BGer 1C_574/2013
 
BGer 1C_574/2013 vom 22.10.2013
{T 0/2}
1C_574/2013
 
Urteil vom 22. Oktober 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Suenderhauf,
gegen
Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, Abteilung Administrativmassnahmen, Frongartenstrasse 5, 9001 St. Gallen,
Präsident der Abteilung IV der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, Unterstrasse 28, 9001 St. Gallen.
Gegenstand
vorsorglicher Führerausweisentzug,
Beschwerde gegen den Entscheid vom 29. April 2013 des Präsidenten des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen.
 
Sachverhalt:
A. X.________ ist seit dem 18. Mai 2009 im Besitz des Führerausweises auf Probe der Kategorie B. Am 5. März 2012 verursachte er eine Auffahrtskollision. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen entzog ihm den Ausweis wegen mittelschwerer Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften für einen Monat. Es stellte zudem fest, dass ihm zu Unrecht ein unbefristeter Führerausweis erteilt worden sei und verlängerte die Probezeit um ein Jahr.
B. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt X.________, die Entscheide des Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamts, der Verwaltungsrekurskommission und des Verwaltungsgerichts aufzuheben und das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt anzuweisen, ihm den Führerausweis für die Dauer des laufenden Administrativverfahrens per sofort zurückzuerstatten. Eventuell sei die Sache zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er, seiner Beschwerde superprovisorisch aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Die Verfahrenskosten der Verwaltungsrekurskommission und des Verwaltungsgerichts seien dem Kanton zu überbinden; eventuell sei anzuordnen, auf die Erhebung von Kosten zu verzichten und subeventuell sei die Sache zu deren Neufestlegung und -verteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Für die vor Verwaltungsrekurskommission und vor Verwaltungsgericht aufgelaufenen Parteikosten in Höhe von Fr. 2'372.80 und Fr. 3'116.90 sei ihm eine Entschädigung in entsprechender Höhe zuzusprechen; eventuell sei die Sache zur Neufestlegung der Parteienschädigung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er rügt die Verletzung verschiedener Grundrechte, u. a. des rechtlichen Gehörs, der persönlichen Freiheit, des Willkürverbots, der Wirtschaftsfreiheit und der Unschuldsvermutung.
C. Am 4. Juli 2013 wies der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung bzw. Erlass einer vorsorglichen Massnahme ab.
D. Die Verwaltungsrekurskommission und das Verwaltungsgericht beantragen unter Verweis auf ihre Entscheide, die Beschwerde abzuweisen. Das Bundesamt für Strassen beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
 
