011, N. 28 zu Art. 404 ZPO; DENIS TAPPY, in: François Bohnet und andere [Hrsg.], Code de procédure civile commenté, 2011, N. 11 f. und N. 18 zu Art. 404 ZPO; derselbe: Le droit transitoire applicable lors de l'introduction de la nouvelle procédure civile unifiée, JdT 2010 III S. 11 ff., 18 ff.; im Ergebnis ebenso: HOFMANN/ LÜSCHER, Le Code de procédure civile, 2009, S. 236).
2.4 Das Obergericht ging in Übereinstimmung mit der letztgenannten Meinung davon aus, die Schlichtungsbehörde habe mit ihrem Entscheid vom 15. Februar 2011 kein Verfahren im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO abgeschlossen, weshalb sich die Anrufung des Richters nach Art. 247f Abs. 1 aOR und nicht nach der ZPO richte.
2.5 Der Beschwerdeführer rügt, gemäss zutreffender Lehrmeinung schliesse ein Entscheid der Schlichtungsbehörde das Verfahren vor der betroffenen Instanz im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO ab. Die Vorinstanz habe daher diese Übergangsbestimmung verletzt, indem sie bezüglich der Klagefrist nicht Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO zur Anwendung gebracht habe.
2.6
2.6.1 Die Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Schweizerischen Zivilprozessordnung führt zum Übergangrecht aus, Prozesse, die bei Inkrafttreten der vereinheitlichten ZPO hängig seien, schlössen die Instanz nach bisherigem (kantonalem) Prozessrecht ab; für ein anschliessendes innerkantonales Rechtsmittel gelte dann aber die ZPO (BBl. 2006 7407). Entsprechend erläuterte Ständerat Wicki als Kommissionssprecher, für Prozesse, die bei Inkrafttreten der Schweizerischen Zivilprozessordnung hängig sind, sei bis zum Urteil das bisherige kantonale Prozessrecht massgebend (AB 2007 S 644). Die Botschaft und diese Erläuterungen zeigen, dass der Gesetzgeber bei der übergangsrechtlichen Regelung in Art. 404 Abs. 1 und Art. 405 Abs. 1 ZPO vom kantonalen Instanzenzug ausging und bei rechtshängigen Verfahren die weitere Geltung des alten Prozessrechts für das erstinstanzliche Entscheid-, nicht jedoch das kantonale Rechtsmittelverfahren vorsah (vgl. TAPPY, Le droit transitoire, a.a.O., S. 18 ff. und S. 36. f.). Demnach ist unter "Abschluss des Verfahrens vor der betroffenen Instanz" im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO der Abschluss eines erstinstanzlichen Entscheid- oder allenfalls eines zweitinstanzlichen Rechtsmittelverfahrens zu verstehen. Nach diesem Konzept stellt das erfolglose Schlichtungsverfahren als Prozessvoraussetzung grundsätzlich die Einleitung des Entscheidverfahrens vor dem erstinstanzlichen Gericht dar.
2.6.2 Jedoch stellt sich die Frage, ob die Schlichtungsbehörde nicht dadurch, dass sie - wie im vorliegenden Fall - gemäss Art. 273 Abs. 4 OR einen Entscheid fällt, zum erstinstanzlichen Gericht wird. Das Bundesgericht hat diese Frage in anderem Zusammenhang mit der Begründung verneint, mit der Erteilung von gewissen Entscheidbefugnissen habe der Gesetzgeber die Schlichtungsbehörde nicht in ein erstinstanzliches Gericht umwandeln wollen. Vielmehr sei ein Entscheid der Schlichtungsbehörde gemäss der Zwecksetzung des Schlichtungsverfahrens, eine gütliche Einigung der Parteien zu erreichen, als letzter Einigungsvorschlag zu verstehen, den die Parteien akzeptieren oder durch die Anrufung des Gerichts ablehnen könnten. Entsprechend fielen solche Entscheide mit der Anrufung des Richters ohne Weiteres dahin. Sie wirkten sich auf das richterliche Verfahren nur als "prima facie-Vorentscheide" aus, welche die Rollenverteilung im Prozess festlegten (BGE 135 III 253 E. 2.4 S. 257 f. mit Hinweisen).
