BGer 4A_262/2013
 
BGer 4A_262/2013 vom 02.09.2013
{T 0/2}
4A_262/2013
 
Urteil vom 2. September 2013
 
I. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Klett, Präsidentin,
Bundesrichter Kolly, Bundesrichterin Kiss,
Gerichtsschreiber Kölz.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Harder,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Bürgi,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Werkvertrag,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 17. Januar 2013.
 
Sachverhalt:
 
A.
A.a. A.________ (Beschwerdeführerin) schloss mit B.________ (Beschwerdegegner), dem Inhaber eines Einzelunternehmens mit dem Zweck Holzbau und Schreinerei, einen Werkvertrag über die Ausführung vom Zimmerarbeiten am Dach der Liegenschaft in X.________. Diese Liegenschaft befindet sich im Miteigentum der Kinder der Beschwerdeführerin. Gemäss der von beiden Parteien unterzeichneten Auftragsbestätigung vom 28. November 2002 bestätigte der Beschwerdegegner für "Dach EFH, Zimmerarbeiten" einen Werklohn von Fr. 85'868.40 nach Abzug von Rabatt und Skonto sowie einschliesslich Mehrwertsteuer. Er verwies dabei auf die Offerte Nr. 02-116. Vom Satz "bei einer Gesamtauftrags-Summe über ca. SFR 135'000.00 gewähren wir Ihnen einen Rabatt von 4%" wurde der Satzteil "bei einer Gesamtauftrags-Summe von ca. SFR 135'000.00" durchgestrichen. Gemäss der Beschwerdeführerin lautete die Offerte auf Fr. 85'699.50 und eine zusätzliche Deckenverkleidung für Fr. 46'052.00, die sie aber nicht gewollt habe. Der Beschwerdegegner führte ab Dezember 2002 die Zimmerarbeiten am Dach der Liegenschaft aus.
A.b. Ende 2003 klagte der Beschwerdegegner gegen die Beschwerdeführerin und ihre Kinder vor dem Bezirksgericht Meilen auf Bezahlung von Fr. 35'278.15 nebst Zins und definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts im Betrag von Fr. 34'219.80 nebst Zins. Das Bezirksgericht wies die Klage mit Urteil vom 28. Februar 2007 ab, soweit es darauf eintrat. Es erwog, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch offene Werklohnforderung von Fr. 22'278.15 nebst Zins sei kleiner als der wegen bestehender Mängel ausgewiesene Minderwert der Dachkonstruktion.
B. Mit Weisung vom 24. Juni 2009 des Friedensrichteramts Sirnach erhob die Beschwerdeführerin beim Bezirksgericht Münchwilen Klage gegen den Beschwerdegegner und beantragte, dieser habe ihr Fr. 105'986.35 nebst Zins zu 5 % seit 5. Mai 2008 zu bezahlen. Im entsprechenden Umfang sei in der Betreibung Nr. yyy.________ des Betreibungsamtes Sirnach der Rechtsvorschlag aufzuheben. Sie machte Ersatz der Aufwendungen geltend, die erforderlich seien, um das Dach so herzustellen, wie es gemäss dem Werkvertrag vom 28. November 2002 geschuldet sei. Gemäss Offerte von C.________, dem Experten im Prozess vor dem Bezirksgericht Meilen, beliefen sich die Kosten für die Instandstellung des Dachs auf Fr. 114'955.35. Mit Entscheid vom 10. Juli 2012 wies das Bezirksgericht Münchwilen die Klage ab. Es hielt fest, das Beweisverfahren habe ergeben, dass die Parteien die Erstellung einer nicht sichtbaren Dachkonstruktion vereinbart hätten. In dieser Hinsicht erfülle die abgelieferte Arbeit die Anforderungen an eine normale Beschaffenheit, so dass diesbezüglich kein Mangel vorliege. Bei den übrigen Mängeln - ungenügende Wasser- und Luftdichtigkeit - sei entweder die Verantwortung des Beschwerdegegners nicht erstellt, oder der Minderwert sei nicht höher als der vom Bezirksgericht Meilen berücksichtigte Betrag.
C. Die Beschwerdeführerin beantragt mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Obergerichts vom 17. Januar 2013 sowie den Entscheid des Bezirksgerichts Münchwilen vom 10. Juli 2012 aufzuheben und die Klage gutzuheissen. Eventualiter sei der Fall zur Neubeurteilung an das Obergericht, subeventualiter an das Bezirksgericht Münchwilen zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
1. Der angefochtene Entscheid des Obergerichts ist ein verfahrensabschliessender Endentscheid (Art. 90 BGG) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75 Abs. 1 BGG). Sodann übersteigt der Streitwert die Grenze nach Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist - unter Vorbehalt einer hinlänglichen Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) - grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten.
 
