BGer 1B_659/2012
 
BGer 1B_659/2012 vom 16.07.2013
{T 0/2}
1B_659/2012
 
Urteil vom 16. Juli 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Karlen,
Gerichtsschreiber Forster.
 
Verfahrensbeteiligte
1. X.________,
2.  Y.________ AG,
3.  Firma Z.________,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ruedi Portmann,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern,
vertreten durch die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Gegenstand
Entsiegelung,
Beschwerde gegen die Verfügung vom 26. Oktober 2012 des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Luzern.
 
Sachverhalt:
 
A.
Am 18. Mai 2012 erstattete die A.________ AG (zusammen mit diversen Tochtergesellschaften) Strafanzeige gegen X.________ (und weitere beteiligte Personen und Gesellschaften) wegen Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen (Art. 161 StGB), Verletzung des Fabrikations- oder Geschäftsgeheimnisses (Art. 162 StGB), unbefugter Datenbeschaffung (Art. 143 StGB), Nötigung (Art. 181 StGB), Widerhandlungen gegen das UWG und weiteren Delikten. In der Folge eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Abteilung 3, Sursee, eine Strafuntersuchung gegen X.________. Am 18. September 2012 erfolgten Hausdurchsuchungen in den Geschäftsräumlichkeiten der Y.________ AG und der Firma Z.________ sowie am Wohnort des Beschuldigten. Dabei wurden diverse Unterlagen, EDV-Anlagen und elektronische Datenträger vorläufig sichergestellt. Auf Antrag eines Verwaltungsratsmitglieds der von der Zwangsmassnahme betroffenen Aktiengesellschaft wurden sämtliche in den Geschäftsräumlichkeiten behändigten Gegenstände versiegelt, auf Antrag des Beschuldigten ein an seinem Wohnort sichergestellter Bundesordner.
 
B.
Am 27. September 2012 stellte die Staatsanwaltschaft das Entsiegelungsgesuch. Mit Entscheid vom 26. Oktober 2012 verfügte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Luzern, dass sämtliche versiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände zu entsiegeln und der Staatsanwaltschaft zur Durchsuchung freizugeben seien.
 
C.
Gegen den Entsiegelungsentscheid gelangten der Beschuldigte sowie die Y.________ AG und die Firma Z.________ mit Beschwerde vom 2. November 2012 an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und die Rückweisung des Verfahrens an die Vorinstanz zur Neubeurteilung.
 
Erwägungen:
 
1.
Der angefochtene Entsiegelungsentscheid ist kantonal letztinstanzlich (Art. 248 Abs. 3 StPO) und nach Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG beim Bundesgericht anfechtbar. Dementsprechend ist auch dem Antrag auf Sistierung des Beschwerdeverfahrens keine Folge zu geben.
 
