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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_599/2012
Urteil vom 5. April 2013
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Held.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Alfred Haltiner,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz; rechtliches Gehör,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer,
vom 5. Juli 2012.
Sachverhalt:
A.
Das Bezirksgericht Bremgarten verurteilte X.________ am 3. November 2011 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und Vergehens gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten und einer Busse von Fr. 1'000.--. Gleichzeitig widerrief es den ihm gewährten bedingten Vollzug für eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 30.--.
B.
Am 5. Juli 2012 wies das Obergericht des Kantons Aargau die von X.________ erhobene Berufung ab und verurteilte ihn in Gutheissung der Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren und einer bedingten Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu Fr. 70.--.
C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, die Verurteilung wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz aufzuheben. Für den Handel mit rund 500 g Amphetamin sei er mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten zu bestrafen. Auf den Widerruf der bedingten Geldstrafe sei zu Gunsten einer Verlängerung der Probezeit um ein Jahr zu verzichten. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts aufzuheben und das Verfahren zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz hält für erwiesen, dass der Beschwerdeführer u.a. durch sieben Käufe (10 g im Januar 2010, 50-100 g Anfang Februar 2010, je 500 g am 17. und 23. Februar 2010, 1'000 g am 25. Februar 2010 sowie je 500 g am 25. März und 8. April 2010) insgesamt 3'060 g Amphetamin vom anderweitig verurteilten A.________ erwarb und anschliessend - bis auf eine Menge von 13 g - weiterverkaufte. Der Beschwerdeführer räumt den Kauf und Weiterverkauf von rund 500 g Amphetamin ein, bestreitet aber die darüber hinausgehende Menge.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung von Art. 389 Abs. 3 StPO. Mit der Abweisung des Beweisantrags auf Einvernahme von A.________ sei ihm ein faires Verfahren zur Abklärung der Wahrheit verwehrt worden. Die Vorinstanz widerspreche sich selbst, wenn sie ausführe, A.________ habe nachvollziehbar und konstant ausgesagt. Sie habe selber festgehalten, dass er den Beschwerdeführer zunächst nur mit dem Kauf von zwei Kilogramm Amphetamin belastet und erst später im Verfahren seine Anschuldigungen auf rund drei Kilogramm erweitert habe. Da auch das erstinstanzliche Gericht A.________ nicht einvernommen habe, hätte die Vorinstanz dies tun müssen, damit zumindest ein urteilendes Gericht einen persönlichen Eindruck vom einzigen Belastungszeugen bekomme.
2.2 Die Vorinstanz erachtet den Anklagesachverhalt aufgrund der Aussagen von A.________ als erwiesen und verweist insoweit auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung. Diese sei einlässlich und nachvollziehbar. A.________ sage widerspruchsfrei und konstant aus. Seine Aussagen seien insgesamt glaubhaft und würden weitgehend durch objektiv feststellbare Indizien gestützt. Hingegen wiesen die Aussagen des Beschwerdeführers zahlreiche Widersprüche und Ungereimtheiten auf. Sie seien weitgehend als Schutzbehauptungen zu werten. Zugeständnisse habe der Beschwerdeführer nur gemacht, wenn er aufgrund der objektiven Indizienlage unter Druck geraten sei. Die (nochmalige) Einvernahme von A.________ sei nicht erforderlich. Dieser sei bereits fünfmal zu den Vorhalten, welche er dem Beschwerdeführer mache, einvernommen worden. Zudem habe der Verteidiger des Beschwerdeführers an der Konfrontationseinvernahme lediglich drei kurze Fragen an ihn gestellt. A.________ sei umfassend befragt worden, und es sei nicht zu erwarten, dass er rund zwei Jahre nach der Tat (zum Zeitpunkt der Urteilsfällung) noch weitere sachdienliche Hinweise geben könne. Der Beschwerdeführer vermöge nicht darzulegen, inwiefern die Beweiserhebung ohne eine gerichtliche Einvernahme von A.________ unvollständig oder unzuverlässig sei.
