BGer 8C_379/2012
 
BGer 8C_379/2012 vom 13.02.2013
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
8C_379/2012 {T 0/2}
Urteil vom 13. Februar 2013
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.
 
Verfahrensbeteiligte
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich,
Brunngasse 6, 8400 Winterthur,
Beschwerdeführerin,
gegen
W.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 20. März 2012.
Sachverhalt:
A.
Der 1958 geborene W.________ war seit 1. März 2008 als Buchhalter für die S.__________ AG, tätig, als die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis am 30. Dezember 2009 fristlos auflöste. Am 28. September 2010 meldete er sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum zur Arbeitsvermittlung an und am 21. Oktober 2010 stellte er Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 28. September 2010. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich eröffnete eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug ab 28. September 2010 und legte den versicherten Verdienst mit Verfügung vom 17. Januar 2011 auf Fr. 7'914.- fest. Die dagegen erhobene Einsprache zog W.________ trotz Androhung einer möglichen Schlechterstellung seitens der Verwaltung nicht zurück, woraufhin die Kasse die Einsprache abwies und den versicherten Verdienst rückwirkend ab 28. September 2010 auf Fr. 7'795.- reduzierte (Einspracheentscheid vom 7. Juni 2011).
B.
In Gutheissung der hiergegen geführten Beschwerde änderte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid insoweit ab, als es feststellte, W.________ habe Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung gestützt auf einen versicherten Verdienst von Fr. 10'270.- (Entscheid vom 20. März 2012).
C.
Die Arbeitslosenkasse erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben.
W.________ lässt sich in abweisendem Sinn vernehmen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verzichtet auf eine Stellungnahme.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die dem Beschwerdegegner während seiner Tätigkeit für die S.__________ AG ausbezahlten Entschädigungen für Überstunden, welche er während des Bemessungszeitraums (vgl. E. 3.1 hiernach) geleistet hat, in die Berechnung des versicherten Verdienstes einzubeziehen sind.
3.
3.1 Gemäss Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG gilt als versicherter Verdienst der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes (gemäss Art. 37 AVIV) aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde.
Vorliegend ist - in zeitlicher Hinsicht - unbestritten, dass innerhalb der Rahmenfrist für die Beitragszeit vom 28. September 2008 bis 27. September 2010 als Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug im Sinne von Art. 37 Abs. 1 AVIV das Einkommen in den letzten sechs Monaten der Anstellung bei der S.__________ AG, also von Juli bis Dezember 2009, zu berücksichtigen ist, nachdem der Lohn für den Monat Dezember 2009 trotz der fristlosen Kündigung vom 30. Dezember 2009 ungekürzt ausbezahlt wurde.
3.2 In BGE 116 V 281 hatte das frühere Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) erkannt, dass Entschädigungen für Überzeit nicht Bestandteil des versicherten Verdienstes bilden, wobei sich das Urteil auf Überzeit im Sinne derjenigen geleisteten Arbeit bezog, welche die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit gemäss Arbeitsgesetz überschreitet (BGE 116 V 281 E. 2). Begründet wurde dieses Ergebnis unter anderem mit der Überlegung, dass die Arbeitslosenversicherung nur für eine normale übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten und daher keine Entschädigung für Erwerbseinbussen ausrichten solle, die aus dem Ausfall einer Überbeschäftigung stammen (BGE 116 V 281 E. 2d S. 283). Ausgehend von diesem Grundsatz lehnte die Rechtsprechung in der Folge - über den Bereich der Überzeit im vorstehend umschriebenen Sinn hinaus - die Berücksichtigung von Überstunden bei der Berechnung des versicherten Verdienstes generell ab (BGE 129 V 105; vgl. auch THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 2288 Rz. 366 mit Verweis auf Fn. 778).
4.
4.1 Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich feststellte (E. 1 hiervor), betrug die betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit bei der S.__________ AG in einem Vollzeitpensum 40 Stunden pro Woche. Im Arbeitsvertrag vom 7. März 2008 wurde eine Normalarbeitszeit von 24 Stunden (entsprechend einem 60%igen Teilzeitpensum) vereinbart. Demgemäss berücksichtigte die Kasse zur Berechnung des versicherten Verdienstes einen Monatslohn von Fr. 5'940.- für die Zeit von Juli bis September 2009. Gestützt auf die Lohnabrechnungen und die Behauptung des Versicherten im Einspracheverfahren, wonach er sich mit seiner Arbeitgeberin im September 2009 geeinigt habe, das Pensum ab 1. Oktober 2009 provisorisch auf 90 % zu erhöhen, gehen sowohl die Arbeitslosenkasse als auch das kantonale Gericht für die Monate Oktober bis Dezember 2009 von einem Monatslohn von Fr. 9'650.- aus. Dies führt zu einem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate von Fr. 7'795.-. Auf diesen Betrag reduzierte die Kasse den versicherten Verdienst in ihrem Einspracheentscheid vom 7. Juni 2011.
Das kantonale Gericht stützt sich ebenfalls auf diese Basis, nimmt jedoch an, die geleisteten Überstunden seien zum versicherten Verdienst zu rechnen, soweit sie in den einzelnen Monaten die im Betrieb geltende Normalarbeitszeit von 40 Stunden nicht überschreiten. Bei einer Arbeitnehmertätigkeit, welche im betriebsüblichen Rahmen von 40 Wochenstunden bleibe, könne von einer nicht versicherten Überbeschäftigung im Sinne von BGE 129 V 105 nicht die Rede sein. Aus dem Durchschnitt der sechs Monatslöhne (Fr. 46'770.-) und den von Juli bis Dezember 2009 vergüteten, im soeben genannten Sinn anrechenbaren Überstundenentschädigungen (Fr. 14'850.05) ergebe sich ein versicherter Verdienst von Fr. 10'270.-.