2.6.3 Aufgrund dieser Rechtsprechung ist davon auszugehen, das bundesrechtlich vorgesehene Mietschlichtungsverfahren, wie es vor dem Inkrafttreten der ZPO geregelt war, habe mit einem darin ergangenen Entscheid über die Gültigkeit einer Kündigung und die Erstreckung des Mietverhältnisses lediglich in einen prima facie-Vorentscheid gemündet, der keine "Instanz" im Sinne von Art. 404 Abs. 1 ZPO abschloss (FREI/WILLISEGGER, a.a.O., N. 11 zu Art. 404 ZPO; LACHAT, a.a.O., S. 34). In diesem Sinne erwähnt auch die Botschaft zur ZPO, die Vorentscheide der Schlichtungsbehörden in bestimmten Streitigkeiten aus Miete und Pacht seien im Grunde genommen nur Urteilsvorschläge gewesen (BBl 2006 7333 Ziff. 5.13). Die Vorinstanz hat somit bundesrechtskonform erkannt, dass sich die Anrufung des Gerichts nach einem solchen Vorentscheid nach altem Recht richtet.
2.6.4 Dies wird dadurch bestätigt, dass die ZPO bei Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen keine Vorentscheide der Schlichtungsbehörde und demgemäss auch keine entsprechende Regelung für die Anrufung des Gerichts mehr vorsieht. Als Ersatz dafür kann nach Art. 210 Abs. 1 lit. b ZPO die Schlichtungsbehörde Urteilsvorschläge unterbreiten, welche nach Art. 211 Abs. 1 ZPO als angenommen gelten, wenn keine Partei sie innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung ablehnt (vgl. FLORENCE DOMINÉ BECKER, La procédure de conciliation en matière de bail au regard du Code de procédure civile suisse, plaidoyer 2011, S. 39 ff., 43). Von dieser Kompetenzänderung geht auch der Beschwerdeführer aus, wenn er geltend macht, die Schlichtungsbehörde hätte richtigerweise eine Rechtsmittelbelehrung gemäss Art. 211 Abs. 1 ZPO vorsehen müssen. Er lässt jedoch ausser Acht, dass diese Regelung nach dem Gesagten übergangsrechtlich nicht anwendbar ist und ihm auch die analoge Anwendung der neu für Urteilsvorschläge vorgesehenen zwanzigtägigen Ablehnungsfrist nicht helfen könnte, da diese am 11. April 2011, d.h. noch vor dem Fristenstillstand gemäss Art. 145 Abs. 1 lit. a ZPO, abgelaufen wäre.
3.
Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, die Vorinstanz hätte die von ihm gerügte Verletzung des in Art. 5 Abs. 3 BV vorgeschriebenen Grundsatzes des Handelns nach Treu und Glauben bejahen müssen, da es dem Vertrauensschutz widerspreche, wenn das Bezirksgericht zunächst eine Verhandlung nach neuem Recht durchführe und am Ende das alte Recht wieder anwende.
Der Vertrauensgrundsatz ist jedoch nicht verletzt, wenn ein Gericht erst nach durchgeführter Verhandlung die Verspätung einer Klage erkennt und folgerichtig darauf nicht eintritt. Wie der Beschwerdeführer selbst erkennt, konnten für seine Berechnung der Frist zur Anrufung des Bezirksgerichts dessen Vorkehren zur Verfahrensleitung nach Ablauf der Frist von vorneherein nicht vertrauensbildend sein. Demgegenüber hätte er sich auf die ihm von der Schlichtungsbehörde erteilte Rechtsmittelbelehrung verlassen dürfen. Darin wurde ausdrücklich auf "Art. 274f Ziff. 1 OR" und damit auf das alte Recht verwiesen, was der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben erkannte. Wenn er sein Vertrauen in die Anwendbarkeit der ZPO aber nicht auf die ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung, sondern auf seine davon abweichende eigene Gesetzesauslegung stützt, hat er dies selbst zu verantworten.
4.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens wird der Beschwerdeführer dafür kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Beschwerdegegner, der sich nicht vernehmen liess, steht jedoch keine Parteientschädigung zu.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. Oktober 2012
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Gelzer