2.
Die Beschwerdeführer bestreiten den hinreichenden Tatverdacht (im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) und werfen der Vorinstanz eine willkürliche (und das rechtliche Gehör verletzende) Sachverhaltsfeststellung vor. Die Strafanzeige vom 18. Mai 2012 enthalte falsche Angaben. Die Behauptung, der Beschwerdeführer 1 habe umfassenden Einblick in sämtliche Daten und Unterlagen der B.________ AG und weiterer Tochtergesellschaften der Anzeigerin und Privatklägerin gehabt, treffe nicht zu. In Mitarbeiterdossiers oder in vertrauliche Kalkulationen habe er keinen Einblick gehabt. Falsch sei auch die Behauptung, ein anderer Mitarbeiter habe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Anzeigerin mehrmals deren Firmengebäude besucht, worauf gegen ihn ein Hausverbot habe verhängt werden müssen. Vielmehr habe der fragliche Ex-Mitarbeiter einen "Shop" der Anzeigerin besucht, welcher der Öffentlichkeit zur Verfügung gestanden sei. Von einem wiederholten Betreten des Firmengebäudes könne daher "selbstverständlich keine Rede" sein. Falls gegen den Ex-Mitarbeiter ein Hausverbot tatsächlich ausgesprochen worden wäre, sei dieses "wohl wirkungslos" gewesen, da sich im genannten Shop keine vertraulichen Daten befunden hätten.
2.1. Im angefochtenen Entscheid (S. 7-13, E. 5.2) wird ausführlich dargelegt, worauf die Vorinstanz die Annahme eines hinreichenden Tatverdachtes gegen den Beschwerdeführer 1 stützt. Die Einwände der Beschwerdeführer lassen den Tatverdacht nicht dahinfallen. Auch willkürliche erhebliche Tatsachenfeststellungen sind in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich:
2.1.1. Dem Beschwerdeführer 1 wird unter anderem das Ausnützen der Kenntnis vertraulicher Tatsachen (Art. 161 StGB) sowie die Verletzung von Geschäftsgeheimnissen (Art. 162 StGB) vorgeworfen. Zwar macht er geltend, das Entsiegelungsgesuch erwähne "ausdrücklich Art. 161 Absatz 2 StGB", und er habe "keine in dieser Norm aufgeführte Funktion" inne gehabt. Der Straftatbestand von (recte) Art. 161 Ziffer 2 StGB setzt jedoch keine Funktion im Sinne von Art. 161 Ziffer 1 StGB voraus; es genügt vielmehr, dass die Täterschaft eine vertrauliche Tatsache von einer der in Ziffer 1 genannten Personen mitgeteilt erhielt und sich oder einem andern durch Ausnützen dieser Mitteilung einen Vermögensvorteil verschafft hat. Im Rahmen der untersuchten Widerhandlungen gegen das UWG wird dem Beschwerdeführer 1 nicht (primär) vorgeworfen, er habe Informationen aus Mitarbeiterdossiers oder vertraulichen Kalkulationen unrechtmässig ausgenutzt, sondern er habe (in Verletzung des Konkurrenzverbotes) systematisch Kunden der Privatklägerin abgeworben.
2.1.2. Unbehelflich ist auch der Einwand, eine Drittperson sei angeblich bereit, den Beschwerdeführer 1 vom (zusätzlichen) Nötigungsvorwurf zu entlasten, und diesbezüglich habe die Vorinstanz falsche Sachverhaltsannahmen getroffen: Unter dem Gesichtspunkt der Entsiegelungsvoraussetzung von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO kann offen bleiben, ob die kantonalen Behörden (neben Art. 161 bzw. Art. 162 StGB und UWG-Widerhandlungen) auch noch einen hinreichenden Nötigungsverdacht darlegen.
2.2. Die Beschwerdeführer rügen in diesem Zusammenhang eine Verletzung des rechtlichen Gehörs:
2.2.1. Beim Nötigungsvorwurf werde im angefochtenen Entscheid zwar darauf hingewiesen, dass die Anzeigerin den fraglichen (nötigenden) Telefonanruf mit einer E-Mail-Korrespondenz zwischen einer Drittperson und dem Geschäftsführer der Anzeigerin zu belegen versuche. Die betreffende (der Strafanzeige beigelegte und bei den Untersuchungsakten liegende) Korrespondenz habe das Zwangsmassnahmengericht jedoch offenbar nicht konsultiert. "Falls die Vorinstanz wider Erwarten im Besitz dieser E-Mail-Korrespondenz war", habe sie "das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt", indem diese weder Einblick in die Unterlagen noch dazu Stellung hätten nehmen können.
2.2.2. Die Vorinstanz erwägt (zusammengefasst), dass es nach den bisherigen Untersuchungsergebnissen kurz vor bzw. nach der Freistellung des Beschwerdeführers 1 (als Key Account Manager einer Tochterfirma der Anzeigerin) zu einer Häufung merkwürdiger Vorfälle gekommen sei, in die er - bei gesamthafter Betrachtung - vermutlich verwickelt sei (Auffinden einer Abhörwanze in den Geschäftsräumlichkeiten der Anzeigerin, Wechsel mehrerer Mitarbeiter der Anzeigerin zur Beschwerdeführerin 2, einem Konkurrenzunternehmen, für welches der Beschwerdeführer 1 nach seinem Ausscheiden zu arbeiten begonnen habe, Abwerbungen von Kunden der Anzeigerin zugunsten der Beschwerdeführerin 2, Aufenthalt von betriebsfremden Personen auf dem Firmengelände der Anzeigerin, Verschwinden diverser Notebooks und anderer elektronischer Geräte aus den Geschäftsräumen der Anzeigerin, Anruf des Beschwerdeführers 1 mit der Androhung, es würden vertrauliche und geschäftsschädigende Informationen an eine Grosskundin herausgegeben, falls die Anzeigerin Klagen gegen Ex-Mitarbeiter wegen Verletzung des Konkurrenzverbotes nicht zurückziehe, usw.). Was einen der untersuchten Sachverhalte (nämlich den beanzeigten Telefonanruf bzw. Nötigungsversuch des Beschwerdeführers 1) betrifft, weist die Vorinstanz darauf hin, dass die Privatklägerin ihrer Strafanzeige vom 18. Mai 2012 eine E-Mail-Korrespondenz zwischen dem Gesprächspartner des Beschwerdeführers 1 und dem Geschäftsführer der Privatklägerin beigelegt habe (vgl. angefochtener Entscheid, S. 13 E. 5.2.3). In seiner Vernehmlassung vom 16. November 2012 bestätigt das Zwangsmassnahmengericht die Vermutung der Beschwerdeführer, dass es die fragliche (der Strafanzeige beigelegte und bei den Untersuchungsakten befindliche) E-Mail-Korrespondenz im Entsiegelungsverfahren nicht beigezogen habe. Die der Vorinstanz vorgelegten Akten hätten für die Prüfung des Entsiegelungsgesuches ausgereicht.
2.2.3. Bei dieser Sachlage stellt es - auch nach den eigenen Vorbringen der Beschwerdeführer - keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, wenn ihnen die Vorinstanz die im Entsiegelungsverfahren nicht beigezogene Beilage zur Strafanzeige nicht zustellte. Die rechtsgenügliche Darlegung eines hinreichenden Tatverdachtes bezüglich des Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen, der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen sowie weiterer mutmasslicher Delikte (insbes. UWG-Widerhandlungen) genügt denn auch, wie bereits dargelegt, als Eingriffsvoraussetzung im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO. Der blosse Hinweis darauf, welches Beweismittel zum (zusätzlichen) Nötigungsvorwurf der Strafanzeige beigelegt wurde, lässt den angefochtenen Entscheid nicht als gehörsverletzend erscheinen. Dies umso weniger, als die Beschwerdeführer der (ihnen zugestellten) Strafanzeige entnehmen konnten, dass die Anzeigerin ihren Nötigungsvorwurf auf die betreffende Korrespondenz stützte, und die Beschwerdeführer nicht geltend machen, sie hätten diesbezüglich ein Gesuch um Einsicht in die Untersuchungsakten (oder um Aktenbeizug im Entsiegelungsverfahren) gestellt, welches abgelehnt worden wäre.
2.2.4. Soweit sie im vorliegenden Zusammenhang überhaupt eine selbständige Bedeutung aufweisen, erweisen sich auch die Rügen der Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) und des richterlichen Begründungsgebotes (Art. 29 Abs. 2 BV) als nicht substanziiert bzw. unbegründet.
 
