BGer 9C_1036/2012
 
BGer 9C_1036/2012 vom 27.03.2013
{T 0/2}
9C_1036/2012
 
Urteil vom 27. März 2013
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella, Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
Verfahrensbeteiligte
Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten durch das Eidgenössisches Finanzdepartement, Generalsekretariat, Rechtsdienst, Bundesgasse 3, 3003 Bern,
Beschwerdeführerin,
gegen
Sicherheitsfonds BVG, c/o ATAG Wirtschaftsorganisation AG, Eigerplatz 2, 3007 Bern,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Fritz Rothenbühler,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge (vorinstanzliches Verfahren),
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
Der Sicherheitsfonds BVG stellte im Jahr 1996 gesetzliche Vorsorgeleistungen von 62,5 Mio. Fr. für die Destinatäre der Sammelstiftung X.________ in Liquidation und von 10,1 Mio. Fr. für diejenigen der Sammelstiftung Y.________ in Liquidation sicher. Beide Sammelstiftungen waren gemäss Verfügungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) vom 16. Januar 1996 aufgehoben worden.
 
B.
Am 20. April 2000 gelangte der Sicherheitsfonds mit zwei "Schadenersatzbegehren nach Verantwortlichkeitsgesetz" an das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) mit der Begründung, das BSV habe seine Aufsichtspflichten verletzt.
 
C.
Am 25. Juli 2000 reichte der Sicherheitsfonds beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern zwei Klagen ein, mit welchen er von der Schweizerischen Eidgenossenschaft die Beträge von 62,5 und 10,1 Mio. Fr., zuzüglich Zins, forderte.
 
D.
Mit Schreiben vom 12. August 2002 teilte das EFD dem Sicherheitsfonds u.a. mit, es könne sich im Ergebnis der Auffassung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern anschliessen. In der Folge verzichtete der Sicherheitsfonds auf die Anfechtung der Entscheide vom 8. Juli 2002.
 
E.
Am 1. April 2010 beantragte der Sicherheitsfonds die Wiederaufnahme des Verfahrens beim EFD und die Bestätigung von dessen Zuständigkeit.
 
F.
Dagegen erhob der Sicherheitsfonds am 31. Mai 2011 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und beantragte, die Verfügung vom 19. April 2011 sei aufzuheben und es sei das EFD anzuweisen, auf das Schadenersatzbegehren einzutreten. Eventualiter sei über die weitere Behandlung des Schadenersatzbegehrens ein Meinungsaustausch mit dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern durchzuführen. Gegebenenfalls sei das Verfahren anschliessend an dieses zu überweisen.
 
G.
Die Schweizerische Eidgenossenschaft reicht am 26. Oktober 2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und stellt Antrag auf Aufhebung des Entscheids vom 20. September 2012. Auf die Beschwerde des Sicherheitsfonds vom 31. Mai 2011 gegen die Verfügung des EFD vom 19. April 2011 sei nicht einzutreten.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Mit dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 wurde nicht über ein Rechtsverhältnis endgültig entschieden, sondern nur über einen Schritt auf dem Weg zum Endentscheid. Er stellt einen - selbstständig eröffneten - Vor- oder Zwischenentscheid über die Zuständigkeit nach Art. 92 Abs. 1 BGG dar (BGE 133 V 477 E. 4.1.3 S. 481). Die dagegen erhobene Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist somit zulässig (BGE 135 V 124 E. 1 S. 126).
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden, weshalb es die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen kann (BGE 134 III 102 E. 1.1 S. 104; 132 II 47 E. 1.3 S. 50 mit Hinweisen).
 
2.
2.1. Materiellrechtlicher Streitgegenstand bildet der Rückgriffsanspruch des Sicherheitsfonds gestützt auf das BVG. Es fragt sich deshalb, ob die Zuständigkeit zur Behandlung der Beschwerde bei der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts liegt (Art. 35 lit. e des Reglements vom 20. November 2006 für das Bundesgericht [BGerR; SR 173.110.131]), obwohl die Beschwerde - im Sinne des vorinstanzlichen Rechtsspruches - bei der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung einging (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 BGerR).
2.2. Für die Zuteilung eines Geschäfts an eine Abteilung ist die Rechtsfrage massgeblich, auf der das Schwergewicht der Entscheidung liegt, wobei von der reglementarischen Geschäftsverteilung im Einzelfall aufgrund der Natur des Geschäfts und seiner Konnexität mit anderen Geschäften abgewichen werden kann. Vorausgesetzt wird eine Einigung der Präsidenten und Präsidentinnen der betroffenen Abteilungen (Art. 36 Abs. 1 und 2 BGerR). Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens erfolgte ein Meinungsaustausch zwischen der II. öffentlich-rechtlichen und der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts, welcher ergab, dass hier nicht ein Staatshaftungs-, sondern ein BVG-Verfahren im Vordergrund steht (vgl. E. 5 nachfolgend). In der Folge hat die II. sozialrechtliche Abteilung den bei der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung anhängig gemachten Fall zuständigkeitshalber übernommen, was den Parteien mit Schreiben vom 18. Februar 2013 mitgeteilt wurde.
 