4.2
4.2.1 Mit Blick auf die Lohnabrechnungen für die Monate November (mit Ausgleichzahlung für den im Oktober noch auf der vorherigen Basis von Fr. 5'940.- geleisteten Lohn) und Dezember 2009 lässt sich mit Verwaltung und Vorinstanz willkürfrei annehmen, dass der Versicherte im September 2009 mit seiner Arbeitgeberin mündlich eine Pensumserhöhung auf 90 % per 1. Oktober 2009 vereinbart hat. Von einer weitergehenden einvernehmlichen Pensumserhöhung auf 100 % geht auch das kantonale Gericht nicht aus. Der Beschwerdegegner räumt letztinstanzlich ein, es habe sich zwar herausgestellt, dass sich der Arbeitsaufwand auf 100 % ausweiten werde, aber die Verhandlungen hätten sich verzögert, weshalb - als Zwischenschritt - der "Vertrag ab 1. Oktober 2009 auf 90 % angepasst" worden sei. Die Überstunden wurden denn auch nachweislich während des gesamten Bemessungszeitraums von Juli bis Dezember 2009 mit dem arbeitsvertraglich vereinbarten Zuschlag von 25 % entschädigt.
4.2.2 Trotzdem geht die Vorinstanz von einer Überbeschäftigung und damit von nicht zum versicherten Verdienst zu rechnenden Überstundenentschädigungen nur in dem Masse aus, in dem die monatlichen Arbeitszeiten des Beschwerdegegners jeweils die betriebsüblichen 40 Wochenstunden bei einem Vollzeitpensum übersteigen. Dabei verkennt sie allerdings, dass als Überbeschäftigung nicht nur Arbeit bezeichnet werden kann, die über die betriebliche Normalarbeitszeit, das heisst über einen Beschäftigungsgrad von 100 %, hinausgeht. Vielmehr gilt als Überstundenarbeit Arbeit, die über die im Einzelarbeits-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag vereinbarte, im Betrieb geltende oder in der Branche übliche Stundenzahl hinaus geleistet wird (BGE 129 V 105 E. 3.1 S. 107). Sowohl mit Überzeit als auch mit Überstundenarbeit wird nicht "normalerweise" erzielter Lohn erworben, beschränkt sich doch der Einsatz des Arbeitnehmers regelmässig auf die vertraglich vereinbarte, betriebs- oder branchenübliche Arbeitszeit. Die Tatsache, dass je nach wirtschaftlicher und betrieblicher Situation darüber hinaus in nicht unerheblichem Ausmass Überstundenarbeit geleistet wird, wozu der Arbeitnehmer im Übrigen laut Art. 321c Abs. 1 OR soweit verpflichtet ist, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben zugemutet werden kann, ist wohl arbeitsrechtlich von Belang, in arbeitslosenversicherungsrechtlicher Hinsicht aber nicht entscheidend (BGE 129 V 105 E. 3.2 S. 108). Die höchstrichterliche Praxis zur Ausserachtlassung von Überstundenentschädigungen bei der Bemessung des versicherten Verdienstes findet auch auf teilzeitlich angestellte Personen Anwendung (Urteile des Eidgenössischen Versicherungsgerichts C 185/03 vom 12. Februar 2004 E. 3.3 und C 1/01 vom 21. August 2001 E. 4b).
4.2.3 Es ist unbestritten, dass sich das vereinbarte Arbeitspensum bis September 2009 auf 60 % (entlöhnt mit Fr. 5'940.-) und ab Oktober 2009 auf 90 % (entlöhnt mit Fr. 9'650.-) belief. Die Bestrebungen, das Pensum weiter zu erhöhen, konnten nicht mehr umgesetzt werden. In Nachachtung von BGE 129 V 105 stellt deshalb das für einen Beschäftigungsgrad von 60 %, bzw. ab Oktober 2009 90 %, vereinbarte Gehalt den nach Art. 23 Abs. 1 AVIG "normalerweise" erzielten Verdienst dar. Das Entgelt für die über die arbeitsvertraglich fixierte Normalarbeitszeit (von Juli bis September 2009: 24 Wochenstunden; von Oktober bis Dezember 2009: 36 Wochenstunden) hinaus geleisteten Überstunden sind hingegen nicht Bestandteil des versicherten Verdienstes. Anders zu entscheiden würde heissen, eine arbeitslosenversicherungsrechtlich nicht zu billigende Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten herbeizuführen (Urteil C 185/03 vom 12. Februar 2004 E. 3.3). Die Kasse weist im Übrigen zutreffend darauf hin, dass auch Randziffer C2 des Kreisschreibens über die Arbeitslosenentschädigung (KS ALE) des SECO vom Januar 2007 Mehrstunden, welche die vertragliche Arbeitszeit übersteigen, nun ausdrücklich nicht mehr zum massgebenden Lohn zählt (gleichlautend: Randziffer C2 der AVIG-Praxis ALE, welche das KS ALE inzwischen ersetzt hat).
4.3 Die Vorinstanz verletzt demnach Bundesrecht, soweit sie den versicherten Verdienst auf der Grundlage einer die vertraglich vereinbarten Normalarbeitszeiten übersteigenden wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 40 Stunden errechnet. Die Entschädigung für die über 24 und ab 1. Oktober 2009 über 36 Stunden pro Woche geleistete Arbeitszeit wurde im Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse vom 7. Juni 2011 bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes zu Recht nicht berücksichtigt, weshalb der gegenteilige Gerichtsentscheid aufzuheben ist.
5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 62 BGG). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten vom Beschwerdegegner als unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. März 2012 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 7. Juni 2011 bestätigt.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 13. Februar 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Ursprung
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz