Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
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{T 0/2}
6B_489/2012
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Urteil vom 10. Juni 2013
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Simon Krauter,
Beschwerdeführerin,
gegen
1.
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
2.
A.________,
3.
B.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Mario Weber,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Gehilfenschaft zu mehrfacher sexueller Nötigung und zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern durch Unterlassen; Willkür,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 8. Mai 2012.
Sachverhalt:
A.
In der Folge einer vormundschaftlichen Strafanzeige vom 15. Januar 2008 wurde X.________ (unter anderem) wegen Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern durch Unterlassen angeklagt, und zwar (1.) im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen ihres Lebenspartners Y.________ auf ihre Kinder A.________ und B.________ sowie (2.) wegen Duldens einer sexuellen Beziehung von Z.________ mit A.________. X.________ bestritt die Vorwürfe.
B.
B.a. Die Bezirksgerichtliche Kommission Bischofszell bestrafte am 8. Oktober 2010 Z.________ wegen mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind (A.________) mit einer bedingten Geldstrafe von zehn Tagessätzen (vgl. Urteil Bezirksgericht Weinfelden E. 10.1).
Das Bezirksgericht Weinfelden sprach am 29. Juni 2011 Y.________ vom Vorwurf der mehrfachen sexuellen Nötigung sowie der mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern frei (E. 8.9). Es fand ihn der Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind durch Unterlassen schuldig (betr. Z.________; E. 10.5).
Das Gericht sprach X.________ vom Vorwurf der Gehilfenschaft zu mehrfacher sexueller Nötigung sowie zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern durch Unterlassen frei (infolge des Freispruchs von Y.________ fehlte es an einer Haupttat; E. 13). Es fand sie der Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind durch Unterlassen schuldig (betr. Z.________; E. 14.2).
B.b. Das Obergericht des Kantons Thurgau verurteilte auf Berufung der Staatsanwaltschaft und weiterer Beteiligter am 8. Mai 2012 Y.________ wegen mehrfacher sexueller Nötigung von Kindern und mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern sowie Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind durch Unterlassen (und wegen mehrfachen Fahrens trotz Entzugs des Lernfahrausweises) zu einer dreijährigen teilbedingten Freiheitsstrafe.
Es verurteilte X.________ wegen Gehilfenschaft zu mehrfacher sexueller Nötigung von Kindern und mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern (jeweils) durch Unterlassen gemäss Art. 187 Ziff. 1 und Art. 189 Abs. 1 i.V.m. Art. 11 und 25 StGB (sowie der Nichtabgabe von Kontrollschildern) zu einer bedingten fünfzehnmonatigen Freiheitsstrafe und Fr. 600.-- Busse (teilweise als Zusatzstrafe zur Strafverfügung des Bezirksamts Münchwilen vom 28. April 2008).
C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, sie sei wegen Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind durch Unterlassen sowie Nichtabgabe von Kontrollschildern zu einer bedingten Geldstrafe von 7 Tagessätzen zu Fr. 30.-- sowie Fr. 600.-- Busse zu verurteilen und im Übrigen freizusprechen. Das Urteil sei aufzuheben, soweit eine Haftpflicht festgestellt und sie zu Genugtuungsleistungen verpflichtet wurde. Es seien der vorinstanzliche Kostenspruch zu ändern und der amtliche Verteidiger für das Berufungsverfahren mit Fr. 3'493.-- zu entschädigen. Ihr sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Erwägungen:
1.
1.1. Rechtsschriften haben die Begehren und deren Begründung zu enthalten (Art. 42 Abs. 1 BGG). Verweisungen auf Ausführungen vor den kantonalen Gerichten sind unbeachtlich.
1.2. Die Beschwerdeführerin anerkennt die Verurteilung wegen Gehilfenschaft zu mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind durch Unterlassen "im Zusammenhang mit der Beziehung zwischen Z.________ und A.________" (Beschwerde S. 9). Das Bezirksgericht hatte entschieden, die Beschwerdeführerin habe sich durch das "Zulassen" dieser Beziehung mit dem in ihrem Haushalt lebenden Z.________ schuldig gemacht (Urteil Bezirksgericht E. 10.1 und 14.2; vgl. vorinstanzliches Urteil E. 2a und b).
