BGer 9C_477/2013 |
BGer 9C_477/2013 vom 07.08.2013 |
{T 0/2}
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9C_477/2013
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Urteil vom 7. August 2013 |
II. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Kernen, Präsident,
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Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
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Gerichtsschreiber Nussbaumer.
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Verfahrensbeteiligte |
W.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Sutter,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
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Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Invalidenversicherung,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 14. Mai 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
W.________ (geboren 1965) meldete sich im September 2008 aufgrund von Schmerzen in Nacken, Wirbelsäule, Schulter und Schulterblatt, Achsel und Oberarm sowie Einschlafen der Hände und vorwiegend der kleinen Finger links und rechts zum Leistungsbezug bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen an. Im Rahmen der medizinischen und beruflichen Abklärungen holte die IV-Stelle u.a. einen Bericht der Rehabilitationsklinik X.________ vom 7. Januar 2009, wo sich der Versicherte vom 20. November bis 18. Dezember 2008 stationär aufgehalten hatte, einen Bericht des Dr. med. H.________, Facharzt FMH für Neurologie, vom 30. Juni 2009 sowie einen Abklärungsbericht Selbstständigerwerbende vom 22. September 2009 ein. Mit Vorbescheid vom 9. Oktober 2009 stellte sie dem Versicherten die Abweisung des Leistungsgesuchs in Aussicht. Auf Einwand des Versicherten hin holte sie bei Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, ein psychiatrisches Gutachten vom 6. Mai 2010 und bei Dr. med. G.________, Facharzt FMH für Rheumatologie und Innere Medizin, ein rheumatologisches Gutachten vom 15. Mai 2010 sowie Berichte des behandelnden Arztes Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie/Psychotherapie und für Allgemeinmedizin vom 29. März und 10. Juni 2010 ein. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies die IV-Stelle mit Verfügung vom 28. Februar 2011 das Rentengesuch ab (Invaliditätsgrad von 10 %).
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B. |
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 14. Mai 2013 ab unter Überweisung eines Schreibens vom 4. Juli 2012 an die IV-Stelle als Neuanmeldung.
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C. |
W.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides sei die Angelegenheit zur Vornahme weiterer Abklärungen im Hinblick auf eine Berentung an das kantonale Gericht oder die IV-Stelle zurückzuweisen. Eventuell sei ihm eine ganze Invalidenrente zuzusprechen.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
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1.2. |
1.2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Beschwerde führende Person genau darzulegen. Dazu genügt es nicht, einen von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1 S. 356; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.2 [nicht publ. in: BGE 137 V 446]).
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Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteile 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 1 und 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.1).
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1.2.2. Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen begründet sind (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352). Der Arzt muss über die notwendigen fachlichen Qualifikationen verfügen (Urteil 9C_736/2009 vom 26. Januar 2010 E. 2.1). Untersuchungsberichte Regionaler Ärztlicher Dienste können, sofern sie diesen Anforderungen genügen, einen vergleichbaren Beweiswert wie ein Gutachten haben (Art. 49 Abs. 2 IVV; BGE 137 V 210 E. 1.2.1 S. 219; 135 V 254 E. 3.3.2 S. 257; Urteil 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 5.1.2).
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1.2.3. Dem Sachgericht steht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zu (BGE 120 Ia 31 E. 4b S. 40). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur ein, wenn das Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 mit Hinweisen S. 5). Inwiefern das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3 S. 261). Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 mit Hinweis S. 246).
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2. |
2.1. Das kantonale Gericht ging in Würdigung der ärztlichen Unterlagen, namentlich des eingeholten psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. S.________ vom 6. Mai 2010 und des rheumatologischen Gutachtens des Dr. med. G.________ vom 15. Mai 2010, davon aus, dass der Beschwerdeführer zu 10 % in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt sei. Er vermöge körperlich leicht bis mittelschwer belastende Tätigkeiten unter regelmässigen Positionswechseln sowie in einem ergonomischen Arbeitsumfeld, namentlich im Umfeld einer Bürotätigkeit wie als Betriebsleiter einer Schreinerei, zu 100 % mit einer Einschränkung von 10 % wegen vermehrten Pausenbedarfs für Wechsel- und Ausgleichspositionen, auszuführen. Auszugehen sei gemäss den Gutachten und dem Regionalen Ärztlichen Dienst somit insgesamt von einer Arbeitsfähigkeit von 90 % in der angestammten ebenso wie in einer adaptierten körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit. Da insbesondere in der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Geschäftsführer in der Firma F.________ eine Arbeitsfähigkeit von mindestens 90 % bestehe, erreiche der Invaliditätsgrad kein rentenbegründendes Ausmass von mindestens 40 %. Für die Zeit nach Ablauf des Wartejahrs am 21. Juni 2008 (Beginn Arbeitsunfähigkeit: 21. Juni 2007) bis 18. Dezember 2008 sei im Hinblick auf Art. 29 Abs. 1 IVG und Art. 29 Abs. 1 ATSG festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer am 23. September 2008 zum Leistungsbezug angemeldet habe. Mit Blick auf BGE 138 V 475 könne der Rentenanspruch somit nicht vor März 2009 entstanden sein. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer nicht (mehr) zu mindestens 40 % invalid gewesen (Hinweis auf Art. 28 Abs. 1 lit. c IVG).
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Im vorliegenden Verfahren sei nicht mehr relevant, dass der Beschwerdeführer ab April 2012 im Neurochirurgischen Zentrum der Klinik Y.________ abgeklärt worden sei (Bericht des Dr. med. E.________ vom 8. Mai 2012). Es gelte festzuhalten, dass der Inhalt des ärztlichen Berichts möglicherweise Rückschlüsse auf den hier massgebenden Sachverhalt bis zum Verfügungserlass vom 28. Februar 2011 zulassen könne. Aus diesem Bericht ergäben sich Hinweise auf eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes des Beschwerdeführers im Frühjahr 2012. Für das vorliegende Verfahren sei in zeitlicher Hinsicht jedoch der Sachverhalt relevant, wie er sich bis zum Erlass der streitigen Verfügung vom 28. Februar 2011 zugetragen habe (Hinweis auf BGE 130 V 445 E. 1.2).
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2.2. Im Lichte der eingangs erwähnten Beweisregeln und Grundsätze zur Beweiswürdigung ist die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und die entsprechende Beweiswürdigung nicht mangelhaft im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG. Das kantonale Gericht hat sich mit allen relevanten medizinischen Unterlagen auseinandergesetzt und eingehend begründet, weshalb es auf die erwähnten Gutachten des Psychiaters Dr. med. S.________ vom 6. Mai 2010 und des Rheumatologen Dr. med. G.________ vom 15. Mai 2010, welche hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit zur gleichen Beurteilung wie die Rehabilitationsklinik X.________ im Bericht von 7. Januar 2009 gelangt seien, abstellt. Die entsprechenden Feststellungen und Schlussfolgerungen sind nach der Aktenlage nicht offensichtlich unrichtig, noch ist darin eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung oder eine willkürliche Beweiswürdigung zu erblicken.
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Aus den in der Beschwerde erhobenen Einwendungen - soweit es sich nicht um appellatorische Kritik am vorinstanzlichen Entscheid handelt - ist nicht ersichtlich, inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich sein oder sonstwie Bundesrecht verletzen sollte. Dies gilt namentlich auch hinsichtlich des nach Abschluss des vorinstanzlichen Schriftenwechsels eingereichten Berichts des Dr. med. E.________, Facharzt FMH Neurochirurgie der Klinik Y.________, vom 8. Mai 2012. Darin werden u.a. progrediente Cervikobrachialgien beidseits mit parästhetischen Missempfindungen C6 beidseits rechtsbetont bei aktivierter, entzündlicher Osteochondrose C5/6 diagnostiziert. Mit diesem Bericht hat sich das kantonale Gericht auseinandergesetzt und es ist in willkürfreier Weise zum Schluss gekommen, dass er für die Zeitspanne vor Erlass der in zeitlicher Hinsicht massgebenden rentenablehnenden Verfügung vom 28. Februar 2011 unbeachtlich sei. Hiezu stellte es fest, die Abklärungen in der Klinik Y.________ vom April/Mai 2012 hätten wegen Zunahme der Schmerzen des Beschwerdeführers und neu auch aufgrund eines Taubheitsgefühls, parästhetischer Missempfindungen und Schmerzen in den Daumen und Armen beidseits stattgefunden. Dr. med. E.________ führe im Bericht aus, dass das MRI der HWS vom 24. April 2012 u.a. aktivierte osteochondrotische Entzündungszeichen im gesamten Segment C5/6 ergeben habe. Über eine ventrale Diskektomie und Stabilisation des Hauptsegmentes C5/6 würden sich die aktuellen Beschwerden des Versicherten mit hoher Wahrscheinlichkeit deutlich reduzieren lassen. In Anbetracht der rheumatologischen Begleiterkrankungen und der somatoformen Schmerzstörung sei allerdings die mittelfristige Prognose hinsichtlich einer Besserung nach der Operation moderat. Er habe dem Beschwerdeführer daher, aufgrund des aktuellen Leidensdrucks, empfohlen, mit rheumatologischen Therapieansätzen weiter fortzufahren. Dr. med. E.________ gibt in seinem Bericht vom 8. Mai 2012 den Gesundheitszustand im Frühjahr 2012 wieder und äussert sich nicht zur Arbeitsunfähigkeit in früheren Jahren. Das kantonale Gericht durfte daher den Bericht des Dr. med. E.________ vom 8. Mai 2012 willkürfrei als nicht entscheidrelevant und als Neuanmeldung betrachten. Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, dass der Bericht des Dr. med. E.________ vom 8. Mai 2012 sowohl Hinweise für eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes wie auch für einen stabil langanhaltenden Zustand enthalte. Wenn das kantonale Gericht im Rahmen des ihm bei der Beweiswürdigung zustehenden erheblichen Ermessensspielraums zu einer andern Schlussfolgerung als der Beschwerdeführer gelangt ist, so ist darin weder eine willkürliche Beweiswürdigung noch hinsichtlich der parästhetischen Missempfindungen und Schmerzen eine Aktenwidrigkeit zu erblicken. Die Beschwerde ist daher unbegründet.
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3. |
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 7. August 2013
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Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Kernen
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Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer
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