BGer 9C_191/2013
 
BGer 9C_191/2013 vom 08.07.2013
{T 0/2}
9C_191/2013
 
Urteil vom 8. Juli 2013
 
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Schmutz.
 
Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Laube,
Beschwerdeführer,
gegen
1.   Kanton Zürich, vertreten durch die Finanzdirektion  des Kantons Zürich, diese vertreten durch
2.  T.________,
Beschwerdegegner,
Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft AG, Bleicherweg 19, 8002 Zürich.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge (vorinstanzliches Verfahren),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 29. Januar 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
Mit Urteil des Bezirksgerichts vom xxx 2012 wurde die Ehe von K.________ und T.________ geschieden. Das Bezirksgericht überwies die Sache mit Verfügung vom 25. Oktober 2012 zwecks Teilung der Austrittsleistungen der beruflichen Vorsorge an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich. Dieses forderte die ihm vom Bezirksgericht genannten Vorsorgeeinrichtungen am 8. November 2012 verfügungsweise auf, per Datum der Rechtskraft des Scheidungsurteils (zzz 2012) aktualisierte Abrechnungen über die zu teilenden Austrittsleistungen einzureichen und sich über die Durchführbarkeit der Teilung auszusprechen. Sofern die Durchführbarkeit der Teilung bestritten werde, sei dies ausführlich zu begründen. Mit Schreiben vom 12. November 2012 meldete die BVK Personalvorsorge des Kantons Zürich (nachfolgend: BVK) in Bezug auf T.________ eine Austrittsleistung von Fr. 20'446.05. Die Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Allianz Suisse) teilte am 19. November 2012 für K.________ ein zu teilendes Freizügigkeitskapital von Fr. 59'873.45 mit. Beide bestätigten die Durchführbarkeit der Teilung. Mit Verfügung vom 28. November 2012 setzte das kantonale Gericht den Rechtsvertretern der Geschiedenen Frist zur Stellungnahme zu den Abrechnungen. Diese liessen sich nicht vernehmen.
 
B.
Mit Entscheid vom 29. Januar 2013 verpflichtete das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich als Berufsvorsorgegericht die Allianz Suisse, zu Lasten von K.________ den Betrag von Fr. 19'713.70 auf das Konto der T.________ bei der BVK zu überweisen und ab zzz 2012 zu verzinsen.
 
C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragt die Aufhebung des Entscheides vom 29. Januar 2013. Er erklärt, die Invalidenversicherung habe ihm mit Verfügung vom 2. März 2012 einen Rentenanspruch verweigert. Die dagegen eingereichte Beschwerde sei vor dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hängig (Verfahren IV.2012.00327). Da noch kein Urteil ergangen sei, sei mit der Aufteilung der Vorsorgekapitalien zuzuwarten, bis rechtskräftig darüber entschieden sei, ob er Anspruch auf eine Rente der Invalidenversicherung habe oder nicht. Deshalb beantragt er die Sistierung des Teilungsverfahrens.
Die Allianz Suisse beantragt Gutheissung der Beschwerde. Das Verfahren sei unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides zu sistieren, bis die Invalidenversicherung einen rechtskräftigen Rentenentscheid getroffen habe. Vorinstanz, BVK, T.________ und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.
 
Erwägungen:
 
1.
Gehört ein Ehegatte oder gehören beide Ehegatten einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge an und ist bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten, so hat jeder Ehegatte Anspruch auf die Hälfte der nach dem Freizügigkeitsgesetz vom 17. Dezember 1993 (FZG; SR 831.42) für die Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten (Art. 122 Abs. 1 ZGB). Ist bei einem oder bei beiden Ehegatten ein Vorsorgefall bereits eingetreten oder können aus andern Gründen Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge, die während der Dauer der Ehe erworben worden sind, nicht geteilt werden, so ist eine angemessene Entschädigung geschuldet (Art. 124 Abs. 1 ZGB).
 
2.
Die Allianz Suisse führt an, die nach Art. 23 BVG massgebende Arbeitsunfähigkeit sei beim Beschwerdeführer am 29. Mai 2008 eingetreten. Der Zeitpunkt eines möglichen Rentenbeginns aus beruflicher Vorsorge liege damit deutlich vor demjenigen der Rechtskraft des Scheidungsurteils (zzz 2012). Beim gegenwärtigen Stand des IV-Verfahrens könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Vorsorgefall nach Art. 122 ZGB bereits vor Rechtskraft des Scheidungsurteils eingetreten sei, womit eine Teilung der Vorsorgeguthaben der Eheleute nicht mehr möglich und die Sache zur Festlegung einer angemessenen Entschädigung nach Art. 124 ZGB an den Scheidungsrichter zurückzuweisen wäre.
 
3.
Auf die Aufforderung des Sozialversicherungsgerichts hin bestätigte die BVK mit Schreiben vom 12. November 2012 die grundsätzliche Durchführbarkeit der Teilung, wies jedoch darauf hin, dass bei keinem der Ehegatten der Vorsorgefall eingetreten sein dürfe. Zwar hatte der (frühere) Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 24. September 2012 dem Bezirksgericht eine Bestätigung der Allianz Suisse vom 21. September 2012 eingereicht, in welcher diese ausgeführt hatte, die Höhe der Freizügigkeitsleistung könne wegen eines laufenden IV-Verfahrens noch nicht definitiv bestimmt werden. Indes bestätigte sie am 19. November 2012 gegenüber der Vorinstanz die Durchführbarkeit der Teilung ohne den Vorbehalt eines laufenden IV-Verfahrens. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer liess sich dazu trotz eingeräumter Gelegenheit nicht vernehmen. Damit verletzte er grundsätzlich seine Mitwirkungspflicht im Berufsvorsorgeverfahren, weil unter den gegebenen Umständen für das Sozialversicherungsgericht kein Anlass bestand, den Sachverhalt weiter zu erforschen.
Dies bleibt hier aber ohne Folgen, denn die Vorinstanz hätte aufgrund ihrer internen Dossieradministration wissen müssen, dass bei Prozesseröffnung im Oktober 2012 seit bereits einem halben Jahr ein Verfahren IV.yyy des geschiedenen Ehemannes bei ihr hängig war: Analog etwa zu BGE 139 V 6 E. 5.2 S. 10, wonach eine Ausgleichskasse sich das Wissen um einen zur Rentenrückforderung Anlass gebenden Sachverhalt auch dann anrechnen zu lassen hat, wenn ihr dieser im Zusammenhang mit der beitragsrechtlichen Erfassung des Rentenbezügers zur Kenntnis gelangte, muss die Vorinstanz sich das im Sozialversicherungsgericht vorhandene Wissen um die Hängigkeit eines IV-Verfahrens vorhalten lassen. Wie in der letztinstanzlichen Beschwerde vorgebracht und belegt wird, hatte dieses die MEDAS am 9. Mai 2012 bereits zur Stellungnahme zum Gutachten vom 10. Mai 2011 aufgefordert. Am 23. Oktober 2012 gab es den Parteien Gelegenheit, sich zu den Eingaben der MEDAS vom 15. August und 1. Oktober 2012 zu äussern, was der Beschwerdeführer drei Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils am zzz 2012 nach eigenen Angaben mit Schreiben vom 30. Oktober 2012 getan haben will.
 