1.3. Abweichend vom Bezirksgericht sprach die Vorinstanz Y.________ im Sinne von Art. 187 Abs. 1 und 189 Abs. 1 StGB zum Nachteil von A.________ und B.________ schuldig (Urteil E. 4 und 5). Akzessorisch verurteilte es die Beschwerdeführerin wegen Gehilfenschaft durch Unterlassen (Urteil E. 6). Die Beschwerde richtet sich gegen diesen Schuldspruch.
2.
Das Bundesgericht ist an den festgestellten Sachverhalt gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Mit der Beschwerde kann einzig gerügt werden, dieser sei offensichtlich unrichtig festgestellt worden oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 97 Abs. 1 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet "willkürlich" (BGE 136 II 304 E. 2.4). Das Bundesgericht prüft nur ausreichend begründete Rügen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG ; vgl. BGE 135 I 313 E. 1.3; 134 II 244 E. 2.1 und 2.2). Allgemein gehaltene Einwände, lediglich erneute Bekräftigungen des im kantonalen Verfahren eingenommenen Standpunkts oder die blosse Behauptung des Gegenteils genügen nicht. In der Beschwerde muss anhand des angefochtenen Urteils präzise dargelegt werden, worin die Rechtsverletzung besteht. Auf appellatorische Kritik am Urteil ist nicht einzutreten (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 134 II 244 E. 2.2).
2.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorinstanz nehme aktenwidrig an, dass sie am 2. November 2011 ein schriftliches Teilgeständnis abgelegt hatte. Sie bezieht sich dabei irrtümlich auf "Ziffer 4b) und 4e) " des Urteils. Unter diesen Ziffern der "Ergebnisse" stellt die Vorinstanz die Prozessgeschichte dar. Ziffer 4b der "Erwägungen" (Urteil S. 23 ff.) betrifft ein Teilgeständnis des mitangeklagten Lebenspartners. In den "Erwägungen" findet sich keine Ziffer 4e.
Die Beschwerdeführerin reichte am 2. November 2011 ein "Geständnis von Frau X.________ betreffend das laufende Verfahren" ein (Zusatzakten der Staatsanwaltschaft, act. 5). Nach der Vorinstanz (Urteil S. 28 f.) bedauerte die Beschwerdeführerin in diesem Schreiben vom 2. November 2011, ihrer Tochter nicht geglaubt zu haben und nicht für sie da gewesen zu sein, und erklärte, zum damaligen Zeitpunkt von gar nichts gewusst zu haben. Die Vorinstanz geht in haltbarer Weise von einem Teilgeständnis aus (dem sie allerdings keine grosse Bedeutung beimisst; vgl. Urteil S. 35), denn die Beschwerdeführerin gestand ein, dass sie von ihrer Tochter informiert wurde. Die Vorinstanz stellt nicht auf dieses Eingeständnis ab, sondern hält der Beschwerdeführerin willkürfrei entgegen, sie hätte aufgrund der Vorwürfe von A.________ und den Berichten von N.________ gewarnt sein müssen (Urteil S. 29, insbesondere mit Hinweisen auf Aussagen von N.________ in Fn. 102).
2.2. Die Vorinstanz führt weiter aus, trotz dieses Wissens habe die Beschwerdeführerin A.________ gezwungen, einen Entschuldigungsbrief zu schreiben, damit der Lebenspartner zurückkehre. Die sexuellen Übergriffe habe sie teils selbst beobachtet. Sie habe auch Übergriffe auf ihre jüngste Tochter gesehen. Die Vorinstanz verweist auf diesbezügliche Aktenstellen (Urteil S. 29). Damit setzt sich die Beschwerdeführerin nicht auseinander.
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass sie ihre Tochter unter Druck setzte, um die Vorwürfe zurückzunehmen (Beschwerde S. 5). Die Tatsachenfeststellung in E. 3b/bb sei unbelegt und aktenwidrig. Nach dem Urteil (S. 18) erklärte A.________ auf nachvollziehbare und glaubhafte Weise, weshalb sie den Brief an den Lebenspartner geschrieben hatte. Die Vorinstanz verweist auf mehrere Aktenstellen, mit welchen sich die Beschwerdeführerin nicht auseinandersetzt.