3.
Schliesslich bestreiten die Beschwerdeführer die Verhältnismässigkeit der verfügten Entsiegelung. Ihr Interesse an der Geheimhaltung ihrer eigenen Geschäftsgeheimnisse stehe über dem Interesse der Staatsanwaltschaft, sich die Untersuchung "zu vereinfachen". Aus den Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokollen habe die Vorinstanz gar nicht ableiten können, ob die versiegelten Aufzeichnungen und Dateien untersuchungsrelevante Informationen enthalten.
3.1. Die Frage, inwieweit wessen Geschäftsgeheimnisse tangiert sind, bildet Gegenstand der hängigen Strafuntersuchung wegen Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen, Verletzung des Geschäftsgeheimnisses und weiteren Delikten. Insoweit kann den Beschwerdeführern hier kein Durchsuchungshindernis (wegen angeblicher eigener Geschäftsgeheimnisse) zustehen. Sie legen auch nicht dar, inwiefern bei einer Entsiegelung konkrete Informationen gelüftet würden, die selbst gegenüber der untersuchungsleitenden Staatsanwaltschaft geheimgehalten werden müssten. Die Untersuchungsbehörde ist im Übrigen (ebenso wie das Zwangsmassnahmengericht) an das Untersuchungs- und Amtsgeheimnis gebunden (vgl. Art. 320 StGB). Allfälligen wirtschaftlichen Konkurrenten der Beschwerdeführer, insbesondere der Privatklägerin, wird durch den Entsiegelungsentscheid noch keine Kenntnis über die sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenstände verschafft. Nach erfolgter Durchsuchung durch die Staatsanwaltschaft (Art. 246 f. StPO) und einer allfälligen förmlichen Beweismittelbeschlagnahmung (Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) könnte schutzwürdigen Geheimnisinteressen der Beschwerdeführer auch noch dadurch Rechnung getragen werden, dass die Akteneinsicht durch Parteien, Verfahrensbeteiligte und Dritte nötigenfalls beschränkt würde (vgl. Art. 101 Abs. 1 i.V.m. Art. 108 StPO sowie Art. 101 Abs. 3 StPO).
3.2. Mit den ausführlichen Erwägungen der Vorinstanz zur Verhältnismässigkeit der Entsiegelung, zur mutmasslichen Deliktskonnexität der sichergestellten Gegenstände und zur prozessualen Obliegenheit der Beschwerdeführer, allfällige Entsiegelungshindernisse konkret darzulegen (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO), setzt sich die Beschwerdeschrift nicht auseinander. Es kann diesbezüglich auf den angefochtenen Entscheid (S. 13-15, E. 5.2-6) und die einschlägige Praxis (vgl. BGE 138 IV 225 E. 7.1 S. 229 mit Hinweisen) verwiesen werden. Die restlichen Vorbringen der Beschwerdeführer enthalten keine substanziierten Rügen; darauf ist nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 Satz 1 BGG).
 
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten wird.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden den Beschwerdeführern auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Juli 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Forster