Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_546/2012
Urteil vom 23. Januar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Dold.
1. Verfahrensbeteiligte
X.a.________,
2. Y.________ AG,
3. Z.________ AG in Liq.,
4. W.________ SA,
Nr. 2-4 vertreten durch X.a.________,
Beschwerdeführerinnen,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt.
Gegenstand
Siegelung,
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 12. Juli 2012.
Sachverhalt:
A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt eine Strafuntersuchung gegen X.b.________ wegen des Verdachts auf gewerbsmässigen Betrug und Widerhandlungen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (SR 241). Die Untersuchung wurde in der Folge auf X.a.________, die Ehefrau von X.b.________, ausgedehnt. Gestützt auf zwei Durchsuchungsbefehle der Staatsanwaltschaft vom 5. Juli 2011 wurden die Geschäftsräume der V.________ GmbH in A.________ und die Wohnräume von X.a.________ und X.b.________ in B.________ durchsucht und diverse Objekte vorläufig sichergestellt. Auf Antrag von X.b.________ wurden die Objekte versiegelt. Mit Entscheid vom 31. August 2011 bewilligte das Zwangsmassnahmengericht am Kreisgericht Toggenburg die Entsiegelung. Eine von X.b.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesgericht mit Urteil vom 2. Februar 2012 ab, soweit es darauf eintrat (Verfahren 1B_492/2011).
Mit Schreiben vom 19. April 2012 beantragte X.a.________ bei der Staatsanwaltschaft im eigenen Namen und im Namen der Y.________ AG, der Z.________ AG in Liq. und der W.________ SA die Siegelung der sichergestellten Gegenstände. Die Staatsanwaltschaft wies den Antrag mit Entscheid vom 23. April 2012 ab. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde von der Anklagekammer des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 12. Juli 2012 abgewiesen.
B.
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 15. September 2012 beantragen X.a.________, die Y.________ AG, die Z.________ AG in Liq. und die W.________ SA, der Entscheid der Anklagekammer sei aufzuheben und die Staatsanwaltschaft sei anzuweisen, eine Anzahl in der Beschwerdeschrift aufgelisteter Akten unverzüglich zu versiegeln. Die Beschwerdeführerinnen stellen zudem das Gesuch, die Versiegelung sei vorsorglich bereits für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens anzuordnen.
Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde und des Gesuchs um vorsorgliche Massnahmen. Die Anklagekammer hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft die Abweisung eines Siegelungsgesuchs gemäss Art. 248 Abs. 1 StPO durch die Staatsanwaltschaft. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG gegeben. Den Beschwerdeführerinnen, welche geltend machen, Inhaber der von ihnen genannten Aufzeichnungen und Gegenstände zu sein, droht infolge der Ablehnung der Siegelung ein nicht wieder gutzumachender Nachteil (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Es verhält sich insofern gleich wie bei einem Entsiegelungsentscheid (vgl. Urteil 1B_27/2012 vom 27. Juni 2012 E. 1 mit Hinweisen). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerinnen machen geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 248 StPO, Art. 13 und Art. 29 Abs. 1 BV sowie Art. 8 EMRK. Sie sind der Ansicht, die Staatsanwaltschaft besitze nicht das Recht, ein Siegelungsgesuch abzulehnen. Gemäss Art. 248 Abs. 1 StPO habe sie vielmehr die Siegelung in jedem Fall vorzunehmen, wenn dies vom Inhaber der Aufzeichnungen und Gegenstände verlangt werde. Der Anspruch auf Siegelung sei zudem nicht verwirkt. Art. 248 StPO enthalte keine Regelung, innerhalb welcher Frist das Siegelungsgesuch zu stellen sei. Sachgerecht dürfte sein, das Gesuch bis zur Durchsuchung zuzulassen. Vorliegend sei erstellt, dass am 19. April 2012 von den umfangreichen sichergestellten Unterlagen erst ein sehr geringer Teil durchsucht worden sei. Damit sei das Siegelungsgesuch eindeutig vor bzw. unmittelbar vor bzw. bei der Durchsuchung erfolgt.
2.2 Art. 248 StPO sieht vor, dass Aufzeichnungen und Gegenstände, die nach Angaben der Inhaberin oder des Inhabers wegen eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts oder aus anderen Gründen nicht durchsucht oder beschlagnahmt werden dürfen, zu versiegeln sind und von den Strafbehörden weder eingesehen noch verwendet werden dürfen (Abs. 1). Die Durchsuchung von Aufzeichnungen (Art. 246 ff. StPO) und die Beschlagnahme (Art. 263 ff. StPO) sind Zwangsmassnahmen, welche von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden können (Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO). Die Staatsanwaltschaft ist damit auch ohne Weiteres zuständig, über die Siegelung zu befinden. Erst der Entscheid über die Entsiegelung fällt in die Kompetenz der Gerichte (Art. 248 Abs. 3 StPO). Den Beschwerdeführerinnen in ihrer Argumentation zu folgen und die Auslegung von Art. 248 Abs. 1 StPO dem Gericht vorzubehalten, würde bedeuten, dass die Staatsanwaltschaft auf jedes Gesuch hin - jederzeit und auch wenn es von einer offensichtlich nicht berechtigten Person gestellt wird - die Siegelung vorzunehmen hätte. Für eine solche Auslegung enthält das Gesetz keine Anhaltspunkte.
2.3 Das Gesetz enthält keine Frist, innert welcher die Siegelung verlangt werden muss; auch die Botschaft äussert sich dazu nicht (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1239 Ziff. 2.5.4.3). Die Literatur geht, soweit ersichtlich, einhellig davon aus, dass dies sofort zu geschehen hat, das heisst in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Sicherstellung der Aufzeichnungen oder Gegenstände (OLIVIER THORMANN/BEAT BRECHBÜHL, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 11 zu Art. 248 StPO; CATHERINE CHIRAZI, in: Commentaire Romand, Code de procédure pénale suisse, 2011, N. 6 zu Art. 248 StPO; ANDREAS J. KELLER, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, N. 11 zu Art. 248 StPO; NIKLAUS SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung [StPO], 2009, N. 4 zu Art. 248 StPO). KELLER geht davon aus, dass dem Berechtigten die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, sich von einem Anwalt beraten zu lassen und deshalb die Einwendungen gegen eine Durchsuchung allenfalls auch noch einige Stunden nach deren Abschluss vorzubringen (a.a.O.). Die Auffassung, wonach der Antrag auf Siegelung unmittelbar zu stellen ist, entspricht dem Beschleunigungsgebot (Art. 5 StPO). Sie steht zudem in Einklang mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu Art. 69 Abs. 3 des (durch Art. 446 Abs. 1 und Anhang 1 StPO) aufgehobenen Bundesgesetzes vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege (AS 50 685) und zu Art. 50 Abs. 3 VStR (SR 313.0) und wurde vom Bundesgericht unlängst auch in Bezug auf Art. 248 Abs. 1 StPO bestätigt (BGE 127 II 151 E. 4b S. 154; 114 Ib 357 E. 4 S. 360; Urteile 1B_320/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 4; 1B_516/2012 vom 9. Januar 2013 E. 2.3; je mit Hinweisen).
Es ist nicht bestritten, dass die Beschwerdeführerin 1 von der auf die beiden Befehle vom 5. Juli 2011 gestützten Durchsuchung Kenntnis hatte, ja teilweise selbst anwesend war. Diese Kenntnis ist auch den weiteren Beschwerdeführerinnen anzurechnen, als deren Organ die Beschwerdeführerin 1 amtet. Statt selbst die Siegelung zu verlangen, verliessen sich die Beschwerdeführerinnen offenbar auf den Umstand, dass diese bereits auf Gesuch des Ehemanns der Beschwerdeführerin 1 vorgenommen worden war. Erst nachdem die Entsiegelung beantragt und letztinstanzlich vom Bundesgericht mit Urteil vom 2. Februar 2012 bewilligt worden war und zudem die Staatsanwaltschaft bereits begonnen hatte, die Aufzeichnungen und Gegenstände zu sichten, beantragten die Beschwerdeführerinnen am 19. April 2012 die Siegelung. Dieser Antrag erfolgte indessen nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Sicherstellung, sondern sehr viel später. Die Staatsanwaltschaft verletzte kein Bundesrecht, wenn sie die Siegelung ablehnte. Die Kritik der Beschwerdeführerinnen am angefochtenen Entscheid ist deshalb unbegründet.
3.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Das Gesuch der Beschwerdeführerinnen um aufschiebende Wirkung für die Dauer des bundesgerichtlichen Verfahrens wird damit gegenstandslos.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten den Beschwerdeführerinnen aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1-3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführerinnen auferlegt.
3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4.
Dieses Urteil wird den Beschwerdeführerinnen, der Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Kantonales Untersuchungsamt, und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. Januar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Dold