BGer 1C_651/2012
 
BGer 1C_651/2012 vom 05.08.2013
{T 0/2}
1C_651/2012
 
Urteil vom 5. August 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Karlen,
Gerichtsschreiber Geisser.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Thomas Marfurt,
gegen
Bundesamt für Migration,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III, vom 12. November 2012.
 
Sachverhalt:
 
A.
Der aus Afghanistan stammende X.________ (in der Folge: X.________) reiste im Jahr 1993 in die Schweiz ein. Hier erhielt er vorläufige Aufnahme. Im Jahr 1995 lernte er die Schweizerin Y.________ kennen. Er heiratete sie am 2. Februar 2001.
 
B.
Am 25. Januar 2004 ersuchte er um erleichterte Einbürgerung.
Die Eheleute unterzeichneten am 3. Januar 2005 die Erklärung, in einer tatsächlichen, ungetrennten und stabilen ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenzuleben und weder Trennungs- noch Scheidungsabsichten zu haben.
Am 10. März 2005 wurde X.________ gestützt auf Art. 27 des Bundesgesetzes vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts (BüG; SR 141.0) erleichtert eingebürgert.
 
C.
Am 22. März 2006 wurde die Ehe geschieden.
Das Bundesamt für Migration (BFM; in der Folge: Bundesamt) leitete am 3. November 2008 ein Verfahren auf Nichtigerklärung der Einbürgerung gemäss Art. 41 BüG ein und benachrichtigte X.________ darüber.
Am 8. März 2010 erklärte das Bundesamt die erleichterte Einbürgerung von X.________ für nichtig.
Die von ihm dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am 12. November 2012 ab.
 
D.
X.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt zur Hauptsache, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben und darauf zu verzichten, die erleichterte Einbürgerung für nichtig zu erklären.
Mit separater Eingabe beantragt er, das Verfahren auszusetzen, solange er mit dem Bundesamt nach einer einvernehmlichen Lösung suche.
Ebenso ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
 
E.
Das Bundesamt beantragt, die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung sei zu bestätigen. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme.
X.________ hält in einer weiteren Eingabe an seinen materiellen Anträgen fest und ersucht um Fortsetzung des Verfahrens.
 
Erwägungen:
 
1.
Mit dem Gesuch des Beschwerdeführers um Fortsetzung des Verfahrens ist sein Sistierungsantrag hinfällig geworden. Gesetzliche Aussetzungsgründe sind nicht gegeben (vgl. Art. 71 BGG i.V.m. Art. 6 BZP). Die Sache ist spruchreif.
 
2.
2.1. Die Vorinstanz hat eine Beschwerde gegen die Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung abgewiesen. Angefochten ist somit ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts in einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerung gemäss Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, er habe am 30. Januar 2013 die Schweizerin Z.________ geheiratet, stützt er sich auf eine Tatsache, die erst nach Ausfällung des angefochtenen Urteils vom 12. November 2012 entstanden ist. Als echtes Novum ist sie vor Bundesgericht unbeachtlich (vgl. BGE 133 IV 342 E. 2 S. 343 f.). Am Entscheid vermöchte sie ohnehin nichts zu ändern. Gegenstand des Verfahrens ist die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung wegen der Scheidung des Beschwerdeführers von seiner früheren Ehefrau. Dass er sich erneut mit einer Schweizerin verheiratet hat, ist hierbei unerheblich.
2.3. Auf die Beschwerde ist somit - unter dem erwähnten Vorbehalt (E. 2.2 hiervor) - einzutreten.
 
3.
3.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einer Schweizer Bürgerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizer Bürgerin lebt.
Nach der Rechtsprechung setzt eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraus. Eine solche ist zu bejahen, wenn der gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist. Sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch in jenem des Einbürgerungsentscheids muss eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet (BGE 130 II 169 E. 2.3.1 S. 171 f.).
Zweifel bezüglich eines solchen Willens sind etwa dann angebracht, wenn kurze Zeit nach der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung eingeleitet wird. Der Gesetzgeber wollte dem ausländischen Ehepartner eines Schweizer Bürgers die erleichterte Einbürgerung ermöglichen, um die Einheit des Bürgerrechts der Ehegatten im Hinblick auf ihre gemeinsame Zukunft zu fördern (BGE 130 II 482 E. 2 S. 484).
3.2. Gemäss Art. 41 Abs. 1 BüG in der bis Ende Februar 2011 geltenden und hier anwendbaren Fassung kann das Bundesamt die Einbürgerung mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons für nichtig erklären, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist.
Nach konstanter Praxis genügt das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen für eine Nichtigerklärung der Einbürgerung nicht. Diese setzt vielmehr voraus, dass sie "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist. Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist jedoch nicht erforderlich. Immerhin muss der Betroffene bewusst falsche Angaben gemacht haben bzw. die Behörde bewusst im falschen Glauben gelassen haben und so den Vorwurf auf sich ziehen, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu benachrichtigen (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115 mit Hinweisen).
3.3. Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung hat die Behörde zu untersuchen, ob die Ehe auch während des Verfahrens tatsächlich gelebt wurde. Da es dabei im Wesentlichen um innere Vorgänge geht, die der Verwaltung oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind, darf sie von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.).
Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine Umkehr der Beweislast. Der Betroffene muss nicht den Beweis des Gegenteils erbringen. Vielmehr genügt der Nachweis von Zweifeln an der Richtigkeit der Indizien und der daraus gezogenen Schlussfolgerung. Demzufolge trägt die Verwaltung die Beweislast dafür, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27 BüG zur massgeblichen Zeit nicht oder nicht mehr besteht. Es genügt deshalb, wenn der Betroffene einen oder mehrere Gründe angibt, die es plausibel erscheinen lassen, dannzumal in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft gelebt und diesbezüglich nicht gelogen zu haben. Ein solcher Grund kann entweder ein ausserordentliches Ereignis sein, das zum raschen Zerfall des Willens zur ehelichen Gemeinschaft im Anschluss an die Einbürgerung führte; oder der Betroffene kann darlegen, aus welchem Grund er die Schwere der Eheprobleme nicht erkannte und den wirklichen Willen hatte, mit dem Schweizer Ehepartner auch weiterhin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft zu leben (BGE 135 II 161 E. 3 S. 166 mit Hinweisen).
 
