Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_537/2012
Urteil vom 10. Mai 2013
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Fricker,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin,
2. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Adrian Fiechter,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Mehrfache Vergewaltigung etc.; Willkür etc.,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 3. Mai 2012.
Sachverhalt:
A.
Y.________ und X.________ heirateten 1999 im Kosovo. Aus ihrer Ehe gingen zwei Kinder hervor. X.________ lebt seit 1989 hier, Y.________ kam erst 1998 in die Schweiz. Am 21. November 2007 erstattete X.________ Strafanzeige gegen ihren Ehemann wegen mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher Drohung und mehrfacher einfacher Körperverletzung. Zugleich wurde der gemeinsame Haushalt aufgelöst. X.________ wirft ihrem Ehemann vor, er habe sie nach der Geburt des ersten Kindes über Jahre hinweg (von 2000 bis letztmals 20. November 2007) mehrmals wöchentlich, zum Teil mehrmals täglich, gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen und sei gegenüber ihr sowie den Kindern verschiedentlich tätlich geworden. Zudem habe er sie bedroht.
B.
Das Bezirksgericht Baden sprach Y.________ am 1. September 2010 der mehrfachen Vergewaltigung, der mehrfachen einfachen Körperverletzung, der mehrfachen Tätlichkeiten und der Drohung schuldig. Es bestrafte ihn mit einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und einer Busse von Fr. 500.--. Zudem verpflichtete ihn das Bezirksgericht, X.________ eine Genugtuung von Fr. 30'000.-- zu bezahlen.
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach Y.________ am 3. Mai 2012 von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung und der mehrfachen einfachen Körperverletzung in Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" frei. Es verurteilte ihn wegen mehrfacher Tätlichkeit und Drohung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 10.-- und zu einer Busse von Fr. 500.--. Auf die Zivilforderung von X.________ trat es nicht ein.
C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau aufzuheben und das bezirksgerichtliche Urteil zu bestätigen. X.________ ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Beschwerdegegner sei auf der Grundlage eines willkürlich festgestellten Sachverhalts vom Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung freigesprochen worden. Die Vorinstanz habe das widersprüchliche Aussageverhalten des Beschwerdegegners bei der Beweiswürdigung nicht berücksichtigt. Andererseits habe sie Anhaltspunkte, die für die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen sprächen, willkürlich ausser Acht gelassen oder qualifiziert falsch gewürdigt (Beschwerde, S. 5-12).
1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen; zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1; 136 III 552 E. 4.2; je mit Hinweisen). Eine entsprechende Rüge muss klar und substanziiert begründet werden (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
1.2 Erstellt ist, dass die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner häufig auch mehrmals wöchentlich Geschlechtsverkehr hatten, bevor sie den gemeinsamen Haushalt auflösten, und dass zumindest ein Teil dieser sexuellen Handlungen in der Dusche stattfand. Strittig ist, ob der Geschlechtsverkehr jeweils im gegenseitigen Einvernehmen erfolgte oder die Beschwerdeführerin teilweise zur Duldung des Beischlafs genötigt wurde. Nach ihrer Darstellung soll der Beschwerdegegner sie während des Ehelebens immer und immer wieder nach dem gleichen Muster vergewaltigt haben. Gerade den Geschlechtsverkehr in der Dusche habe sie nicht gewollt und dies verbal und körperlich zum Ausdruck gebracht ("Ich will nicht"; Wegstossen; Zusammendrücken der Beine). Der Beschwerdegegner habe sich über ihren Widerstand hinweggesetzt, sie festgehalten und sei von hinten gegen ihren Willen in sie eingedrungen.
1.3 Die Vorinstanz würdigt die Aussagen der Beschwerdeführerin und des Beschwerdegegners, die Beziehungssituation der Ehegatten, das Tatumfeld (gesellschaftliche und familiäre Verhältnisse) und die Motivlage der Beschwerdeführerin sorgfältig. Soweit der Beschwerdegegner bestreitet, mit seiner Ehefrau in der Dusche intim verkehrt zu haben (vgl. allerdings Entscheid, S. 16, wonach er den Geschlechtsverkehr vom 20. November 2007 in der Dusche eingesteht), schenkt sie seinen Aussagen keinen Glauben, sondern stellt auf die ihr insoweit glaubhaft erscheinende Darstellung der Beschwerdeführerin ab. Das Aussageverhalten des Beschwerdegegners bezeichnet die Vorinstanz zumindest teilweise als zweifelhaft (Entscheid, S. 14 f., S. 19). Damit lässt sie sein Leugnen hinreichend in die Beweiswürdigung einfliessen (vgl. Beschwerde, S. 7).
1.4 Die Aussagen der Beschwerdeführerin zum Vorwurf der (mehrfachen) Vergewaltigung als solchem, insbesondere zum geleisteten Widerstand, erachtet die Vorinstanz (unter Einbezug des Vorwurfs der zwei Vergewaltigungen vom 20. November 2007) insgesamt als sehr rudimentär. Diese Würdigung ist nicht schlechterdings unvertretbar (vgl. aber Beschwerde, S. 6 und 8). Zwar sind bei jahrelangem, stets nach dem gleichen Muster ablaufendem sexuellen Missbrauch keine originellen Details zu Einzelereignissen zu erwarten. Die Anforderungen an die sachverhaltliche Umschreibung von Nötigungsmittel und Widerstand als zentrale Tatbestandsmerkmale bei sexuellen Aggressionsdelikten wie der Vergewaltigung sind jedoch gleichwohl hoch. Diese Anforderungen durfte die Vorinstanz unter Berücksichtigung der Gesamtumstände angesichts der in der Tat unspezifischen Aussagen der Beschwerdeführerin (vgl. beispielsweise kantonale Akten, act. 23, .."er hält mich einfach fest" [..]; "ich hab ihm gesagt, dass ich nicht will, und habe versucht, ihn wegzustossen, allerdings bin ich für ihn zu schwach"...) ohne Willkür als nicht erfüllt ansehen.
1.5 Nach der Auffassung der Vorinstanz weisen verschiedene Umstände darauf hin, dass der Beschwerdeführerin der Geschlechtsverkehr in der Dusche zwar zuwider war, sie sich letztlich aber aus freien Stücken damit abfand und sich nicht dagegen wehrte, wie es ihr möglich und zumutbar gewesen wäre. So falle auf, dass die in der Beziehung als eher dominant beurteilte Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner den Wunsch nach Oralsex immer erfolgreich abgeschlagen habe und dies von ihm ausnahmslos respektiert worden sei, ohne dass es je zu Nötigungsversuchen gekommen sei. Weiter falle auf, dass die Anstrengungen der Beschwerdeführerin, ein Zusammentreffen mit ihrem Ehemann in der Dusche zu vermeiden, verhältnismässig gering gewesen seien, wenn man bedenke, dass sie nach eigenen Angaben jeweils stets Gefahr gelaufen sei, dort vergewaltigt zu werden. Auffallend sei auch ihre Passivität bzw. ihre Gleichgültigkeit gegenüber den angeblichen Vergewaltigungen während Jahren. Ihre Erklärung, sie habe dies um der Kinder Willen getan bzw. eine Frau müsse dies zum Wohle der Familie in Kauf nehmen, vermöge nicht zu überzeugen. Auch ihr summarischer Hinweis auf die körperliche Überlegenheit des Beschwerdegegners erkläre nicht zufriedenstellend, weshalb sie sich immer und immer wieder absehbaren Vergewaltigungen ausgeliefert habe. Weiter gelte es zu berücksichtigen, dass sich die innere Einstellung der Beschwerdeführerin zu den traditionellen Werten der kosovarischen Kultur gemäss ihren eigenen Angaben geändert habe. Ein solcher Wertewandel könne retrospektiv auch die Wahrnehmung von zurückliegenden Ereignissen in einem anderen Licht erscheinen lassen. Naheliegend sei, dass sich die Beschwerdeführerin dem mehrfachen Geschlechtsverkehr in der Dusche, wenn auch widerwillig, so doch freiwillig gefügt habe, ihn jedoch rückblickend als aufgezwungen empfinde. Ein fehlendes Einverständnis bzw. ein widerwilliges sich Fügen reiche zur Tatbestandserfüllung rechtlich indessen nicht aus (Urteil 6B_1078/2009 vom 13. Dezember 2010 E. 3.4.4).