3.
3.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 266 E. 4.2 mit Hinweisen). Willkür, in deren Rahmen das Bundesgericht prüft, ob der Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel verletzt ist, liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid auf einer schlechterdings unhaltbaren oder widersprüchlichen Beweiswürdigung beruht oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 138 I 49 E. 7.1; 138 V 74 E. 7; je mit Hinweisen).
3.2 Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich insbesondere das Recht der betroffenen Person, mit rechtzeitig und formgültig angebotenen Beweisanträgen und Vorbringen gehört zu werden, soweit diese erhebliche Tatsachen betreffen und nicht offensichtlich beweisuntauglich sind (BGE 138 V 125 E. 2.1; 137 II 266 E. 3.2; je mit Hinweisen). Ein Verzicht auf die Abnahme von weiteren Beweisen ist zulässig, wenn sich das Gericht aufgrund der bereits erhobenen Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass die abgelehnten Beweisanträge nichts an seiner Überzeugung zu ändern vermögen (BGE 136 I 299 E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3; je mit Hinweisen).
3.3
3.3.1 Gemäss Art. 389 Abs. 1 StPO beruht das Rechtsmittelverfahren auf den Beweisen, die im Vorverfahren und im erstinstanzlichen Hauptverfahren erhoben worden sind. Nach Abs. 2 der Norm werden Beweisabnahmen des erstinstanzlichen Gerichts nur wiederholt, wenn Beweisvorschriften verletzt worden sind (lit. a), die Beweiserhebungen unvollständig waren (lit. b) oder die Akten über die Beweiserhebungen unzuverlässig erscheinen (lit. c). Die Rechtsmittelinstanz erhebt von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei die erforderlichen zusätzlichen Beweise (Art. 389 Abs. 3 StPO).
3.3.2 Nach Art. 343 StPO, der auch im Berufungsverfahren Anwendung findet (Art. 405 Abs. 1 StPO), erhebt das Gericht neue und ergänzt unvollständige Beweise (Abs. 1). Es erhebt (im Vorverfahren) ordnungsgemäss erhobene Beweise nochmals, sofern die unmittelbare Kenntnis des Beweismittels für die Urteilsfällung notwendig erscheint (Abs. 3). Bei der Ergänzung unvollständig erhobener Beweise ist an Beweise zu denken, die nur unzureichend ausgeschöpft werden, wie zum Beispiel an einen Zeugen, der noch ergänzend zu befragen ist. Dies kann auch Hilfstatsachen betreffen, welche auf die Zuverlässigkeit der Aussage hinweisen. Beweise sind notwendig im Sinne von Abs. 3, wenn sie den Ausgang des Verfahrens beeinflussen können. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Kraft des Beweismittels in entscheidender Weise vom Eindruck abhängt, der bei seiner Präsentation entsteht, beispielsweise wenn es in besonderem Masse auf den unmittelbaren Eindruck einer Zeugenaussage ankommt, so wenn die Aussage das einzige direkte Beweismittel darstellt (Aussage gegen Aussage). Ob eine erneute Beweisabnahme erforderlich ist, hat das Gericht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der materiellen Wahrheit von Amtes wegen nach freiem Ermessen zu entscheiden (zum Ganzen: Urteil 6B_614/2012 vom 15. Februar 2013 E. 3.2.3 mit Hinweisen).
4.