4.
4.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst die Feststellung der Vorinstanz, er habe im Zeitpunkt der Einbürgerung in keiner tatsächlichen ehelichen Gemeinschaft mehr gelebt.
4.1.1. Die massgeblichen Ereignisse liefen wie folgt ab: Die Heirat erfolgte am 2. Februar 2001. Am 25. Januar 2004 ersuchte der Beschwerdeführer um erleichterte Einbürgerung. Die Eheleute unterschrieben am 3. Januar 2005 die gemeinsame Erklärung, wonach sie in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft lebten. Am 10. März 2005 wurde der Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert. Die Ehegatten reichten am 3. November 2005 ein gemeinsames Scheidungsbegehren ein; am 22. März 2006 wurde die Ehe geschieden.
Demnach reichten die Eheleute lediglich 8 Monate nach der Einbürgerung ein gemeinsames Scheidungsbegehren ein. 4 Monate später wurde sie geschieden. Eine derart enge zeitliche Abfolge von Einbürgerung und Scheidung legt mit der Vorinstanz die Vermutung nahe, dass der Beschwerdeführer bereits vor der Einbürgerung vom März 2005 in keiner stabilen Ehe mehr lebte (vgl. E. 3.1 oben; ebenso BGE 130 II 482 E. 3.3 S. 486 f.; u.a. Urteil 1C_260/2010 vom 6. Oktober 2010 E. 3.3).
4.1.2. Unter diesen Umständen ist es Sache des Beschwerdeführers, plausible Gründe anzugeben, warum er die Eheprobleme nicht erkannte oder dass ein ausserordentliche Ereignis nach der Einbürgerung zum Scheitern der Ehe führte (vgl. E. 3.3 oben).
Solche Gründe vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun. Vielmehr bestätigt seine Darstellung der Geschehnisse, dass die Ehe bereits vor der Einbürgerung nicht mehr stabil war. Die Probleme hätten im September 2004 begonnen, als sich seine Frau zu einem anderen Mann hingezogen gefühlt habe. Im November 2004 sei sie aus der ehelichen Wohnung ausgezogen. Er selbst habe seine jetzige Lebenspartnerin im Dezember 2004 kennengelernt. Mit ihr habe er zwei Kinder (Stellungnahme des Beschwerdeführers an das Bundesamt vom 27. Februar 2009, act. 12; vgl. auch act. 14 und 16).
Seit Ende 2004 wohnten die Eheleute demnach nicht mehr zusammen. In der Folge unterhielten sie aussereheliche Beziehungen. Diese Sachlage unterstreicht die Vermutung, dass der Wille zu einer ehelichen Gemeinschaft bereits vor der erleichterten Einbürgerung vom März 2005 erloschen war. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, bis dahin noch an die Ehe geglaubt und die Trennung als vorübergehend erachtet zu haben, erscheint danach unglaubhaft. Die Vorinstanz geht zu Recht davon aus, dass zur Zeit der Einbürgerung keine tatsächliche Lebensgemeinschaft mehr bestand.
Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als offensichtlich unbegründet.
4.2. Der Beschwerdeführer bestreitet im Weiteren den Vorwurf der Vorinstanz, er habe erhebliche Tatsachen verheimlicht.
In der Erklärung vom 3. Januar 2005 bestätigten die Eheleute dem Bundesamt unterschriftlich, in einer tatsächlichen, ungetrennten und stabilen ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenzuleben. Sie nahmen zur Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich ist, wenn während des Verfahrens einer der Ehegatten die Trennung bzw. Scheidung beantragt oder keine tatsächliche eheliche Gemeinschaft mehr besteht. Zudem bestätigten sie zu wissen, dass die Verheimlichung dieser Umstände gegenüber dem Bundesamt zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung führen kann (vgl. Einbürgerungsakten, act. 0/3).
Dem Beschwerdeführer muss somit bekannt gewesen sein, welche Umstände für die Einbürgerung erheblich sind, wem er diese mitzuteilen hat und was die Folgen der Verletzung dieser Auskunftspflicht sind.
4.2.1. Ihm musste demnach bewusst sein, dass der Auszug seiner Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung für das Einbürgerungsverfahren erheblich gewesen wäre.
4.2.2. Es ist das Bundesamt, das über die erleichterte Einbürgerung entscheidet (Art. 32 BüG). Über den Auszug seiner Ehefrau hätte der Beschwerdeführer daher das Bundesamt benachrichtigen müssen (vgl. BGE 120 Ib 193 E. 4 S. 198; Urteil 5A.20/2002 vom 27. November 2002 E. 3.3). Die Erklärung vom 3. Januar 2005 war insoweit unmissverständlich (vgl. E. 4.2 hiervor). Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) durfte der Beschwerdeführer folglich nicht davon ausgehen, seiner Auskunftspflicht dadurch zu genügen, den Wohnsitzwechsel seiner Ehefrau der Wohngemeinde gemeldet zu haben. Der betreffende Einwand ist unbegründet.
4.2.3. Unbehelflich ist auch sein Einwand, er habe es den Behörden nicht so schwer wie möglich gemacht, den Sachverhalt abzuklären.
Nach der Rechtsprechung (E. 3.2 oben) setzt die "Verheimlichung" gemäss Art. 41 Abs. 1 BüG keine Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands voraus. Es genügt, wenn der Betroffene den Behörden erhebliche Tatsachen bewusst unterschlägt. Der Beschwerdeführer unterliess es, dem Bundesamt den Auszug seiner Ehefrau vom November 2004 zu melden. Er hat die Behörde bewusst im falschen Glauben gelassen, nach wie vor in ehelicher Gemeinschaft zu leben. Damit hat er eine erhebliche Tatsache verheimlicht.
4.3. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Voraussetzungen für eine ordentliche Einbürgerung zu erfüllen, zielt er am Verfahrensgegenstand vorbei.
Hier geht es darum, ob die Voraussetzungen für die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung gegeben sind. Dies ist nach dem Gesagten der Fall. Die Vorinstanz verletzt somit kein Bundesrecht, wenn sie den Entscheid des Bundesamtes bestätigt, die erleichterte Einbürgerung für nichtig zu erklären.
 
5.
Die Beschwerde ist danach abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Beschwerdeführer kostenpflichtig. Da die Beschwerde aussichtslos war, ist das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Seinen angespannten finanziellen Verhältnissen ist mit der Erhebung reduzierter Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bundesamt für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. August 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Geisser