Erwägungen:
1. Der angefochtene, kantonal letztinstanzliche Entscheid des Verwaltungsgerichtspräsidenten bestätigt, dass der Beschwerdeführer vorläufig nicht fahrberechtigt ist. Dagegen ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten im Sinn der Art. 82 ff. BGG zulässig. Der Entscheid schliesst das Verfahren nicht ab, er ist damit ein Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 BGG zulässig ist, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Ein solcher Nachteil ist vorliegend zu bejahen, da der Führerausweis des Beschwerdeführers während der Dauer des Administrativverfahrens entzogen bleibt (vgl. BGE 122 II 359 E. 1b S. 362; Urteil 1C_233/2007 vom 4. Februar 2008 E. 1.1). Es handelt sich um einen Entscheid über eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG, gegen den nur Verfassungsrügen zulässig sind (Urteil 1C_373/ 2013 vom 30. August 2013, E. 1, 1C_219/2011 vom 30. September 2011, E. 1.3). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
2. Nach Art. 15a Abs. 4 SVG verfällt der Führerausweis auf Probe mit der zweiten Widerhandlung, die zum Entzug des Ausweises führt. Nach Abs. 5 kann ein neuer Lernfahrausweis frühestens ein Jahr nach der Widerhandlung und nur auf Grund eines positiven verkehrspsychologischen Gutachtens erteilt werden (vgl. dazu BGE 136 I 345 E. 6; 136 II 447 E. 5 und 6).
2.1. Führerausweise werden nach Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften in Anwendung der Art. 16a - 16c SVG je nach Schwere und Häufigkeit für bestimmte Zeit, in besonders schwerwiegenden Fällen auch auf unbestimmte Zeit entzogen; durch diese strafähnlichen (BGE 133 II 331 E. 4.2; 120 Ib 504 E. 4b mit Hinweis; Urteil 1C_65/2007 vom 11. September 2007 E. 3.1) Warnungsentzüge soll der Betroffene von der Begehung weiterer Widerhandlungen abgehalten werden.
2.2. Erweckt eine Widerhandlung ernsthafte Zweifel an der Fahreignung - etwa eine wiederholte Trunkenheitsfahrt mit einem hohen Alkoholisierungsgrad (vgl. BGE 129 II 82 E. 4.2 S. 87; 127 II 122 E. 3c S. 125) - ist der Ausweis aus Gründen der Verkehrssicherheit nach Art. 30 VZV umgehend vorsorglich zu entziehen. Da eine Wiederzulasssung zum motorisierten Verkehr nicht verantwortbar ist, bevor die Zweifel an der Fahreignung ausgeräumt sind, wird Rechtsmitteln gegen vorsorgliche Entzüge und Sicherungsentzüge grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung eingeräumt (Urteil 1C_347/2012 vom 29. November 2012, E. 2.2), womit in diesen Fällen der Ausweis in der Regel bis zum rechtskräftigen Abschluss des Administrativverfahrens (vorsorglich) entzogen bleibt. Erweckt die Widerhandlung dagegen keine ernsthaften Zweifel an der Fahreignung des Lenkers und steht damit ein Warnungsentzug zur Diskussion, so wird in der Regel das Strafverfahren abgewartet, bevor das Warnungsentzugsverfahren weitergeführt wird. Der Ausweis wird dem Lenker bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss belassen und der Entzug im Anschluss daran vollstreckt (z.B. Urteil 1C_23/2012 vom 2. Juli 2012).
2.3. Begeht der Inhaber eines Führerausweises auf Probe während der Probezeit eine zweite Widerhandlung, die mit einem Ausweisentzug zu ahnden ist, so steht nach den Ausführungen unter E. 2.1 der Verfall des Ausweises aus Gründen der Verkehrssicherheit zur Debatte, weshalb ihm der Ausweis - wie im Falle eines anstehenden Sicherungsentzugs - grundsätzlich umgehend vorsorglich abzunehmen ist. Davon geht offensichtlich auch der Gesetzgeber aus, der den Fristenlauf der minimal einjährigen Sperrfrist ausdrücklich mit dem Zeitpunkt der Widerhandlung beginnen lässt.
2.4. Vorliegend hat der Beschwerdeführer am 5. März 2012 eine Auffahrkollision verursacht, wofür ihm der Ausweis auf Probe wegen einer mittelschweren Widerhandlung für einen Monat entzogen wurde. Am 12. November 2012 war der Beschwerdeführer zum zweiten Mal innerhalb der (verlängerten) Probezeit in einen Verkehrsunfall verwickelt; er bestreitet nicht, dass er ihn verursacht hat, indem er das Vortrittsrecht eines sich bereits im Kreisel befindlichen Fahrzeugs missachtete und in dieses hineinfuhr. Ein solcher Fahrfehler stellt eine Widerhandlung dar, die in aller Regel mit einem Führerausweisentzug zu ahnden ist. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, er habe wegen eines heftigen Niesanfalls und damit unverschuldet die Übersicht bzw. die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren. Ob dies zutrifft und ob er deswegen für den Unfall straf- und/oder verwaltungsrechtlich nicht verantwortlich ist, wird in den entsprechenden Verfahren zu klären sein. Das ändert aber nichts daran, dass das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt unter den vorliegenden Umständen davon ausgehen musste, dass sich der Beschwerdeführer am 12. November 2012 innerhalb der Probezeit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zweite mit einem Führerausweisentzug zu ahndende Widerhandlung zu Schulden kommen liess. Es hat ihm damit den Führerausweis zu Recht umgehend vorsorglich entzogen.
2.5. Der Beschwerdeführer beanstandet die Kosten- und Entschädigungsregelungen der kantonalen Instanzen. Er begründet diese Einwände mit formellen und materiellen Fehlern, die sie begangen haben sollen. Nachdem sich diese Vorwürfe als unbegründet herausgestellt haben, ist dementsprechend auch nicht ersichtlich, inwiefern die Kosten- und Entschädigungsregelungen rechts- bzw. verfassungswidrig sein sollen. Die Rüge ist unbegründet.
3. Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.--- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen, dem Präsidenten der Abteilung IV der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen, dem Präsidenten des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Strassen, Sekretariat Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 22. Oktober 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Störi