4.1 Der Beschwerdeführer räumt - soweit vorliegend von Relevanz - den Handel mit rund 500 g Amphetamin ein. Soweit er darüber hinaus nicht geständig ist, bilden die Aussagen von A.________ das einzige Beweismittel. Dieser hat zu Beginn des (gegen ihn) geführten Strafverfahrens den Beschwerdeführer mit dem Kauf von zwei Kilogramm Amphetamin belastet. Den Kauf eines weiteren Kilogramms erwähnt er erstmals in der Einvernahme vom 20. Mai 2010. Als Erklärung gibt er an, er dürfte den Beschwerdeführer betreffend die Verkäufe von Amphetamin in Schutz genommen haben. Es könnte sein, dass er diesem sogar ein weiteres (zu den bereits erwähnten zwei) Kilogramm verkauft habe. Diesbezüglich könne er aber keine absolut verlässlichen Angaben machen, da das Vorgehen immer das gleiche gewesen sei. Die Übergabe habe immer am gleichen Wochentag stattgefunden, und er wisse nicht mehr, wie viele Übergaben tatsächlich stattgefunden hätten. Direkt nach der Verhaftung sei er sich sicher gewesen, dem Beschwerdeführer ca. drei Kilogramm Amphetamin verkauft zu haben. Durch die lange Haftzeit sei er sich aber nicht mehr sicher. Gemäss seiner Erinnerung habe der Verkauf des (dritten) Kilos stattgefunden, was er aber nicht hundertprozentig bestätigen könne.
4.2 Die Verurteilung wegen Handels mit insgesamt 3'060 g Amphetamin lässt sich nicht allein auf die in den Akten befindlichen Einvernahmen von A.________ stützen. Dieser hält den Verkauf des "dritten Kilos" zwar für möglich, räumt aber selber ein, hierzu - im Gegensatz zu sämtlichen übrigen Verkäufen - keine verlässlichen Angaben machen zu können. Auch wenn die Vorinstanz seine Aussagen als glaubhaft einstuft, vermag dies die Zweifel von A.________ nicht zu beseitigen, ob die Verkäufe von je 500 g Amphetamin am 17. und 23. Februar 2010 überhaupt stattgefunden haben. Seine Aussagen zu den gehandelten Drogenmengen, die vom Beschwerdeführer bestritten werden, sind beweisentscheidend, weshalb es in besonderem Masse auf den unmittelbaren Eindruck seiner Zeugenaussage für die Urteilsfindung ankommt. Die Vorinstanz hätte A.________ ergänzend befragen müssen, um dessen Glaubwürdigkeit zuverlässig beurteilen zu können, zumal sich auch die erste Instanz keinen persönlichen Eindruck von ihm verschafft hatte. Darüber hinaus erweisen sich die bisherigen Einvernahmen als in der Sache unvollständig. Nicht (hinreichend) abgeklärt wurde, warum A.________ bezüglich der Verkäufe nicht mehr sicher war, obwohl es sich um die erhebliche Menge von zweimal 500 g Amphetamin zu einem Verkaufspreis von insgesamt Fr. 8'000.-- gehandelt haben soll. Seine Erklärung, er habe den Beschwerdeführer anfänglich nur mit dem Kauf von zwei und nicht von drei Kilogramm Amphetamin belastet, um diesen zu schützen, überzeugt nicht. Er nennt keine Gründe, warum er diese Haltung im Laufe des Verfahrens aufgegeben bzw. den Beschwerdeführer gar nicht bzw. mit wesentlich geringeren Kaufmengen belastet hat. Nachfragen zu seinem unsicheren Aussageverhalten hätten sich deshalb aufgedrängt.
4.3 Indem die Vorinstanz den Anklagesachverhalt aufgrund der Zeugenbefragungen im Vorverfahren als erwiesen betrachtet, verstösst sie gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" und verletzt Art. 389 StPO und Art. 343 i.V.m. 405 Abs. 1 StPO. Die Beweiswürdigung ist willkürlich.
5.
Die Vorinstanz wird sich mit der Sache im Schuldpunkt neu befassen müssen, weshalb die weiteren Rügen des Beschwerdeführers zur Strafzumessung nicht zu behandeln sind.
6.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Aargau hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Bei diesem Verfahrensausgang ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos geworden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 5. Juli 2012 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Aargau hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Alfred Haltiner, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- zu zahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. April 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Held