4.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Teilungsentscheid aufzuheben: Zwar ist nach dem Urteil 9C_899/2007, 9C_900/2007 vom 28. März 2008 (E. 5.2) das Berufsvorsorgegericht an die im Scheidungsurteil festgelegte Teilung gebunden und hat diese bloss zu vollziehen. Dies gilt auch dann, wenn nachdem massgebenden Zeitpunkt der Rechtskraft des Scheidungsurteils ein Vorsorgefall eintritt. Anders verhält es sich jedoch, wenn sich nachträglich herausstellt, dass de facto bereits vor dem massgebenden Zeitpunkt ein Vorsorgefall eingetreten ist. In diesem Fall kann das ganze in den Art. 122/141-142 ZGB sowie Art. 25a FZG geregelte Verfahren nicht zur Anwendung gelangen. Hat in einem solchen Fall das Berufsvorsorgegericht die Teilung nach Art. 122 ZGB noch nicht vorgenommen, hat es allenfalls das Verfahren zu sistieren, wenn die rückwirkende Ausrichtung von Invalidenleistungen auf einen Zeitpunkt vor Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils wahrscheinlich ist oder diesbezügliche Abklärungen der Vorsorgeeinrichtung im Gange sind, oder - wenn eine rückwirkende Ausrichtung feststeht - die Sache an das Scheidungsgericht zu überweisen, damit es - allenfalls auf dem Wege der Revision des Scheidungsurteils - eine angemessene Entschädigung nach Art. 124 Abs. 1 ZGB festsetze. Dies hat auch zu gelten, wenn vorgelagert sogar noch ein Verfahren der Invalidenversicherung läuft. Denn Anspruch auf BVG-Invalidenleistungen haben Personen, die im Sinne der IV zu mindestens 40 Prozent invalid sind (Art. 23 Abs. 1 lit. a 1. Halbsatz BVG). Massgebender Zeitpunkt für den Eintritt des Vorsorgefalls Invalidität ist das Inkrafttreten der Verfügung der Invalidenversicherung. Denn mit der Entstehung eines Invalidenrentenanspruchs gegenüber der IV entsteht auch ein solcher aus obligatorischer beruflicher Vorsorge ( HERMANN WALSER, in: Basler Kommentar zum ZGB, 4. Aufl., Basel 2010, N. 5 zu Art. 124 ZGB, mit Hinweisen auf Sonderfälle).
Demgemäss wird das Sozialversicherungsgericht das Verfahren BV.2012.00088 vorab bis zur rechtskräftigen Erledigung des strittigen Anspruches des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente zu sistieren und dies auch den beiden Berufsvorsorgeversicherern mitzuteilen haben.
 
5.
In den Prozessakten findet sich eine Kopie des Protokolls des Bezirksgerichts zum Ehescheidungsverfahren. Es fällt auf, dass es nicht registriert und im Aktenverzeichnis auch nicht erfasst ist. Zudem fehlt eine Aktorennummer. In diesem Schriftstück ist festgehalten, dass der Beschwerdeführer als Kläger im Scheidungsverfahren anlässlich der Einigungsverhandlung vom 27. April 2012 ausgeführt hat, er habe einen Antrag auf Leistungen der Invalidenversicherung gestellt, welcher jedoch abgelehnt worden sei. Er habe den negativen Entscheid weitergezogen. In der zweiten Einigungsverhandlung am 21. September 2012 wies der (damalige) Rechtsvertreter des Beschwerdeführers laut Verhandlungsprotokoll darauf hin, bezüglich der in der Scheidungskonvention vereinbarten Teilung der Austrittsguthaben aus beruflicher Vorsorge sei ein IV-Verfahren noch hängig. Das Guthaben des Klienten aus beruflicher Vorsorge liege bei der Allianz Suisse, welche die Durchführbarkeit aber nicht bestätigen könne, solange das IV-Verfahren noch hängig sei. Wie (und wann) das besagte Protokoll Eingang in die Akten gefunden hat, kann offenbleiben, weil es am Verfahrensausgang nichts ändert.
 
6.
In Anwendung von Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG wird auf die Erhebung von Gerichtskosten umständehalber verzichtet. Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Januar 2013 wird aufgehoben. Die Sache wird an dieses zurückgewiesen, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3. Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, der Allianz Suisse Lebensversicherungs-Gesellschaft AG, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 8. Juli 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Kernen
Der Gerichtsschreiber: Schmutz