3.
3.1. Es ist unbestritten, dass sowohl die Sammelstiftung X.________ als auch Sammelstiftung Y.________-Sammelstiftung der Aufsicht des Bundes unterstanden (vgl. Art. 61 Abs. 2 BVG in der bis zum Inkrafttreten der Strukturreform am 1. Januar 2012 geltenden Fassung).
3.2. Gemäss Art. 3 Abs. 1 des Verantwortlichkeitsgesetztes (VG; SR 170.32) haftet der Bund für den Schaden, den ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich zufügt, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Beamten. Bei Tatbeständen, welche unter die Haftpflichtbestimmungen anderer Erlasse fallen, richtet sich die Haftung des Bundes nach jenen besonderen Bestimmungen (Abs. 2). Derartige besondere Entschädigungsregelungen sind ausschliesslich und abschliessend. Sie verdrängen in ihrem Anwendungsbereich die betreffende allgemeine Regelung des Verantwortlichkeitsgesetzes. Dieses kommt auch nicht ergänzend zur Anwendung; es kann demnach nicht als Auffangregelung angerufen werden, wenn eine Spezialhaftungsordnung für bestimmte Schäden keinen oder keinen vollständigen Ersatz vorsieht. Das Verantwortlichkeitsgesetz steht im Verhältnis zu den besonderen Entschädigungsregelungen auf dem Boden der sogenannten exklusiven Gesetzeskonkurrenz und ist zu ihnen in diesem Sinne subsidiär (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 86/01 vom 17. Juli 2003 E. 4.1, nicht publ. in: BGE 129 V 394).
 
3.3.
3.3.1. Nach Art. 52 BVG - in der hier massgebenden Fassung vor der 1. BVG-Revision, die am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist - sind alle mit der Verwaltung, Geschäftsführung oder Kontrolle der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen für den Schaden verantwortlich, den sie ihr absichtlich oder fahrlässig zufügen.
3.3.2. Nach Art. 56 Abs. 1 lit. b BVG stellt der Sicherheitsfonds die gesetzlichen Leistungen von zahlungsunfähig gewordenen oder im Falle von vergessenen Guthaben liquidierter Vorsorgeeinrichtungen sicher. Nach der ursprünglichen, bis 31. Dezember 1996 in Kraft gewesenen Fassung von Art. 56 Abs. 1 lit. b Satz 2 BVG (AS 1983 797) regelte der Bundesrat die Voraussetzungen für die Leistungen des Sicherheitsfonds und das Rückgriffsrecht auf Organe zahlungsunfähiger Vorsorgeeinrichtungen. Gestützt darauf hatte der Bundesrat die Verordnung vom 7. Mai 1986 über die Verwaltung des Sicherheitsfonds BVG erlassen (aSFV 2 [AS 1986 867]; in Kraft bis 30. Juni 1998, AS 1998 1662). Nach deren Art. 11 hat der Sicherheitsfonds gegenüber den Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen. Am 1. Januar 1997 trat Art. 56a Abs. 1 BVG (in der bis 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung) in Kraft (AS 1996 3067), wonach der Sicherheitsfonds gegenüber Personen, die für die Zahlungsunfähigkeit der Vorsorgeeinrichtung oder des Versichertenkollektivs ein Verschulden trifft, ein Rückgriffsrecht im Umfang der sichergestellten Leistungen hat.
3.3.3. Gemäss Art. 73 Abs. 1 BVG bezeichnet jeder Kanton ein Gericht, das als letzte kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet. Dieses Gericht entscheidet auch über Verantwortlichkeitsansprüche nach Art. 52 BVG und über den Rückgriff nach Art. 56a Abs. 1 BVG (Art. 73 Abs. 1 Satz 2 BVG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung, seither Art. 73 Abs. 1 lit. c und d BVG). Das Berufsvorsorgegericht ist für die Beurteilung von Rückgriffsklagen des Sicherheitsfonds zuständig, auch wenn sich der Sachverhalt vor dem 1. Januar 1997 verwirklicht hat (BGE 135 V 373 E. 3.1 Abs. 2 S. 377 mit weiteren Hinweisen).
 
4.
Gemäss Urteil 2A.35/1997 vom 28. Januar 1998, in: SZS 1999 S. 380 - in welchem Fall eine Vorsorgeeinrichtung gegenüber dem Kanton Schwyz Schadenersatz geltend gemacht hatte, weil das kantonale Amt für berufliche Vorsorge und Stiftungsaufsicht seine Aufsichtspflicht verletzt habe - richtet sich die Haftung eines Kantons für hoheitliches Handeln nach kantonalem Recht, sofern keine spezialgesetzliche Haftungsbestimmung des Bundesrechts greift (E. 1c). Art. 52 BVG bildet keine solche Spezialgesetzgebung. Danach sind - im Verhältnis zur Vorsorgeeinrichtung - nur die mit der Verwaltung, Geschäftsführung und Prüfung der Vorsorgeeinrichtung betrauten Personen haftbar, nicht aber der Kanton für Fehler der kantonalen BVG-Aufsichtsbehörde. Daran ändert nichts, wenn diese ihre in Art. 62 BVG umschriebenen Aufsichtspflichten verletzt haben sollte. Die Verletzung einer bundesrechtlich vorgeschriebenen Pflicht führt allenfalls dazu, dass die Handlungen der staatlichen Bediensteten widerrechtlich sind, ist aber nicht selber Grundlage für die Haftung des Gemeinwesens (E. 1d des genannten Urteils). Damit war (auch) der prozessuale Weg durch das kantonale Staatshaftungsrecht bestimmt.
 
5.
5.1. Für Rückgriffsansprüche des Sicherheitsfonds gegen den Bund aus mangelhafter Aufsichtstätigkeit wurde die Frage nach der materiellen Rechtsgrundlage und dem anwendbaren Verfahren bisher nicht beurteilt. Nachdem in concreto gleich wie in BGE 130 V 277 der Sicherheitsfonds - und nicht wie im Urteil 2A.35/1997 eine Vorsorgeeinrichtung - Haftungsansprüche geltend macht, liegt auf der Hand, dass primär Art. 56a Abs. 1 BVG resp. Art. 11 aSFV 2 materiellrechtliche Grundlage ist. Voraussetzung ist, dass (auch) der Bund zu den Personen gemäss den zitierten Gesetzesbestimmungen zählt (vgl. E. 3.3.2). Ist dies zu bejahen, geht die berufsvorsorgerechtliche Haftungsbestimmung als lex specialis dem Verantwortlichkeitsgesetz vor (vgl. E. 3.2).
5.2. Es sind keine triftigen Gründe ersichtlich, zwischen Bund und Kanton eine Unterscheidung zu treffen. Indem die auf Verordnungsebene geregelten Rückgriffsvoraussetzungen auf den 1. Januar 1997 unverändert Eingang ins Gesetz gefunden haben ( KRISTIN M. LÜÖND, Der Sicherheitsfonds BVG, 2004, S. 105 Ziff. 5.12.1; vgl. auch E. 3.3.2), hat der Gesetzgeber die bundesrätliche Umsetzung der Delegationsbestimmung ausdrücklich gutgeheissen und es als sachgerecht erachtet, diese auf Gesetzesstufe zu verankern (BBl 1996 I 575 unten zu Art. 56bis E-BVG). Mit anderen Worten hat das Rückgriffsrecht des Sicherheitsfonds im Rahmen der BVG-Revision vom 21. Juni 1996 lediglich eine redaktionelle Neufassung erfahren (SVR 2006 BVG Nr. 34 S. 131, B 10/05 E. 8.2.3.4 in fine). Die in BGE 130 V 277 vorgenommene Auslegung des Personenbegriffs gemäss Art. 56a BVG lässt sich deshalb ohne weiteres auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation transponieren:
5.3. Nach dem Gesagten geht die berufsvorsorgerechtliche Haftungsbestimmung als lex specialis dem Verantwortlichkeitsgesetz vor. Dies bedeutet, dass das BVG-Gericht des Kantons Bern, d.h. die sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern, zuständig ist, über die gestützt auf Art. 56a BVG resp. Art. 11 aSFV 2 geltend gemachten Ansprüche des Sicherheitsfonds zu befinden (E. 3.3.3; Art. 87 lit. c des kantonalen Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 23. Mai 1989 [VRPG; BSG 155.21] und Art. 54 Abs. 1 lit. a des kantonalen Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft vom 11. Juni 2009 [GSOG; BSG 161.1]). Dass die Nichteintretensentscheide des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 8. Juli 2002 unangefochten geblieben sind, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Rechtsprechung gemäss BGE 135 V 153 zur fehlenden Rechtskraft des ersten Nichteintretensentscheides bei negativem Kompetenzkonflikt zweier kantonaler Versicherungsgerichte gilt auch im Bereich der beruflichen Vorsorge (SVR 2012 BVG Nr. 34 S. 133, 9C_41/2012 E. 2.3). Dabei ist nicht relevant, dass hier nicht zwei kantonale Versicherungsgerichte, sondern das EFD und ein kantonales Versicherungsgericht die eigene sachliche Zuständigkeit verneinen. Von untergeordneter Bedeutung ist auch das Schreiben des EFD vom 10. Mai 2000, da diesem nicht Verfügungsqualität zukommt (vgl. allgemein dazu HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2010, S. 193 ff.).
 
6.
Das Verfahren ist grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Auf Grund der besonderen Umstände (negativer Kompetenzkonflikt) ist ausnahmsweise auf eine Kostenerhebung zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 BGG; Urteil 8C_769/2008 vom 18. März 2009 E. 5.1 [in BGE 135 V 133 nicht veröffentlicht]). Der obsiegenden Eidgenossenschaft steht keine Parteientschädigung zu (Art. 86 Abs. 3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 wird aufgehoben. Die Sache wird dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, überwiesen, damit es über die Schadenersatzklagen des Sicherheitsfonds vom 25. Juli 2000 materiell befinde.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung I, schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 27. März 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Die Gerichtsschreiberin: Dormann