2.3. Die Beschwerdeführerin bringt vor, sie habe erst aufgrund des Teilgeständnisses ihres Lebenspartners im Herbst 2011 erfahren, dass die Vorwürfe zutrafen (Beschwerde S. 6). A.________ sei nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Herbst 2007 durch die Vormundschaftsbehörde fremd plaziert worden. Deshalb sei mit der Rückkehr ihres Lebenspartners objektiv keine Gefahr entstanden. Sie (die Beschwerdeführerin) habe keine über das Sozialübliche hinausgehenden Berührungen durch ihn festgestellt. B.________ habe ausgesagt, dass sie (die Beschwerdeführerin) keine Ahnung von den Übergriffen gehabt hatte (Beschwerde S. 7). B.________ habe sie nie auf Verfehlungen angesprochen (Urteil S. 8). Was A.________ im Herbst 2007 genau sagte, sei nicht dokumentiert. Diese Vorbringen sind appellatorisch.
2.4. Auch die weiteren Einwände sind unbehelflich. Die Beschwerdeführerin erklärt, aus der Anklageschrift und dem Urteil gehe nicht hervor, inwiefern sie ihre Garantenstellung verletzt hatte (Beschwerde S. 7 f.). Das trifft nicht zu. Als Mutter war sie verpflichtet, ihre Töchter vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Sie klärte die Vorwürfe nicht ab (Urteil S. 29 und 35).
Die Beschwerdeführerin bestreitet eine Kenntnisnahme der sexuellen Übergriffe und beruft sich dafür auf E. 1 und 6c des Urteils. Die Vorinstanz hält an diesen Stellen lediglich fest, dass die Beschwerdeführerin eine Kenntnis bestritt. Ihr Wissen begründet die Vorinstanz nicht in E. 3a/jj und 3a/kk, sondern auf S. 28 f. des Urteils. Die Bestreitungen erweisen sich insgesamt als appellatorisch.
3.
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dies setzt voraus, dass auf die Beschwerde eingetreten werden kann, diese also die minimalen Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG erfüllt (BGE 134 II 244 E. 2.1).
3.1. Die Beschwerdeführerin hatte als Mutter eine Garantenpflicht für ihre Töchter. Indem sie die sexuellen Übergriffe weder verhinderte noch ihnen nachging (Urteil S. 29 und 35), blieb sie pflichtwidrig untätig. Das Verhalten ist als Begehen durch Unterlassen strafbar (Art. 11 Abs. 1 StGB) und vorliegend als Gehilfenschaft zu qualifizieren (Art. 25 StGB). Als Hilfeleistung gilt jeder kausale Beitrag, der die Tat fördert, d.h. die Haupttat durch irgendwelche Vorkehren oder durch psychische Hilfe erleichtert (BGE 129 IV 124 E. 3.2).
3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, eine wissentliche und willentliche Handlung sei nicht erkennbar, weshalb Eventualvorsatz ausscheide (Beschwerde S. 8 f.). Nach der Vorinstanz beobachtete die Beschwerdeführerin die Übergriffe teilweise selbst, ihre Tochter erhob ihr gegenüber Vorwürfe, und eine Drittperson warnte sie nachdrücklich. Sie ging den Vorwürfen nicht nach, weil ihr der Lebenspartner wichtiger war. Sie nahm die Tat in Kauf (Urteil S. 29).
Aufgrund dieses Sachverhalts verletzt die Annahme des Eventualvorsatzes kein Bundesrecht. Eventualvorsätzlich handelt, wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Dabei genügt, dass der Gehilfe die strafbare Handlung in groben Umrissen kennt (il suffit qu'il connaisse les principaux traits de l'activité délictueuse qu'aura l'auteur; BGE 132 IV 49 E. 1.1). Entgegen der Beschwerde (S. 8) ist eine genaue Kenntnis von Qualität und Intensität der Übergriffe nicht erforderlich.
3.3. Die Beschwerdeführerin hält eine bedingte Geldstrafe von maximal 90 Tagessätzen zu Fr. 30.-- für angemessen.
Die bedingt ausgesprochene 15-monatige Freiheitsstrafe erscheint nicht als unangemessen hart und liegt im vorinstanzlichen Ermessen (vgl. BGE 134 IV 17 E. 2.1).
3.4. Die Beschwerdeführerin stellt ihre Anträge betreffend Haftpflicht und Genugtuung sowie Kostenfolgen und Anwaltsentschädigung offenbar für den Fall einer Gutheissung der Beschwerde und begründet sie nicht. Darauf ist nicht einzutreten.
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gutzuheissen. Es sind keine Kosten zu erheben, und der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin ist aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (Art. 64 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.
3.
Es werden keine Gerichtskosten auferlegt.
4.
Rechtsanwalt Simon Krauter wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 10. Juni 2013
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Mathys
Der Gerichtsschreiber: Briw