2.
2.1. Mit Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen nach Art. 95 und 96 BGG gerügt werden. Die Beschwerde ist hinreichend zu begründen, andernfalls wird darauf nicht eingetreten. In der Beschwerdeschrift ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht kann das Bundesgericht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1; 134 II 244 E. 2.2).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 135 III 397 E. 1.5). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG), was in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 133 III 393 E. 3).
3. Strittig ist vor dem Bundesgericht wie bereits im kantonalen Verfahren, ob die Parteien die Herstellung einer sichtbaren oder einer  nicht  sichtbaren Dachkonstruktion vereinbart haben. Die Beschwerdeführerin nimmt ersteren Standpunkt ein und leitet daraus ab, dass die vom Beschwerdegegner abgelieferte Dachkonstruktion vom Vereinbarten abweicht und insofern unter (ästhetischen) Mängeln leidet. Demgegenüber vertritt der Beschwerdegegner letztere Auffassung, aus der folgt, dass in dieser Hinsicht ein Mangel entfällt.
3.1. Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen (Art. 18 Abs. 1 OR). Erst wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien im Rahmen der objektivierten Vertragsauslegung aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten (BGE 137 III 145 E. 3.2.1). Während das Bundesgericht die objektivierte Vertragsauslegung als Rechtsfrage prüfen kann, beruht die subjektive Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der Ausnahmen von Art. 97 und 105 BGG der bundesgerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Dasselbe gilt für die Feststellungen des kantonalen Richters über die äusseren Umstände sowie das Wissen und Wollen der Beteiligten im Rahmen der Auslegung nach dem Vertrauensprinzip (BGE 138 III 659 E. 4.2.1; 135 III 410 E. 3.2). Für die Auslegung nach dem Vertrauensprinzip ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses massgeblich. Nachträgliches Parteiverhalten ist dafür nicht von Bedeutung; es kann aber - im Rahmen der Beweiswürdigung - auf einen tatsächlichen Willen der Parteien schliessen lassen und damit für die subjektive Auslegung relevant sein (BGE 133 III 61 E. 2.2.2.2 S. 69; 132 III 626 E. 3.1 S. 632).
3.2. Die Vorinstanz gelangte im Rahmen der subjektiven Auslegung zu einem positiven Beweisergebnis im Sinne des Standpunktes des Beschwerdegegners. Sie befand, es sei bewiesen, dass zwischen den Parteien ein Vertrag über die Erstellung eines 
 
4.
4.1. Das Beweisergebnis der Vorinstanz unterliegt - wie dargelegt (Erwägungen 2.2 und 3.1) - nur eingeschränkter Überprüfung.
4.2. Was die Beschwerdeführerin gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung vorbringt, vermag dieselbe nicht als willkürlich auszuweisen:
5. Da die Vorinstanz im Rahmen der subjektiven Auslegung den Standpunkt des Beschwerdegegners, dass übereinstimmend eine nicht sichtbare Dachkonstruktion gemeint und gewollt war, für bewiesen hielt, erübrigte es sich streng genommen, auch noch eine Auslegung nach dem Vertrauensprinzip vorzunehmen, da eine solche nur und erst zum Zuge kommt, wenn ein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille nicht bewiesen werden kann (Erwägung 3.1). Dementsprechend erweisen sich auch die Rügen der Beschwerdeführerin betreffend die Eventualbegründung der Vorinstanz - wonach ein gleichlautender normativer Konsens anzunehmen wäre - als nicht entscheiderheblich. Ohnehin ist aber die Auslegung der Vorinstanz nach dem Vertrauensprinzip bundesrechtlich nicht zu beanstanden:
6. Ohne Bedeutung für das Entscheidergebnis sind die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu den angeblichen Widersprüchen zwischen den einzelnen Vertragsbestandteilen und zur Dokumentenhierarchie nach Art. 21 SIA-Norm 118. Denn entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin trifft es gerade nicht zu, dass die Auftragsbestätigung vom 28. November 2002 von einer Sichtkonstruktion ausgeht und damit in Widerspruch zu den Plänen steht. Vielmehr ergab das Beweisverfahren, dass die Parteien mit der Auftragsbestätigung vom 28. November 2002 eine nicht sichtbare Dachkonstruktion vereinbart haben. Die auf die unzutreffende Annahme gestützte Argumentation der Beschwerdeführerin geht daher ins Leere.
7. Die Vorinstanz verneinte schliesslich, dass der Beschwerdegegner eine Informationspflicht gegenüber der Beschwerdeführerin gehabt hätte, wie von letzterer behauptet. Dafür gebe es keine Grundlage. Der Beschwerdegegner habe gestützt auf die Offertgrundlagen mit eindeutigen Plänen der Beschwerdeführerin (bzw. ihres Architekten) offeriert. Zudem habe die Beschwerdeführerin nicht nur einen Architekten, sondern auch einen Bauleiter auf ihrer Seite gehabt, der im Übrigen die Auftragsbestätigung mitunterzeichnet habe.
8. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 5'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 6'000.-- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. September 2013
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Klett
Der Gerichtsschreiber: Kölz