1.6 Inwiefern diese Beweiswürdigung geradezu willkürlich sein sollte, ist nicht ersichtlich. Die Vorinstanz würdigt alle relevanten Beweiselemente und bettet sie mit haltbaren Argumenten in den Gesamtzusammenhang ein. Ihre Schlussfolgerungen zeichnen unter Berücksichtigung des nachvollziehbar gewürdigten Tatumfelds ein stimmiges Ganzes. Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, lässt die vorinstanzliche Beweiswürdigung nicht als schlechterdings unvertretbar erscheinen. Die Beschwerdeführerin legt dar, wie ihre Aussagen aus ihrer Sicht richtigerweise zu würdigen wären, und zeigt eine andere mögliche Sachverhaltswürdigung auf. Im Ergebnis stellt sie ihre Beweiswürdigung derjenigen der Vorinstanz gegenüber. So behauptet sie beispielsweise, oraler Sex sei mit Geschlechtsverkehr nicht zu vergleichen und könne angesichts des Verletzungsrisikos für den Mann mit blosser körperlicher Überlegenheit wohl nicht erzwungen werden, insbesondere nicht, wenn das Opfer wie sie als eigenwillig und dominant beschrieben werde (Beschwerde, S. 8). Oder sie wendet ein, sie habe die Vergewaltigungen nicht einfach gleichgültig oder passiv ertragen, sondern sich aus Angst nicht dagegen gewehrt. Dass sie den Werten der kosovarischen Kultur nach ihren Erlebnissen nicht mehr so viel Bedeutung beimesse, sei nachvollziehbar. Daraus ableiten zu wollen, sie habe den Geschlechtsverkehr erst im Nachhinein als aufgezwungen eingestuft, sei unhaltbar (Beschwerde, S. 9). Die Beschwerdeführerin macht auch geltend, sie habe aus (falschem) Scham- und Ehrgefühl niemandem von den Vergewaltigungen erzählt und sich zur Anzeige entschlossen, nachdem ihre Tochter sie nach einer (der letzten) Vergewaltigung gesehen habe (Beschwerde, S. 9 f.). Mit ihrer Kritik strebt die Beschwerdeführerin insgesamt eine Sachverhaltswürdigung an, wie sie von der Mehrheit der ersten Instanz vorgenommen wurde und ihr richtig erscheint. Dass die Erwägungen und Schlussfolgerungen der Vorinstanz schlechterdings unhaltbar sind, weist sie indessen nicht nach. Eine solche Kritik reicht nicht aus, um Willkür darzutun (BGE 135 II 356 E. 4.2.1; 134 I 140 E. 5.4; 127 I 54 E. 2b mit Hinweisen).
1.7 Entgegen einem Einwand in der Beschwerde lässt die Vorinstanz keine relevanten Aussagen der Beschwerdeführerin ausser Acht, welche bei einer Gesamtbetrachtung das Beweisergebnis als willkürlich erscheinen lassen. So berücksichtigt die Vorinstanz die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer psychischen Verfassung und würdigt diese vertretbar (Entscheid, S. 13, 15, 18, 19; vgl. Beschwerde, S. 10). Dass diese den Beschwerdegegner nicht qualifiziert beschuldigte und ihm nicht vorwarf, er habe sie bei den Vergewaltigungen geschlagen, bedroht oder verletzt, musste die Vorinstanz nicht als Ausdruck einer besonderen Glaubwürdigkeit ihrerseits in die Beweiswürdigung einfliessen lassen.
1.8 Die Vorinstanz erachtet - wie schon eine Minderheit der ersten Instanz - den Vorwurf der (mehrfachen) Vergewaltigung aus den genannten Gründen als massiv übertrieben und im Ergebnis willkürfrei als nicht glaubhaft. Sie hält es zwar für möglich, dass es vereinzelt zu Übergriffen gegen den Willen der Beschwerdeführerin (durch Festhalten) zumindest an der Grenze zur Vergewaltigung kam. Diese allfälligen Übergriffe liessen sich jedoch nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit individualisieren, weshalb nicht mit ausreichender Gewissheit festzustellen sei, ob überhaupt und - wenn ja - wann, wie und wie häufig diese Grenze tatsächlich überschritten worden sei (Entscheid, S 20). Auch diese Würdigung der Vorinstanz lässt sich im Ergebnis entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin nicht beanstanden (Beschwerde, S. 6). Sie beruht auf den willkürfrei als sehr rudimentär eingestuften Aussagen der Beschwerdeführerin zum Tatvorwurf, insbesondere zu ihrer Gegenwehr, welche eine auch zeitliche Individualisierung allfälliger Einzelereignisse an der Grenze zur Vergewaltigung über die Dauer von sieben Jahren in keiner Art und Weise zulassen. Diese Einschätzung der Vorinstanz ist weder widersprüchlich noch willkürlich.
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann stattgegeben werden, da die Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war und die Beschwerdeführerin bedürftig ist. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ist aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (Art. 64 BGG). Es sind keine Kosten zu erheben.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
4.
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin, Rechtsanwalt Matthias Fricker, wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Mai 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill