BGer 2C_296/2013 |
BGer 2C_296/2013 vom 12.08.2013 |
{T 0/2}
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2C_296/2013
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Urteil vom 12. August 2013 |
II. öffentlich-rechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Zünd, Präsident,
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Bundesrichterin Aubry Girardin,
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Bundesrichter Stadelmann,
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Gerichtsschreiber Egli.
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Verfahrensbeteiligte |
X.________,
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vertreten durch Rechtsanwältin Claudia Zumtaugwald,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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Kanton Luzern, Bahnhofstrasse 15, 6002 Luzern,
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Bezirksgericht Luzern, Einzelrichterin Abteilung 1, Grabenstrasse 2, Postfach, 6000 Luzern 5.
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Gegenstand
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Staatshaftung; unentgeltliche Rechtspflege,
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Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern, 1. Abteilung, vom 8. Februar 2013.
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Sachverhalt: |
A. |
B. |
C. |
Erwägungen: |
1. |
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid über die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege. Dabei handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG; BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; 129 I 129 E. 1.1 S. 131; Urteil 2C_164/2012 vom 31. August 2012 E. 1.2). Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (BGE 137 III 380 E. 1.1 S. 382; 134 V 138 E. 3 S. 144; Urteil 2D_1/2007 vom 2. April 2007 E. 2.2). Vorliegend macht der Beschwerdeführer Staatshaftungsansprüche in der Höhe von rund Fr. 340'000.-- geltend, womit die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig ist (Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG). Da auch die übrigen Sachbeurteilungsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
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2. |
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), nur die geltend gemachten Vorbringen, falls allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 mit Hinweis). Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten, darin eingeschlossen solcher, die sich aus Völkerrecht ergeben, gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 V 74 E. 2 S. 76 f.; 138 I 367 E. 5.2 S. 373, 274 E. 1.6 S. 280 f.)
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2.2. Die Beschwerdeschrift genügt den genannten Anforderungen über weite Strecken nicht:
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2.2.1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Staatshaftungsprozesses gegen den Kanton Luzern. Mit den Ausführungen der Vorinstanz setzt sich der Beschwerdeführer nicht näher auseinander. Die von der Vorinstanz verneinten Haftungsvoraussetzungen werden nur summarisch erwähnt; einzig unter dem Titel der Verjährung geht der Beschwerdeführer näher auf das Haftungsrecht ein. Soweit er sich erstmals in der Replik - ebenfalls nur summarisch - dazu äussert, bleiben seine Ausführungen unberücksichtigt, hätten sie doch ohne Weiteres bereits in der Beschwerdeschrift vorgebracht werden können und sind daher verspätet (BGE 135 I 19 E. 2.2 S. 21; 134 IV 156 E. 1.7 S. 162; 132 I 42 E. 3.3.4 S. 47; Urteil 2C_66/2013 vom 7. Mai 2013 E. 1.2).
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2.2.2. Die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege wird vom Beschwerdeführer zwar bestritten, doch erhebt er diesbezüglich nicht ausdrücklich eine zulässige Rüge (Art. 95 BGG). Da die Bestimmungen der Schweizerischen Zivilprozessordnung (ZPO) vorliegend über den Verweis im kantonalen Haftungsrecht zur Anwendung gelangen, handelt es sich um subsidiäres kantonales öffentliches Recht, dessen Verletzung vor Bundesgericht nicht als solches gerügt werden kann (vgl. Art. 95 BGG; Urteil 2C_888/2010 vom 7. April 2011 E. 4 mit Hinweis). Ob die bloss sinngemäss erhobene Rüge der Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV den Anforderungen nach Art. 106 Abs. 2 BGG genügt, kann letztlich offenbleiben, da der vorinstanzliche Entscheid auch unter diesem Aspekt nicht zu beanstanden ist (vgl. sogleich E. 3).
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2.2.3. Dagegen äussert sich der Beschwerdeführer eingehend zur Rechtslage bei Inter- und Transsexualismus: Die (register-) rechtliche Anerkennung der Geschlechts- und Namensänderung an einen vorgängigen operativen Eingriff zu knüpfen, beeinträchtige das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und das Recht auf selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 13 Abs. 1 BV). Es fehle an der gesetzlichen Grundlage, dem öffentlichen Interesse und der Verhältnismässigkeit für einen solch schwerwiegenden Eingriff in grund- bzw. menschenrechtlich geschützte Rechtsgüter.
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3. |
3.1. Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Dieser Anspruch umfasst einerseits die Befreiung von den Verfahrenskosten und andererseits - soweit notwendig - das Recht auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand. Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder die Gewinnaussichten nur wenig geringer sind als die Verlustgefahren. Massgebend ist, ob sich eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 133 III 614 E. 5 S. 616 mit Hinweis).
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3.2. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer summarischen Prüfung nach den Verhältnissen zur Zeit, zu der das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt wird (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 133 III 614 E. 5 S. 616; 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135 f. mit Hinweisen). Grundlage der Beurteilung bilden die konkreten Verhältnisse, d.h. die Begehren und der zu ihrer Begründung vorgebrachte Sachverhalt unter Einschluss der Beweismittel und Beweisanträge (BGE 105 Ia 113 E. 2b S. 114; Urteil 5A_81/2009 vom 2. März 2009 E. 4.4.2; GEROLD STEINMANN, in: St. Galler Kommentar BV, 2. Aufl. 2008, N. 39 zu Art. 29 BV). Dabei ist Rechtsfrage, welche Umstände bei der Beurteilung der Prozessaussichten in Betracht fallen und ob sie für oder gegen eine hinreichende Erfolgsaussicht sprechen, Tatfrage hingegen, ob und wieweit einzelne Tatumstände erstellt sind (BGE 124 I 304 E. 2c S. 307; Urteil 5A_923/2012 vom 15. März 2013 E. 4.1).
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4. |
4.1. Der Beschwerdeführer bringt im bundesgerichtlichen Verfahren vor, er habe vorgängig zu seiner geschlechtsanpassenden Operation einen Antrag auf Status- und Namensänderung gestellt. Dessen Gutheissung sei u.a. von der Voraussetzung abhängig gemacht worden, dass er seine weiblichen Geschlechtsorgane operativ entfernen lasse. Aufgrund dessen habe er sich "gezwungen" gesehen, in den operativen Eingriff einzuwilligen; die ihn psychisch belastende Situation habe ihm keine andere Möglichkeit offengelassen. Der daraus resultierende körperliche und seelische Schaden werde ihn lebenslang begleiten. So leide der Beschwerdeführer heute unter schweren Depressionen, einer Cannabisabhängigkeit und sei zu 100% arbeitsunfähig.
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4.2. |
4.2.1. Vor der Vorinstanz berief sich der Beschwerdeführer neben dem erwähnten "Antrag auf Status- und Namensänderung" auf Auskünfte kantonaler Angestellter, wobei er jedoch bislang keine entsprechenden Beweismittel eingereicht hat. Unstrittig ist, dass allfällige Auskünfte die damalige registerrechtliche Praxis zutreffend wiedergegeben hätten. Wie diese Praxis aus heutiger Sicht zu bewerten ist, kann an dieser Stelle offenbleiben (vgl. oben E. 2.2.3). Entscheidend ist vielmehr, dass es nach den Vorbringen des Beschwerdeführers und derzeitigem Aktenstand keine Anzeichen dafür gibt, dass die geschlechtsanpassende Operation auf "erzwungenes" staatliches Handeln zurückzuführen war und nicht auf einer rechtsgültigen Einwilligung des Beschwerdeführers beruhte.
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4.2.2. Eine geschlechtsanpassende Operation stellt einen schwerwiegenden, irreversiblen chirurgischen Eingriff dar und ist gemäss den ärztlichen Behandlungsrichtlinien nur indiziert, wenn der Wunsch nach einer Geschlechtsanpassung durch eingehende, insb. psychiatrisch-psychotherapeutische Untersuchungen über einen längeren Zeitraum hinweg erhärtet ist (vgl. die Nachweise in BGE 137 I 86 E. 9.2 S. 104 ff.). Es gibt in den Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend anders verhalten hätte. Ausserdem hätte der Beschwerdeführer bei fehlendem Willen zur geschlechtsanpassenden Operation die beanstandete registerrechtliche Praxis vorgängig zum Eingriff gerichtlich überprüfen lassen können, zumal er bereits vor der Operation einen ersten Antrag um Geschlechts- und Namensänderung gestellt haben will. Soweit ein abschlägiger Entscheid vorliegen sollte, wäre darauf im Hauptprozess nicht zurückzukommen (Prinzip der "Einmaligkeit des Rechtsschutzes"; vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 des Haftungsgesetzes des Kantons Luzern vom 13. September 1988 [SRL 23; nachfolgend: HG/LU]; BGE 129 I 139 E. 3.1 S. 142; 126 I 144 E. 2 S. 147 ff.; Urteil 2C_158/2010 vom 18. August 2010 E. 2.4).
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4.2.3. Damit ist nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer durch einen Angestellten des Kantons Luzern widerrechtlich geschädigt worden wäre (§ 4 Abs. 1 HG/LU). Soweit das kantonale Haftungsrecht auf ein Verschulden abstellt (§ 4 Abs. 1 HG/LU), hat die Vorinstanz zutreffend darauf hingewiesen, dass der Nachweis des Fehlens des Verschuldens im Hauptprozess wohl ohne Weiteres zu erbringen wäre. Damit setzt sich der Beschwerdeführer nicht substanziiert auseinander.
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4.3. |
4.3.1. Was die Verjährung betrifft, ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die schädigende Handlung vorliegend nicht in der Operation selbst erblickt werden kann, hat doch der Beschwerdeführer hierzu - nach der Aktenlage (vgl. oben E. 4.2) - rechtsgültig eingewilligt. Soweit der Beschwerdeführer seine Ersatzansprüche aus früheren Ereignissen (Auskünfte, Gesuchsablehnung) herleiten will, müssen sie sich jedenfalls vor dem 2. September 2002 als dem Datum des Spitaleintritts ereignet haben. Daraus schliesst die Vorinstanz, dass allfällige Ansprüche des Beschwerdeführers aus diesen Handlungen absolut verjährt seien, da der Beschwerdeführer erst am 3. September 2012 und damit nicht innert zehn Jahren nach der schädigenden Handlung (vgl. § 8 Abs. 1 HG/LU) eine fristwahrende Handlung vorgenommen habe. Die Frage nach der Wahrung der relativen Verjährungsfrist von zwei Jahren seit Kenntnis des Schadens und des haftpflichtigen Gemeinwesens könne offengelassen werden (vgl. § 8 Abs. 1 HG/LU).
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4.3.2. Die genannten Zeitabläufe werden vom Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren nicht bestritten. Er führt jedoch aus, es sei sowohl "unbillig als auch unverhältnismässig, einfach auf die Verjährung abzustellen". Es sei eine opferbezogene Perspektive einzunehmen und auf das Datum der Auswirkungen abzustellen.
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4.3.3. Es ist nicht ersichtlich, weshalb vorliegend dem Zeitablauf keine Rechnung zu tragen wäre (vgl. BGE 136 II 187 E. 8 S. 200 ff.; 126 II 145 E. 3 S. 152 ff.; Urteil 2C_164/2012 vom 31. August 2012 E. 3.6). Das Bundesgericht lehnt es in konstanter Praxis ab, sich aufgrund möglicher Härten im Einzelfall über geltende Verjährungsvorschriften hinwegzusetzen (BGE 136 II 187 E. 7.5 S. 200; 119 II 216 E. 4a/aa S. 220 mit Hinweisen). Diese führen vorliegend nicht dazu, dass die vom Beschwerdeführer angerufene Rechtsweggarantie des Art. 6 EMRK ihres Inhalts entleert würde (vgl. BGE 136 II 187 E. 8.2 S. 201 ff. mit Hinweisen), besonders da der Beschwerdeführer die beanstandete registerrechtliche Praxis bereits vorgängig zur geschlechtsanpassenden Operation durch zumutbare Vorkehren auf ihre Rechtmässigkeit hätte überprüfen lassen können. Soweit sich der Beschwerdeführer zur Wahrung der relativen Verjährungsfrist darauf beruft, dass er "frühestens" im Jahr 2011 von der Widerrechtlichkeit der damaligen registerrechtlichen Praxis erfuhr, ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Rechtsirrtum nach der Bundesgerichtspraxis verjährungsrechtlich grundsätzlich irrelevant ist (Art. 60 Abs. 1 OR; vgl. BGE 131 III 61 E. 3.1.2 S. 68 mit Hinweisen; 92 II 1 E. 1a S. 3; 82 II 43 E. 1a S. 44 f.; Urteil C.516/1985 vom 11. Februar 1986 E. 3c, in: JdT 1986 I 425; vgl. ferner Urteil 2C_404/2012 vom 11. Februar 2013 E. 5.1). Inwiefern es sich vorliegend mit Bezug auf § 8 Abs. 1 HG/LU anders verhalten sollte, ist weder ersichtlich noch dargetan (vgl. Urteil 2C.3/2005 vom 10. Januar 2007 E. 4.1).
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4.4. Wenn die Vorinstanz angesichts dieser Sach- und Rechtslage einstweilig davon ausging, die Staatshaftungsklage erscheine aussichtslos, ist dies nicht zu beanstanden. Dabei durfte die Vorinstanz auch berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bezüglich der Haftungsvoraussetzungen - ausgenommen das Verschulden - die Beweislast trägt (vgl. Urteil 2C_687/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 2).
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5. |
Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1.
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2.
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3.
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Lausanne, 12. August 2013
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Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Zünd
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Der Gerichtsschreiber: Egli
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